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Den Kunden zum Chef machen

Kundenfokussierte Prozess-Optimierung
Den Kunden zum Chef machen

Nicht länger die Unternehmen, sondern deren Kunden bestimmen inzwischen die Spielregeln, nach denen ‚verkaufen‘ gespielt wird. Der Kunde ist der wahre Boss. Anne M. Schüller, führende Expertin für Loyalitätsmarketing im deutschsprachigen Raum, gibt in diesem Beitrag Hinweise, wie Kundenfokussierung tatsächlich gelebt werden kann.

Anne M. Schüller ist Management Consultant und Expertin für Loyalitätsmarketing. Sie arbeitet als Business-Trainerin und ist Gastdozentin an mehreren Hochschulen.

Man braucht kein Detektiv zu sein, um in jedem x-beliebig gewählten Unternehmen kundenfeindliche Prozesse, Strukturen, Sprach- und Verhaltensweisen aufzuspüren. Schuld daran ist zweierlei: selbstorientiertes Denken und Handeln sowie mangelndes Verständnis dafür, was den Kunden wirklich bewegt. So schätzt Tim Bosenick, Geschäftsführer der Firma Sirvaluse, dass nur 30 Prozent aller technischen Produkte vor ihrer Markteinführung auf Benutzerfreundlichkeit getestet werden.
Was Kundennähe wirklich bedeutet
Kunden lassen sich nicht länger an Sales & Marketing wegdelegieren, sie gehen Jeden im Unternehmen an. Die Tüftler müssen ihr stilles Kämmerlein, die Manager den grünen Tisch und die CEO‘s ihre behütende Vorstandsetage verlassen, um Feedback-Schleifen zu drehen. Sie sollten sich Mikrofone schnappen und die Kunden inständig befragen. Sie sollten sich Kameras nehmen und hinter den Kunden herlaufen, um aufzuzeichnen, wie sie agieren. ‚Go-and-see for yourself‘ nennen die Amerikaner diesen Kurs.
In kundenfreundlichen Unternehmen kommt man sich nicht in Sitzungsräumen, sondern am Ort des Geschehens näher. Hierzu können etwa die Werksleiter und Ingenieure ihre Zelte beim Kunden aufschlagen oder sich vom Kunden anstellen lassen und mitarbeiten, um zu verstehen, was tatsächlich Sache ist. Die Kunden selbst sollten in die Forschungs- und Entwicklungslabors eingeladen werden, um Hinweise zu geben und Anliegen zu äußern.
In jedem Fall müssen Mitarbeiter und Kunden regelmäßig zusammentreffen, um mehr Verständnis füreinander zu entwickeln. In den Fahrradläden der US-Firma Zane’s Cycles gibt es beispielsweise in der Mitte eine riesige Coffee-Bar. Die Monteure nehmen dort die Mittagspause ein und können dabei mit den Kunden plaudern.
Kunden können beispielsweise auch in den Aufenthaltsräumen der Unternehmen Einzug halten. So schickte der Markenartikel-Hersteller Procter & Gamble Fotografen los, um abzulichten, wie die Kunden die einzelnen Produkte benutzen. Die Fotos wurden dann in der Firmen-Cafeteria aufgehängt. Die meisten öffentlichen Bereiche von produzierenden Unternehmen sind hingegen ein reines Selbstverherrlichungsprogramm: Maschinenteile, Miniaturen von Fertigungsanlagen, Bilder der Gründer, Urkunden und Pokale, eine Weltkarte mit den Niederlassungen und so weiter und so fort. Die Kunden sucht man dort vergebens.
Kundenähe in der Chefetage
Je größer ein Unternehmen wird, desto mehr entfremden sich die Führungskräfte vom Kunden. Der Blick ist zunehmend nach innen und oben und nicht mehr nach außen gerichtet. Für solche Unternehmen heißt es im Sinne einer kundenfokussierten Unternehmenskultur zunächst, verstärkt leibhaftigen Kundenkontakt zu suchen. Und zwar nicht als zwanghaft aufgesetztes Pseudo-Programm, sondern aus Einsicht.
In seinem Buch ‚Hidden Champions des 21. Jahrhunderts‘ macht Hermann Simon deutlich: Die Besten betrachten langjährige Kundenbeziehungen als ihre größte Stärke und praktizieren eine Kundennähe, die über das übliche Maß weit hinausgeht. Hermann Kronseder, Gründer von Krones, einem Hersteller und Weltmarktführer von Flaschenabfüllanlagen, kommt dort wie folgt zu Wort:
„Bei uns ist es seit Jahren eingeführt, dass bei der Rückkehr der Monteure die aufgetretenen Schwierigkeiten an den Maschinen dem Konstrukteur und mir erzählt werden müssen, und zwar, welche Mängel auftraten, was geändert werden müsste, wie die Maschine verbessert werden kann usw.. Ich bin grundsätzlich bei solchen Besprechungen mit dabei, denn sonst würde der Monteur rücksichtslos an die Wand gedrückt. Der Konstrukteur hat eine wesentlich stärkere Stellung und ist in der Regel auch viel redegewandter. Dieser Punkt ist in vielen Betrieben ein Manko. Die Monteure haben kaum Gelegenheit, den Konstrukteuren mal über ihre Erfahrungen beim Kunden zu berichten.“
Wie die Fachzeitschrift Absatzwirtschaft berichtete, besuchen Audi-Manager aus allen Unternehmensbereichen repräsentativ ausgewählte Kundenfamilien, um deren Alltag mitzuerleben. Bei Bizerba, einem Hersteller von Wägetechnik, gehen die Ingenieure bei der Erstinstallation mit zum Kunden. Dabei lernen sie, wie der Bediener mit dem Gerät umgeht und welche Schwierigkeiten auftreten. So kam man unter anderem drauf, wie wichtig Piktogramme sind, wenn beispielsweise Aushilfskräfte im Einzelhandel mit den Kassensystemen arbeiten.
Von Michael Dell, dem Gründer des Online-Computeranbieters Dell wird erzählt, dass er sich im Internet-Chat mit seinen Kunden oft als einfacher Mitarbeiter ausgab, um unverfälschte Meinungen zu bekommen. Und von Rich Teerlink, Harley Davidson CEO von 1989 bis 1997, weiß man, dass er bei Harley-Owners-Treffen den Bikern Würstchen grillte und die Maschinen polierte, um hautnah soviel wie möglich von ihnen zu erfahren.
Der Kunde an erster Stelle?
Die knappste Ressource im Unternehmen ist nicht das Kapital, sondern es sind die Führungskräfte, die kundenfokussiert denken und handeln. Dabei zählt allerdings nicht das, was in wohlklingenden Sonntagsreden, aufwändigen Geschäftsberichten und weichgespülten Pressemeldungen ertönt, sondern vielmehr das, was von montags bis freitags im Unternehmen tatsächlich gelebt wird – und zwar aus Sicht des Kunden betrachtet.
Betrachten wir beispielhaft eine typische BtoB-Präsentation, so läuft diese in etwa wie folgt ab: „Ich erläutere Ihnen zunächst einmal, wer wir sind und was wir für Sie tun können.“ Dazu auf den Folien 1 bis 20: das eigene Unternehmen, die Standorte, die Geschichte, die Umsatzentwicklung, die Führungsmannschaft, die Produkte, noch mehr Produkte, die dazugehörigen Services, das Leitbild und so weiter und so fort. Nach 30 Minuten schließlich auf der letzten Seite: die bestehenden Kundenbeziehungen in Form eines Logofriedhofs. So lernt man dann: Der Kunde kommt zum Schluss. Dabei müsste er gerade im Vertrieb an erster Stelle stehen.
In der kundenfokussierten Kommunikation bleiben solche Präsentationen zunächst im Koffer oder sie beschränken sich auf fünf Minuten und höchstens drei Folien. Alles soll sich um den Kunden und dessen Unternehmen drehen. Ziel muss es sein, einzigartige Lösungen zu finden, die dem Kunden helfen, (noch) erfolgreicher zu werden.
Bester Problemlöser sein
Das Wissen über Kundenwünsche und -probleme muss systematisch in alle Abteilungen getragen werden. Dabei gibt es:
  • Die scheinbare, oberflächliche, selbst entwickelte Problemlösung. Hierbei wird nach eigenem Ermessen um ein bestehendes Produkt herum ein bisschen Service gepackt, als Lösung umschrieben und dann in den Markt gedrückt. Das ist der alte Weg.
  • Die echte, tiefe, kundenfokussierte Problemlösung. Hierbei beschäftigt man sich intensiv mit den Problemen des Kunden und erarbeitet mit ihm gemeinsam eine einzigartige, differenzierende und möglichst unkopierbare Lösung. Das ist der neue Weg.
Wer kundenfokussierte Problemlösungen entwickelt, verabschiedet sich von seiner egozentrierten Sichtweise und taucht tief ein in die Kundenwelt. „Was ist Ihr brennendstes Problem?“ wird er fragen, oder: „Wovon träumen Sie?“ und sich selbst: „Welche Lösungen bieten nur wir diesem Kunden – und was können wir deutlich nachvollziehbar besser als alle Anderen?“
Dort, wo die größten Kundenprobleme sind, schlummert oft auch die höchste Rendite. Weil ein echter Lösungsanbieter als langfristig wertvoller Partner gesehen wird und nicht als austauschbarer Lieferant, fördert der Lösungsverkauf auch die Kundenloyalität und das Empfehlungsgeschäft. Reine Konditionen- und Mengengespräche rücken dann schnell in den Hintergrund.
Jede Unternehmensstrategie ist nur so gut, wie die Mitarbeiter, die diese umsetzen. Manche Mitarbeiter wären angesichts nachvollziehbarer Kundenwünsche gerne entgegenkommender, dürfen aber nicht. Kundenfeindliche Standards und rigide Prozesse, an die man sklavisch gebunden ist, bringen sie geradezu in Gewissenskonflikte. Auf ein „Der Kunde wollte das so“ antwortet dort ein knurrender Chef: „Sie halten sich gefälligst an die Vorschriften.“
Feste Standards sichern zwar das Serviceniveau nach unten, lassen aber kaum Bewegungsfreiheit, um außer der Reihe und über die Norm hinaus kundenfreundlich zu agieren. So erstarrt alles im Zwangskorsett der Mittelmäßigkeit. Nur: Mittelmäßigkeit will heute niemand mehr kaufen. Es ist also wichtig, Möglichkeitsräume nach oben zu schaffen.
Starre Prozesse sind ein Widerspruch in sich. In kundenfokussierten Unternehmen wird täglich nach Verbesserungen gesucht. Dies geschieht auf zweierlei Weise: mithilfe der Kunden und mithilfe der Mitarbeiter. Das Verbesserungspotenzial geht in drei Richtungen:
  • Was muss zukünftig anders werden?
  • Was muss zukünftig hinzukommen?
  • Was muss zukünftig weggelassen werden? (‚Kill a stupid rule‘ sagen die Amerikaner)
Die Wege zur Beantwortung dieser Fragen sind vielfältig. Im Rahmen von Mitarbeiter-Mitmach-Workshops kann man sich dem Thema etwa durch folgende Aufgabenstellungen nähern:
  • Wenn ich selbst irgendwo Kunde bin, was ist mir dann besonders wichtig?
  • Wenn ich selbst irgendwo Kunde bin, was ärgert mich und stößt mich ab?
  • Was erzählen unsere Kunden im Guten wie im Schlechten über uns – und wonach haben sie in letzter Zeit öfter gefragt?
  • Was müssten wir tun, um unsere Kunden schnellstmöglich zu vergraulen und damit zu verlieren – und was ist das passende ‚Gegengift‘?
  • Was könnten wir tun, um unsere Kunden immer wieder noch ein wenig stärker zu begeistern?
Bei all dem ist es wichtig, sowohl im positiven als auch im negativen Bereich die Extreme zu betrachten. Denn dort stecken oft die größten Innovations-Chancen.
Der Kunde ist der wahre Boss
„Wonach haben die Kunden denn heute gefragt“, muss Standard werden im Kommunikationsrepertoire einer Führungskraft. Von Kunden kann man eine Menge lernen. Unternehmen müssen täglich neu in Erfahrung bringen, was die Kunden wirklich wollen, um in Rekordgeschwindigkeit auf Marktveränderungen zu reagieren. Bei Kunden schlummert das bislang am wenigsten genutzte Kreativpotenzial. Wer Kunden aktiv einbindet und sie zum Mitgestalter macht, erhält automatisch bessere Lösungen.
So lässt sich der Kunde entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Entwicklungsprozesse einbeziehen, er initiiert, beschleunigt, bereichert, verändert oder stoppt. Über Befragungen, Tests, Verbesserungsvorschläge und Kritiken liefert er wichtige Indikatoren, wie unternehmerische Leistungen kundenspezifisch weiterentwickelt werden können, sollen und müssen. Jede Innovation hat ja schließlich ein Ziel: den Kunden. Kundenwünsche steuern heute die Unternehmen. Der Kunde ist der wahre Boss.
Marketing Consulting,
www.kundenfokussierte–unternehmensfuehrung.com
Literaturtipp: Kundenähe in der Chefetage (Orell Füssli)
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