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Was ist MES?

Fertigung, Qualität, Personal
Was ist MES?

In der diskreten Fertigung hat sich MES aus den klassischen Disziplinen wie Betriebsdatenerfassung, Maschinendatenerfassung, Leitstand, Personalzeit, Management und Qualitätssicherung entwickelt. Die genannten Systeme waren und sind heute immer noch als Insellösungen realisiert.

Dr. Jürgen Kletti, Geschäftsführer, MPDV Mikrolab GmbH, Mosbach

Mehr oder minder effektive Schnittstellen schaffen die Verbindung zwischen den einzelnen Systemen. Oft werden aber auch die darunter liegende Automatisierungsebene und die darüber liegende Unternehmensleitebene (ERP) als Integrationsplattform zum Austausch notwendiger Daten verwendet. Einerseits waren diese Inseln nicht mehr ganz zeitgemäß, andererseits hat die Fertigung in den letzten Jahren auch eine Reihe von neuen Aufgaben dazu erhalten. Es ist nicht mehr ausreichend, einen Auftragsbestand durch die Fertigung hindurch zu schleusen, Ausschuss auszusortieren und den Kunden einigermaßen termingerecht zu beliefern. Die heutige Zielsetzung heißt „null Fehler“ bzw. Fehlervermeidung mit permanent steigender Wirtschaftlichkeit, vor allem aufgrund der Bedrohung durch die globalisierten Märkte.
Transparente Fertigung
Damit hat das Fertigungsmanagement eine neue Bedeutung gewonnen. Um wirtschaftlich zu sein, muss die Fertigung transparent und reaktionsfähig gemacht werden. Es ist also ein Online-Abbild der Fertigung notwendig, auf dessen Basis schneller, richtigere Entscheidungen gefällt werden können. Planungen müssen technologieorientiert und zeitnah ablaufen, um Wartezeiten, Rüstzeiten, Liegezeiten aufgrund von vorhersehbaren Situationen zu vermeiden.
Diese allgemeinen Zielsetzungen gelten sowohl für die diskrete Fertigung wie auch für die Prozessindustrie. Der Unterschied zwischen den beiden Fertigungstypen ist dabei weniger am Produkt festzumachen, sondern vielmehr an der Anzahl der Freiheitsgrade, die eine Fertigung hat. Bei einem typischen Vertreter der Prozessindustrie werden über große komplexe Anlagen in vielen Detailschritten und in möglichst langen Läufen Produkte hergestellt. Ein Produkt muss dabei bestimmte Fertigungsstufen und damit auch bestimmte Aggregate durchlaufen. Der Ausfall eines Aggregats legt dabei oft eine ganze Anlage still. Aufgrund vieler gesetzlicher Vorschriften ist eine Beobachtung und Dokumentation des Prozesses auf höchstem Niveau notwendig.
Variantenvielfalt
MES und Anlagensteuerung wachsen bei diesem Fertigungstyp sehr weit zusammen. Die Elemente Feinplanung, Qualitätssicherung und Datenerfassung haben hierbei eine deutlich andere Ausprägung als im Bereich der diskreten Fertigung, die man auch als Serien- oder Werkstattfertigung bezeichnen könnte.
Hier wird ein Auftragsvorrat, der eine Reihe von verschiedenen Produkten oder Varianten herstellt, mittels einer Stückliste und einem Arbeitsplan in viele Arbeitsgänge aufgelöst, welche in verschiedenen Prozessschritten in der Fertigung realisiert werden. Die Betriebsmittel sind bei dieser Fertigungsart oft voneinander unabhängige Bearbeitungszentren, Maschinen oder auch Handarbeitsplätze. An welchem Aggregat bzw. an welchem Arbeitsplatz ein bestimmter Arbeitsgang gefertigt wird, muss zu Beginn der Auftragsbearbeitung noch nicht festgelegt sein. Hieraus ergibt sich eine große Variantenvielfalt, wie eine Menge von Arbeitsgängen durch ein Netz von vorhandenen Betriebsmitteln realisiert werden kann. Davon abhängige Problemstellungen, wie Bereitstellung von geeignetem Personal und der Transport von Ausgangsmaterialien sowie Zwischen- und Fertigprodukten, erhöht die Anzahl der Varianten, von denen oft kurzfristig die beste zu ermitteln ist. Die Feinplanung hat hier mehr die Aufgabe der Feinsteuerung, die zeitnah auf aktuelle Situationen in der Fertigung reagieren muss und möglichst optimierte, neue Vorschläge zur Bearbeitung der Auftragslast liefern muss. Personalmanagement und Betriebsmittelmanagement sorgen dafür, dass jeweils passende Ressourcen zur Auftragsbearbeitung bereitstehen. Das Qualitätsmanagement beobachtet den Prozess und signalisiert fehlerhafte Zustände, damit die Produktion von überflüssigem Ausschuss möglichst vermieden werden kann. Ein MES für eine diskrete oder Serienproduktion muss daher nicht in die Steuerung von Anlagen integriert sein, sondern benötigt nur Kopplungen, um die notwendigen Daten zu übernehmen. Dafür ist jedoch eine ausgeprägte organisatorische Kompetenz notwendig, die in Verbindung mit der Technologie-Orientierung und der Online-Fähigkeit den Nutzen eines MES ausmacht.
Unterstützung für das Fertigungsmanagement
Bei beiden Fertigungstypen ist das MES das zentrale Element der so genannten vertikalen Integration. Automatisierungs- oder Fertigungs- und Produktionsebene werden über das MES mit der Unternehmensleitebene (ERP) direkt gekoppelt. Allerdings darf ein MES hier nicht als eine Art „Datenstecker“ zwischen ERP und Fertigung missverstanden werden, sondern MES muss hier als eigene Anwendung zur Unterstützung des Fertigungsmanagements gesehen werden. MES liefert dabei zeitnah und technologieorientiert die Auswertungen und Entscheidungshilfen, die das Fertigungsmanagement zur Bewältigung seiner Aufgaben benötigt. Dazu werden Daten über geeignete Einrichtungen (Terminals, PCs, Maschinennetze, etc.) in der notwendigen Auflösung direkt in der Produktion erfasst. Daraus entstehen Auswertungen über Maschinen und Prozessdetails, über Messwerte und gefertigte Qualitäten, die in einem ERP-System heute üblicherweise nicht abgebildet werden. Die Erfassungs-Infrastruktur kann umgekehrt auch genutzt werden, um die Fertigung mit Informationen zu versorgen (Einstelldaten, elektronische Laufkarten, etc.). Hierbei kann das MES ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur papierarmen Fertigung werden. Die Feinsteuerungskomponente eines MES ist bei dieser vertikalen Integration auch ein Instrument der reaktiven Feinstplanung, also der sofortigen Reaktion auf Stillstände, auf neue Erkenntnisse bezüglich Kapazität und Materialien.
Vertikale und horizontale Integration
Neben der Aufgabe der vertikalen Integration, die ein MES in der Fertigung erfüllt, ist die horizontale Integration innerhalb eines MES ein ebenso wichtiges Element. Das Fertigungsmanagement sieht sich der Aufgabe gegenüber, seine Fertigung wirtschaftlicher gestalten zu müssen, damit die Fertigung selbst, das Personal und die Qualität entsprechend organisieren und verwalten kann.
Entsprechend den drei Aufgabengebieten des Fertigungsmanagements kann man MES in drei Funktionsgruppen einteilen: Fertigung, Qualität und Personal. Diesen Funktionsgruppen kann man auch sehr eindeutig die klassischen Systeme zuordnen, aus denen MES, wie eingangs erwähnt, entstanden ist.
Die Funktionsgruppe Fertigung kann die Module enthalten: BDE (Betriebsdatenerfassung), MDE (Maschinendatenerfassung), Leitstand, Plantafel, WRM, DNC (Werkzeug- und Ressourcenmanagement), MPL (Material- und Produktionslogistik).
In der Funktionsgruppe Qualität kann man zusammenfassen: SPC (Statistische Prozessregelung), REK (Reklamationsmanagement), PMC (Prüfmittelverwaltung), PDV (Prozessdatenverarbeitung).
Die Funktionsgruppe Personal kann enthalten: PZE (Personalzeiterfassung), LLE (Basisdatenermittlung für Leistungsentlohnung), PEP (Personaleinsatzplanung), ZKS (Zutrittskontrolle).
Als modulübergreifende Funktionalität kann man ESK (Eskalationsmanagement) ansehen, das aktuelle Ist-Daten aus den verschiedenen Funktionsgruppen und Modulen übernimmt und bei Verletzung von Soll-Werten den geeigneten Anwender darüber informiert.
In der obigen Aufzählung sind Module aus der Frühzeit der Datenerfassung genannt. Allerdings dürfen diese Funktionen nicht mehr, wie in der Vergangenheit, als Insellösungen verstanden werden, sondern müssen in diesem Zusammenhang dem MES-Gedanken, also der gesamthaften Betrachtung des Fertigungsmanagements gehorchen.
Weg von den Inseln
Die genannten Insellösungen zeigen auf einen Blick in einem Moment jeweils nur einen Teil der Realität (z.B. nur die Qualitäts- oder nur die Personalseite). Diese Art der Informationsvermittlung und -verknüpfung ist in vielen Fällen zur Beurteilung der aktuellen Situation bzw. der daraus zu tätigenden Rückschlüsse nicht ausreichend. Die Inseln müssen also untereinander mit effektiven Schnittstellen versehen sein. Die bessere Lösung ist jedoch ein horizontal integriertes MES zu verwenden, das auf einer integrierten Datenbasis arbeitet und damit den Problemen der Schnittstellensynchronisation und der Schnittstellenerstellung entgeht.
Allein diese Betrachtungen über horizontale und vertikale Integration zeigen, dass ein richtig verstandenes MES nicht nur aus einem einfachen Erfassungssystem bestehen kann, sondern dass eigene Auswertungen und Verknüpfungen mehrerer Disziplinen ein MES ausmachen. Andererseits wäre der Begriff MES auch falsch verstanden, wenn man darunter nur weitere Auswertungen von ERP-Daten und eine weiter optimierte Feinplanung verstehen würde. MES verlangt dabei Feinsteuerung als direkte Reaktion auf Veränderungen in der Fertigung, weniger das Erstellen von längerfristigen Plänen.
Begriffsdefinitionen
Folgende Beispiele für Auswertungen aus dem BDE- / MDE-Bereich sollen den Einsatz von MES verdeutlichen.
Bilder 1 und 2 zeigen Elemente der Feinsteuerung bzw. der Qualitätssicherung, die ebenfalls Elemente eines gut ausgebauten MES-Systems sein sollten.
Eine Reihe von Gremien hat sich in den letzten Jahren bemüht, den MES-Begriff näher zu definieren bzw. zu normieren. Mit ISA S95 ist eine sehr leistungsfähige Vorschrift entstanden, die es ermöglicht, das Design von großen Systemen sehr prinzipiell durchzuführen und dieses auch nachvollziehbar zu gestalten. NAMUR baut darauf eine besondere Version für die Prozessindustrie auf. In den USA hat sich die MESA um die Verbreitung des MES-Gedankens und dessen Definition sehr verdient gemacht und mit der Definition von Elementen auch erstmals eine Vorlage geschaffen, nach der ein MES eine Mini-mumfunktionalität haben muss. Nach der Idee der MESA wird MES innerhalb des Unternehmens immer mehr zu einer Informationsdrehscheibe, die fertigungsnahe Informationsquellen miteinander verknüpft. Daraus entstand das Modell des c-MES (collaborative MES). MESA International wird sich nun auch mit einer europäischen Organisation (MESA Europe) an europäische Systemintegratoren und Anwender wenden.
In Deutschland hat der VDI-Arbeitskreis MES eine Richtlinie auf den Weg gebracht, die als Entwurf bereits vorliegt. MES wird hier primär als System verstanden, das in der Fertigung Aufgaben zu erfüllen hat. Die VDI-Richtlinie unterscheidet dabei acht Aufgaben. Dies sind Feinplanung und Feinsteuerung, Betriebsmittelmanagement, Materialmanagement, Personalmanagement, Datenerfassung, Leistungsanalyse, Qualitätsmanagement, Informationsmanagement. Diese Richtlinie liefert damit die Beschreibung eines MES-Konzepts, das Anwendern helfen soll, sich das für ihre Bedürfnisse richtige MES zu gestalten und am Markt das geeignete Angebot zu suchen.
Ein besonders wichtiges Element ist hier die Leistungsanalyse, die auch bereits in der ersten MESA-Definition vorhanden war. Die Leistungsanalyse führt im tagesaktuellen Geschäft Soll/Ist-Vergleiche durch und sorgt damit dafür, dass eine Fertigung effektiv läuft. Aus der Tatsache, dass die Ist-Zahlen online ermittelt werden können, ergibt sich der Hauptnutzen dieser Leistungsanalyse. Der Fertiger sieht aktuell, was er an der Situation verbessern könnte und erfährt nicht einen Tag später anhand einer Auswertung, was er hätte verbessern müssen. Diese aktuell erfassten und ausgewerteten Daten werden natürlich sinnvoller Weise in einem Langzeitarchiv gesammelt und stehen damit auch historischen Aspekten bzw. einer Nachkalkulation zur Verfügung. Die Leistungsanalyse bzw. MES wird damit zu einem wichtigen Element des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses in einem Fertigungsunternehmen.
Ziele definieren
Ein MES betrifft, richtig eingeführt, große Teile der Fertigung, wenn nicht die gesamte Fertigung. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die Einführung präzise zu planen und in geeigneten Schritten vorzunehmen, um den eigentlichen Produktionsbetrieb durch die Einführung nicht zu stören. Vor der Einführung sollten die Ziele bekannt sein, die man mit der Einführung eines MES verfolgt. Diese können zum Beispiel sein: Verbesserung der Termintreue, Reduzierung der Umlaufbestände, Reduzierung der Nacharbeit usw. Hier ist es durchaus sinnvoll, auf bereits Bekanntes zurückzugreifen und Verbesserungspotenziale anzunehmen, wie zum Beispiel 3% mehr Ausstoß aus dem Maschinenpark allein durch konsequente Anwendung einer Stillstandsanalyse.
Weiterhin sollten Verbesserungseffekte betrachtet werden, die allein durch bessere Information und vor allem zeitnahe Information zustande kommen. Zum Beispiel können permanente telefonische Rückfragen entfallen, wenn aktuelle Informationen aus einem MES-System übernommen werden können. Die denkbaren Verbesserungspotenziale können zusammen mit ihren Verbesserungseffekten sehr schnell ein Bild über die möglichen wirtschaftlichen Effekte eines MES geben. So kann man beispielsweise den ROI-Analyzer von MPDV verwenden, um aus MES-Funktionalitäten Verbesserungspotenziale ableiten zu können. Dieser rein projektorientierten Sicht einer MES-Einführung steht die pragmatische Sicht eines MES-Standards gegenüber.
Manufacturing Scorecard
Viele Verbesserungsmöglichkeiten sind im allgemeinen Fall bekannt und bedürfen nur noch der Detaillierung im einzelnen Anwendungsfall. So ist es möglich, MES-Standardfunktionalitäten in einem Betrieb einzuführen und anhand von Ist-Daten Online-Übersichten und Auswertungen Verbesserungspotenziale im Detail zu ermitteln und ausgehend davon weitere Funktionalitäten in ein MES einzubauen. Ein geeignetes Tool, um diese Verbesserungspotenziale aufzudecken ist die Manufacturing Scorecard (MSC), die hilft, aus den mit MES gemachten Beobachtungen, Schlussfolgerungen und Maßnahmen abzuleiten. Sind die Maßnahmen umgesetzt, zeigt die Manufacturing Scorecard, inwieweit diese Maßnahmen greifen.
Mit der MSC lassen sich sowohl Zeitverläufe von bestimmten Kennzahlen beobachten, wie auch die aktuelle Situation in einer Kombination von Kennzahlen. So ist es in einer Fertigung nicht immer sinnvoll, in Richtung einer bestimmten Kennzahl zu optimieren, sondern eine Kombination aus mehreren zu betrachten. Als Beispiel sei hier eine einfache Produktionsmaschine angeführt. Ist der Nutzungsgrad einer Maschine hoch, so kann es sein, dass sie eine Menge von Teilen produziert, die im Moment nicht weiter verarbeitet werden können. Es ist an der Stelle also sinnvoll, den Nutzungsgrad und den Materialzu- und -abfluss parallel zu beobachten, um eine für diesen Betrieb sinnvollen Gesamtkennzahl zu kommen. Bild 3 zeigt eine typische Darstellung aus der Manufacturing Scorecard.
Mit den genannten Aspekten ist MES ein System, um eine Fertigung transparenter und reaktionsfähiger und damit wirtschaftlicher zu machen. Es ist damit ein unverzichtbarer Baustein geworden, um die Wettbewerbsfähigkeit in einem globalen Markt zu sichern.
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