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Die Vertrauensfrage

Diskussion Dakks- versus Werkskalibrierscheine neu entfacht
Die Vertrauensfrage

Nach wie vor stehen Werkskalibrierscheine hoch im Kurs. Der Deutschen Akkreditierungs- stelle (Dakks) ist dies ein Dorn im Auge. Sie will darüber aufklären, dass nur Dakks-Scheine die nötige Sicherheit bieten. Gleichzeitig überrascht Dienstleister Melutec mit der Ansage, künftig nur noch Dakks-Kalibrierscheine auszustellen – zum Preis von Werkskalibrierscheinen.

„Werkskalibrierscheine halte ich für bigott“, schimpft Dr. Michael Wolf, Abteilungsleiter Metrologie bei der Dakks. „Die meisten Kalibrierlabore nutzen ihre Akkreditierung, um ihren Kunden kundzutun, dass sie von unabhängiger, dritter Stelle – also etwa von uns – als kompetent wahrgenommen werden. Doch sie arbeiten im Grunde die meiste Zeit außerhalb dieser Akkreditierung, indem sie Werkskalibrierscheine ausstellen. Das bedeutet, dass der Kunde nicht sicher sein kann, ob das Labor exakt die im Rahmen der Akkreditierung begutachteten Verfahren wirklich anwendet.“

Die Dakks schaut sich das Verhalten der Kalibrierdienstleister auf dem deutschen Markt seit Jahren mit Sorge an. Fakt ist: Nur rund ein Drittel aller Kalibrierlabore hierzulande sind überhaupt bei der Dakks akkreditiert, so Wolf. Diese Akkreditierung basiert auf der DIN EN ISO/IEC 17025, die das Managementsystem und die Kompetenz des Personals bewertet. Gültigkeit hat die Akkreditierung aber immer nur für bestimmte Messverfahren beziehungsweise Kalibriergegenstände, und diese Akkreditierung muss alle fünf Jahre erneuert werden, ergänzt um Überwachungen alle 18 Monate.
Die von den Laboratorien ausgestellten Dakks-Kalibrierscheine gewährleisten dem Endkunden, dass die Kalibrierungen mit rückgeführten Normalen durchgeführt worden sind. Dadurch ist gewährleistet, dass durch regelmäßige Auditierung, rückgeführte Normale, genau festgelegte Umgebungsbedingungen sowie speziell unterwiesenes Personal eine hohe Qualität bei der Kalibrierung gegeben ist.
Dies heißt allerdings nicht zwingend, dass ein Laboratorium, das etwa für die Kalibrierung von Drehmomentschlüsseln durch die Dakks akkreditiert ist, immer auch nach diesen Prozessen arbeitet. Im Gegenteil: Bezogen auf den jährlichen Umsatz realisiert Trescal, einer der großen Player der Branche, nach Angaben von Geschäftsführer Ullrich Grützner gerade mal 1,2 % mit Dakks-Akkreditierungen für externe Kunden und 1,6 % für interne Laboratorien. Das heißt, das Gros entfällt auf Werkskalibrierungen. Ähnlich liegt das Verhältnis zwischen Dakks- und Werkskalibrierungen bei Melutec.
Der große Unterschied laut Wolf: Werkskalibrierungen werden mit Normalen erstellt, die einer regelmäßigen internen Überwachung unterliegen, die Rückführung der dabei verwendeten Normale und Normalmesseinrichtungen ist über eine regelmäßige Prüfmittelüberwachung sichergestellt. Doch sie sind eben nicht mit rückgeführten Normalen erstellt. „Ja, zwischen einer Dakks- und einer Werkskalibrierung gibt es je nach Messgröße durch den Einsatz unterschiedlicher Referenzen mehr oder weniger Unterschiede, so zum Beispiel bei der Angabe der Messunsicherheit oder beim Dokumentationsumfang“, sagt Arnt König, Geschäftsbereichsleiter Vertrieb Calibration Management beim Kalibrierdienstleister Testo Industrial Services. „Zudem kann die Anzahl der Messpunkte differieren: Bei einer Dakks-Kalibrierung müssen nach den Dakks-Richtlinien zehn Punkte gemessen werden, bei einer Werkskalibrierung gibt es dazu teilweise keine Vorgaben. Diese Unterschiede kennen Kunden oft nicht. Hier besteht noch Aufklärungsbedarf.“
Dies sieht Wolf genauso – und mahnt die Endanwender, genauer hinzuschauen: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Frage ist, wie viel Vertrauen die Endanwender in eine Werkskalibrierung haben. Bei einem Kalibrierschein mit Akkreditierungssymbol haben sie die Sicherheit, nahe am nationalen Normal zu sein und damit genauere Messergebnisse zu erzielen.“
Trescal-Geschäftsführer Grützner schätzt die Lage anders ein: „Die meisten Kunden kennen den Unterschied sehr wohl – und für Messmittel, die zur Prüfung der Konformität von Qualitätsmerkmalen in der Fertigung eingesetzt werden, kann eine Werkskalibrierung durchaus ausreichend sein. Denn im Akkreditierungsverfahren weisen wir gegenüber der Dakks nach, dass wir unsere Tätigkeiten fachlich kompetent, unter Beachtung gesetzlicher sowie normativer Anforderungen und auf international vergleichbarem Niveau erbringen.“ Denn die DIN EN ISO/IEC 17025 lege im Abschnitt 4 Anforderungen für ein solides Management und im Abschnitt 5 Anforderungen zum Nachweis der technischen Kompetenz für Kalibrierungen fest, die das Kalibrierlabor durchführt. „Das heißt, akkreditierte Laboratorien haben den Nachweis erbracht, dass die Forderungen der Norm DIN EN ISO/IEC 17025 in ihrer Organisation umgesetzt sind“, argumentiert Grützner. „Außerdem ist der Kalibrierumfang bei einer Werkskalibrierung von dimensionellen Prüfmitteln nach der VDI/VDE/DGQ 2618 und bei elektrischen Prüfmitteln nach VDI/VDE/DGQ/DKD 2622 identisch mit den Dakks-Kalibrierrichtlinien. Unsere Kunden können davon ausgehen, dass der Nachweis zur messtechnischen Rückführung der Kalibrierungen auf das Einheitensystem SI sichergestellt ist.“
„Eine Sicherheit haben die Endanwender jedoch nicht“, stellt Wolf klar. „Ich unterstelle den meisten akkreditierten Laboratorien Honorigkeit. Doch gibt es leider auch genügend Beispiele für Unternehmen, die eben nicht immer nach den Vorgaben arbeiten.“
Konsequent ausgelegt, darf es nach der ISO TS 16949 nur Dakks-Kalibrierscheine geben
In den vergangenen Jahren hat sich laut Wolf die Zahl der durch die akkreditieren Laboratorien ausgestellten Dakks-Kalibrierscheine nicht erhöht. Doch könnte sich dies in Zukunft ändern – durch den Druck der Automobilindustrie, in der die Norm ISO TS 16949 als Qualitätsmanagementstandard gilt. Sie fordert dass ein externes Kalibrierlabor nach der DIN EN ISO/IEC 17025 akkreditiert sein muss. „Die Interpretation dieses Satzes ist jedoch sehr umstritten und unterschiedlich“, so König. „Würde man die Norm konsequent auslegen, dürften alle nach ISO/TS 16949 zertifizierten Unternehmen nur noch nach DIN EN ISO/IEC 17025 akkreditierte Kalibrierungen bestellen, das heißt nur noch Dakks-Zertifikate sind gültig.“ Diese Entwicklung bestätigt Grützner: „Die Forderung an Kalibrierlaboratorien, sich umfänglich für alle Messgrößen und alle Messbereiche akkreditieren zu lassen, steigt nicht zuletzt durch die ISO/TS 16949.“
Aktuell registriert Testo noch keine stärkere Nachfrage nach Dakks-Kalibrierzertifikaten. Ganz anders Melutec: „Immer mehr, vor allem international tätige Kunden aus der Automobilindustrie, der Raumfahrt und Nukleartechnik, verlangen Dakks-Kalibrierscheine“, erklärt Geschäftsleiter Kai Welle. „Sie legen die ISO TS 16949 eng aus und fordern auch für die jeweilige Messgröße eine Akkreditierung. In der Vergangenheit mussten wir wiederholt Kunden an andere Dienstleister verweisen, weil wir für bestimmte Kalibriergegenstände nicht akkreditiert waren.“ Aus diesem Grund stellt Melutec sein Geschäftsmodell komplett um und will künftig nur noch Dakks-Kalibrierscheine ausstellen (siehe auch unten „QE hakt nach“). Seit Juni hat das Unternehmen den Dakks-Stempel für 48 Messgrößen oder Kalibriergegenstände in den Bereichen Länge, Temperatur, Drehmoment und Waagen. Im nächsten Jahr sollen weitere 70 folgen. Gleichzeitig bricht Melutec mit der auch bei den Wettbewerbern üblichen Tradition, die Dakks-Kalibrierungen für bis zu 100 % über dem Preis für Werkskalibrierungen anzubieten: „Dakks-Zertifikate gibt es bei uns zum Preis von Werkskalibrierzertifikaten“, verspricht Welle.
„Ich begrüße das Vorgehen von Melutec aufs Energischste“, so Dakks-Abteilungsleiter Wolf. „Wir mischen uns zwar nicht in die Preisgestaltung der Unternehmen ein, dennoch haben wir eine eigene Ansicht zu den Gepflogenheiten der Laboratorien: Deren Geschäft wäre ehrlicher und besser, wenn sie wie Melutec – und so ist es auch in der Schweiz üblich – nicht zwischen Werks- und Dakks-Kalibrierscheinen unterscheiden würden.“
Trescal und Testo wollen ihr Angebot an akkreditierten Messverfahren und Kalibriergegenständen weiter ausbauen. „Die Akkreditierungen sind ein Nachweis für unsere Kompetenz“, so Testo-Manager König. Bei Trescal erfolgte Anfang Mai beispielsweise die Erstakkreditierung des mobilen Kalibrierlabors. „Darüber hinaus wollen wir für ausgewählte Messgrößen oder Messmittel DakkS-Kalibrierungen zum Preis der Werkskalibrierung anbieten“, sagt Grützner. Eine Kampfansage an Melutec?
Doch beide Kalibrierdienstleister wollen auch künftig nicht auf Werkskalibrierungen verzichten. Grützner führt als Gründe Kosten- und Effizienzgesichtspunkte an. Während eine einfache Dakks-Akkreditierung kostenmäßig kein Problem sei, stelle sich der Kostenrahmen bei einer alle Messgrößen und Messbereiche umfassenden Akkreditierung doch anders dar. Dadurch müssten auch für die Kunden die Kosten für die Kalibrierscheine steigen.
„Dieses Argument zieht eigentlich nicht, denn die Kosten für die Akkreditierung selbst fallen kaum ins Gewicht“, widerspricht Wolf. „Die eigentlichen Aufwände und Kosten entstehen in den Kalibrierlaboren intern durch Prozessverbesserungen etc. Insofern ist es auch nicht nachvollziehbar, dass Werkskalibrierscheine im Vergleich zu Dakks-Kalibrierscheinen günstiger sein sollen, wenn ein Unternehmen behauptet, dass es eh’ nach den Vorgaben arbeite. Da müsste man sich eher fragen, ob die Preise für Dakks-Kalibrierscheine nicht künstlich überhöht sind.“
Um allen Laboratorien und Kunden den Dakks-Weg zu ebnen, schlägt Wolf vor, den Endkunden für die Prüfmittelüberwachung im Rahmen der Akkreditierung unterschiedliche Levels mit unterschiedlichem Aufwand und damit auch Preisniveaus anzubieten. „Ich plädiere dafür: Nicht so gut wie möglich, sondern so gut wie nötig. Es müssen schließlich nicht immer goldene Wasserhähne sein, manchmal reichen auch schön verchromte.“ Diese Möglichkeit bestehe durchaus, jedes Kalibrierlabor dürfe heute schon im Rahmen der Akkreditierung mit einer etwas gröberen Messunsicherheit operieren als die akkreditierte kleinste angebbare. Doch werde dies am Markt kaum wahrgenommen und angeboten. Wolf: „Zugegeben, gewisse Grenzen sind gegeben, da häufig schon der Minimalaufwand Bestandteil der Akkreditierung ist, was an der Starrheit vieler Kalibrierungen liegt. Doch gilt es herauszufinden, ob dies der letzte Standpunkt ist. Im Rahmen von Normungsgremien muss man sich darüber unterhalten, was möglich ist. Hier müssen alle Beteiligten mehr Kreativität an den Tag legen.“ ■
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