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Die optimale Strategie

Formmessung auf Koordinatenmessgeräten
Die optimale Strategie

Das Scanning auf Koordinatenmessgeräten (KMG) ist eine der Schlüsseltechnologien des 20. Jh. im Bereich Fertigungsmesstechnik. Damit wurden die Voraussetzungen für die Erfassung von Maß-, Form- und Lageabweichungen KMGs geschaffen.

Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt, Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement am WZL, Leiter Mess- und Qualitätstechnik des Fraunhofer IPT Dipl.-Ing. Susanne Nisch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am WZL, Fertigungsmesstechnik, Expertin Koordinatenmesstechnik

Allerdings führt das Scanning, bedingt durch das dynamische Verhalten von KMGs, zu Effekten, die sich negativ auf das Messergebnis auswirken und die Messunsicherheit erhöhen. Am Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen werden daher zur Zeit praxistaugliche Strategien für den optimalen Einsatz von Koordinatenmessgeräten zur Formprüfung entwickelt.
Dank der Entwicklung des Scannings ist es möglich Formmerkmale, wie Rundheit, Geradheit und Ebenheit mit Koordinatenmessgeräten zu erfassen. Dadurch können Koordinatenmessgeräte flexibel für ein weites Bauteilspektrum, wie z.B. Getriebegehäuse und Motorblöcke, eingesetzt werden. Die mit dem Übergang von der Einzel- zur Vielpunktmessung (Scanning) verbundenen gerätespezifischen Eigenschaften von Koordinatenmessgeräten führen allerdings zu einer im Vergleich zu taktilen Formmessgeräten höheren Messunsicherheit [1].
Aufgrund der engen Toleranzen von Formmerkmalen (die von zehntel Millimeter bis hin zu wenigen Mikrometern liegen können) ist eine genaue Betrachtung der Einflussgrößen, wie z.B. der Geschwindigkeit, beim Scanning unerlässlich. Effekte wie die Reibung zwischen Werkstückoberfläche und Tastelement sowie die Wirkung der dynamischen Kräfte können das Messergebnis verfälschen (Bild 1). Dies kann zu Fehlentscheidungen bezüglich der Konformität und zur Nichterfüllung der Funktion eines Bauteils führen [2]. Andererseits wird der Einsatz des Scannings bei zu geringen Messgeschwindigkeiten unwirtschaftlich. Betrachtet man die Häufigkeit auftretender Formtoleranzen, die nach einer Studie des WZL ca. 15% aller Prüfmerkmale ausmachen, gegenüber dem derzeit notwendigen Aufwand für Formprüfungen von immerhin 50% der Gesamtmessdauer, so zeigt sich ein deutliches Optimierungspotential.
Methodische Analyse der Einflussgrößen
Um das Spannungsfeld zwischen Messunsicherheit und Kosten auflösen zu können, werden am WZL Strategien entwickelt, die es ermöglichen praxisgerecht und objektiv die optimale Strategie zur Formprüfung auf Koordinatenmessgeräten unter Berücksichtigung der Messunsicherheit einzusetzen. Ziel des durch die DFG geförderten Forschungsprojektes ist es, merkmal- und prüfaufgabenspezifische Messstrategien abzuleiten. Diese sollen zusammen mit der Weiterverarbeitung der Messdaten durch Filter und Ausreißerelimination eine in Hinblick auf Zeit und Genauigkeit optimierte Formprüfung auf Koordinatenmessgeräten ermöglichen.
Unter Anwendung statistischer Versuchspläne wurden in der ersten Projektphase grundlegende Zusammenhänge beim Scanning auf KMGs systematisch analysiert und quantifiziert. Vor allem die Scanninggeschwindigkeit, Messkraft, Punktedichte und Oberflächenbeschaffenheit haben sich als signifikante Einflussgrößen auf das Messergebnis herausgestellt. Zudem konnten bezogen auf die Scanning-Geschwindigkeit unterschiedliche Wechselwirkungen mit weiteren Parametern identifiziert werden, die eine mathematische Beschreibung der Zusammenhänge des Scanning erschweren. Am Beispiel der Wechselwirkung zwischen Scanning-Geschwindigkeit und Werkstückoberfläche (Formabweichung des realen Bauteils) kann dies verdeutlicht werden. Bei einer vergleichsweise größeren Formabweichung des realen Bauteiles steigt der Einfluss der Scanning-Geschwindigkeit auf die Messunsicherheit stärker als bei sehr glatten Oberflächen (Bild 1). Dies wird durch den Einsatz geeigneter Referenzkörper für die Formprüfung, die im Rahmen dieses Projektes entwickelt wurden, mit berücksichtigt (Bild 2).
Von der messtechnischen Erfassung der realen Geometrie bis zur Darstellung des aufgenommenen Messprofils und der Kennwertberechnung umfasst die Prozesskette der taktilen Formmessung mehrere Schritte. Die Veränderung des ursprünglichen Profils bzw. der wirklichen Oberfläche zeigt sich sehr deutlich am Beispiel des mechanischen Filters. Dabei wird das Signal der Werkstückoberfläche durch den Tastkugelradius geglättet. Man spricht auch von einer profileinhüllenden Kurve [3]. Aufgrund der komplexen Zusammenhängen und dem damit verbundenen Aufwand wird ein Modell zur Beschreibung der Prozesskette „Formmessung auf KMG“ erstellt. Dieses bildet die Grundlage für weitere Untersuchungen.
Entwicklung von Referenzkörpern
Grundlage für die messtechnische Untersuchung der Übertragungseigenschaften der Prozesskette „Formmessung auf KMG“ bilden Kombinations-Mehrwellennormale, die am Werkzeugmaschinenlabor in Anlehnung an die Richtlinie VDI/VDE 2221 [4] ausgelegt und konstruiert wurden.
Die speziell entsprechend der Anforderungen bei der Formprüfung auf Koordinatenmessgeräten entwickelten Normale verfügen über mehrere Funktions- und Referenzflächen. Neben strukturierten Flächen für Außen- und Innenrundheiten wurden erstmalig zusätzliche Funktionsflächen für Geradheits- und Ebenheitsmessungen vorgesehen. Durch die Überlagerungen mehrer sinusförmiger Wellen mit definierten Amplituden und Frequenzen wurde eine hohe Gesamtformabweichung erreicht, die das übliche Werkstückspektrum gut repräsentiert (Bild 2). Zudem wurden erstmalig Wellenstrukturen für Rundheit-, Geradheits- und Ebenheitsmessung an einem Prüfkörper implementiert sowie flexible Aufspann- und Ausrichtungsmöglichkeiten vorgesehen.
Modell für die Prozesskette
Anhand der modellbasierten Betrachtung der Prozesskette „Formmessung auf KMG“ wird ein Signalflussplan aufgebaut, der als Grundlage für weitere Analyse der Vorgänge sowie der Ableitung geeigneter Optimierungsstrategien dient (Bild 3). Durch Vorbetrachtungen können wesentliche Anforderungen definiert werden, die durch das Modell zu erfüllen sind. Zu den Anforderungen gehören Realitätstreue, Transparenz, Quantifizierbarkeit und Implementierbarkeit.
Das Modell besteht im Wesentlichen aus Übertragungsgliedern, deren spezifisches Übertragungsverhalten experimentell ermittelt wurde. Es ist in zwei Abschnitte unterteilt, Erfassung und Auswertung, die zur realitätsnahen Erstellung von Oberflächenprofilen dienen (Bild 3). Zur Nachbildung realer Vorgänge wurden zwei Hypothesen formuliert, die durch weitere Versuche verifiziert werden: Die vom Scanning-Prozess generierten systematischen Abweichungen können durch eine Übertragungsfunktion beschrieben werden (Hypothese 1) und zufallsbedingte Abweichungen verursachen ein rein normalverteiltes weißes Rauschen (Hypothese 2).
Praxisorientierte Anwendung
Aufbauend auf den ermittelten Zusammenhängen und dem definierten Modell für die Formprüfung auf KMGs (Bild 3) werden merkmalsorientierte Messstrategien abgeleitet, die eine objektive und zuverlässige Formprüfung auf Koordinatenmessgeräten ermöglichen. Diese bilden die Grundlage für ein modellbasiertes und zeitsparendes Simulationsverfahren, das eine optimal auf die Messaufgabe und das Messgerät angepasste Auswahl von Stellgrößen, wie der Scanning-Geschwindigkeit oder der Messpunktzahl bei der Formprüfung auf KMG generiert. Zukünftig soll es ermöglicht werden, mit vorhandenen Technologien kurze Erfassungszeiten bei gleichzeitiger Einhaltung der geforderten Messunsicherheit in der industriellen Formprüfung zu erreichen.
Literaturverzeichnis
[1] Weckenmann, A.; Gawande, B.: Koordinatenmesstechnik – Flexible Messstrategien für Maß, Form und Lage, 2. überarbeitet Auflage, Carl Hanser Verlag, München2007.
[2] Pfeifer, T.: Fertigungsmesstechnik, 2. überarbeitete Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2001.
[3] Richtlinie VDI/VDE 2631 Bl. 2 (Dez. 2001). Formprüfung. Bestimmung der Empfindlichkeit der Signalübertragungskette.
[4] Richtlinie VDI/VDE 2221 (Mai1993). Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme.
Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH, Aachen
QE 508
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