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Hüften aus dem Spielzeugladen

Medizinprodukterecht erhitzt die Gemüter
Hüften aus dem Spielzeugladen

Hüften aus dem Spielzeugladen
Nicht alle sind mit der Zertifizierungpraxis der Produkte zufrieden, die in der Medizin eingesetzt werden Bilder: IBM, Telekom
Im Gesundheitswesengibt es Streit um die Anforderungen für Medizinprodukte. Der AOK-Chef kritisiert das derzeitige Zulassungsverfahren. Der Herstellerverband will am bestehenden System festhalten. Beide fordern generell mehr Qualität. Die DIN EN 15224 könnte zumindest schon mal die Qualitätsmanagement-Systeme verbessern.

„Medizinprodukte werden heute in Europa noch zugelassen wie Spielzeug“, sagte AOK-Chef Jürgen Graalmann unlängst in einem Interview gegenüber der Tageszeitung Die Welt. „Theoretisch könnten Sie auch bei Toys´r ´Us eine neue Hüfte kaufen“, so Graalmann weiter. Das CE-Zertifikat klebe auf dem Spielzeug und auf der Hüftprothese. „Es sagt aber nichts darüber aus, wie gut das Produkt für den Menschen ist.“

Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes kommentiert mit deutlichen Worten das aktuelle Zulassungsverfahren. Damit stellt er auch die Qualität der Medizinprodukte in Frage, die derzeit auf dem Markt sind.
Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) sieht das jedoch ganz anders. Dort spricht man von einer Falschaussage Graalmanns, die dieser richtig stellen müsse. Laut BVMed sind die Anforderungen, die eine CE-Kennzeichnung an die Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten stellt, sehr hoch und von der Regelungsdichte vergleichbar mit Arzneimitteln. Dazu gehörten eine Risikoanalyse und Risikobewertung zum Nachweis der Sicherheit, die Durchführung einer klinischen Bewertung beziehungsweise klinischen Prüfung zum Nachweis der Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit sowie ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem.
„Diese hohen Anforderungen werden auch nicht dadurch relativiert, dass CE-Kennzeichnungen ebenfalls auf Aufzügen, Seilbahnen, Kinderspielzeug und Bügeleisen zu finden sind“, erklärt Joachim Schmitt, BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied. „Für Medizinprodukte gelten eigene produktspezifische Gesetzesvorgaben, um eine CE-Kennzeichnung aufbringen zu dürfen.“ Somit entsprächen die Anforderungen für die CE-Kennzeichnung auf Medizinprodukten nicht denen für Spielzeug. Sie gingen stattdessen „weit über diese hinaus“.
Bei der Reform des Medizinprodukterechts fordert der BVMed ein Festhalten am bisherigen Zulassungssystem und den bisherigen Risikoklassen. Bei der Benennung und Überwachung der Zulassungsstellen sollte es jedoch deutliche Verbesserungen geben. „Hier benötigen wir ein europäisch einheitlich hohes Niveau“, meint Schmitt. Wegen einzelner kritischer Fälle dürfe aber nicht das System insgesamt in Frage gestellt werden.
Wenn es um die Nutzenbewertung der Medizinprodukte geht, sehen beide Seiten Änderungsbedarf. Der BVMed fordert eine eigene Systematik für Medizinprodukte, die nach Risikoklassen und Modifikationsgrad differenziert. Der AOK-Bundesverband verlangt eine Nutzenbewertung für Hochrisiko-Medizinprodukte.
Branche braucht Wettbewerb
Auch auf anderer Ebene gibt es Einigkeit: Sowohl Schmitt als auch Graalmann sind davon überzeugt, dass es im Gesundheitswesen einen Qualitätswettbewerb geben muss.
Um in diesem zu bestehen, können Organisationen im Gesundheitswesen nun auf einen europäischen Standard für Qualitätsmanagement-Systeme zurückgreifen. Seit Dezember ist die deutsche Version der DIN EN 15224 (siehe Kasten) auf dem Markt.
Laut der Prüfgesellschaft Dekra ist ihre Bedeutung nicht zu unterschätzen. Richtig angewendet, könne die Norm Qualitätsmanagement-Systeme entscheidend verbessern. Das käme den Pastienten zugute und steigere die Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden Unternehmen. ■

Norm adressiert Prozesse

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Mit der Norm DIN EN 15224 existiert ein europäischer Standard für Qualitätsmanagementsysteme in der Gesundheitsversorgung. Der Standard richtet sich an alle Organisationen der Branche. Auf die Bedürfnisse der Unternehmen angepasste Normforderungen und die Verwendung von Begriffen aus der Gesundheitsversorgung bilden die Grundlage der Norm. Der Schwerpunkt liegt auf dem klinischen Prozess- und Risikomanagement. So fordert die DIN EN 15224 eine strukturierte Beschreibung der Prozesse, verbunden mit einer Risikobewertung. Sie kann künftig auch für eine Zertifizierung im Gesundheitswesen herangezogen werden. ■
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