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„Man muss sich neue Vorgehensweisen überlegen“

DGQ-Experte fordert agiles Qualitätsmanagement
„Man muss sich neue Vorgehensweisen überlegen“

„Man muss sich neue Vorgehensweisen überlegen“
Durch agile Methoden wie Scrum oder Design Thinking entstehen immer wieder neue Ideen auf immer neuen Wegen. Dem dürfen sich Qualitäter nicht verschließen Bild: alphaspirit/Fotolia.com
Die Qualitäter müssten radikal umdenken, glaubt Benedikt Sommerhoff, Leiter Regional bei der DGQ. Auf dem dritten Innovationsforum der Quality Engineering erklärt er, welche Rolle das Qualitätsmanagements im agilen Unternehmen künftig einnimmt.

Herr Sommerhoff, Sie werden auf dem Innovationsforum der QE über das „Agile Manifest für das Qualitätsmanagement“ sprechen, an dem die DGQ gerade arbeitet. Zunächst einmal: Was bedeutet Agilität in diesem Zusammenhang?

Benedikt Sommerhoff: Im DGQ-Fachkreis QM und Organisationsentwicklung haben wir das sinngemäß so definiert: Agilität bedeutet proaktives Handeln. Das geht über den Begriff Flexibilität hinaus. Es geht auch um Antizipation: Was kann kommen? Was erwarten wir, das kommen könnte? Und wir stellen uns im Vorhinein darauf ein oder gestalten das sogar mit. Das heißt auch: Durch Eigeninnovationen treiben wir Entwicklungen voran, auch destruktive Entwicklungen. So sind wir besser in der Lage, damit umzugehen und die Organisation immer wieder vollständig an neue Situationen anzupassen. Das führt im Ergebnis zu sehr beweglichen Organisationen.
Was bedeutet agiles Qualitätsmanagement?
Sommerhoff: Für ein Unternehmen heißt das, QM so zu gestalten, dass es agile Bereiche unterstützt und nicht behindert. Das kann bedeuten, viele Dinge im QM-System einzureißen und neu zu denken. Man muss sich neue Vorgehensweisen überlegen, damit bestimmte Dinge im Qualitätsmanagement wieder funktionieren: zum Beispiel die Reproduzierbarkeit der Leistung oder das Einhalten von Standards, obwohl agile Teams ihre Prozesse kontinuierlich anpassen und verändern.
Heißt konkret?
Sommerhoff: Im agilen Qualitätsmanagement adressieren wir vier Ebenen: Kultur und Werte, Führung, Strukturen und Prozesse sowie Arbeitsorganisationen und Methoden. Für die Prozesse bedeutet Agilität beispielsweise, dass diese nicht mehr so stark festgelegt und so durchgehend standardisiert sind. Stattdessen arbeitet man in eher volatilen Prozessen. Das ist ein wichtiges Thema für das Qualitätsmanagement. Da geht es unter anderem um die Frage, wie das Thema Verantwortung künftig geregelt wird, um noch normen-tauglich zu sein — etwa in Bezug auf die DIN ISO 9001. Wie transformieren wir also ein hierarchisches System individueller Verantwortlichkeiten zu einem hierarchiefreien System kollektiver Verantwortung? Und schon sind wir bei den Themen Kultur und Führung.
Aber gibt es nicht ein grundlegendes Problem mit der Proaktivität? Zuerst wird es etwas entwickelt und dann prüft man dessen Qualität. Die Qualität hinkt also zwangsläufig immer etwas hinterher.
Sommerhoff: Das klassische Qualitätsmanagement begleitet doch aber schon den Entwicklungsprozess und setzt nicht erst so spät an. In einer agilen Organisationseinheit laufen die Qualitäter dann Gefahr zurückzubleiben, zu spät oder falsch zu intervenieren, wenn sie selbst noch eine klassische Prozessvorstellung haben, während in der Produktentwicklung aber schon mit agilen Methoden wie Scrum oder Design Thinking immer neue Ideen auf immer neuen Wegen entstehen.
Dann klafft also eine Lücke zwischen dem Qualitätsmanagement und dem restlichen Unternehmen?
Sommerhoff: Die sehr agilen Organisationseinheiten haben dann das Gefühl, dass die QM-Leute stören, weil diese reglementieren wollen, was nicht mit klassischen Mitteln zu reglementieren ist. Weil die QM-Leute agile Prozesse aufhalten und als anarchisch diskreditieren. Also werden sie versuchen, die Qualitäter und deren Regelsysteme zu umgehen, damit sie selbst agil funktionieren können. Das sind die Pioniere in der Organisation, die gar nicht anders handeln können, sondern einfach stur ihren eigenen Weg gehen und Leute nicht mitnehmen. Und die Qualitäter sehen gar nicht, dass sie am Wegesrand stehen und nicht mitkommen. Sie glauben stattdessen, dass sie diejenigen sind, die voranschreiten und der Organisation etwas Gutes tun, wenn sie die vermeintlichen Anarchisten zur Ordnung rufen. Das verkennt übrigens, dass agiles Arbeiten ein ganz enormes Maß an Disziplin und Ordnung benötigt. Nur eine irritierend andere als die bisherige.
Welche Voraussetzungen müssen denn letztlich geschaffen sein, um Agilität umzusetzen?
Sommerhoff: Zunächst einmal muss man konstatieren, dass Agilität nicht für alles die Lösung und nicht in allen Bereichen erstrebenswert ist. Es gibt Bereiche in den größeren Organisationen, die nicht agil aufgestellt werden, sondern die klassisches Projektmanagement machen oder Prozessorganisation bleiben. Es geht darum zu erkennen, wo in der Organisation Agilität überhaupt nützlich und sinnvoll sein kann. Und sich dann zu fragen, wie man dort vorgeht.
Und zwar?
Sommerhoff: Das ist zum einen eine Kulturfrage. Innerhalb einer Organisation entsteht mit den agilen Bereichen eine Art Subkultur. Und das verändert eine klassische Organisation, die Verantwortlichkeiten ganz klar zugeordnet und Hierarchien aufgebaut hat. Methoden wie Scrum oder Design Thinking saugen quasi die Hierarchie aus der Organisation. Sie verändern das Führungsverständnis und die Rolle von Führungskräften
— nämlich hin zu dem, was in der Literatur als „dienende Führung“ beschrieben wird. Die Führungskräfte sind nicht mehr als finale Entscheider gefragt, sondern als Ressourcen-Beschaffer, Strategieentwickler und Strategievermittler. Umgekehrt heißt das aber auch: Wenn die Hierarchie mit Kraft erhalten bleiben soll, dann versagen die agilen Methoden.
Sind denn die Leute im Qualitätswesen schon bereit dafür?
Sommerhoff: Für die Fach-Community ist das eine riesige Herausforderung. Ich schätze mal, ein Viertel unserer Leute wartet geradezu darauf, mit solchen Ideen vorangehen zu können. Die spüren, dass hier etwas in der Transformation ist. Ungefähr die Hälfte ist indifferent. Von denen sind sicherlich viele offen für agiles Qualitätsmanagement, wenn wir gut erklären, wie es gehen kann und welcher Nutzen besteht. Da geht es einfach um Wissensvermittlung und Überzeugung. Einige aber – befürchte ich – sind abgehängt. Sie wollen diese Diskussion nicht führen. Für sie ist das Theorie oder fauler Zauber und widerspricht einer langen Berufserfahrung, in der andere Erfolgsfaktoren für das Qualitätsmanagement galten. Wir haben es also mit einer sehr heterogenen Fach-Community zu tun. Und sich sehe unsere Rolle als DGQ darin, solche Themen zu erschließen und in die Diskussion bringen. Wichtig ist, dass nicht einzelne dieses Thema erschließen und ausgestalten und sich dabei verrennen, sondern das wir es gemeinsam angehen, so wie die praxiserfahrenen DGQ-Mitglieder im DGQ-Fachkreis QM und Organisationsentwicklung. ■

Der Autor
Markus Strehlitz
Redaktion
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