Startseite » Allgemein »

Asiens Aufstieg und Europas Chance

EFQM-Forum 2005 in Cardiff
Asiens Aufstieg und Europas Chance

EFQM-Forum 2005 in Cardiff (UK) richtet den Blick auf die Entwicklung in Asien und zeigt zugleich Chancen auf, die sich daraus für Europa ergeben. European Quality Award verliehen: T-Systems MMS, Knorr Bremse, BMW und Siemens auf der Gewinnerliste.

Birgit Otto, BSC, MA BO Consult, Business Excellence Moderatorin, Ostfildern

Der Cocktailempfang am 4. Oktober, dem Vorabend des diesjährigen EFQM-Forums, im herrlichen Rathaus der walisischen Hauptstadt Cardiff war noch geprägt von der Freude des Wiedersehens von EFQM-Mitgliedern, EQA-Bewerbern und Assessorenteams aus allen Teilen Europas.
Doch schon am nächsten Morgen begann für die etwa 600 Teilnehmer die Schocktherapie, für die sich das Welsh Quality Centre entschieden hatte. „Qualität ist heute eine Frage des Überlebens“, rief dessen Leiter und Moderator des zweitägigen Forums, Vincent Kane, provozierend in die Runde: „Die Zukunft ist Asien!“ Da sei es nur konsequent, dass walisische Schulen Mandarin lehrten.
Professor Richard Skase, der von der EU beauftragt wurde, in einer Studie „Europe 2010“ zu beleuchten, wurde noch deutlicher: Der Weltmarktanteil Europas werde bis 2030 von derzeit 22% auf 12% zurückfallen, weil die Wachstumsrate in den asiatischen Ländern bei 2,3% im Vergleich zu den für Europa prognostizierten 1,1% liegt. „Europa wird zurückfallen, selbst wenn die europäische Wirtschaft insgesamt wachsen wird.“
Ausschlaggebend für diese Veränderung sei neben der schieren Menge der neuen Konsumenten in Asien auch eine Veränderung in der Wirtschaftsform. Das 20. Jahrhundert sei durch die Amerikanisierung von Wirtschaft und Gesellschaft geprägt gewesen: „In den vergangenen 50 Jahren erschufen die USA mehr Vermögen, als die gesamte Welt bis dahin.“ Diese Wirtschaftsform, unweigerlich verbunden mit Konzernstrukturen und großen Verwaltungsapparaten, werde durch Internet und Globalisierung durch eine weltweite Wertschöpfungskette ersetzt, in der sich viele neue Chancen für alle Arten von Unternehmsformen ergäben.
Europa braucht Unternehmer
„Aber Europa hat ein Problem“, so Richard Skase. „Wir bilden keine Unternehmer aus, sondern Führungskräfte für private und staatliche Verwaltungsapparate.“ Die Anzahl neuer Unternehmensgründungen läge im Vergleich zu den USA in Europa bei einem Drittel. Professor Skase nannte auch gleich die „Goldene Führungsregel“: Unternehmertum, so bewiesen Studien, ende bei einer Gruppe über 50 Personen. „Bis dahin benötigt man motivierende, visionäre und emotionale Führung. Größere Einheiten erfordern Management.“
Offensichtlich komme die USA mit der Veränderung der Wirtschaftsform besser zurecht als Europa. „In den USA schafft die Produktionsverlagerung nach Asien neue Arbeitsplätze in Amerika. In Europa nicht.“ Prof. Skase führt das in erster Linie auf die unflexiblen Arbeitsmärkte und die Lähmung Europas durch Koalitionsregierungen in vielen Ländern zurück, welche ein konsequentes, europaweites Vorgehen verhindere. Eindringlich plädierte er für die Einheit Europas, nur als Einheit könne Europa die Chancen wirklich nutzen, die sich aus der Globalisierung und der Verlagerung der Wirtschaftskraft nach Asien ergäbe.
Risiko gehört zum Geschäft
Für Unternehmen bedeute diese Veränderung eine Zunahme der Unsicherheit und Komplexität, was die Notwendigkeit eines Risikomanagements nach sich ziehe. „Risiken wie Datenschutz, Schutz geistigen Eigentums, unklare Eigentumsverhältnisse, ethnische Besonderheiten usw. muss jedes Unternehmen in seinem Geschäftsmodell berücksichtigen.“ Aber die globale Wertschöpfungskette biete auch Chancen für europäische Unternehmer. Ist die Tourismusbranche auf die prognostizierten 100 Mio. chinesischen Touristen nach Europa im Jahr 2015 vorbereitet? Wissen wir, dass China nach USA und Europa schon heute der drittgrößte Markt für Gesundheitsprodukte ist?
Europa hat neue Konsumenten
Auch in Europa liegen die Chancen auf der Hand: Gesellschaftsform und Bevölkerungsstruktur sind einem massiven Wandel unterworfen. Haben wir wirklich schon verstanden, was es für unsere Wirtschaft bedeutet, dass in Europa schon heute jeder vierte Mensch über 65 Jahre alt ist?
Welche Konsequenzen haben wir für unser Geschäftsmodell aus der Tatsache gezogen, dass in europäischen Großstädten jeder Zweite allein lebt?
Dass Frauen, gemäß einer Studie glücklicher sind, wenn sie allein leben, wogegen Männer außerhalb einer Partnerschaft unglücklicher werden?
Dass Menschen im Laufe ihres Lebens und bis ins hohe Alter eine Kette von wechselnden familiären Verhältnissen aufbauen („serial families“)?
Dass langfristige Markenloyalität nicht mehr existiert?
Der von vielen normativen Zwängen befreite Konsument suche ständig nach einer Identität, so Professor Skase. Unternehmen müssten Kauf-Cluster anbieten, life style Gemeinschaften, wie etwa die der Harley-Davidson Fahrer. Alte Marketingwerkzeuge seien da fehl am Platz. „Wenn Sie Ihre Marktsegmente noch mit Hilfe von Alter, Beschäftigung und Einkommen bestimmen, dann sind Sie auf dem Holzweg!“ rief Richard Skase seinen Hörern zu.
Mit einer Bildfolge der Sängerin Madonna beendete er seinen mit Beifall aufgenommenen Vortrag und forderte das Publikum angesichts der Perspektiven auf: „Werden Sie ein Madonna- Betrieb: Erfinden Sie sich regelmäßig neu!“
China denkt langfristig
Dem Akademiker folgte mit Gerard J. Kleisterlee, CEO und Vorstandsvorsitzender von Royal Philips Electronics der Praktiker.
Gemessen am Umsatz ist Philips das größte multinationale Unternehmen in China und schon seit 20 Jahren in diesem Markt aktiv. Die Ziele sind ehrgeizig: Bis 2007 soll der Umsatz auf € 12 Milliarden verdoppelt werden. Philips unterhält in China 15 Forschungseinrichtungen mit etwa 1.000 Angestellten.
In China denkt man langfristig. Das versuchen wir bei Philips ebenfalls zu tun.“ Eindrücklich plädierte Kleisterlee für europäische Einheit angesichts der asiatischen Entwicklung. „Es ist zwar verlockend, auf die scheinbar sicheren Pfade der Vergangenheit zurück zu weichen, aber je länger wir das tun, umso weniger Geld wird da sein, um künftigen Generationen überhaupt noch irgendeine Art von Sicherheit zu bieten.“
Indiens erfolgreicher Weg
Auf China folgte Indien. K. Vaman Kamath, Direktor der zweitgrößten Bank Indiens, ICICI, erhöhte bei den Zuhörern den Druck: Indien werde Deutschland 2025 überholt haben. Das Land habe in den vergangenen drei Jahren eine massive Veränderung vollzogen. „Zunächst waren wir gefragter Off-shoring-Standort für IT-Firmen des Westens. Aber unsere industrielle Fertigung war indiskutabel.“ Das habe man durch eine gezielte „Clean-up for Quality“- Kampagne geändert. Heute seien indische Fertigungsbetriebe international wettbewerbsfähig. Außerdem produziere Indien jährlich 5 Million Akademiker, davon 350.000 Ingenieure und 25.000 Mediziner. „Wir haben einen ganz entscheidenden Vorteil: Die Lebenshaltungskosten betragen in Indien ein Zehntel der europäischen. Wir können unseren hoch ausgebildeten Mitarbeitern niedere Löhne bezahlen und haben dennoch die weltweit am schnellsten ansteigende Mittelschicht – schaffen also auch neue Konsumenten.“ Derzeit, so der Banker, liege die Wachstumsrate in Indien bei 40% (Europa: 2%) und habe ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. „Es ist möglich, sich neu zu erfinden!“ rief K. Vaman Kamath siegessicher in die Runde „Wir in Indien haben es in den vergangenen drei Jahren getan.“
Ungläubigkeit, Schock, Ablehnung oder zumindest ein ungutes Gefühl begleiteten die Teilnehmer des Forums zum Mittagessen.
Am Nachmittag und am zweiten Konferenztag folgten Vorträge, in denen die Chancen und Perspektiven aufgezeigt wurden, die sich aus der neuen Weltlage ergeben.
High-tech und high-touch
Mike Fairey vom britischen Finanzdienstleister Lloyds TSB zeigte auf, welche Konsequenzen die Bank aus der Tatsache zieht, dass Kunden erstens als Individuen behandelt werden wollen, zweitens die Leistung dann haben wollen, wenn sie diese benötigen und drittens persönlich stärker eingebunden sein wollen. „Heutige Konsumenten sind widersprüchlich in ihrem Verhalten.
An einem Tag wollen sie high-tech, also ihr Konto online abfragen und am nächsten Tag wollen sie high-touch, also ein persönliches Gespräch mit Ihrem Finanzberater. Wir müssen beides bieten.“ Das ginge nur mit einem um den Kunden herum aufgebauten, ganzheitlichen Angebot, bei dem Firma, Marke und Leistung im Einklang seien. Schließlich seien heutige Konsumenten durch das Internet gut informiert und könnten Unternehmen und deren Leistungsversprechen jederzeit überprüfen.
Kreativität ist Teil der Intelligenz
Im Anschluss faszinierte Sir Ken Robinson sein Publikum mit einem brillanten Plädoyer für mehr Kreativität in Erziehung und Unternehmen. „Eine Langzeitstudie beweist, dass wir 95% unserer Kreativität verlieren, nachdem wir eingeschult werden.“ Das, so Robinson, sei eigentlich kein Wunder. Schließlich sei das noch heute gültige Schulsystem in Europa für ein industrielles System entwickelt worden, in dem viele Handarbeiter verlässlich wiederholbare Handgriffe ausführten und wenige Kopfarbeiter sich Gedanken über Prozesse, System und Veränderung machten. Er empfahl drei Ansätze, um die Kreativität zu fördern:
1. Individualität und Verschiedenheit
betonen,
2. Arbeitsgruppen ab und zu verändern
und mischen,
3. Angstfreie Kultur schaffen, in der es
keine Fehler, aber klare Orientierung
gibt.
Denken in Prozessen
Paul McKeon, Leiter für Produktion und Technologie des Glasherstellers Pilkington, beleuchtete die Optionen für Europa aus der Sicht eines weltweit erfolgreichen Industrieunternehmens. „Wir sind erfolgreich, weil wir unsere Fabriken sauber und ordentlich halten (lean), der Qualitätsmaßstab für unseren Ausstoß die Wiederholbarkeit unserer Prozesse ist und wir diese Erkenntnis mit unserer Produktforschung kombinieren können.“ Entscheidend sei das Denken in Prozessen. „Wir messen nicht, was wir ausstoßen, sondern wie.“
Stichwort: Vielfalt
Im Rahmen der parallelen Workshops stellte der Amerikaner Michael Alvarez das „Supplier Diversity“- Programm von Shell vor. Die Gründe für das Programm liegen auf der Hand: Studien besagen, dass 2050 Minoritäten 50% der US Bevölkerung bilden werden. Zusammen mit den Frauen kommt aus dieser Ecke Wirtschaftswachstum (Business Partner) und Kaufkraft (als Konsumenten). „Wir schaffen uns einen Wettbewerbsvorteil, wenn wir Minoritäten und Frauen unterstützen, denn sie repräsentieren die Wachstumsmärkte der Zukunft“, so Alvarez. In den USA habe man sich mit einem „Corporate Supplier Diversity Office“ im zentralen Personalbereich entsprechend vorbereitet.
Stichwort: Transparenz
John Berriman von PricewaterhouseCoopers LLP stützte den EFQM-Ansatz von der Gesellschaft als einer wichtigen Interessensgruppe der Organisation. Er plädierte für den verantwortungsvollen Umgang der Unternehmen mit der Öffentlichkeit über PR-Maßnahmen hinaus. „Unser Community Affairs Programme rechnet sich für die Firma, weil es ihr Seele verleiht.“ Weiter stütze es die Marke PwC, helfe bei der Anwerbung neuer Mitarbeiter und der Akquisition neuer Aufträge.
Stichwort: Nachhaltigkeit
In ähnlicher Weise argumentierte Jonathan Porritt in seinem Abschlussvortrag: „Wenn wir im 21. Jahrhundert mit den Ressourcen der Welt so umspringen, wie wir das im 20. getan haben, dann gibt es überhaupt keine Gewinner“, so der Direktor des „Forum for the Future“. Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung („CSR“) seien schon lange keine Themen für sonntägliche Wohltätigkeitsveranstaltungen mehr, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit, nicht zuletzt angesichts des sich abzeichnenden Mitarbeitermangels.
So habe eine von der Economist Intelligence Unit im Oktober 2004 weltweit bei Unternehmensführern und Investoren durchgeführte Befragung ergeben, dass diese davon überzeugt waren, CSR erhöhe die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter, verbessere das Markenimage und erleichtere die Zusammenarbeit mit dem Gesetzgeber.
Das diesjährige EFQM-Forum machte deutlich, dass Qualität in jedem Fall ganzheitlich und strategisch definiert werden muss. Es war schockierend offen, gab aber reichlich Anstöße, die Veränderungen positiv zu nutzen.
European Quality Award
Am Abend des 5. Oktober 2005 war es dann so weit: etwa 960 Gäste versammelten sich im Millennium Stadion von Cardiff, um die diesjährigen Gewinner des European Quality Award (EQA) zu feiern. Der Preis selbst wurde in den Kategorien „Organisationseinheit“ an TNT Express UK und „abhängige KMU“ an FirstPlus Financial Group (UK) vergeben. Auszeichnungen auf Basis der Excellence Grundprinzipien erhielten: aus Deutschland die BMW Group Produktion Fahrwerk und Antriebskomponenten, die beiden Business Units Schienenfahrzeuge und Nutzfahrzeuge der Knorr-Bremse Systeme und die T-Systems Multimedia GmbH sowie aus Britannien die Siemens Automation & Drives. In der Kategorie „Öffentlicher Dienst“ wurden ausgezeichnet: Euskalit (Spanien), Fundacion Novia Salcedo (Spanien), Hospital de Zummarraga (Spanien) und Fonderie del Montello (Italien).
Schon am Nachmittag waren die diesjährigen Finalisten geehrt worden: Chambre de Commerce et d’ Industrie Nizza (Frankreich), Clinica Tambre (Spanien), NRG Direct Ltd. (Niederlande), TNT Estonia und Villa Massa (Italien).
Mit dem diesjährigen Forum machte die EFQM mit dem lange formulierten Anspruch Ernst, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu unterstützen.
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Quality Engineering
Titelbild QUALITY ENGINEERING Control Express 1
Ausgabe
Control Express 1.2024
LESEN
ABO
Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Whitepaper zum Thema QS


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de