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Das Gebirge auf der Zahnflanke

Sichere Qualitätsbewertung durch Beachtung verfahrenstypischer Fertigungsgegebenheiten, Teil 2
Das Gebirge auf der Zahnflanke

Gesicherte Ergebnisse über die bei der Fertigung erreichte Flankengeometrie eines Zahnrades sind Voraussetzung für die Bewertung der Wirksamkeit bestehender bzw. für die Ableitung notwendiger Qualitätssicherungsmaßnahmen. Beim Wälzfräsen von Zylinderrädern treten in Abhängigkeit von den Verzahnungs-, Wälzfräser- und fertigungstechnischen Parametern verfahrenstypische systematische Meßabweichungen auf, die eine gesicherte Qualitätsanalyse er-schweren oder verhindern.

In den meisten praktischen Bearbeitungsfällen muß davon ausgegangen werden, daß sich das Arbeitsergebnis als kom-plexe Wirkung der Abweichungen der in Abb. 1 zusammengestellten Wirkkettenglieder ergibt. Umfang der Aussagen und das Niveau einer Qualitätsanalyse sind daher im starkem Maße davon abhängig, wie es gelingt, bei einer Qualitätsanalyse die Ursachen der erkannten qualitätsmindernden Erscheinungsformen am Prüfgegenstand zu selektieren.

Als typische, häufig auftretende qualitätsmindernde Einflußgrößen sind Werkstück- sowie Werkzeug-Aufspannabweichungen und die aus der Werkzeuginstandhaltung resultierenden Eigenabweichungen des Wälzfräsers anzusehen.
Werkstück-Aufspannabweichungen
Bei der Herstellung wurde eine effektive Werkstück-Aufspannabweichung, gemessen als Rundlaufabweichung am Prüfbund des Zahnrades, von FrWst = 40 µm realisiert. Verwendet wurde ein dreigängiger Wälzfräser (z0 = 3) der Genauigkeitsklasse AA und der Axialvorschub betrug fa = 4,5 mm/WU. Gefertigt wurde ein schrägverzahntes Stirnrad mit mn = 3 mm, z = 34 und b = 29°. Die Ergebnisse der Stirnprofil- und Flankenlinienprüfung sind in Abb. 2 zusammengestellt. Bei der Bewertung der Stirnprofil-Prüfbilder muß beachtet werden, daß auf Grund der vorliegenden fertigungsgeometrischen Zusammenhänge beim Abtasten im Stirnschnitt die Gestaltabweichungen eines Flächenabschnittes der Vorschubwelle im Ergebnis erfaßt werden (vgl. Abb. 1, Teil 1, Kontrolle 12/97). Dieser Sachverhalt bestimmt die vorliegenden periodischen Verläufe.
Zusätzlich zu den bereits im Zusammenhang mit Abb. 4 (Teil 1) genannten Abweichungsursachen muß mit Einflüssen von Werkstück-Aufspannabweichungen und typischen Abweichungen mehrgängiger Wälzfräser, die aus Betrags- und Vorzeichenunterschieden der Abweichungen in den einzelnen Fräsergängen resultieren, auf die Stirnprofil- und Flankenlinien-Prüfbildverläufe bzw. die bestimmbaren Auswertekenngrößen gerechnet werden.
Für die in Abb. 2 gezeigten Stirnprofil-Prüfbilder gilt, da z/z0 nicht ganzzahlig ist und b = 29° beträgt, daß jeder der erfaßten Verläufe bei konstanter Hüllschnittzahl durch Fräserflanken aus mindestens zwei, meist jedoch drei, unterschiedlichen Wälzfräsergängen erzeugt wird. Wie aus dem Flankenlinien-Prüfbildern in Abb. 2 erkennbar ist, sind die Höhen aufeinanderfolgender Vorschubwellen nicht konstant. Das führt dazu, daß aus einer visuellen Bewertung der Stirnprofil-Prüfbilder nicht abgeleitet werden kann, ob der wellige Meßschriebverlauf dominierend von den Werkzeugabweichungen oder der Vorschubwelle abhängig ist. Da die unterschiedlichen Meßschriebverläufe auch Einfluß auf die Schwankung der Lageabweichung der Ausgleichsgeraden haben, kann mit diesem vorliegenden Material keine gesicherte Aussage über das Vorhandensein von Werkstück-Aufspannabweichungen bei der Fertigung gegeben werden.
Das Verhältnis zwischen den aus Abb. 2 entnehmbaren Beträgen für die Vorschubwellenhöhen und den Unterschieden innerhalb der drei Wälzfräsergänge bringt zum Ausdruck, daß der Einfluß der Vorschubwelle wesentlich stärker das Ergebnis bestimmen wird als die unterschiedlichen Wälzfräserabweichungen. Dieser Sachverhalt läßt erwarten, daß die Anwendung einer FRT-Messung zur Klärung beitragen kann. Um dieses Ergebnis nicht durch den Einfluß der in den verschiedenen Wälzfräsergängen unterschiedlicher Wälzfräserflankenabweichungen zu beeinträchtigen, wurden die Prüf-zähne am Radumfang so ausgewählt, daß die Zahnflanken jeweils entlang der zum selben Wälzfräsergang gehörenden Erzeugungs-Berührspur abgetastet werden (Abb. 3).
Aus dem vorliegenden Ergebnis kann abgeleitet werden, daß der zwischen Werkstück-Aufspannabweichungen und Schwankungen der Profilwinkelabweichungen am Radumfang bestehende Zusammenhang nur dann gesichert ermittelbar ist, wenn der Einfluß der Vorschubwelle auf den Stirnprofil-Verlauf gering ist (z.B. bei kleinen Beträgen für den Vorschub fa oder b = 0°) oder wenn bei großen Axialvorschüben an Stelle der Stirnprofil-Prüfungen eine FRT-Messung zur Elimination dieses Einflusses vorgenommen wird.
Als Fazit ergibt sich, daß in Abhängigkeit von den vorliegenden verzahnungs- und fertigungsgeometrischen Bedingungen und in Abhängigkeit vom Ziel der Prüfung die Prüfstrategie angepaßt werden muß.
Werkzeug-Aufspannabweichungen
Wälzfräser-Aufspannabweichungen haben bei Anwendung von mehrgängigen Wälzfräsern und einem nicht ganzzahligen Verhältnis z/z0 relevanten Einfluß auf die Flankentopographie. Zum Nachweis dieses Sachverhaltes wurde der im vorangegangenen Beispiel verwendete dreigängige Wälzfräser mit einer Taumelabweichung in die Verzahnmaschine aufgenommen, jedoch die Werkstück-Aufspannabweichung gering gehalten. Die sich während der Fertigung ergebenden Wirkungen des taumelnden Werkzeuges bei der Hüllschnittbildung können aus dem Verlauf der für die einzelnen Wälzfräsergänge im aktiven Eingriffsbereich gemessenen Ab-weichungen der Wälzfräserflankeneingriffspunkte (Abb. 4) abgelesen werden.
Entsprechend der vorhandenen Gegebenheiten (z/z0 = nicht ganzzahlig) werden an derselben Flankenfläche in axialer Richtung aufeinanderfolgende Zahnflankenabschnitte stets durch die Zähne unterschiedlicher Wälzfräsergänge eingehüllt. Die sich daraus ergebende kausale Umsetzung von Ursache in Wirkung kann sowohl durch die Ergebnisse der Flankenlinien-Prüfung als auch einer FRT-Messung transparent veranschaulicht werden (Abb. 5). Die Messungen wurden bewußt an vier am Radumfang aufeinanderfolgenden Zahnflanken durchgeführt, um die, bei der FRT-Messung erkennbaren, von den Zähnen jedes Wälzfräserganges hervorgerufenen Wirkungen separat darzustellen. Im vorliegenden Beispiel werden die FRT-Prüfbilder der Zähne 1 und 4 von demselben Wälzfräsergang erzeugt.
Folgewirkungen
Werden z.B. an einer Verzahnung, die die in Abb. 5 gezeigte Zahnflankentopographie aufweist, die Kreisteilungsabweichungen ermittelt, dann können sich die systematischen Gestaltabweichungen der Zahnflanken als systematische Einflußgrößen auswirken. Im Meßergebnis sind sie dann als systematische Meßabweichungen enthalten.
Zur praktischen Belegung dieser Aussage wurden an zwei Verzahnungen gleicher Geometrie Kreisteilungsmessungen durchgeführt. Die Wälzfräser-Aufspannabweichungen betrugen bei der Fertigung von Rad 1 weniger als 10 µm, während für Rad 2 eine Taumelabweichung vorlag, die den in Abb. 4 dargestellten Prüfbildern der Eingriffsteilung entsprach. Die bei einer definitionsgerechten Kreisteilungsmessung für die Qualitätskenngrößen
u Einzelteilungsabweichung fp,
u Gesamtteilungsabweichung Fp und
u Rundlaufabweichung Fr
ermittelten Ergebnisse sind in Abb. 6 zusammengestellt. Für alle drei Meßgrößen (am deutlichsten bei der Einzelteilungsabweichung fp) wird die aus Abb. 5 abgeleitete Schlußfolgerung, daß systematische Gestaltabweichungen der Flankenfläche zur Vergrößerung der Kreisteilungsabweichungen führen, bestätigt.
Interessant ist auch die Erkenntnis, daß Taumelabweichungen des Wälzfräsers zu deut-lichen Schwankungen der Form- und Lageabweichungen der Flankenlinien- und FRT-Prüfbilder (Abb. 5) sowie zu Kreisteilungs- und Rundlaufabweichungen (Abb. 6) mit einem Zyklus, der gleich der Gangzahl des Wälzfräsers ist, führen.
Zusammenfassung
Beim Wälzfräsen von Stirnrädern mit großen Axialvorschüben und mehrgängigen Wälzfräsern treten – auch wenn der Verfahrensablauf völlig abweichungsfrei abläuft – bedingt durch die verfahrenstypischen fertigungsgeometrischen Zusammenhänge erhebliche systematische Gestaltabweichungen von der Nenn-Evolventenschraubenfläche auf.
Betrag und Verlauf dieser Gestaltabweichungen auf der Zahnflankenfläche sind abhängig von den Verzahnungsdaten, den Wälzfräserbestimmungsgrößen und den fertigungstechnischen Parametern.
In allen praktischen Fällen wird diese verfahrenstypische Wirkung noch durch den Einfluß von Abweichungen der verschiedenen Wirkkettenglieder überlagert und die sich daraus ergebende Flankentopographie wiederum führt bei Anwendung von standardisierten Meßverfahren im Allgemeinen zu systematischen Meßabweichungen.
Für zwei ausgewählte Fertigungsbeispiele wurden die Wirkzusammenhänge erläutert und durch Meßergebnisse belegt. Als Fazit ergibt sich, daß bei Ergebnisanalysen das Erkennen von qualitätsmindernden Einflüssen im Fertigungsablauf erschwert und die Wahrscheinlichkeit von Fehlinterpretationen bei einer Qualitätseinstufung erhöht wird. Kenntnisse über die auftretenden verfahrenstypischen Zusammenhänge und das gleichzeitige Einbeziehen verschiedener ermittelter Qualitätskenngrößen sind Voraussetzung für die Ableitung eindeutiger und gesicherter Qualitätssicherungsmaßnahmen bzw. Qualitätsbewertungen.
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