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Die außerordentliche Kündigung

Emmely und ihre Folgen
Die außerordentliche Kündigung

Das Bundesarbeitsgericht hat sich klar positioniert: Verletzungen des Vertrauensverhältnisses können die umgehende Kündigung eines Arbeitnehmers rechtfertigen, bedürfen aber stets der Abwägung im Einzelfall.

Auch wenn die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nun schon einige Zeit zurück liegt(Urteil vom 10.06.2010, Aktenzeichen 2 AZR 541/09) so ist sie dennoch nach wie vor höchst aktuell und sollte, zumindest in ihrer Kernaussage, präsent sein.
In dem Fall wurde die Kündigung einer Kassiererin wegen der Unterschlagung zweier Pfandbons verworfen. Die unter dem Spitznamen „Emmely“ bekannt gewordene Berlinerin war nach 31 Dienstjahren fristlos gekündigt worden, weil sie Leergutbelege im Wert von 1,30 Euro unerlaubt für sich eingelöst hatte. Ihr Arbeitgeber, eine Supermarktkette, hatte den Schritt mit einem Vertrauensverlust begründet. Jetzt muss die damals 52-jährige Berlinerin wieder bei dem Supermarkt beschäftigt werden. Sie hatte eine bewusste Unterschlagung stets bestritten und während des Verfahrens andere Mitarbeiterinnen und ihre eigene Tochter beschuldigt, die Pfandbons eingelöst zu haben.
Der Zweite Senat entschied – entgegen der Vorinstanzen –, dass das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin durch das einmalige Fehlverhalten nach der langen Betriebszugehörigkeit nicht vollkommen aufgezehrt worden sei. Zudem sei die Schädigung relativ niedrig gewesen. Nach Ansicht des Senats hätte eine Abmahnung ausgereicht.
Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG ist eine Kündigung unabhängig vom Wert des Diebstahls, der Unterschlagung oder sonstiger Delikte zulässig, wenn das Vertrauen des Arbeitgebers zerstört und ihm unter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses daher nicht mehr zumutbar ist. Daran hielt das BAG auch in seinem neuen Urteil im Grunde fest. Umgekehrt sei aber „nicht jede gegen die Vermögensinteressen des Arbeitgebers gerichtete Vertragspflichtverletzung ohne Weiteres ein Kündigungsgrund“, betonten die Richter.
Strafrechtlich macht es keinen Unterschied, ob man Pfandbons im Centbereich, Maultaschen aus der Kantine (ArbG Lörrach 4 Ca 248/09, LArbG Freiburg 9 Sa 75/09) oder einen Satz Kopierpapier aus dem Materialschrank der Abteilung unerlaubterweise an und mit sich nimmt. Dem Grunde nach stellen dies Straftaten dar. Auch nach jahrzehntelanger, pflichtbewusster Tätigkeit erwirbt der Arbeitnehmer, sofern keine entsprechende Abrede besteht, keinen Anspruch auf solche „Kleinigkeiten“.Eine Kündigung ist jedoch keine Sanktion für vergangenes Verhalten, sondern das Ergebnis einer Prognose. Ist ein Zusammenarbeiten nicht mehr möglich, kann dieses durch eine Kündigung beendet werden. Eine vermögensbezogene Pflichtverletzung des Arbeitnehmers kann die Grundlage für solch eine Negativprognose sein.
Greift der Arbeitnehmer rechtswidrig zu, so schädigt er das Vertrauensverhältnis zwischen sich und dem Arbeitgeber, was – nach der grundsätzlichen Konzeption – ein an sich ausreichender Grund für eine Kündigung darstellen kann. Dieses kann beruht darauf, dass die Kündigung immer das letzte Mittel darstellt und der mit einem solchen Vorfall konfrontierte Arbeitgeber alle Umstände – angefangen bei dem Vergehen, dessen Intensität und Qualität, bis hin zu Dauer und bisherigem Verlauf des Arbeitsverhältnisses – miteinander abwägen und eine angemessene Lösung finden muss. Nur so kann er das Risiko umgehen, einen eventuellen Kündigungsschutzprozess zu verlieren. Insbesondere existieren keine Schwellenwerte, nach denen sich der Arbeitgeber richten kann.
Dies gilt umso mehr für den Fall der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung, die das drastischste arbeitsrechtliche Mittel darstellt.
Ein milderes Mittel stellt hierbei die Abmahnung dar, die auch das BAG vorliegend als vollkommen ausreichend und angemessen ansah. Man kann über die Argumentation des BAG trefflich streiten, insbesondere dann, wenn wie hier eine Arbeitnehmerin, die als Kassiererin durchgehend mit Geldmitteln in Berührung kommt, eine vermögensbezogene Pflichtverletzung begeht. Dies umso mehr, wenn sie drei Jahrzehnte lang sich hat nichts zu Schulden kommen lassen und nun beginnt, sich zu bedienen.
Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein langes und bisher ungetrübtes Arbeitsverhältnis bestand und nur ein geringer Schaden verursacht wurde. Natürlich kann auch weiterhin direkt gekündigt werden, jedoch ist es sehr wahrscheinlich, dass sich auch die unterinstanzlichen Gerichte der Ansicht und der Argumentation des BAG anschließen werden und die jeweilige Kündigung als unwirksam beurteilt wird (z.B. Kündigung wegen einer Scheinrechnung bei einer Feier zum 40-jährigen Dienstjubiläum, Schaden von 166 Euro: LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.09.2010, 2 Sa 509/10). Den sogenannten Bagatellkündigungen wird in Zukunft, nicht zuletzt wegen dem medialen Interesse, ein besonderes Augenmerk zuteil werden.
Somit bleibt als Fazit festzuhalten, dass es nach wie vor einer sorgfältigen und dem Einzelfall angemessene Beurteilung und Prognose bedarf, um die richtige Vorgehensweise zu finden. Sollte ein Betriebsrat bestehen, darf dessen Beteiligung natürlich auch nicht vergessen werden.
Rechtsanwalt Daniel Wuhrmann
Reusch Rechtsanwälte, Saarbrücken
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