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Das „fliegende Auge„

Durchgängige Qualitätssicherung in der Reifenfertigung
Das „fliegende Auge„

Die US-amerikanische Behörde für Highway-Sicherheit hat 64 Todesfälle und 300 Beschwerden im Zusammenhang mit den Reifen der Marke Wilderness AT untersucht. Dies zwang letztendlich den Hersteller Firestone, 6,5 Millionen Pneus vom Markt zu nehmen – ein Desaster, dass einmal mehr verdeutlicht, wie wichtig eine effiziente und durchgängige Qualitätssicherung bereits während der Reifenfertigung ist.

Gängige Praxis der Reifenindustrie ist es, die Qualität ihrer Erzeugnisse erst am fertigen Produkt zu überprüfen. Diese Endkontrolle am komplett fertiggestellten Reifen durch optische Prüfung, mit Röntgengeräten, Unwucht- und Kraftschwankungsprüfungen wird in Insiderkreisen auch als „Leichenschau„ bezeichnet.

Eine zugegebenermaßen etwas makabere Bezeichnung. Aber sie verdeutlicht auch, dass eine Überprüfung des Enderzeugnisses keinerlei Chancen mehr bietet, noch Einfluss auf seine Qualität zu nehmen.
Um Ausschuss zu reduzieren konzentriert sich die Qualitätskontrolle daher auch auf einzelne Phasen während der Verarbeitung von Reifenhalbzeugen. Einziges Manko dieser Methode:
Die Kontrollen sind nur punktuell durchführbar und der betreffende Fertigungsprozess muss in der Regel unterbrochen werden. Das kostet wertvolle Zeit, drückt auf die Produktionskosten und stellt letztendlich ebenfalls keine durchgängige Qualitätsüberwachung sicher.
Materialbreite bestimmt Qualität
„Ein wichtiger Indikator für die Verarbeitungsgüte von Reifenhalbzeugen innerhalb der einzelnen Fertigungsschritte ist deren Materialbreite. Treten hier Schwankungen auf, ist dies ein entscheidender Hinweis auf die Fertigungsqualität, die sich letztendlich auch auf die Endqualität der Autoreifen auswirkt„, erklärt Dipl.-Ing. Wolfgang Küster, Chief Executive Officer der BST Servo-Technik GmbH mit Sitz in Bielefeld. Das Unternehmen, eine Gesellschaft der elexis Gruppe und Tochter der EMG, konzentriert sich mit Systemlösungen und Automatisierungstechnik auf die Qualitäts-überwachung und -sicherung sowie Prozessoptimierung von Anlagen der Druck-, Papier-, Kunststoff- und Gummiindustrie. Mit Produktionsstätten in Indien, Japan und den USA verschafft sich die BST-Servo-Technik einen schnellen Zugang zu den wichtigsten Märkten in Übersee. Darüber hinaus verfügt das Unternehmen über Vertriebs- und Serviceniederlassungen in England, Frankreich, Italien, Spanien und Skandinavien. „Um unseren Kunden weltweit einen durchgängigen Qualitätsstandard auf höchstem Niveau garantieren können, stellen wir die Elektronik, Sensorik und Aktorik zu unseren Systemen ausnahmslos in Deutschland her. Unsere Produkte entstehen überwiegend in enger Kooperation mit der Industrie, damit unsere Kunden Lösungen erhalten, die sich ausnahmslos am Einsatz in der Praxis orientieren„, betont Küster.
Entwicklungspartner Industrie
Aus diesem Grunde entwickelte der Geschäftsbereich Tire Control der BST Servo-Technik gemeinsam mit der Karl Eugen Fischer GmbH, einem Weltmarktführer von Schneidanlagen für die Reifenfertigung mit Sitz in Burkunstadt, die digitalen Materialbreiten-Messsysteme WEBcon, die seitdem als Standard in den Fischer-Maschinen eingesetzt werden. Sie erkennen und erfassen unmittelbar in allen Produktionsprozessen Abweichungen der Materialbreite an Reifenhalbzeugen. Aus welchen Komponenten sich WEBcon zusammensetzt und wie die Systeme in der Praxis arbeiten, soll am Beispiel einer Stahlcordschneidanlage mit Einfassvorrichtung verdeutlicht werden (Abb. 1).
Die Komponenten
Im wesentlichen besteht WEBcon aus mikroprozessorgesteuerten CCD-Kameras (A), Reglern zur Auswertung und zum Abgleich der Kamerasignale (B) und einer ebenfalls in Kooperation mit der Karl Eugen Fischer GmbH entwickelten und speziell für die Materialbreitenmessung konfigurierten Software, die sich im Rechner eines Bedienpultes (C) befindet.
Die Hochleistungskameras wurden eigens für die rauen Betriebsbedingungen während der Reifenfertigung konzipiert und sind unempfindlich gegen Schmutz. Je nach Anforderung an die Messgenauigkeit, bis maximal 1/100 mm, erzielen sie Auflösungen von 5000 bzw. 30.000 Pixeln. Ausgeklügelte Algorithmen kompensieren die durch Materialdicke und –versatz bedingten Verzerrungen zur Materialbreite im Erfassungsbereich der Kameraoptik (Abb 2).
Die digitalen Materialbreiten-Messsysteme sind je nach Anforderungen in drei Versionen verfügbar: WEBcon Si – ein System mit reduzierter Leistung für untergeordnete Messstellen und minimierter Dateneingabe und –ausgabe, WEBcon 5000, das Standardsystem inklusive CCD-Kamera mit maximal 5000 Pixel Auflösung und WEBcon 30000 mit einer CCD-Kamera mit 30.000 Pixeln Auflösung für höchste Ansprüche.
Drei Messstellen gleichzeitig überwachen
In unserem Beispiel (Abb. 1) wurden die Kameras CCD 5000/CCD 30000 (A) vor einer Aufwickelstation (Messstelle 1), vor einer Einfassvorrichtung (Messstelle 2) und vor einer weiteren Aufwickelstation unmittelbar nach einer Einfassvorrichtung (Messstelle 3) installiert. Die Informationen der Kameras werden an die jeweiligen Regler (B) übermittelt, die sie dann in digitale Signale wandeln und via BST-Bus Gateway an ein Bedienpult (C) weiterleiten. Das Bedienpult besteht aus einem 17„ Monitor, eine Pentium PC mit Netzwerkkarte, einer Feldbuskarte, Bedientastatur und einem Trackball.
Der PC integriert das Softwarepaket WEBcon. Das clevere Programm unter Windows NT ermöglicht die Eingabe und Speicherung aller relevanten Materialparameter, etwa die Bezeichnung, Sollbreite sowie obere und untere Fehler- und Warngrenze.
Die Software verarbeitet bis zu maximal drei Messstellen gleichzeitig und zeigt u.a. die Breite als digitalen Wert oder als Grafik am PC-Bildschirm an. Durch die große und farblich differenzierte Darstellung der Werte in der Breitenanzeige (Abb. 3) ist auch aus größerer Entfernung sofort erkennbar, ob sich die Materialbreite an einer Messstelle außerhalb der zuvor definierten Toleranzen bewegt, damit sofort in den jeweiligen Fertigungsprozess eingegriffen werden kann. Die Ergebnisse der Messungen lassen sich überdies in einer Grafik (Abb. 4) für eine definierte Ausschuss- und Trenderkennung auf dem PC-Screen visualisieren.
Verschiedenste Verarbeitungsphasen optimieren
In unserem Beispiel überprüft WEBCon nicht nur die Materialbreite in den verschiedenen Fertigungsprozessen, es ermöglicht darüber hinaus im Zusammenspiel mit den Reglern auch eine genaue Materiallaufregelung. So gewährleistet das System 1 in Kommunikation mit der Messstelle 1 eine mittengenaue Zentrierung vor einer Aufwickelstation. System 2 überprüft im Dialog mit Messstelle 2 eine genaue Materialmittenregelung vor der Einfassvorrichtung. Die an den Messstellen 1 und 2 ermittelten Daten zeigen zudem, ob die Reifenhalbzeuge nach dem Schnitt im Slitter eine konstante Streifenbreite aufweisen. Last but not least überprüft das System 3 an der Messstelle 3 das exakte Einfassen von Materialstreifen vor der Aufwickelstation.
Alle drei Systeme in dieser Stahlcordschneidanlage lassen sich mit einer zentralen Qualitätssicherungs-Abteilung für eine übergeordnete Überwachung aller relevanten Produktionsprozesse vernetzen. Darüber hinaus können alle Messdaten exakt protokolliert werden. Damit ist die Qualität bezüglich der Breitengenauigkeit der Reifenhalbzeuge jedem einzelnen Reifen genau zuzuordnen.
Vielfältig einsetzbar
Neben Stahlcordschneidanlagen sind die WEBcon-Systeme auch für die Überprüfung der Fertigung in Stahlcord- oder Textikcordkalandern, Textilcordschneidanlagen, Laufstreifenextrudern, Seitenwandextrudern, Innenschichtkalandern, Dubliermaschinen oder Reifenaufbaumaschinen prädestiniert. „Namhafte Maschinenhersteller haben die Bedeutung der durchgängigen Qualitätskontrolle sowie deren lückenlose Dokumentation in der Reifenherstellung erkannt. So setzt die Krupp Elastomertechnik, Hamburg, bereits seit vielen Jahren unsere Messsysteme in Reifenaufbaumaschinen ein und auch die Troester GmbH in Hannover verwendet unsere digitalen Material-Breitenmesssysteme„, erklärt Wolfgang Küster.
Angesichts der Negativschlagzeilen um Firestone werden vor allem Automobilhersteller zukünftig vermehrt eine lückenlose Dokumentation zur Fertigungsqualität von Reifen verlangen und somit Systeme wie WEBcon in der Reifenproduktion zunehmend unverzichtbar.
Automatische Korrektur von systembedingten Messfehlern
Diese Grafik verdeutlicht den Einfluss von Dicke und Position des Materials auf die Breitenmessung.
Durch die räumliche Ausdehnung des zu vermessenden Materials kann die Kamera den Bereich des Lichtkastens nicht einsehen, der sich direkt an die Materialkante anschließt. Dieser Bereich erscheint „dunkel„ und wird von der Kamera als Teil des Materialbandes gedeutet.
Dieser Effekt tritt in Abhängigkeit der relativen Position zwischen Material und Kamera entweder an einer Kante (Pos. 1 und Pos 3) oder an beiden Kanten (Pos.2 ) des Materials auf. Die hieraus resultierenden Fehler bei der Positionsbestimmung der Materialkanten sind in der Grafik mit x, y und z bezeichnet.
Die absolute Größe dieser Messfehler nimmt mit der Dicke des Materials und dem Sichtwinkel der Kamera auf die Materialkante zu.
Zur Kompensation dieses systematischen Fehlers wird die Software WEBcon nach der Installation mittels zweier in ihren Abmessungen bekannten Eichstücken auf das bestehende System aus Kamera und Lichtkasten geeicht. Anschließend berechnet WEBcon automatisch bei jeder Materialkantenbestimmung den auftretenden Fehler und korrigiert den Messwert entsprechend.
Während der Eichung wird zusätzlich die aus den optischen Eigenschaften von Kamera und Objektiv resultierende Abnahme der Lichtintensität mit der Zunahme des Einfallwinkels gemessen. WEBcon errechnet hieraus geeignete Korrekturfaktoren und kompensiert bei anschließenden Messungen diesen optischen Fehler des Messsystems automatisch.
Darüber hinaus ist die Software der CCD Kamera in der Lage, Verschmutzungen des Objektives oder des Lichtkastens zu registrieren und zu kompensieren. Hierdurch ist ein Einsatz des Systems an Orten mit hoher Schmutzbelastung problemlos möglich.
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