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Echtzeitkontrolle von Bahnwaren

Hochautomatisierte High-Speed-Oberflächeninspektion
Echtzeitkontrolle von Bahnwaren

Im hochkomplexen Prozess der Feinpapierfertigung ist die äußerst zuverlässige und extrem genaue Qualitätskontrolle am schnell laufenden Band unumgänglich. Neue, modernste Bildverarbeitung hat beim Papierhersteller Sappi in Gratkorn den Prozess rationalisiert und Kosten reduziert.

Dipl.-Ing.Kamillo Weiß, Fachjournalist, Leinfelden-Echterdingen

Mit der ständigen Verbesserung der Eigenschaften von Papier, Kunststoffen, Geweben, Fliesen und Metallen haben sich die Erzeugnisse der Bahnwaren zu Hightechprodukten entwickelt. Die dabei erforderliche prozessorientierte kontinuierliche Qualitätskontrolle muss meist extreme Leistungsmerkmale erfüllen. Materialfehler, Löcher, Flecken, Falten, Verschmutzungen und vieles mehr, gilt es mit höchstmöglicher Erkennungssicherheit und hoher Auflösung in Echtzeit zu erfassen. Wie man mit einem neuen leistungsfähigeren Fehlerinspektionssystem den Prozess optimieren und erhebliche Kosten einsparen konnte, das zeigt dieses Beispiel aus der Papierindustrie besonders deutlich.
Die Aussage von Karl Weiss – verantwortlicher Projekt Manager für Electric & Automation im Sappi-Werk Gratkorn – bringt das Endergebnis so auf den Punkt: „Ein Jahr nach Inbetriebnahme des neuen Fehlerinspektionssystems von Cognex an der PM9 (Papiermaschine 9) erzielen wir alleine durch die damit erreichte Reduzierung der Papierabrisse Einsparungen die einem „pay back“ der Investition von unter einem halben Jahr entsprechen“.
Unter Rationalisierungsdruck
Von wahrhaft beeindruckenden Dimensionen sind die Papiermaschinengiganten im größten Produktionswerk des Sappi-Konzerns in Gratkorn bei Graz. Sie zählen zu den weltweit leistungsstärksten Papiermaschinen für Feinpapiere und bieten einen Ausstoß an der PM9 und PM11 von über 820000 Tonnen/pro Jahr. Einerseits gilt es die Druckindustrie mit kontinuierlich hoher Produktqualität zu beliefern, andererseits müssen die Maschinenverfügbarkeit und nacheinander folgenden Fertigungsprozesse in best möglicher Effizienz gestaltet werden. Durch mehrere nachträgliche Hochrüstungen der PM9 in den vergangenen Jahren wurde deren Kapazität deutlich gesteigert.
Anfang des Jahres 2001 entstand an der PM9 die Notwendigkeit höherer Anforderungen in der Qualitätskontrolle, die zudem in den gesamten hochautomatisierten Prozess nahtlos integriert werden musste. Die Feinrohpapiere mit einem Flächengewicht von 45–90 g/m² werden im 24h-Betrieb mit einer Geschwindigkeit von 1050 m/min auf einer Breite von 6500 mm produziert. Auf der anschließenden Papierrolle (Tambour) wird das Rohpapier mit einer Papierbahnlänge von etwa 60 km erfasst. Im nächsten Verarbeitungsschritt wird das Rohpapier mit einem Klingenstreichwerk beidseitig gestrichen. Ein Loch oder eine Faltung im Papier würde durch das Aufbringen der Streichfarbe und anschließendem Abstreifen mittels Blade bzw. Klinge zu einem Aufreißen und Abriss der Papierbahn führen. Deshalb erfolgt am Zwischenaggregat des Umrollers (UR91) die manuelle Fehlerbehebung von Löchern und Defekten durch Zukleben mit Papier.
Das vor der Papieraufaufrollung installierte bisherige Fehlerinspektionssystem für die Erkennung von lochartigen Fehlern (pinholes) im Papier konnte zwischen hellen Flecken – kontrastreiche Erscheinung von Wasser- oder Öltropfen – und Dünnstellen/ Löchern nicht eindeutig unterscheiden. Randfehler wie Einrisse oder Faltungen wurden nur sporadisch erkannt. Das nicht vorhandene fein differenzierte Erkennen von echten Fehlern und scheinbaren Fehlern ergab unnötig durchgeführte Stopps an der Umrollstation. Aus Zeit- und Steuerungsgründen ist die Anzahl der Stopps pro 60000 m Papiertrommel auf etwa 15 begrenzt. In der Vergangenheit wurden auf dem Papier alle 1000 m etwa 60 m lange Synchronmarken angebracht. An der Umrollstation konnte man deshalb nur mit einer Genauigkeit von etwa 50 m an den Fehler herangefahren. Im minutenlangen Kriechgang musste dann der Fehler manuell gesteuert in die 1 m breite Reparaturzone gefahren werden. Im Falle eines Abrisses am Umroller war man gezwungen im Blindflug bis zur nächsten Markierung weiter zu fahren, verbunden mit einem Papierverlust von bis zu 999 m. Eine Pufferung durch einen zweiten Umroller kam aus baulichen Gründen als auch erheblichem Investitionsaufwand nicht in betracht. All dies führte zu einem markanten Engpass im Fertigungsschritt der Fehlerbehebung am Umroller (UR91). Dieser Engpass und Abrisse an der folgenden Streichmaschine konnten die Reduzierung der Papier-Produktionsgeschwindigkeit notwendig machen.
Strategische Schritte
Die Analyse der Problembereiche führte zu einem Pflichtenheft mit folgenden Anforderungen an das neue Fehlerinspektionssystem.
– Mit hoher Sicherheit sind Öl- und Wasserflecken von Dünnstellen zu unterscheiden.
– Die Papierabrisse an der Streichmaschine um mindestens einen pro Tag zu verringern.
– Eine Umfangreichere, klare Darstellung der Fehlerklassen und genauere Fehlerposition sowie detailliertere Dokumentation für die Prozessrückkopplung zur PM9.
– Datenexport an das Firmennetzwerk.
– Vollautomatisch gesteuertes Anfahren der Fehlerposition am Umroller mit einer Genauigkeit unter ± 0,5 m.
– Höhere Systemzuverlässigkeit mit weniger elektronischen Bauteilen.
Auf der Suche nach einer Lösung von verschiedenen Anbietern waren die Leistungsmerkmale des SmartView-Systems von Cognex so beeindruckend, dass man im Februar 2001 zwei SV-Kameras testweise installierte. Die damit erzielten Resultate und das Systemkonzept dieser Lösung, bestehend aus Hochleistungs-Zeilenkamera mit leistungsstarker Bildverarbeitungssoftware und umfangreiche Bibliothek von Fehlermerkmalen, überzeugten. Hinzu kam die Eigenschaft der einfachen Bedieneroberfläche mit anspruchsloser parametrischer Programmierung.
Ende August 2001 wurde das alte System demontiert und das neue Komplettsystem von der Cognex SISD (Surface Inspection Systems Division) Karlsruhe während eines längeren Maschinenstillstandes installiert. 12 SmartView-Kameras mit jeweils 1024 Pixel Auflösung arbeiten zeitgleich, einschließlich der Kantenverfolgung, in der Kontrolle der 6,5 m breiten Papierbahn. Gearbeitet wird im Durchlichtverfahren, wobei aber die Bildverarbeitungssoftware viele weitere Möglichkeiten auch im Auflicht erschließt. Die theoretisch erzielte Messgenauigkeit beträgt pro Pixel 0,5 x 0,5 mm. Die praktische Messgenauigkeit arbeitet ab 1 mm² und an der PM9 wird mit einer Genauigkeit von 3 mm² gefahren. Die SV-Kameras bieten die enorm hohe Zeilentaktfrequenz von 40 MHz. Im Betrieb mit 1050 m/min Papierbahngeschwindigkeit wird mit 38000 Scans/Sekunde abgetastet, wobei die Scanfrequenz über die gefahrene Geschwindigkeit gekoppelt ist. Durch die 14 Bit Graubildnormalisierung und die Fähigkeit des Antiblooming (kein Überstrahlungseffekt) wird eine extrem feine und sichere Detektion geboten. (Normale Bildverarbeitung bietet 8 Bit mit 256 Graustufen oder 10 Bit mit 1024 Graustufen).
Sofort nach dem Anfahren der Papiermaschine war das System betriebsbereit und zeigte die gewünschten Resultate. Durch die Installation des neuen SmartView Fehlerinspektionssystem von Cognex mit seiner außerordentlichen Leistungsfähigkeit wurde die Erkennungsgenauigkeit um Klassen angehoben. Viele bislang nicht kontrollierte Fehlermerkmale wurden in den laufenden Prozess aufgenommen, Produktionsabschnitte erheblich beschleunigt und beachtliche Kosten eingespart.
Mit Details zu großer Wirkung
Die sichere und sehr feinfühlige Detektion unterscheidet nun Wasser- und Ölflecken eindeutig von Dünnstellen und Löchern. Die breit angelegte Klassifizierung der verschiedenen Fehlermerkmale wie Wasserflecken, Ölflecken, Kantendefekte, Materialfehler usw. wird im Bild festgehalten und dokumentiert. Mit einfacher parametrischer Programmierung kann ein Fehlermerkmal erweitert, modifiziert oder auch schnell neu aufgenommen werden. Die zentimetergenaue Positionsbestimmung auf der Papierbahn, ermöglicht die schnelle Reaktion auf die eigentlichen Ursachen und folgende Maschinenwartung. An den Wasserleitungen und hydraulischen Komponenten gibt es zum Beispiel immer wieder Leckagen, deren Auswirkung auf die Papierbahn durch das neue Fehlerinspektionssystem genau und rasch erkannt wird und damit die Ursache wesentlich schneller behoben werden kann. Durch die bessere und detaillierte Dokumentation der Fehler kann sowohl der Eingriff in den Prozess der Papierherstellung als auch die Reklamationsbehandlung durch die ausführlichere Informationsbasis effizienter gestaltet werden. Dazu bemerkte Karl Weiss: „Das Generieren zusätzlicher Informationen bewirkte eine engagiertere Arbeitsweise des Maschinenbedienpersonals.“
Von ganz besonderer Bedeutung für das Werk Sappi in Gratkorn hat sich die komplette Neuentwicklung der Umrollersteuerung in direkter Kopplung mit dem neuen Fehlerinspektionssystem von Cognex erwiesen. Diese gemeinsame Lösung ist wohl derzeit einzigartig in der Papierindustrie. Noch vor der Installation des Fehlerinspektionssystems hat Cognex den Entwickler wochenweise nach Gratkorn geschickt um die kompletten Verfahrensabläufe und -schritte in Zusammenarbeit mit dem Bedienpersonal der PM9 in best möglicher Weise auf die technischen Möglichkeiten der Anlage abzustimmen. Hier schlug sich das umfangreiche Know-how und die Erfahrung von Cognex als Weltmarktführer industrieller Bildverarbeitung deutlich nieder.
Für die neuen Synchronmarken wurde ein spezieller, berührungsloser Kodierdrucker an der PM9 installiert. Mit dieser Cognex-Variante wird nun alle 10 m eine Synchronmarke aufgebracht. Das hat zu einer extremen Verbesserung der Positionsbestimmung von Fehlern geführt. Des weiteren können Gruppen zusammengefasst oder bei Bedarf künstliche Haltepunkte addiert werden. Die erreichte Genauigkeit in der Positionsbestimmung längs der Papierbahn wird nun mit ± 10 cm angegeben, wobei es aber noch erheblich genauer gehen kann. Nun werden die über 30 Tonnen schweren Tamboure vollautomatisch mit steiler Steuerrampe schnell und exakt in die nur 1 m breite Ausbesserungszone gefahren. Das verkürzt in der Umrollstation die Manipulationszeit pro Fehler um etwa 30 Prozent. Der Flaschenhals und Produktions-Bremsfaktor Umrollstation hat seine negative Bedeutung verloren.
Durch die Erfahrungen bei Sappi ist Cognex jetzt in der Lage die Umrollsteuerung als ausgereifte Lösung für andere Anlagen zügig in Betrieb zu nehmen.
Ein Jahr nach der Inbetriebnahme des neuen Fehlerinspektionssystems an der PM9 gelten die anvisierten Ziele des Pflichtenheftes als realisiert. Mit der Minimierung der Abrisse um einen pro Tag gilt dies als stärkster Faktor in der Amortisation des neuen Inspektionssystems.
Die guten Erfahrungen und zuverlässigen Ergebnisse mit dem SmartView-System von Cognex haben bereits eine weitere kleine Installation an der derzeit weltweit größten Papiermaschine bei Sappi Gratkorn bewirkt. Das Fehlerinspektionssystem an der PM11 wurde mit einer SV-Kamera nachgerüstet um die Kante der Papierbahn präzise auf Faltenbildung zu prüfen.
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