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Das Auge der smarten Fabrik

QE-Roundtable zur Bildverarbeitung
Das Auge der smarten Fabrik

Das Auge der smarten Fabrik
Ein großes Plus der Bildverarbeitung für die Qualitätssicherung in der Produktionslinie ist, dass sie berührungsfrei und automatisiert arbeitet – und damit weder das zu prüfende Produkt noch den Produktionsprozess negativ beeinflusst oder gar beschädigt Bild: Fotolia.com/Alterfalter
Der Bildverarbeitung kommt in der Qualitätssicherung von morgen eine Doppel-Hauptrolle zu: Sie ermöglicht die 100-Prozent-Prüfung von Bauteilen inline und liefert der Fertigung gleichzeitig wertvolle Informationen zur Prozessverbesserung. Dies haben wir mit Experten in einem Roundtable diskutiert, der in Zusammenarbeit mit der Messe Stuttgart entstand.

Auch wenn die Anbieter industrieller Bildverarbeitung in industriefernen Branchen wie Transport/Verkehr und Landwirtschaft derzeit größere Steigerungsraten erzielen – für die meisten stellt die Qualitätssicherung nach wie vor das größte Standbein dar: „Mehr als 80 Prozent unseres Umsatzes entfällt auf den Bereich Qualitätssicherung. Und dies wird sich auf absehbare Zeit auch trotz anderer boomender Branchen nicht ändern. Denn immer mehr Kameras werden in Zukunft inline in der Fertigung benötigt, um im Fertigungstakt zu prüfen, ob ein Bauteil IO oder NIO ist. Industrie 4.0 lässt sozusagen grüßen“, sagt Marcel Pabst, Business Development Director EMEA beim dänischen Anbieter JAI. Bei Matrix Vision liegt der Anteil der Qualitätssicherung nach Aussagen von Produkt-Manager Peter Kostelnik bei 30 % des Umsatzes. Doch geht er davon aus, dass diese Zahl in den kommenden Jahren steigen wird.

„Treiber für das Wachstum sind neben der eigentlichen Qualitätssicherung, also der Unterscheidung zwischen IO und NIO, zwei Bereiche, die eng damit verbunden sind“, so Kostelnik. „Zum einen geht es um die Möglichkeit, aufgrund der von Kameras gelieferten Daten steuernd in den Produktionsprozess einzugreifen und damit letztlich die Qualität erhöhen zu können. Und zum anderen hören wir vor allem von der Automobilindustrie: Es reicht nicht aus, die Qualität sicherzustellen, wir müssen dies auch noch in fünf Jahren beweisen können; beispielsweise, dass ein Airbag, der nicht ausgelöst hat, tatsächlich in Ordnung war. Hier geht es also um die Themen Sicherung von Qualitätsdaten beziehungsweise Traceability/Rückverfolgbarkeit.“
„Letztlich geht es den Kunden in der Industrie immer um Qualität und Effizienz – und beides lässt sich durch die Bildverarbeitung sehr stark beeinflussen“, stellt Peter Keppler klar, Director of Corporate Sales bei Stemmer Imaging. „Dabei ist es letztlich unerheblich und zunehmend schwierig zu beurteilen, ob eine Applikation der klassischen Qualitätssicherung direkt zuzuordnen ist.“
Steigende Komplexität der Anwendungen
Christian Ott, Leiter Produktmanagement Vision bei Sensopart, registriert, „dass viele Anwender in der Industrie eine steigende Zahl von Aufgaben gleichzeitig mit der Bildverarbeitung lösen wollen“. Oftmals gehe es zunächst um eine einfache Prüfung: Teil da, Teil nicht da. Eventuell noch verbunden mit der Frage, ob ein Teil an der richtigen Position liegt. Und dann stellt der Kunde fest: Die Bildverarbeitung hilft auch bei der Beurteilung, ob eine Bohrung an der richtigen Stelle vorgenommen wurde, und ob sie den richtigen Durchmesser hat. „Das heißt, eine einfache Anwendung wird durch Qualitätsaspekte aufgewertet – weil es mit der industriellen Bildverarbeitung wirtschaftlich ist, diese Anforderungen umzusetzen“, so Ott.
Kostelnik bestätigt diese Einschätzung: „Die einfache und damit auch nachträgliche Implementierung von Anwendungen ist heute möglich, da für die Implementierung und Inbetriebnahme der Bildverarbeitungssysteme längst nicht mehr die tiefen und umfangreichen Programmierkenntnisse notwendig sind wie noch vor zehn Jahren.“
„Es ist aber doch längst nicht so, dass industrielle Bildverarbeitung generell einfacher wird“, widerspricht Keppler. „Sicherlich wächst der Markt für die einfachen Systeme ungemein. Doch am oberen Ende wächst durch die steigenden Anforderungen in punkto Qualität und Effizienz gleichzeitig der Bedarf an komplexen Systemen. Ich warne davor, die einen Systeme gegen die anderen auszuspielen. Das ist nicht zielführend. Jeder Bereich hat seine Daseinsberechtigung.“
Ein aktuelles Beispiel für den Bedarf an komplexen Systemen nennt Pabst: In der Lebensmittelbranche sei der Wandel von objekt- zu Feature-basierender Qualitätssicherung festzustellen. Früher war die Fragestellung: Läuft da ein Apfel oder eine Birne über das Band? „Inzwischen möchten wir eigentlich sehen: Welche Farbe hat der Apfel? Welche Qualitätsklasse hat er? Was kann ich mit diesem Apfel tun? Kann man ihn als A-Ware verkaufen oder muss er zu Apfelmus verarbeitet werden?“, so der JAI-Experte.
Er redet dabei von der Hyperspektraltechnologie: „Diese arbeitet nicht mehr ausschließlich im sichtbaren Lichtbereich, sondern auch mit größeren Wellenlängen, also letztlich mit Infrarotlicht“, erklärt Keppler. „Gerade in diesem, für das menschliche Auge nicht sichtbaren Bereich reagieren die Stoffe anders. Das heißt, dort bekommt man plötzlich Kontraste von Objekten oder von Stellen an Objekten, die man im sichtbaren Licht nicht sieht.“
Hyperspektraltechnologie vor dem Sprung in die Linie
So lassen sich mit Licht im hyperspektralen Bereich Qualitätsaussagen treffen, die man bisher selbst mit dem menschlichen Auge nicht ohne Weiteres treffen konnte. Keppler: „Damit kann die Lebensmittelindustrie Produkte wie Obst, Gemüse oder Fleisch besser klassifizieren und in Handelsklassen einteilen. Sie kann den Verschnitt reduzieren, indem sie eben näher an die kritischen Bereiche heranschneidet.“
Nach Darstellung des Experten von Stemmer Imaging stellt die Hyperspektraltechnologie, die aktuell kurz vor dem Sprung zur Anwendung in der Linie steht, hohe Anforderungen an das Gesamtsystem – insbesondere im Hinblick auf die Beleuchtungstechnik und die Rechnerleistung. Ein großes Plus der Bildverarbeitung für die Qualitätssicherung in der Produktionslinie ist laut Kostelnik, Matrix Vision, dass sie berührungsfrei und automatisiert arbeitet – und damit weder das zu prüfende Produkt noch den Produktionsprozess negativ beeinflusst oder gar beschädigt.
Einen weiteren Vorteil nennt Pabst, JAI: „Durch den Wechsel von der CCD- zur schnelleren CMOS-Technologie ist die Bildverarbeitung heute prädestiniert für die 100-Prozent-Kontrolle in der Linie.“
Dennoch werden der Messraum und die taktile Messtechnik nach seiner Einschätzung weiterhin ihre Berechtigung haben: „Die Anforderungen an die Präzision von Messungen steigen schließlich auch. Da stößt die Bildverarbeitung aus physikalischen Gesetzen oft an ihre Grenzen.“
„Bei einstelligen Mikrometer-Zahlen an Messgenauigkeiten wird es irgendwann für die Bildverarbeitung eng“, stellt Kostelnik klar. „Und das kann man nicht dadurch kompensieren, dass man mehr Megapixel nimmt – ganz im Gegenteil sogar. Man kann es auch nicht dadurch kompensieren, dass man mit der gleichen Zahl von Megapixeln ein viel kleineres Bildfeld anschaut. Diese Grenzen der Physik werden auch in Zukunft bleiben.“ Weitere Herausforderungen nennt Keppler, Stemmer Imaging: „Es kommt vor, dass das raue Umfeld für die Bildverarbeitung nicht geeignet ist, um Messungen vorzunehmen.“ Doch die Dinge verändern sich. Keppler erinnert an die 3D-Technologie: „Vor ein paar Jahren war es überhaupt nicht denkbar, in der heute möglichen Auflösung inline 3D-Applikationen zu nutzen. Damals war dafür der Messraum gesetzt. Heute aber sehen wir schon sehr viele 3-D-Applikationen inline.“
Wohin entwickelt sich die Bildverarbeitung in der vernetzten Fabrik somit? Welche Rolle spielt sie für Industrie 4.0? „Durch Industrie 4.0 steigen die Anforderungen an die Bildverarbeitung“, stellt Ott, Sensopart, fest. „Die Bildverarbeitung muss Messwerte und Daten liefern, um den Prozess in der Linie zu optimieren, um am Ende gute Produkte zu haben. Ein zweiter Aspekt ist, dass die 2D- oder 3D-Bildverarbeitung hilft, Teile automatisiert zu handhaben, indem sie dem Roboter entsprechende Koordinaten liefert, wo er Teile greifen, wo er Teile ablegen muss, wo eine Bohrung erfolgen muss. Da wird die Bildverarbeitung auch in Zukunft ein zentraler Aspekt sein.“
„Die Bildverarbeitung ist nicht nur das Auge des Roboters, wie es oft so schön heißt, sondern ich möchte sogar sagen, das Auge der smarten Fabrik, die in der Lage ist, einzugreifen, wo es notwendig ist“, sagt Kostelnik. Er nennt ein Anwendungsbeispiel aus der Möbelindustrie, bei der Holz als Naturmaterial immer wieder zu Problemen bei der Verarbeitung führt – etwa aufgrund der Astlöcher, die bei Sichtflächen meist nicht erwünscht sind. Mithilfe von Bildverarbeitung aber kann eine Holzschneidemaschine selbstständig ihre Schnitte legen, weil Astlöcher automatisch detektiert und entsprechend dann die Schnittmuster anpassen werden können – mit dem Effekt, dass minimaler Verschnitt entsteht.
Doch Ott, Sensopart, sieht den Hype um Industrie 4.0 differenzierter: „Kein Kunde kommt mit der Anforderung auf uns zu: Ich will Industrie 4.0 machen. Gleichwohl fangen die Kunden an darüber nachzudenken: Was kann ich denn mit Hilfe der Bildverarbeitung automatisieren und optimieren? Ich denke, dieser Aspekt befeuert die Bildverarbeitung.“ ■
Die Videos zum Roundtable finden Sie hier.
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