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Ein alter Streit neu entfacht

Führung durch Strukturen oder Personen?
Ein alter Streit neu entfacht

Die Führungskraft eines beliebigen Unternehmens ist eingefügt in eine Struktur von organisatorischen und strategischen Regelungen, Führungsrichtlinien, Dienstvorschriften und Verhaltenserwartungen. Führung ist keine Tätigkeit mit viel schöpferischem Freiraum. Zwänge, Pflichten und Normen engen ein. Die Unternehmensleitung richtet klar definierte Erwartungen an den Vorgesetzten und erwartet Gefolgschaft. Sie möchte das unsichere und intransparente Glied ‚Führungskraft‘ durch Richtlinien, Organisationen, Systeme und Strategien formen und berechenbar machen. Man umschreibt diesen Sachverhalt mit dem Begriff ‚Strukturelle Führung‘.

Prof. Dr. Walter Simon, Leiter des Corporate University Centers, Bad Nauheim Wirtschaftstrainer und -berater Experte für Qualitäts- und Innovationsmanagement

Dieser Begriff wurde von dem inzwischen emeritierten Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, Rolf Wunderer, in die Diskussion eingebracht. Er geht von der These aus, dass institutionelle Regelungen mehr Erfolg versprechen als Führungshandlungen, die sich direkt auf den Mitarbeiter beziehen.
Bei letzterer Form der Einflussnahme durch den Vorgesetzten, von ihm ‚interaktionelle Führung‘ genannt, wird das Mitarbeiterverhalten durch Kommunikation, hier insbesondere mittels der Führungsaufgaben Zielvereinbarung, Information, Motivation, Delegation, Kritik und Kontrolle unmittelbar beeinflusst. Die sich direkt vollziehende interaktionelle Führung ergänzt die strukturelle, schließt Steuerungslücken und sichert die Flexibilität.1
Bei der strukturellen Steuerungsfunktion schafft die Führungskraft, zumeist das obere Management, einen generellen Rahmen für die Situationsgestaltung. Der Vorgesetzte übernimmt die Rolle eines ‚Impressarios‘ und schafft ein Feld für die Situationsgestaltung, z. B. durch gute Arbeitsbedingungen und ein positives Umfeld. Die Führungskraft nimmt also kaum Einfluss auf die Mitarbeiter. Unpersönliche Faktoren, z. B. Stellenbeschreibungen, Verfahrensvorschriften, Führungsgrundsätze, Ethikregeln usw. treten in den Vordergrund. Im Mittelpunkt stehen drei zentrale Steuerungsmedien: Kultur, Strategie und Organisation.
Strukturelle oder personelle Führung – harte oder weiche Faktoren?
Manche Autoren sehen in der strukturellen Führung den Versuch, die personelle Führung zu ersetzen. Wenn überhaupt, dann vollzieht sich die personelle Führung als ‚Management by execption‘. Andere wollen mit einer wirksameren personellen Führung die strukturelle Führung ersetzen oder zumindest ergänzen. Es ist der alte Streit von harten und weichen Faktoren ausgehend vom McKinseys 7S-Modell der späten siebziger Jahre. Es verstand sich als Kritik an vielen Führungsmodellen, welche die harten Führungsfaktoren betonten.
Die sieben S stehen für: Struktur, Strategie, Systeme, Selbstverständnis, Stil, Stammpersonal und Spezialkenntnisse. Die Hauptthese dieses Konzepts lautet, dass sich unternehmerischer Erfolg aus der Wechselwirkung dieser sieben Faktoren ergibt. Aber nicht alle S-Elemente sind gleichbedeutend. Die drei harten S (Struktur, Strategie und Systeme), die man dem Bereich der strukturellen Führung zuordnen könnte, sind zwar wichtig, aber für eine innovative Unternehmenskultur und die Idee des ‘Productivity trought people’ spielen die weichen S (Stammpersonal, Stil, Spezialkenntnisse und Selbstverständnis), die im Falle von Stil und Selbstverständnis durch personelle Führung transformiert werden, eine wichtigere Rolle. Dennoch betonte das Modell die Vernetzung aller Faktoren.
Die dialektische Einheit der Gegensätze
Die Anhänger der harten und der weichen Faktoren folgen einem dichotomischen Managementverständnis, das die dialektische Einheit des Gegensatzes von personeller und struktureller Führung verkennt. Ohne die direkte, sich auf den Mitarbeiter beziehende, also interaktionelle Führung ist die indirekte strukturelle Führung nicht umsetzbar. Aber ohne einen strukturellen Bezugsrahmen fehlen der personellen Führung wichtige Orientierungspunkte. Die Führungskraft sucht verzweifelt nach Wegweisern.
Aber der Teufel streckt im Detail. Die Diskussion um strukturelle oder personelle Führung ist nur für größere Unternehmen relevant, solche, die über Führungsstrukturen verfügen. Im Kleinunternehmen verkörpert der Chef das geltende Wertesystem. Er ist der Stilkultivator. Hier gilt §1: Der Chef hat immer Recht.
In Großunternehmen existiert als Folge notwendiger Arbeitsteilung im Management ein Zuständigkeitsgegensatz. Die Architektur der strukturellen Führung ist Sache des oberen Managements, ausgeführt von deren Stabsadjudanten. Sie besteht aus Hochglanzbroschüren, plakativ formulierten Leitbildern und ergänzenden Informationsveranstaltungen. Die Leadership-Kärrnerarbeit vor Ort ist aber vom operativ handelnden Management an der Schnittstelle zur Basis zu leisten.
Hier zeigt sich, dass kein sorgfältig ausgearbeitetes organisatorisches Regelsystem, Führungsrichtlinien, Organigramme oder Leitbilder, Widerspruchsfreiheit und Beherrschbarkeit ermöglichen. Aus Gründen der Flexibilität und um situativ angemessen zu reagieren müssen Vorschriften allgemein und interpretationsfähig gehalten werden. Das Verhalten von Organisationen, Märkten, von System und Menschen, ist nur schwer strukturell bzw. zentralistisch steuerbar. Infolge vieler Wechsel- und Rückwirkungen greifen lineare Konzepte auf der Basis von Ursache und Folge nicht mehr. Auch Unternehmen entwickeln ihre eigene nicht-lineare Dynamik, bei der Ursachen zwar Wirkungen erzeugen, aber diese auf die eigentlichen Ursachen zurückwirken und so gänzlich andere Neuwirkungen auslösen. Die strukturell vorgegebenen Inhalte werden infolgedessen kaum in die personelle Führung transformiert.
Die Führungskräfte als eine Art Transformationsagenten kämpfen mit ihrem eigenen Identifikationsproblem, ob sie zu ‚denen da oben‘ oder zu ‚denen da unten‘ gehören, insbesondere im mittelren Führungsbereich. Sie erfahren, so besonders am Beispiel von Daimler-Chrysler, dass auch sie als so genannte ‚Leistungsträger‘ oder ‚Humanressource‘ letztendlich gewinnschmälende Kostenfaktoren sind, die es abzubauen gilt.
Das dialektische Führungsdilemmata
Die in dem strukturellen Führungssystem formulierten Erwartungen sind oft unklar und widersprüchlich. Der Vor-Ort-Manager ist deshalb ständig zu Such-, Interpretations- und Gestaltungsleistungen gefordert. Dieser wichtige Hinweis kam von Prof. Neuberger aus Augsburg. Er diagnostizierte 14 Dilemmata, die er als antagonistische Widersprüche charakterisierte. Diese fordern ständig Kompromisse zwischen den Alternativen, die jeweils beide unverzichtbar sind. So soll der Manager seinen Mitarbeitern einerseits vertrauen und sie andererseits kontrollieren. Er soll auf Distanz achten, aber zugleich Offenheit und Nähe aufbauen. Hier weitere Beispiele:
Oswald Neuberger schlussfolgert, dass der Führungsstil eines Vorgesetzten die Art und Weise eines Vorgesetzten ist, wie er die Dilemmata seiner Situation bewältigt. Er muss sich seines Verstandes bedienen und eigenverantwortlich handeln. Andererseits ist es so, dass die Institution Führung nur deshalb existiert, weil es diese Widersprüche gibt. Eine Beseitigung der Führungsdilemmata würde einer Beseitigung der Institution Führung gleich kommen.
Praktikern empfiehlt er, sich zu weigern, konfektionierte Lösungen einzukaufen, da Führung nicht so simpel programmierbar ist, wie manche US-Schnellrezepte es vorgaukeln. „Trau keiner Führungstheorie“ schreibt er, denn „jede Theorie vereinfacht, abstrahiert, wählt aus: es geht um das Abbilden, Verstehen, Erklären und nicht um das Verdoppeln von Wirklichkeit. Damit ist jede Theorie einseitig, lückenhaft, vorläufig.“2
Das gilt meines Erachtens auch für die Theorie der strukturellen Führung. Es ist ein gut durchdachtes Modell, aber eines, das für den Praktiker mehr Fragen aufwirft als Hilfestellung bietet.
Bücher
Zur Herrschaft der Verbände, Köln 1976
Der Polyp, Berlin 1978
Qualitätszirkel, Köln 1993
Die neue Qualität der Qualität, Offenbach 1995
Rede nicht, handle!, Offenbach 1996
Lust auf’s neue – ‚Werkzeuge für das Innovationsmanagement, Offenbach 1999
Managementkonzepte von A bis Z, GABAL-Verlag, Offenbach 2002
Bewerberauswahl leicht gemacht: Wer passt nach der DIN 33430? Überreuther 2003
Ziele managen, Offenbach 2002
Gabals Methodenkoffer KOMMUNIKATION, Offenbach 2004
Gabals Methodenkoffer ARBEITSMETHODEN, Offenbach 2004
Gabals Methodenkoffer MANAGEMENT, Offenbach 2005
Gabals Methodenkoffer FÜHRUNG, Offenbach 2006
Gabals Methodenkoffer PERSÖNLICHKEIT, Offenbach 2007
Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests, Offenbach 2006
CUC-Corporate University Center, Bad Nauheim
QE 503
www.cu-center.com
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