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Auf die Schnelle

Heckflügelentwicklung von Ferrari mit Reverse Engineering- und CFD-Technologien
Auf die Schnelle

Als der Ferrari 550 Maranello bei den 24 Stunden von Le Mans im Juni die Ziellinie vor allen anderen Autos der GTS-Klasse überquerte, war es nicht nur das Auto, das eine überragende Perfromance zeigte. Das Prodrive-Rennteam gewann in Le Mans schon im zweiten Versuch; gerade fünf Monate vor dem Rennen hat es eine Kooperation mit Veloqx begonnen. Bei den Vorbereitungen hat das Veloqx Prodrive-Team neue Technologien eingesetzt, die in nur sechs Wochen die Entwicklung eines alternativen Heckflügels ermöglichten.

Das neue Design, das von Advantage CFD, einem Technikpartner von Prodrive, in Zusammenarbeit mit 3D Scanners und Raindrop Geomagic entwickelt wurde, hat die Durchführbarkeit von Reverse Engineering und berechneter Fluiddynamik (Computational Fluid Dynamics, CFD) im Bereich Autorennen bestätigt.

Schwierige Hindernisse und wenig Zeit
Als die Kooperation zwischen the Veloqx und Prodrive im vergangenen Februar angekündigt wurde, wurde klar, dass diese in Le Mans zum Zuge kommen würde. Der Prodrive-Ferrari war bereits 2002 in Sebring und in Le Mans erfolgreich; das Veloqx-Fahreraufgebot war eines der stärksten für Langstreckenrennen.
Um einen Sieg zu erringen, waren jedoch noch viele Hürden zu nehmen. Das Team war relativ unerfahren; Regeländerungen für das Le Mans-Rennen 2003 bedeuteten reduzierte Motorleistung für Veloqx Prodrive. Aufgrund dieser Veränderungen sowie aufgrund der stärkeren Konkurrenz für das Rennen in diesem Jahr musste das Team Verbesserungen der Aerodynamik entwickeln, insbesondere für den Luftwiderstand.
Prodrive wandte sich deshalb an das 1997 gegründete Unternehmen Advantage CFD, das Kunden aus der Automobilindustrie und aus dem Motorsport Beratungsdienstleistungen liefert. Advantage CFD hatte nur wenig Zeit: Das Projekt wurde Anfang März gestartet, und das Rennen fand bereits Mitte Juni statt. Vor der Vorqualifikation im Mai konnte daher nur ein Heckflügeldesign getestet werden.
Digitalisierung der Formen
Obwohl das Ziel des Projektes darin bestand, den Heckflügel zu analysieren und zu modifizieren, wird der Luftstrom in erheblicher Weise von dem vor dem Heckflügel befindlichen Fahrzeugkörper bestimmt. Dies bedeutete, dass Advantage CFD die CAD-Daten für die gesamte Fahrzeugkarosserie benötigen würde.
„Das erste Hindernis war die Tatsache, dass uns kein CAD-Modell der Fahrzeughülle zur Verfügung stand,” erläutert Rob Lewis, geschäftsführender Direktor von Advantage CFD. „Wir hatten eine Woche, und den gesamten Fahrzeugkörper quasi rückwärts nachzukonstruieren.” Außerdem musste diese Aufgabe von Firmen auf verschiedenen Kontinenten durchgeführt werden.
Prodrive montierte die erforderlichen Karosserieteile an ihrem Stammsitz in Banbury in Großbritannien. Die in Coventry, England, ansässige Firma 3D Scanners scannte eine Fahrzeugseite mit ihrem ModelMaker X ab, einem handgehaltenen, berührungsfreien Scanner mit beweglichem Arm. Alles außer dem vorderen Stoßfänger wurde gescannt; dies war das einzige Teil, für das Prodrive ein CAD-Modell besaß.
ModelMaker X benötigt weder eine besondere Beleuchtung noch Markierungen und scannt 23.000 Punkte pro Sekunde. Im Gegensatz zu anderen Technologien hat ModelMaker X beim Erfassen von Spiegeln, Radläufen und Heckstoßfängern keine Probleme mit Unterschnitten. Die Scans wurden aus drei Positionen aufgenommen und automatisch mit den Fahrzeuglinienkoordinaten abgeglichen, die von Prodrive zur Verfügung gestellt worden waren. Das vollständige ASCI-Punktmodell enthielt 40 Millionen Punkte.
3D Scanners sendete anschließend acht gefilterte Punktwolkendateien, die die Hälfte der Karosserie des Ferrari 550 darstellen, an Raindrop Geomagic in Research Triangle Park, N.C., USA. Die Software Geomagic Studio des Unternehmens verarbeitet automatisch Scandaten eines physischen Teils zu genauen Polygon- und NURBS-Oberflächenmodellen. Diese Software konnte in der Motorsportszene bereits Erfolge verbuchen: Sie wurde vom NASCAR-Team Richard Childress Racing verwendet, um Zylinderkopfeinlässe zu vermessen und um ein digitales Modell eines SB2-Motorblocks von GM Racing zu erstellen.
Raindrop Geomagic importierte dann die acht Scandateien nach Geomagic Studio, umwickelte die Polygonwolken und erzeugte ein Polygonnetz. Eine Spiegelfunktion in der Geomagic Studio-Software erzeugte dann die andere Hälfte der Karosserie, die nicht eingescannt worden war; außerdem wurden verschiedene Abschnitte der Karosserie miteinander vernäht. Anschließend erzeugte die Software automatisch eine exakte IGES-Oberflächenbeschreibung aus dem Polygonnetz. Die IGES-Dateien wurden dann an Advantage CFD gesendet, welche diese zusammen mit dem von Prodrive zur Verfügung gestellten vorderen Stoßfänger in eine CAD-Software importierten.
Test ohne Teststrecke
Advantage CFD hat zunächst ein vollständiges CAD-Modell der Außengeometrie des Fahrzeugs erstellt. Anschließend haben die Techniker ein umgebendes Fließvolumen definiert und ein hexaedrisches Netz erstellt, das aus fast allen Karosserieoberflächen erstellt wurde. Ein strukturiertes hexaedrisches Netz wurde auch verwendet, um den kritischen Strom um den Heckflügel, den Strom unter dem flachen Fahrzeugboden und den Windschatten hinter dem Fahrzeug aufzulösen. Das verbleibende Volumen wurde mit tetraedischen Zellen gefüllt.
Das 3D-CFD-Modell wurde zunächst ohne Heckflügel getestet, um die Fließkurven um das Fahrzeugheck und durch das Volumen, in dem der Heckflügel sich befindet, zu bewerten. Mit diesen Ergebnissen hat Advantage CFD auch 2D-Analysen zahlreicher Heckflügel-Anstellwinkel durchgeführt. Die Analyse hat gezeigt, dass das Druckzentrum für den neuen Heckflügelabschnitt weiter nach hinten verlegt werden musste.
Advantage CFD hat dann verschiedene neue Heckflügel am 3D-Modell bewertet und dabei deren Verhalten bei der gleichen Geschwindigkeit wie bei Fahrversuchen simuliert. Die Nachbearbeitung einiger erster Designiterationen zeigte Strömungsseparationsbereiche, die von den originalen Heckflügelbefestigungen hervorgerufen wurden. Um das Problem zu lösen, hat Advantage CFD hat das Heckflügel-Befestigungssystem neu konstruiert und weitere CFD-Tests durchgeführt.
Ein mit Fließöl auf den Heckflügeln durchgeführter Vergleich zeigte beim ursprünglichen Flügel eine klare Fließseparation sowie eine wesentliche Verbesserung in diesem Bereich bei der neuen Heckflügelkonstruktion. Die neue Konstruktion hatte eine kleine Einkerbung an der Hinterkante, die aber entfernt wurde, nachdem eine 6 mm hohe Abrisskante an den Flügel montiert wurde.
Advantage CFD entwarf das abschließende Design, prüfte die Kurststabilität und lieferte das CAD-Modell an Protoform Patterns, die mittels CNC-Maschinen Werkzeuge bauten, um den neuen Heckflügel herzustellen.
Testfahrten bestätigen die CFD-Ergebnisse
Prodrive verwendete die Werkzeuge, um einen neuen Heckflügel für Testfahrten zu bauen, und das gerade mal sechs Wochen nach Projektbeginn. Die Testfahrten und der Lauf beim Pre-Qualifying von Le Mans bestätigten, dass der neue Heckflügel den Luftwiderstand bei gleicher Anpresskraft um 2,5 Prozent senken konnte.
Die Zwischenzeiten beim Testtag in Le Mans zeigten, was das Rennen selbst später bestätigen sollte: Die Veloqx Prodrive-Ferraris waren die mit Abstand schnellsten Autos in der GTS-Klasse – sowohl mit den alten als auch mit den neuen Heckflügeln.
Aufgrund von zeitlichen Beschränkungen konnte Veloqx Prodrive Racing den neuen Heckflügel nicht auf seine Standfestigkeit prüfen, ein Schlüsselfaktor im 24-Stunden-Rennen. Um nicht das Risiko eingehen zu müssen, ohne Standfestigkeitsprüfungen in das Rennen zu gehen – und in der Gewißheit, dass ihre Autos immer noch die schnellsten sind – entschloss sich Veloqx Prodrive, bei der alten Heckflügelkonstruktion zu bleiben. Die Richtigkeit dieser Entscheidung wurde vom Sieg des jungen Rennteams bestätigt.
Getragen von dem Erfolg des Le Mans-Projektes – und auf der Suche nach einem Wettbewerbsvorteil – fragte Prodrive bei Advantage CFD die Entwicklung eines zusätzlichen Heckflügels für den Ferrari 550 Maranello an. Dieses Mal war das Ziel, der American Le Mans-Serie stärkeren Anpressdruck zu verleihen. Für den neuen Heckflügel wurde ein ähnlicher Konstruktionsansatz verwendet; auch hier ging es geradewegs von CFD auf die Teststrecke.
„Durch die Zusammenarbeit mit Advantage CFD waren wir in der Lage, einen neuen Flügel mit hohem Anpressdruck zu entwickeln und zu testen, und das wesentlich schneller, als es mit den herkömmlichen, iterativen Methoden möglich gewesen wäre,” erläutert George Howard-Chappell, Teamchef von Prodrive Racing. „Der Flügel hat bei den Testfahrten die Vorhersagen von CFD sogar übertroffen; wir verwenden ihn nun für den Rest der Saison.”
Es hat nicht lange gedauert, bis das Engagement des Teams für die computergestützen Technologien sich ausgezahlt hat: Ende August/Anfang September gewannen die Prodrive-Fahrer Jan Magnussen und David Brabham die GTS-Klasse in zwei aufeinanderfolgenden American Le Mans-Rennen, die Road America 500 in Wisconsin und die Monterey Sports Car Championships in Kalifornien.
„Wir haben bewiesen, dass diese Technologien sehr schnell und beim ersten Versuch genaue Ergebnisse erzielen können, die ein reales Testen reflektieren,” so Rob Lewis von Advantage CFD. „Wir erwarten, dass CFD auch weiterhin ein hilfreiches Werkzeug sein wird, mit dem Prodrive Racing einen Wettbewerbsvorteil herausfahren kann.”
Raindrop Geomagic, Köln
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