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Absorbieren, abrollen, abstoßen

Energetische Eigenschaften an Sportschuhen getestet
Absorbieren, abrollen, abstoßen

adidas-Salomon ist einer der weltweit führenden Hersteller von Sportschuhen. Da diese hohe Anforderungen erfüllen müssen, betreibt das Unternehmen großen Aufwand bei der Konstruktion und Prüfung derselben. Die dahinterstehende Philosophie fasst Dr. Berthold Krabbe, Leiter der biomechanischen Abteilung des Test Centers, zusammen: „Nur wer den Fuß versteht, kann gute Schuhe herstellen“.

Dipl.-Ing. Konrad Dengler, Fachjournalist für Werkstofftechnik und Werkstoffprüfung, Großenseebach/ Nürnberg; Dipl.-Ing. (FH) Astrikd Lang, adidas-Test-Center

In vielen Sportarten sind die Füße der Athleten hohen mechanisch-dynamischen Belastungen ausgesetzt. Um ihnen sicheren Halt zu geben, sie vor Verletzungen zu schützen, die Beinarbeit des Sportlers zu unterstützen und ihm zu helfen, seine sportliche Leistungsfähigkeit zu steigern, kommt den Schuhen eine zentrale Bedeutung zu. Da Ferse und Vorfuß unterschiedlich beansprucht werden, ist die Sohle eines „Runningschuhs“ sehr komplex und aus verschiedenen Materialien aufgebaut. Zur Überprüfung der dämpfenden und unterstützenden Eigenschaften unter realen Bedingungen setzt das Test-Center des Sportartikelherstellers adidas-Salomon AG ein speziell entwickeltes Prüfsystem ein.
Kräftespiel
Ferse und Vorfuß des Sportlers stellen in der Bewegung betrachtet unterschiedliche Anforderungen an den Schuh. Beim Laufen in mittlerem Tempo trifft der Fuß zuerst mit der Ferse auf den Boden, wobei schlagartig das doppelte oder dreifache Körpergewicht des Athleten – bei einem Basketballspieler gar das achtfache – auf die Ferse wirkt. Die dabei wirksame Energie muss vom Fersenmaterial des Schuhs abgefangen werden, um den Körper vor dem harten Stoß zu schützen. Dann erfolgt eine Abrollbewegung des Fußes mit einer anschließenden Abstoßphase vom Boden über den Vorfuß. In diesem Moment ist es wichtig, dass möglichst wenig Energie vom Schuhsohlenmaterial absorbiert wird. Durch den gezielten Einbau speziell für den Vorfußbereich entwickelter Materialien wird der Läufer in seiner Bewegung unterstützt und energetisch günstiger gestellt. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Leistungsfähigkeit aus.
Schuhkonstruktion
Gute Schuhe müssen wie eine Verlängerung des aus Knochen, Muskulatur und Fettgewebe komplex gebildeten Fußes wirken. Sie sind wegen der energetischen Verhältnisse kompliziert aus viskösen und elastischen Schaumstoffen sowie Ethylenvinylacetat (EVA) und Polyurethan (PU) aufgebaut. Visköse Kunststoffe werden im Fersenbereich eingesetzt und dienen dazu, die Aufprallkräfte beim ersten Bodenkontakt zu absorbieren und somit dem Fuß ein weiches und nachgiebiges „cushioning“ zu geben. Im Vorfußbereich sind dagegen hochelastische Kunststoffe eingearbeitet, die verhindern, dass durch die Laufbewegung in den Schuh eingebrachte Energie verloren geht. Die Schuhe dürfen nicht „durchschlagen“. Das passiert, wenn bereits bei relativ niedrigen Kräften das Zwischensohlenmaterial so stark zusammengedrückt wird, dass bei hohen Kräften keine Kompression mehr möglich ist (Bild 2).
Kraft-Zeit-Diagramm
Die bei der Laufbewegung auftretenden Kraftverläufe, dargestellt in dem Kraft-Zeit-Diagramm, werden im Test über entsprechende Stempel für den Vor- und Rückfußbereich von der Prüfmaschine simuliert. Im Fersenbereich erreicht die Aufprallkraft bei einem durchschnittlich 70 kg schweren Läufer nach 30 bis 40 ms ihren Maximalwert von 2000 N, während die Maximalkraft im Vorfußbereich erst nach rund 100 ms wirkt (Bild 3). Aus dem Kraft-Deformations-Diagramm werden die Verformungseigenschaften einer Schuhsohle ersichtlich. Werkstofftechnisch besonders wichtig ist die Steigung der Kraft-Deformations-Kurve. Sie verläuft unterschiedlich progressiv. Der Werkstoff wird also um so fester, je mehr man ihn zusammendrückt. Sind die Zwischensohlenmaterialien zu weich gewählt, steigt der Kraftverlauf ab dem Deformationswert, der dem erwähnten Durchschlagen entspricht, steil an. Das Material der Sohle darf nicht schon bei niedrigen Kräften zu stark komprimiert werden, so dass bei den durch die sportliche Betätigung entstehenden hohen Kräften keine Kompression des Sohlenmaterials mehr stattfinden kann.
Anforderungen an die Prüftechnik
Aufgrund der für die Zwischensohlenwerkstoffe verlangten Eigenschaften ergibt sich eine wichtige Anforderung an die Werkstoffprüftechnik. Unter Berücksichtigung der realen Laufbedingungen ist eine biomechanisch orientierte dynamische Kunststoffprüfung erforderlich. Darüber hinaus muss die für derartige Untersuchungen eingesetzte Prüfmaschine in der Lage sein, in einem Zeitintervall von 30 ms Probenmaterial mit einer Dicke von bis zu 20 mm zusammenzudrücken. In dieser extrem kurzen Zeit muss die Maschine mit einer Kraftaufbringungsgeschwindigkeit von 1,6 m/s die Prüfkraft von 0 bis 3000 N steigern können.
Prüftechnik
Um das Dämpfungsverhalten von Schuhsohlen zu prüfen, dafür geeignete Werkstoffe zu finden und Sportschuhe zu optimieren, hat das adidas-Test-Center eine Prüfmaschine Typ Instron 8502 erworben, die den genannten Anforderungskatalog erfüllt (Bild 1). Die Prüfmaschine kann sowohl weg- als auch kraftgesteuert gefahren werden. Die Steuerung erfolgt über die Software MAX und die Software FastTrack 2 WaveMaker, mit der nach individuellen Erkenntnissen aufgebaute Prüfprogramme eingegeben werden können. Die Messwerte werden mit einer Frequenz von 1000 Hz erfasst.
Die Prüfmaschine wird derzeit fast ausschließlich für die genannten Projekte eingesetzt. Sie lässt sich aber auch für neue, zukünftige Vorhaben einsetzen, beispielsweise für die Entwicklung neuer Schuhkonzepte und neuer Testmethoden. Die Maschine spielte bereits bei der Entwicklung des jüngsten Cushioning-Konzeptes (Dual Energy Management – DEM) eine wichtige Rolle. Das erlaubt dem Fuß, sich natürlich zu bewegen, schützt ihn, wo es nötig ist, und hilft, die Leistungsfähigkeit des Athleten zu steigern.
Das adidas-Test Center
Das in Scheinfeld ansässige Test Center von adidas wurde 1997 gegründet. Hier werden die Qualität von adidas-Produkten überprüft und optimal geeignete Werkstoffe ausgewählt. Die biomechanische Abteilung wirkt im Rahmen ihrer Anbindung an die mittel- und langfristige Produktentwicklung an der Entwicklung neuer Produkte mit und erarbeitet neue Prüfverfahren und Prüfspezifikationen, aus denen vereinfachte Prüfmethoden für die weltweiten adidas-Werke erarbeitet werden.
Im Test Center sind drei Labore integriert: das biomechanische Labor, ein Balllabor und ein Materialprüflabor. Jegliche Untersuchungen können rasch und kompetent durchgeführt werden. Die Entwicklungsabteilungen werden umgehend mit Informationen versorgt. Ein 20 Mitarbeiter starkes Team testet vor allem Sportschuhe, Bälle und deren Komponenten. Neben Versuchen der klassischen Werkstoffprüfung wie Reiß- und Scherfestigkeitsprüfung, Härteprüfung nach Shore, Elastizitätsmessungen und Ermittlung des Abriebverhaltens können auch spezielle Untersuchungen durchgeführt werden. So lassen sich an zwei Prüfständen, die mit zwei und dreidimensionalen Hochgeschwindigkeitskameras ausgestattet sind, Laufbewegungen aufnehmen und die Stabilität von Sportschuhen (Pronation/Supination) überprüfen. An anderer Stelle werden in wenigen Sekunden die Füße von Athleten mit einem Laserscanner abgetastet und deren vollständiges Fußprofil dreidimensional digital dargestellt.
Das Haus mit den drei Streifen
Der Sportartikelhersteller adidas hat seinen Stammsitz im etwa 20 Minuten von Nürnberg entfernten Herzogenaurach sowie ein weiteres Hauptgeschäftszentrum in Portland Oregon (USA). Weltweit beschäftigt das Unternehmen 8 500 Personen. Es produziert Schuhe für praktisch alle Sportarten, vom Fuß- und Basketball über die Leichtathletik bis hin zum Geländelauf, sowie Bälle, Sportbekleidung und diverses andere Sportzubehör. Gründer des Unternehmens ist Adolf („Adi“) Dassler (1900 – 1978). Er begann 1920 mit der Herstellung von Schuhen, die jeden Sportler mit der für ihn optimalen Fußbekleidung versehen soll. Seinen heutigen Namen, eine Kombination aus der ersten Silbe des Vor- und Nachnamens seines Gründers, erhielt das Unternehmen im Jahr 1948. Ein Jahr später führte Dassler jene berühmten drei Streifen ein, die seither Teil des Firmenlogos sind und alle adidas-Produkte zieren. Im Jahr 1989 wurde das Familienunternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, an deren Spitze seit 1993 der Franzose Robert Louis-Dreyfus steht. 1998 erfolgte der Zusammenschluss der adidas AG mit der Salomon-Gruppe. Im Jahr 1998 brachte adidas 5 930 verschiedene Sportschuhmodelle auf den Markt und verkaufte weltweit rund 67 Millionen Paar Schuhe und mehr als 130 Millionen Bekleidungsstücke.
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