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„Der Messprozess darf nicht vom Fertigungsprozess abgekoppelt sein“

Interview mit Renishaw-CEO William Lee
„Der Messprozess darf nicht vom Fertigungsprozess abgekoppelt sein“

Quality Engineering hat eines der ersten Interviews mit William Lee geführt, dem neuen CEO von Renishaw. Wir haben mit ihm über das Wachstum des Unternehmens, die Herausforderungen in der Messtechnik und die Verzahnung mit dem Geschäftsfeld Additive Manufacturing gesprochen.

Herr Lee, Im Februar dieses Jahres haben Sie bei Renishaw das Ruder als CEO übernommen. Aber Sie sind bereits vor mehr als 20 Jahren, genau gesagt 1996, ins Unternehmen gekommen, kennen es also sehr gut. Wie haben Sie Ihre ersten Monate als CEO wahrgenommen?

William Lee: Die Anfangszeit war natürlich sehr aufregend. Immerhin hat Renishaw fast 5.000 Mitarbeiter – und viele Entscheidungen, die ich treffe, wirken sich auch auf viele Familien aus. Wenn es darum geht geschäftliche Entscheidungen zu treffen, will ich auch die menschliche Seite beachten. Schön ist für mich, dass die beiden Gründer Sir David McMurtry und John Deer das Unternehmen nicht verlassen haben. Ihr Büro liegt neben meinem. Das heißt, solange sie da sind, kann ich ihre Erfahrung und Ratschläge und ihre innovativen Ideen nutzen. Gleichwohl sagten sie gleich zu Beginn sehr deutlich: Das ist nun Deine Aufgabe, letztlich musst Du entscheiden.

Was sind die wichtigsten Herausforderungen, denen Sie sich als CEO stellen müssen?

Lee: Die Herausforderung besteht eigentlich darin, wie man die Innovation am Laufen hält, wenn das Unternehmen immer größer wird. Wir haben fantastische Mitarbeiter, aber wir brauchen zusätzlich neue Mitarbeiter – und sie müssen schnell genug die richtigen Fähigkeiten haben: in all unseren Produktbereichen und auch in unserem Auslandsgeschäft sehen wir unglaubliche Möglichkeiten. Gleichzeitig frage ich mich, wie wir unser Familiengefühl bei Renishaw aufrechterhalten können. Ein weiterer Punkt ist: Obwohl wir für unser Geschäft und für das Unternehmen Wachstum anstreben, wollen wir gegenüber unseren Kunden nicht langsam und träge werden. Wir müssen auch in Zukunft immer noch sicherstellen, dass wir sehr schnell auf Kunden reagieren können.

Renishaw hat das Geschäftsjahr 2018 mit einem Rekordumsatz abgeschlossen. Was waren und sind die Treiber für die Umsatzsteigerung?

Lee: Das Schöne für uns war, dass es sich nicht um einen bestimmten Industriesektor handelte, um keine bestimmte Produktlinie, um keine bestimmte Region. So sahen wir überall Wachstum. Der stärkste Bereich für uns war das wachsende Geschäft mit Herstellern von Unterhaltungselektronik. Die Ausrüstung dafür war besonders in Asien extrem stark nachgefragt. Automotive und Luft- und Raumfahrt waren weltweit auch sehr stark. Wir sind in allen Segmenten sehr gut aufgestellt: Wer etwas extrem genau fertigen muss, braucht unsere Technologie und unser Know-how.

Die Messtechnik war für Renishaw mit einem Umsatzanteil von 94 % im Geschäftsjahr 2018 der wichtigste Bereich. Wird dies in zehn Jahren auch noch so sein?

Lee: Es gibt hier ein paar Punkte zu berücksichtigen: Als erstes sehen wir, dass das Metrology-Business weiterwächst. Da gibt es noch großes Potenzial. In der Messtechnik haben wir die meisten Produktlinien, die sich hauptsachlich in zwei Bereiche gliedern: Wir haben zum einen die industrielle Messtechnik mir der wir den kompletten Fertigungsprozess unterstützen. Dann haben wir Position-Feedback-Produkte, die weitgehend im Hintergrund in Anlagen integriert sind. Und schließlich Produkte und Dienstleistungen in anderen Wachstumsmärkten, wie zum Beispiel unser Geschäft für additive Fertigung und weitere, für die wir auch Ideen für die Produkte der Zukunft entwickeln. Wir verfügen wir neben dem industriellen Geschäft auch noch über den Bereich Gesundheitswesen mit vielen Neuentwicklungen, in denen wir ein erhebliches Wachstumspotenzial sehen. Wie sich die verschiedenen Bereiche in Zukunft relativ zueinander verhalten, werden wir im Laufe der Zeit sehen.

Was sind Ihrer Einschätzung nach die wichtigsten messtechnischen Herausforderungen, vor denen produzierende Unternehmen heute stehen?

Lee: Lassen Sie mich Renishaw als ein Beispiel für die Hersteller nehmen: Wir haben selbst eine sehr hohe Fertigungstiefe. Ziel war es immer die effizientesten Bearbeitungsprozesse bei Renishaw selbst zu haben. Eines der elementaren Dinge war immer, dass der Messprozess nicht vom Herstellungsprozess abgekoppelt wird. Deshalb haben wir schon immer einen integrierten Messprozess als Teil des Fertigungsprozesses gelebt. Jede unserer Maschinen nutzt Messtaster zum In-Prozess-Kalibrieren über Artefakte, um auch sicherzustellen, dass das Teil korrekt an der richtigen Stelle eingerichtet ist und auf der Maschine auch regelmäßig im Prozess überprüft wird.

Wie wichtig ist das Thema Flexibilität beim Messen?

Lee: Für uns sehr wichtig, neben der Fertigungsmaschine zusätzlich flexible Messsysteme wie den Equator direkt in der Produktion zu haben, um die produzierten Teile gegebenenfalls einer lückenlosen Qualitätskontrolle zu unterziehen ohne zusätzliche Nebenzeiten zu generieren. Zusätzlich setzen wir auf 5-achsige Koordinatenmesstechnik im Messraum, die weltweit ausschließlich Renishaw anbieten kann, um sicherzustellen, dass die Prozesse an oder in der Linie korrekt durchgeführt werden. Dieses Vorgehen, das wir in unseren eigenen Fabriken praktizieren, kann auch eine Vision für unsere Kunden sein: Wir wollen sicherstellen, dass die Teile, die unsere Kunden herstellen, Gutteile sind. Wir wollen die Produktivität steigern, indem wir für den gesamten Fertigungsprozess Messtechnik liefern und sind somit auch in Sachen Industrie 4.0 ein wichtiger Baustein der modernen Fertigung. Unsere Daten und Feedbacks in den Prozess bilden eine wichtige Grundlage.

Wird Software für die Messtechnik immer wichtiger?

Lee: Es ist Software, es ist die Hardware, es ist der Prozess – das alles muss aufeinander abgestimmt sein.

Sind die zunehmende Variantenzahl und abnehmende Stückzahlen eine weitere Herausforderung für die Messtechnik?

Lee: Ja, durchaus. Die Entwicklungszyklen werden immer schneller. Dadurch bedingt, stellen wir tatsächlich fest, dass die Unternehmen keine hochentwickelte maßgeschneiderte Lösung für eine Aufgabe kaufen wollen, sondern eine Lösung, die flexibel ist und jederzeit neu konfiguriert werden kann. Denn selbst während des Entwicklungsprozesses wird das Design ständig verändert. Wenn dann zum Beispiel eine Dimension geändert wird, muss man mit der Messtechnik wieder von vorne beginnen. Das ist nur mit flexibler und einfach bedienbarer Messtechnik wirtschaftlich.

Der Messtechnik-Markt hat sich konsolidiert: Marktführer wie Hexagon und Zeiss sind ständig auf Einkaufstour, werden immer größer. Welche Rolle wird Renishaw in Zukunft in diesem Zusammenhang spielen?

Lee: Beides sind sehr erfolgreiche Unternehmen. Aber ihre Strukturen unterscheiden sich von unseren. Wir haben immer an ein organisches Wachstum geglaubt, in unsere Werke investiert und ein integriertes System entwickelt. Und ich denke, wir haben unsere Strategie gut umgesetzt. Es besteht also keine Notwendigkeit, unsere Philosophie zu ändern und ein anderes Unternehmen zu werden. Wir sehen weiterhin sehr gute Chancen für uns, im Messtechnik-Markt zu wachsen.

Eine Ausnahme von Ihrer Strategie des organischen Wachstums ist Ihr neuer Bereich additive Fertigung. Im Jahr 2011 haben Sie MTT gekauft, einen britischen Hersteller von Additiven Fertigungssystemen, und zwei Jahre später den deutschen Dienstleister LBC.

Lee: Ja, das stimmt. Wir kaufen dort zu, wo wir wirklich prima Technologie oder Know-how sehen. Und MTT und LBC waren eher kleine Unternehmen mit interessantem Know-How. Hintergrund ist: Wir haben die additive Fertigung vorher intern für die Herstellung genutzt. Wir hatten dafür eine Maschine von MTT und haben eng mit dem Unternehmen zusammengearbeitet, bis wir MTT letztlich gekauft haben. Wir sind in dieses neue Geschäftsfeld eingestiegen, weil wir bei uns gesehen haben, wie Additive-Manufacturing Herstellungsprozesse bereichern kann. Und wir waren von Anfang an von diesem wachsenden Geschäft begeistert und waren immer sicher, dass wir diese Technologie mit Innovationen bereichern können. Die Technologie erlebt gerade einen phantastischen Übergang von der Entwicklung zu einem robusten Fertigungsprozess.

Wie wird Ihr neues Geschäft mit der additiven Fertigung von Ihrem Messtechnik-Geschäft profitieren

Lee: Der interessante Punkt ist, dass Sie additiv gefertigte Bauteile in 99 % aller Fälle auf einer CNC-Maschine nachbearbeiten müssen. Eine komplette Additive-Manufacturing-Produktionszelle enthält also ein Additive-Manufacturing-System, eine CNC-Maschine und natürlich Messtechnik.

Was ist mit der Integration von Messfunktionen in das System für additive Fertigung?

Lee: Das ist definitiv ein sehr wichtiges Thema, denn additiv gefertigte Bauteile sind teuer. Je früher Sie Informationen über dessen Qualität haben, desto weniger Zeit haben Sie verschwendet. Unser aktuelles System für die additive Fertigung enthält daher eine innovative Prozessüberwachungssoftware. Schmelzpunktüberwachung, Lasereigenschaften etc. geben eine Echtzeitrückmeldung wie stabil der Herstellprozess ist. Ein wirklich interessanter Bereich dort ist, wie wir die Daten zum Beispiel vom Equator verwenden können, um den Additive-Manufacturing-Prozess während des Aufbaus zu verbessern, zu modifizieren oder zu stoppen. Es ist eine aufregende Entwicklung, da sich der Reifegrad sehr schnell verbessert.

Haben Sie Pläne, additive Fertigung und Messtechnik in ein geschlossenes System zu integrieren?

Lee: Wir sind immer daran inter-essiert, unseren Kunden Orientierung und Unterstützung zu geben, wenn sie unsere neuen Technologien nutzen wollen. Ebenso schaffen wir Schnittstellen um unsere Technologien gemeinsam zum Synergiegewinn an vielen Stelle des Prozesses einzusetzen – integrierte Systeme sind eine Herausforderung. Mit unseren hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung versuchen wir fortwährend die Grenzen des Machbaren auszudehnen. Die Nutzbarkeit und Stabilität im Fertigungsumfeld müssen jedoch jederzeit gegeben sein. ■


Die Autorin

Sabine Koll

Redaktion

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