Startseite » Allgemein »

Auf dem Vormarsch

Kraft-Eindringtiefe-Verfahren öffnet neue Wege
Auf dem Vormarsch

Das Fertigungs- und Gebrauchsverhalten der für die verschiedensten Anwendungszwecke eingesetzten Werkstoffe und erzeugten Schichten wird maßgeblich durch ihr mechanisches Verhalten bestimmt. Hohe Anforderungen an die Qualität und Sicherheit der Erzeugnisse erfordern Prüfverfahren und Kenngrößen, die eine komplexe einsatzbezogene Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften gestatten. Für die Ermittlung und Bewertung der mechanischen Eigenschaften von Werkstoffen und Schichten eröffnen sich der Prüfpraxis bei reduziertem Prüfaufwand völlig neue Möglichkeiten aus dem Einsatz des genormten Kraft-Eindringtiefe-Verfahrens in Verbindung mit der Prüfsoftware WIN-HCU.

Stefan DartschInitiative Qualitätssicherung NRW, Dortmund Dipl.-Wirt. Ing.

Der Fortschritt in der Technik der Tiefenmessung und kontrollierten Kraftaufbringung sowie in der Erfassung und Verarbeitung von Messdaten führte auch zu einer rasanten Weiterentwicklung und folgerichtigen Normung des Kraft-Eindringtiefe-Verfahrens /1-5/.
Hierbei werden die wirkende Prüfkraft und die Eindringtiefe der Spitze des Eindringkörpers während des Prüfvorgangs sowohl bei Krafterhöhung als auch bei Kraftrücknahme gemessen und für die Ermittlung von mechanischen Kenngrößen weiterverarbeitet (Abb. 2). Der Start der Prüfung ist durch die Berührung des Eindringkörpers mit der Oberfläche des Prüfobjektes definiert.
Gegenüber den Verfahren mit optischer Auswertung besitzt die Messung der Eindringtiefe den Vorteil, dass sie vollautomatisch ausgeführt werden kann und damit der subjektive Einfluss auf die Auswertung der Eindrücke entfällt. Der Prüfvorgang selbst wird kraft- oder eindringtiefegesteuert durchgeführt und sichert die Einstellung/Einhaltung von konstanten und vergleichbaren Prüfbedingungen. Ein weiterer wesentlicher Vorteil des Verfahrens ist neben der Bestimmung von Härtewerten die Gewinnung von zusätzlichen materialspezifischen Informationen aus der Analyse des Be- und Entlastungszyklus.
Entsprechend der Forderung, dass die Proben- bzw. Schichtdicke mindestens den zehnfachen Betrag der Eindringtiefe aufweisen soll, sind für die Prüfung dünner Strukturen und Schichten extrem kleine Prüfkräfte zu realisieren und geringe Tiefen genau zu messen. Die mit dem Fischerscope H 100 (Abb. 1) an Glas registrierte Kraft-Eindringtiefe-Kurve (Abb. 5) verdeutlicht sehr anschaulich den hohen Entwicklungsstand der heutigen Prüftechnik. Noch für extrem geringe Eindringtiefen wird das Materialverhalten wie erwartet registriert. Mit der Prüfsoftware WIN-HCU lassen sich die in den Normen DIN 50359, DIN 55676 und DIN EN ISO 14577 definierten und vom Anwender auswählbaren Materialkenngrößen unmitttelbar nach Beendigung des Prüfzyklus‘ automatisch ermitteln und darstellen /1,4,5/.
Bei reduziertem Prüfaufwand konnte der Informationsgehalt des Eindringversuches deutlich erweitert werden. Das auf umfangreichen Anwendererfahrungen basierende WIN-HCU-Programm sichert zum einen die normgerechte Prüfung, erlaubt aber auch die Realisierung von anwenderspezifischen Beanspruchungs-Zeit-Funktionen, zum Beispiel mit vom Anwender definierten Excel-Applikationen. Die online-Darstellung der Prüfkraft-Eindringtiefe-Kurve gestattet außerdem die unmittelbare Beobachtung des Prüfablaufs und damit den schnellen Eingriff durch den Prüfer.
Physikalisch sinnvoll – Universalhärte
Die ermittelte Eindringtiefe unter Prüfkraft erfasst die elastischen und plastischen Verformungen und führt in Anlehnung an die Definition der technischen Härte zu einer physikalisch sinnvollen Härtekenngröße. Der Quotient aus der Prüfkraft und der Oberfläche des Eindrucks unter Prüfkraft wird als Universalhärte bezeichnet, da mit dieser Prüfmethodik alle Werkstoffe und Schichten geprüft und mit einer einheitlichen Härteskala bewertet werden können. Die Universalhärte wird im Unterschied zu den konventionellen Härteprüfverfahren in der Einheit N/mm² angegeben.
Für die in den DIN-Normen /1-5/ als Eindringkörper festgelegte quadratische Diamant-Pyramide mit einem Öffnungswinkel von 136 ° erhält man die Eindruckoberfläche A(h) aus der gemessenen Eindringtiefe h zu 26,43 x h² und die Universalhärte aus HU = F / 26,43 x h² in N/mm².
Je nach Aufgabenstellung können mit dem Prüfprogramm auch weitere prüfspezifische Eindringkörper eingesetzt werden. Für die Ermittlung der Härte unter Prüfkraft ändert sich lediglich der Ansatz für die Berechnung der Eindruckoberfläche /5/.
Die für die maximale Prüfkraft ermittelte Universalhärte charakterisiert als integraler Kennwert die Härte für den gesamten Eindringbereich. Die kontinuierliche Erfassung der Prüfkraft und der Eindringtiefe bringt noch den weiteren Vorteil, dass die Härte für jeden Punkt des Eindringens quantitativ bestimmt werden kann. Daraus ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten, zum Beispiel für die Analyse von Schichten oder verfestigten Oberflächen.
Mit dem WIN-HCU-Programm lassen sich folgende Kenngrößen ohne zusätzlichen Aufwand ermitteln und grafisch darstellen:
l die Universalhärte HU(h) für eine bestimmte Eindringtiefe des Indentors,
l die Universalhärte HU(F) für eine bestimmte Prüfkraft,
l die Universalhärte HUCr nach dem Krie- chen bei maximaler Prüfkraft,
l die Universalhärte HU in Abhängigkeit von Prüfkraft (Abb. 5), Eindringtiefe (Abb. 4) oder Einwirkdauer.
Mit einem Mikroskop ausgestattet, ermöglicht das Fischerscope H 100 außerdem die Beurteilung und Auswertung des bleibenden Eindrucks nach Wegnahme der Prüfkraft und damit auch den unmittelbaren Vergleich mit der klassischen Vickershärte.
Dünne Schichten nun prüfbar
Für die Bewertung des mechanischen Verhaltens von Schichten nimmt die Härteprüfung eine dominierende Stellung ein. Im Falle sehr dünner und dabei gleichzeitig extrem harter Schichten sind der klassischen (optischen) Mikrohärteprüfung Grenzen gesetzt. Mit der Erschließung des Kraft-Eindringtiefe-Verfahrens für sehr kleine Prüfkräfte eröffneten sich auch für die Prüfung von Schichten der unterschiedlichsten Art verbesserte Möglichkeiten /6, 7/.
In der Technik verwendete Schichtdicken können nur einige µm oder auch weniger als 1 µm betragen. Folglich erfordert die Härtemessung von dünnen Oberflächenschichten geringe Eindringtiefen, um zu vermeiden, dass der Härtewert von der Härte des Grundwerkstoffs beeinflusst wird. Durch die vollständige Registrierung der Kraft-Eindringtiefe-Kurve und die Berechnung der Härte für jede Eindringtiefe wird aus dem Härteverlauf in Abhängigkeit von der Eindringtiefe zum Beispiel der Einfluss der Schichtdicke und der Grundwerkstoffhärte auf die Bestimmung der Schichthärte deutlich erkennbar. Bei Hartstoffschichten auf Eisenwerkstoffen fällt zum Beispiel die Härte ab, wenn der Bereich der geforderten Mindestschichtdicke (10 x Eindringtiefe) verlassen wird. Somit kann der Prüfer einfach und schnell Einfluss auf die Prüfbedingungen und auf die Ermittlung der Härte der Schicht nehmen. Wie an TiN-Schichten von 1,7 µm, 3,7 µm bzw. 4,7 µm auf Stahl experimentell nachgewiesen wurde, lassen sich unter Einbeziehung des Härteverlaufes in Abhängigkeit von der Eindringtiefe auch extrem dünne Schichten signifikant prüfen und bewerten /6/.
Verformungsarbeit liefert neue Informationen
Die beim Eindringen des Eindringkörpers aufgewandte mechanische Arbeit Wtotal wird nur teilweise als plastische Verformungsarbeit Wplast verbraucht. Der Rest wird bei Rücknahme der Prüfkraft als Arbeit der elastischen Rückverformung Welast wieder freigesetzt. Während der elastische Anteil an der Verformungsarbeit die elastische Rückverformung des Eindrucks bei Prüfkraftrücknahme charakterisiert, liefert der plastische Anteil Auskunft über die Duktilität, Schlagempfindlichkeit oder Sprödbruchempfindlichkeit der Werkstoffe. Aus dem registrierten Kraft-Eindringtiefe-Verlauf wird mit der Prüfsoftware WIN-HCU der elastische Anteil der Verformungsarbeit nach der Beziehung hHU = (Welast/Wtotal) x 100 % berechnet. Der plastische Anteil hpl ergibt sich aus 100 % – hHU oder (Wplast/Welast) x 100 %.
Erzeugnisbezogener Elastizitätsmodul
Das Kraft-Eindringtiefe-Verfahren bietet ferner die Möglichkeit, auch ohne eine aufwendige Probennahme an Mikroelementen oder dünnen Schichten einen elastischen Eindringmodul YHU zu bestimmen, der mit dem Elastizitätsmodul der Werkstoffe verglichen werden kann. Dafür wird der Anstieg der Tangente der Kraft-Eindringtiefe-Kurve bei Maximalkraft im Bereich der Prüfkraftrückrahme ermittelt und ausgewertet (Abb. 2 – Elastische Gerade).
Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass der E-Modul bei einer ganzen Reihe von Werkstoffen mit Hilfe von YHU recht brauchbar abgeschätzt werden kann (Tabelle 1).
Universalhärte und „plastische Härte“
Die Universalhärte erfasst die elastischen und plastischen Verformungen. Oft ist man auch an einem Härtewert interessiert, der analog zu den konventionellen Prüfverfahren auf dem bleibenden Eindruck basiert.
Eine Abschätzung der oft benötigten Vickershärte ist zum Beispiel über die Bestimmung der plastischen Härte HUplast gegeben /6, 8-9/. Dazu ist im Falle des Fischerscope H 100 bei der Vorbereitung der Messung nur die werkstoffspezifische Umwertebeziehung HUplast-HV zu speichern oder aus bereits vorhandenen auszuwählen.
Als plastische Härte HUplast wird die Universalhärte ohne Berücksichtigung des elastischen Verformungsanteils bezeichnet. Die für die Berechnung der plastischen Härte erforderliche plastische Eindringtiefe hr wird mit der vorgestellten Software automatisch für den Schnittpunkt der Tangente der Eindringtiefenkurve im Bereich der Maximalkraft bei Prüfkraftrücknahme mit der Eindringtiefenachse ermittelt (Abb. 2).
Parameter für Kriechen und Relaxation
Das Kraft-Eindringtiefe-Verfahren liefert ferner Informationen über das Kriech- und Relaxationsverhalten der Werkstoffe und Schichten. Aus der Messung der Eindringtiefenänderung bei konstant gehaltener Prüfkraft wird die relative Eindringtiefenänderung CHU berechnet (Abb. 6), die ein Maß für das Kriechen ist. Wird dagegen die Prüfkraftänderung bei konstant gehaltener Eindringtiefe gemessen, so kann eine relative Prüfkraftänderung RHU ermittelt werden, die ein Maß für die Relaxation darstellt (Abb. 7).
Die Vorteile
Das Kraft-Eindringtiefe-Verfahren eignet sich dazu, die technische Härte auch bei kleinen Prüfkräften und Eindringtiefen reproduzierbar und wirtschaftlich zu messen. Die unter Prüfkraft ermittelte Eindringtiefe umfasst die elastischen und plastischen Verformungen und führt zu der physikalisch sinnvollen Universalhärte, die die Bewertung aller Werkstoffe mit einer einheitlichen Härteskala ermöglicht.
Aus der Messung der Eindringtiefe bei Kraftrücknahme kann der elastische und plastische Verformungsanteil des Härteeindrucks getrennt werden. Das Verhältnis von elastischer und plastischer Verformungsarbeit liefert zusätzliche Messinformationen für die Charakterisierung von Werkstoffen und Schichten. Ferner ist es möglich, aus dem Kraft-Eindringtiefe-Versuch einen E-Modul abzuleiten, der bei massiven Werkstoffen eine gute Übereinstimmung mit den Tabellenwerten des E-Moduls aufweist. Über die Ermittlung der plastischen Härte ist der Anschluss zur klassischen Vickershärte gegeben. Der Prüfablauf kann variiert und auch für die Bewertung von Kriech- und Relaxationsvorgängen genutzt werden. Mit der Prüfsoftware WIN-HCU lassen sich die in den Normen definierten Materialkenngrößen anwenderfreundlich und zeitsparend ermitteln. Der Zugriff zu den Messdaten erlaubt den Anwender ferner eine weitergehende Auswertung der Messwerte.
Gegenüber der klassischen Härteprüfung erhält man aus dem registrierenden Eindringversuch für die Bewertung von Massivwerkstoffen, Schichten oder kleinen Bauelementen neben dem sehr oft benötigten Härtewert neue anwendungsspezifische Qualitätsparameter. Sie erhöhen die Aussagefähigkeit und den Anwendungsbereich des quasi-zerstörungsfrei arbeitenden Kraft-Eindringtiefe-Verfahrens.
Literatur:
/1/ DIN 50359-1, Prüfung metallischer Werkstoffe, Universalhärteprüfung, Teil 1: Prüfverfahren
/2/ DIN 50359-1, Prüfung metallischer Werkstoffe, Universalhärteprüfung, Teil 2: Prüfung der Härteprüfmaschine
/3/ DIN 50359-1, Prüfung metallischer Werkstoffe, Universalhärteprüfung, Teil 3: Kalibrierung von Härtevergleichsplatten
/4/ DIN 55676, Lacke und ähnliche Beschichtungsstoffe, Universalhärte von Beschichtungen
/5/ DIN EN ISO 14577, Metallische Werkstoffe – Instrumentierter Eindringversuch zur Bestimmung von Härte und anderer Werkstoffparameter, Teil1: Prüfverfahren
/6/ H.-H. Behncke, Bestimmung der Universalhärte und anderer Kennwerte an dünnen Schichten, insbesondere an Hartstoffschichten, Härterei-Technische Mitteilungen, 48. Jahrgang, Heft 5/1993
/7/ P. Neumaier, Härtebestimmungen an Beschichtungen, Metalloberfläche, Heft 2/1989
/8/ C. Heermant und D. Dengel, Zur Abschätzung klassischer Werkstoffkennwerte mittels Universalhärteprüfung, Materialprüfung 38/1996), S. 374-378
/9/ C. Heermant, Untersuchungen zur Universalhärteprüfung im Mikrobereich, Dissertation TU Berlin, 1998
Weitere Informationen A QE 501
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Quality Engineering
Titelbild QUALITY ENGINEERING 1
Ausgabe
1.2024
LESEN
ABO
Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Whitepaper zum Thema QS


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de