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Die Augen der Abfallsortierung

Vision-Systeme im Einsatz in der Recycling-Industrie
Die Augen der Abfallsortierung

Ein boomender Absatzmarkt für industrielle Vision-Systeme ist die Recycling-Industrie. Hier geht es um die sortenreine Trennung recyclingfähiger Materialien vom Restmüll. Kameras helfen dabei, Materialien voneinander zu unterscheiden. Dabei werden Bilder mittlerweile schon oft mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet. Die Bildverarbeitung ist somit die Basis für automatisierte und intelligente Trennprozesse.

Sabine Koll

Egal ob Bauschutt, Kunststoffmüll oder Industrieabfälle: Die Anforderungen an das Recycling und damit an eine effiziente Wiederverwertung von Rohstoffen steigen, die Recyclingquoten werden immer strenger. Sie können nur mithilfe intelligenter Sortieranlagen und industrieller Bildverarbeitung erfüllt werden.

Einer der großen Player im Bereich Recycling-Sortierlösungen ist der norwegische Hersteller Tomra. Er hat vor Kurzem eine Materialrückgewinnungsanlage beim schottischen Entsorgungsspezialisten Cireco, in der bis dahin manuell sortiert wurde, mit einer sensorbasierte Sortiertechnologie von Tomra aufgerüstet. So konnten die Kapazitäten mehr als verdoppelt werden. Die Anlage wurde als Doppelanlage mit hoher Kapazität für die Verarbeitung von zwei trocken gemischten Recyclingabfallströmen ausgelegt, die von rund 160.000 Haushalten gesammelt werden. Im wöchentlichen Wechsel verarbeitet die Anlage gemischte Dosen und Kunststoffe sowie anschließend Papier und Pappe (Fasern).

Die vier Recyclingmaschinen von Tomra als Teil der Aufrüstung kombinieren dabei Nahinfrarot- (NIR) und visuelle Spektrometer (VIS), um verschiedene Materialien präzise und schnell nach Materialart und Farbe zu erkennen und zu trennen und hochreine, hochwertige Endfraktionen zu extrahieren. Die sensorgestützte NIR-Sortierung spielt mittlerweile für Standard-Sortierverfahren eine zentrale Rolle. Ziel der VIS/NIR-Messung ist es, gleichzeitig und am gleichen Ort Spektren im visuellen und nahen Infrarotbereich aufzunehmen. Um eine zweidimensionale Messung zu erreichen, führt ein Förderband das zu analysierende Material an einer Scannereinheit vorbei, welche aus einer Detektoreinheit und einem Spiegel besteht. Das Material wird von einer Lichtquelle beleuchtet und das reflektierte Licht über einen rotierenden Spiegel in eine Detektoreinheit abgelenkt. Durch die Rotation des Spiegels werden alle Positionen auf dem Förderband nacheinander vermessen. Damit die Daten zeilenweise verarbeitet werden können, wird am Anfang eines jeden Spiegels ein Triggerimpuls ausgelöst.

Ein vielseitiges Rohmaterial, das sowohl energetisch als auch stofflich genutzt werden kann, ist Altholz. Rund 8 Mio. t davon fallen jährlich in Deutschland an – in sehr unterschiedlicher Qualität. Um einen möglichst hohen Anteil der Kreislaufwirtschaft wieder zuzuführen, müssen die Holzabfälle in reines Holz, Sperrholz und OSB-Platten getrennt werden. Dabei helfen Hyperspectral-Imaging-Systeme (HSI-Systeme). Diese sind in der Lage, das unterschiedliche Absorptionsverhalten verschiedener Materialien für Strahlung im kurzwelligen Infrarotbereich (SWIR) sichtbar zu machen und so Holzwerkstoffe voneinander zu unterscheiden. Auf diese Weise wird das Altholz nach Abfallklassen sortiert und der passenden Weiterverarbeitung zugeführt.

Fluoreszierende Marker helfen beim Sortieren

Ein neues Kapitel beim Aufbereiten von Wertstoffen schlägt die Tracer Based Sorting (TBS) Technologie auf. Sie ermöglicht es, mit fluoreszierenden Markern gekennzeichnete Materialien zu erkennen und zu sortieren und somit hochwertig stofflich zu verwerten. Der bei der TBS-Technologie eingesetzte optische Detektor kann für jedes Objekt mehrere Messungen kombinieren: Tracer-Detektion, NIR-Messung, Farbmessung, Bilderkennung mittels Künstlicher Intelligenz (KI) sowie gegebenenfalls Detektion einer Wassermarke.

Das Tracer-Based-Sorting wurde im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „Marek – Markerbasiertes Sortier- und Recyclingsystem für Kunststoffverpackungen“ bereits erfolgreich erprobt. Dabei wird die TBS-Markersubstanz durch Infrarotstrahlung im nicht sichtbaren Wellenlängenbereich angeregt und emittiert anschließend vorwiegend im sichtbaren Spektrum. Die zu diesem Zweck verwendeten Leuchtstoffe sind Materialien mit einer hohen Quantenausbeute (Wirkungsgrad zwischen Anregung und Emission), sodass bereits Konzentrationen im ppm-Bereich genügen, um eine charakteristische Fluoreszenz zu erzeugen.

Der für die Fluoreszenz genutzte Anti-Stokes-Effekt ist ausschließlich bei speziell hergestellten Markersubstanzen beobachtbar, er tritt nicht in der Natur auf. Die Emission kann zum Beispiel mit Laserdioden oder LED angeregt und mit einfachen Detektoren wie zum Beispiel Kamerachips zerstörungsfrei erkannt werden. Sowohl die Anregung als auch die Erkennung der Fluoreszenz erfolgen in Millisekunden. Die Markersubstanzen besitzen einen so hohen Wirkungsgrad , dass bereits Konzentrationen zwischen 1 und 100 ppm beziehungsweise 20 und 500 μg pro Packstück zur Erzeugung und Erkennung der Fluoreszenz ausreichen.

Mehr als NIR- oder
Farberkennung

Im Gegensatz zur konventionellen Spektroskopie (NIR- oder Farberkennung), die nur die Werkstoffeigenschaften nutzt und oft ein schlechtes Signal-zu-Rausch-Verhältnis aufweist, kann durch TBS werkstoffunabhängig identifiziert und anschließend getrennt werden, sodass zum Beispiel Lebensmittel- von Nicht-Lebensmittelverpackungen getrennt werden können, obwohl für beide Anwendungen identische Werkstoffe eingesetzt wurden.

Die Kombination aus industrieller Bildverarbeitung und Künstlicher Intelligenz nutzen auch viele Start-ups, um die für das Recycling notwendigen Sortierprozesse zu beschleunigen. So hat beispielsweise das Ende 2021 gegründete Würzburger Start-up We Sort AI eine KI-basierte Müllanalyse- und Sortiermaschine entwickelt, die große Mengen Haushaltsmüll signifikant kostengünstiger und wesentlich reiner sortiert. Das Analysemodul erfasst mittels Kamerasystem und KI die Eigenschaften von Müllobjekten auf einem Förderband.

Heute können schwarzer Kunststoff oder Lebensmittelverpackungen mit der herkömmlichen Nahinfrarot-Technologie beispielsweise nicht separat sortiert werden“, sagt Martin Körner, einer der Gründer von We Sort AI. Die zum Einsatz kommenden Maschinen trennen den Stoffstrom aktuell nur in zwei Faktionen gleichzeitig. Das macht eine Trennung in mehrere Klassen kostenintensiv. Darüber hinaus ist die Sortierreinheit nach Erfahrung von We Sort AI so niedrig, dass oft eine manuelle Nachsortierung im Mehrschichtbetrieb erforderlich ist. Es führt wiederum dazu, dass zu wenige Abfälle für gleichwertige Produkte recycelt werden können.

KI hilft, Sortierergebnisse zu verbessern

Bei der KI-basierten Lösung von We Sort AI steuert in einer mit Luftdruckdüsen bestückten Sortierkammer ein Deep-Learning-Algorithmus die Düsen, um das Müllstück in den richtigen der vier Stoffkanäle zu blasen. Kontrollkameras in den Stoffkanälen senden zur selbstlernenden Optimierung des Algorithmus ein Feedbacksignal. So soll eine Sortierreinheit von über 90 % erreicht werden. Derzeit sind zwei Müllanalysemodule für Leichtverpackungen und Elektroschrott bei Kunden im Testbetrieb im Einsatz. Seit Ende 2021 gibt es zudem eine Kooperation mit dem Fraunhofer Entwicklungszentrum Röntgentechnik (EZRT), um gemeinsam Sensorik und Hardware zu entwickeln. Mit seiner Lösung hat das Würzburger Start-up in diesem Jahr den bundesweiten „Gründungswettbewerb – Digitale Innovationen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gewonnen.

Das Londoner Start-up Recycleye hat mit Unterstützung des Softwareriesen Microsoft und dem japanischen Roboter-Anbieter Fanuc einen KI-gesteuerten Abfallsortierroboter entwickelt. Er ist in der Lage, mit Computer Vision und maschinellem Lernen Materialien in 28 verschiedenen Klassen zu identifizieren. Dafür hat das Unternehmen selbst optische Sensoren entwickelt, die alle Anforderungen abdecken. Genutzt werden dafür Bildverarbeitungssensoren, wie sie auch in Smartphones Einsatz finden. Im Gegensatz dazu verwende die Industrie heute mehrere große, teure NIR-Sensoren, die einige Artikel übersehen können, so das junge Unternehmen. Mit Hilfe der Robotertechnologie von Recycleye können in 10 Stunden 33.000 Picks durchgeführt werden. Das Entsorgungsunternehmen Veolia will die Technologie der Engländer nun auch in Deutschland erproben.

Mit Greyparrot kommt ein weiteres Start-up aus Großbritannien, das den Abfallsortierprozess mit maschinellem Lernen und Computer Vision revolutioniert will. Das System besteht aus einer Überwachungseinheit, die nachträglich über den Förderbändern in Sortieranlagen montiert werden kann, und einem Live-Dashboard, das Informationen über die Abfallzusammensetzung in Echtzeit anzeigt. Außerdem können diese Daten in beliebige Computerprogramme und Sortiermaschinen von Drittanbietern eingespeist werden.

Mit den KI-analysierten Kamerabildern ist es derzeit möglich, 50 Abfallarten zu klassifizieren – und das mit einer Fehlerquote von unter 1 %. Dabei werden die Objekte anhand von Texturen, Farben, Formen, Reflexionen, Größen und Mustern erkannt.

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