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EFQM-Forum Budapest

Zaghafte Suche nach Europas Chancen durch Globalisierung
EFQM-Forum Budapest

BMW Group Chassis and Driveline Systems Production, Grundfos A/S, TNT Express GmbH und St. Mary’s College Londonderry gewinnen den EEA – Auszeichnungen gingen an Knorr-Bremse und T-Systems Multimedia Solutions aus Deutschland, General Motors Powertrain Ungarn, Sociedad Cooperativa De Enseñanza Colegio Vizcaya aus Spanien, TNT Express Estonia und Villa Massa aus Italien.

Birgit Otto, BSc M.A. BO Consult Ostfildern

Man könnte geneigt sein, das diesjährige EFQM Forum, das vom 6. bis 8. November 2006 in Ungarns Hauptstadt Budapest stattfand, als Symbol für die bedenkliche Lage zu begreifen, in der sich Europa angesichts der rasanten weltweiten Veränderung befindet. Noch immer kauen wir am Mauerfall 1989, der unserem beschaulichen Leben auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ein drastisches Ende bereitete.
Nur zögerlich sind wir bereit anzuerkennen, dass sich im Osten nicht nur neue Märkte aufgetan haben, sondern dort auch Menschen leben, die in großen Schritten nach Wohlstand streben. Jener Wohlstand, über den viele im Westen vergaßen, dass es sich dabei nicht um einen wohligen Naturzustand, sondern um das Ergebnis von Leistung und Risikofreude handelt.
Wie schwer es ist, aus eigener Kraft den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Turnaround zu schaffen, konnten die Teilnehmer des EFQM-Forums in Budapest mit eigenen Augen sehen. Dem Palast der Künste, mit modernem Tagungs-, Konzert- und Kulturzentrum und perfekter Technik stehen bröckelnde Fassaden im Stadtzentrum entgegen. Durch die Straßen rumpeln in die Jahre gekommene Straßenbahnen, die vermutlich nur Touristen in nostalgische Verzückung versetzen. An den Auslagen der Edelboutiquen in der Fußgängerzone schleichen Menschen vorbei, deren erste Sorge sicherlich nicht einer Designertasche gilt.
Ungarn kämpft hart – und das taten auch die ungarischen Partner der EFQM als Ausrichter des Forums, wenngleich nicht immer erfolgreich. Kein guter Start, wenn viele Gäste statt bei einem Glas Wein beim Empfang im ungarischen Parlament am Vorabend der Konferenz alte Bekanntschaften aufzufrischen und neue Verbindungen zu knüpfen, sich bei eisigem Wind am Donauufer einer unzureichenden Sicherheitsprozedur ausgesetzt sahen. Wer es nach zwei Stunden durch das Nadelöhr des einzigen Röntgengeräts geschafft hatte, wurde mit einer Zeremonie zur Verleihung des ungarischen Qualitätspreises belohnt, ohne Übersetzung nur für Sprachenthusiasten ein Vergnügen.
EFQM-Excellence Award
Das zweitägige Forum, das die EFQM nun schon traditionell um die Vergabe der Auszeichnungen für den EFQM-Excellence Award (EEA, früher: European Quality Award, EQA) veranstaltet, war die zweite von drei konzeptionell verbundenen Veranstaltungen. Die erste, das EFQM Forum 2005 in Cardiff, hatte die Teilnehmer mit provokanten Paukenschlägen wachgerüttelt: Die Zukunft, so der Tenor, ist asiatisch – China, Indien. Und: die Zukunft ist individuell, lifestyle bestimmt – und sie kommt mit einer solch ungeheuren Geschwindigkeit, dass uns Hören und Sehen vergeht.
Der zweite Teil dieses EFQM-Dreiteilers, das Budapester Treffen, sollte erste Antworten darauf geben, wie die in Cardiff aufgezeigt Trends in Chancen für Europa umgemünzt werden. Der ganz große Wurf ist daraus nicht geworden, wenngleich in den Vorträgen, parallelen Workshops und Best-Practice-Marktplätzen Ideen aufblitzten, die zum Weiterdenken anregten. „Nicht überrascht werden, sondern überraschen!“ empfahl der Wirtschaftsautor Dr. Jonas Ridderstrale. In seiner gekonnt choreografierten Rede reduzierte er manche Anregung auf ein pointiertes Bild. Was im Gedächtnis blieb, sind einige Trends, von denen wir uns in Europa laut Ridderstrale nicht überraschen lassen sollten.
Talentemagnet USA
Individualismus sei der einzige „Ismus“, der im 21. Jahrhundert überlebt hat. Die Auswirkungen seien vielfältig. So nähme etwa die internationale Migration zu, eine besonders für Europa schwierige Entwicklung. „Die USA sind und bleiben der stärkste Magnet für Talente aller Art. Warum? Weil man zum Amerikaner werden kann, indem man auf eine Verfassung schwört, während man Europäer ist, weil man aus einem bestimmten Land stammt.“ Angela Merkel hätten die Ohren geklungen: Für die erfolgreiche Vermarktung Europas in der globalen Welt sei eine Euro-Vision dringend erforderlich.
Auch werde der ökonomische Faktor Frau zu wenig genutzt. So habe ein Test in den USA das folgende geschlechtsspezifische Einkaufsverhalten ergeben: Männer und Frauen erhielten die Aufgabe, in einer Einkaufsmeile eine vorgegebene Anzahl von Artikeln zu kaufen. Das Ergebnis: Die Männer benötigten hierzu im Schnitt 26 Minuten und gaben 33 Dollar aus. Die Frauen benötigten 2 Stunden und 56 Minuten und gaben 870 Dollar aus. Ridderstrales Fazit: „Wer sich klar macht, dass Frauen nicht einfach kleine Männer in rosa sind, kann wirklich Kasse machen!“ Doch er ging noch einen Schritt weiter. Für ihn ist der Trend einer „EVELOTION“, einer Verweiblichung unserer Gesellschaft, unverkennbar. Steigende Umsätze in der Männerkosmetik, androgyne Kleidung und die Enttabuisierung der Homosexualität im öffentlichen Leben sprächen eine klare Sprache. Auch die Deregulierung aller Märkte sei ein Faktum. Insbesondere im virtuellen Marktplatz des Internets, diesem Informationsdschungel, stünden Preis und Leistung ständig auf dem Prüfstand.
No payback in playback
Einen scharfen Pfeil schoss Ridderstrale auf die Anhänger des Benchmarking ab. Diese Methode passe erstens in eine Zeit sorgfältig definierter Märkte und planbaren Verbraucherverhaltens und sei zweitens zum bloßen Nachahmen verkommen. „Nachahmen ist menschlich. So lernen wir schließlich. Aber das macht uns nicht einzigartig, und genau das müssen Unternehmen sein, wenn sie in Zukunft erfolgreich sein wollen.“
Einzigartigkeit erzielt man mit Produkten und Leistungen, die eindeutig benutzerdefiniert hergestellt und vertrieben werden. „Zielen Sie darauf ab, für Ihr Unternehmen ein kleines Monopol in Zeit und Raum zu schaffen,“ rief Ridderstrale den etwa 2.500 EFQM-Forum Teilnehmern zu, auch wenn Sie sich darüber im klaren sein müssen, dass es vermutlich nur eine kurze Zeit oder nur in einem bestimmten Raum unangegriffen bleiben wird.“ Die Kennzahl lieferte er seinem Q-getrimmten Publikum gleich mit: ETBS = Expected time between surprises (Erwartete Zeit zwischen Überraschungen)!
Effizienz und Wandel im Doppelpack
Am zweiten Tag griff der Schweizer Stephane Garelli den Faden auf: „Effizienz allein ist kein Erfolgsgarant mehr,“ argumentierte er, „sondern ein Bündel von Kompetenzen, das neben Effizienz gleichwertig die Fähigkeit zum Wandel beinhaltet.“ Das sei nicht unmöglich, schließlich mache jeder menschliche Körper es uns vor, dessen Zellen sich ein Leben lang innerhalb von drei Jahren komplett erneuerten. Wie also sieht die europäische Zukunft aus Garellis Sicht aus? „Höheres Markt- und Produktionsrisiko und nirgendwo eine Nische, in der man es sich bequem machen kann!“
Was Jean Paul Sartre einmal sarkastisch über den Fußball konstatiert hatte, gelte auch für die Wirtschaft, rief der Professor an der Universität Lausanne seinen Zuhörern zu: „Alles wird durch das andere Team so kompliziert!“ Dinge, die das Spiel verkompliziert hätten, seien der ungeheure Rohstoffhunger Chinas, das überbordende US-Defizit (das mit japanischem, chinesischem, koreanischem und russischem Geld finanziert werde – „Bushs Gehalt wird von Peking bezahlt!“) in Folge der Öffnung des Weltmarkts nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Auch wenn wir es nach 16 Jahren immer noch nicht richtig wahr haben wollten. Das Spiel sei ein anderes geworden: Die BRIC-Staaten, Brasilien, Russland, Indien, China, schickten neue Teams ins Spiel und zwar mit einem klaren Ziel: Aufholen, um zu Überholen. Das dies gelinge, zeigten jährliche Steigerungsraten, von denen europäische Politiker nicht mal zu träumen wagten. Investitionen zögen gen Osten, Menschen gen Westen. Die Verstädterung nähme weiter zu (60% der Weltbevölkerung lebt bereits heute in Städten), ebenso die Vergreisung (Zwei Drittel aller Menschen, die jemals über 65 Jahre alt geworden sind, leben hier und heute).
In diesen Trends liegen für den Schweizer Professor auch Chancen: zielgruppengerechte Produkte, verringerte Komplexität, kostengünstigere Produkte für ärmere Märkte. Dennoch: es bleibe ein Problem: das unglaubliche Gefälle der Arbeitskosten für Geisteskraft (nicht wie in der Vergangenheit Muskelkraft). „Wofür Sie in Deutschland 32,50$ bezahlen, legen Sie in Indien nicht einmal 0,5$ hin“, so Garelli. Erschwerend käme hinzu, dass nach Bereinigung von Anfangsschwierigkeiten, an vielen Stellen des Globus die gleiche Produktivität zu erzielen sei. Wenn man Firmen wie IKEA, Easyjet, amazon.com, Dell oder ebay betrachte, dann sei klar, was daraus folgt. Der Hersteller, der einst alles selbst machte, hole nach dem großen Outsourcing an Lieferanten und Partner nun zum nächsten Schlag aus: Outsourcing an den Kunden, oder aus Sicht des Kunden: do it yourself!
Hohe Preise für Emotionen
Ein solches System sei natürlich preisgetrieben. Es sei denn, es gelänge, statt eines Produkts wirklich eine Erfahrung zu verkaufen. „Dass Kunden dafür bereit sind, tief in die Tasche zu greifen,“ rief Garelli seinen Zuhörern ins Gedächtnis „zeigen die ungeheuerlichen Preise für eine Tasse Kaffee auf dem Markusplatz in Venedig und die schon sehr beachtlichen 6 Euro für einen Espresso im Hard Rock Café.“
TQM ist tot
Wenn Sie wachsen wollen, dann gehen Sie nach China,“ brachte es Prof. Shoji Shibya, der Dritte im Bunde der Redner für das Plenum auf den Punkt. „Wenn nicht, dann müssen Sie unbedingt die alten Paradigmen in Frage stellen, die für die komfortable Zeit des Kalten Krieges galten.“ Zum Beispiel diejenigen von berechenbaren Kundensegmenten und Marktanteilen, die vielen TQM-Methoden zugrunde lägen.
Was heute zähle, seien Managementstrukturen, in denen permanente Umbrüche und Wechsel normal seien. Breakthrough Management nennt es der Japaner und preist im gleichen Atemzug sein gleichnamiges Buch an.
„The Pact for Leadership“
Angesichts dieser Trends will die EFQM in Zukunft aktiver auftreten. Hierzu hat sie den „Pact for Leadership“ gegründet, dessen Mitglieder sich in einer Podiumsrunde vorstellten. Im Pact arbeiten die Chefs von BMW, EDF, Grundfos, Philips, Solvay, Unilever persönlich an Projekten, durch die Excellence Gedanken in die Köpfe der europäischen Manager und durch die Wertschöpfungskette gelangen und mit Innovation verknüpft werden. Die EFQM wird mit Runden Tischen für die Top Manager diese Diskussion fördern, ihnen Lernmöglichkeiten bieten und allen EFQM Mitgliedern die gewonnene Erkenntnis in Form von vorbildhaften Fallbeispiele zuteil werden lassen.
Kleiner Schönheitsfehler: Das in Budapest ausschließlich männlich-nadelstreifig-kaukasisch besetzte Pakt-Podium stand in krassem Widerspruch zu den von Jonas Ridderstrale herausgearbeiteten Trends über erfolgreiche, gemixte Teams der Zukunft. Doch man beginnt, diesen Startfehler mit der Aufnahme der TNT Express Präsidentin, Marie-Christine Lombard, auszubügeln. Wir warten gespannt, auf noch buntere Vögel in der Paktrunde und wirklich revolutionäre Lösungsansätze beim letzten Teil der Forumstrilogie, vom 1. bis 3. Oktober 2007 in Athen.
Querbeet von den Besten lernen
An beiden Konferenztagen hatten die Teilnehmer auch Gelegenheit, in Parallelveranstaltungen vorbildliche Verfahren kennen zu lernen und beim Marktplatzformat (parallel laufende Kurzvorträge) im EEA erfolgreichen Organisationen über die Schulter zu schauen. Die Vielfalt ist einmalig bei EFQM. Wo sonst kann man die Erfolgsgeschichten der nordirischen Mädchenschule St. Marys, der international tätigen TNT Express GmbH aus Deutschland, des dänischen Pumpenherstellers Grundfos und des ungarischen Zweiges der EON innerhalb von eineinhalb Stunden erfahren und sich mit denen unterhalten, die es wirklich gemacht haben und zwar in einer Sprache, die alle verstehen: „EFQM-lisch“?!
27 Finalisten, 4 Preisträger 10 Auszeichnungen
Die feierliche Preisverleihungszeremonie für den diesjährigen EFQM-Excellence Award (EEA) fand am Abend im pittoresken Eisenbahnmuseum am Rande Budapests statt. Es bot einen schönen Rahmen, um beim ausgiebigen, schmackhaften Festmenü mit ungarischem Weinen, garniert mit Csardas, Geigenmusik und Volkstänzen und Grußworten politischer Amtsträger alte Freundschaften aufzufrischen und neue Bekanntschaften zu machen. Angesichts der vielen Programmpunkte, die das ungarische Komitee ersonnen hatte, ging die eigentliche Verleihung fast ein wenig unter, dabei gab es so viele Preise wie nie zuvor:
Großunternehmen:
  • BMW Group Chassis and Driveline Systems Production, Deutschland; Preisträger und Auszeichnung für Führung
  • Grundfos A/S, Dänemark Preisträger und Auszeichnung für CSR und Mitarbeiterentwicklung
  • TNT Express GmbH, Deutschland Preisträger und Auszeichnung für Kundenorientierung
  • Knorr-Bremse Europe, Deutschland Auszeichnung in Ergebnisorientierung
  • T-Systems Multimedia Solutions GmbH, Deutschland Auszeichnung in Mitarbeiterentwicklung
  • General Motors Powertrain Ungarn Auszeichnung für Prozesse und Fakten
Öffentlicher Sektor, kleinere und mittlere Unternehmen:
  • St. Mary’s College, Nordirland Preisträger und Auszeichnung für Partnerentwicklung
  • Sociedad Cooperativa De Enseñanza Colegio Vizcaya, Spanien Auszeichnung für Lernen & Innovation
  • TNT Express Estonia Auszeichnung für Kundenorientierung
  • Villa Massa, Italien Auszeichnung für Kundenorientierung
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