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Ein schmutziger Vergleich

VDA 19 stellt neue Anforderungen an die Mikroskopie
Ein schmutziger Vergleich

In vielen Branchen ist die technische Sauberkeit funktionsrelevanter Bauteile ein Kriterium für Qualität. Die Automobilhersteller und ihre Zulieferer orientieren sich dabei an der VDA 19. Sie ist überarbeitet worden – und damit werden die mikroskopischen Messergebnisse für die Partikelverunreinigungen vergleichbar.

„Die technische Sauberkeit ist mittlerweile bei vielen Bauteilen zu einem Standardmerkmal auf Konstruktionszeichnungen geworden, ähnlich wie etwa die Oberflächenrauhigkeit“, sagt Volker Burger, Geschäftsführer von Cleancontrolling, einem Prüflabor für Restschmutz- beziehungsweise Sauberkeitsanalysen. „Kein Wunder, denn Partikelverunreinigungen können schließlich im Extremfall zum Ausfall etwa von Bremssystemen führen.“

Aus diesem Grund hat sich Automobilindustrie mit ihren Zulieferern bereits 2001 mit der VDA 19 auf ein Rahmenwerk für die Prüfung der technischen Sauberkeit geeinigt. Deren Gedankengut in der Zwischenzeit auch von anderen Branchen adaptiert worden.
Doch seit 2001 haben sich die Anforderungen an die technische Sauberkeit funktionsrelevanter Bauteile im Automobil deutlich erhöht. „Es wurden in den Fahrzeugen immer mehr sensible Systeme eingeführt, forciert vor allem durch Kraftstoffeinsparung und Downsizing von Motoren“, erklärt Burger.
Dadurch ist die Zahl der notwendigen Analysen drastisch in die Höhe gegangen: Cleancontrolling zum Beispiel führt am Tag circa 60 Analysen durch, gestartet ist das Unternehmen vor zehn Jahren mit einigen wenigen Beprobungen am Tag. Insgesamt gibt es in Deutschland nach Schätzungen des Fraunhofer IPA rund 40 Dienstleister für das Thema technische Sauberkeit. „Doch nur fünf bis zehn Prozent aller Analysen werden von Dienstleistern durchgeführt, der große Rest verteilt sich auf Labore der Automobilhersteller und ihrer -zulieferer“, sagt Markus Rochowicz, Gruppenleiter Kontaminationskontrolle am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.
Dazu muss man wissen: Bei der Prüfung der Technischen Sauberkeit handelt es sich um eine indirekte Prüfung, die einen Probenahmeschritt erfordert. Denn die relevanten Flächen von funktionskritischen Teilen liegen oft in Innenbereichen von Leitungen, Kanälen, Gehäusen, Tanks, Pumpen, Ventilen oder ähnlichen Komponenten, in denen häufig Fluide gefördert werden, die Partikel an empfindliche Stellen von Systemen transportieren können. Diese Innenflächen sind meist nicht für eine direkte taktile oder optische Inspektion zugänglich. Außerdem eignet sich ein Großteil der Oberflächen aufgrund von Material, Rauheit und mangelndem Kontrast zu den Partikelverunreinigungen nicht für eine optische Inspektion.
Deshalb sind für Analysen der Technischen Sauberkeit zunächst Extraktionen notwendig. Dabei werden die Partikel im ersten Schritt über einen Laborreinigungsschritt vom Prüfteil abgereinigt. Anschließend erfolgen die Filtration des kompletten Extraktionsmediums und die Abscheidung der vom Bauteil extrahierten Partikel auf einem Analysefilter, der dann der eigentlichen Analyse – meist unter dem Mikroskop – zugeführt wird.
Die große Krux in der Vergangenheit: „Die Messergebnisse waren nur sehr schwer miteinander vergleichbar, die Anzahl der gezählten Partikel lag je nach Labor, Mikroskop und Bediener um den Faktor 2 bis 3 auseinander“, so Rochowicz. „Deshalb kam es immer wieder zu Diskussionen über unterschiedliche Analyseergebnisse, die oftmals nicht mehr nachzuvollziehen waren beziehungsweise einer zeitaufwändigen Aufarbeitung bedurften“, sagt Nicol Ecke, Teamleaderin Sales Industry Application bei Leica Mikrosystems. „Weltweit tätige OEMs und Zulieferer können aber nicht jeweils in den Laboren etwa in China oder Brasilien anrufen, um in Erfahrung zu bringen, wie die Mikroskope genau eingestellt waren“, fügt Rochowicz hinzu.
Je nach Beleuchtung und den Schwellwerten für die Grauwerte in den Mikroskopen schwankten die Ergebnisse. Rochowicz: „Da gab es einfach zu viele Parameter, die manuell eingestellt werden konnten. Beziehungsweise es gibt Mikroskope, bei denen der Bediener Helligkeit und Schwellwerte selbst festlegt, und andere, bei denen dies automatisiert erfolgt.“
Deshalb lag ein Hauptaugenmerk bei der Überarbeitung der VDA 19 darauf, die Vergleichbarkeit der Mikroskop-Ergebnisse bei standardisierten Sauberkeitsanalysen zur Ermittlung von Grenzwerten sicherzustellen.
Entstanden ist die neue VDA 19 unter der Leitung des Fraunhofer IPA im Industrieverbund Technische Sauberkeit 2.0 (Tecsa). Ihm gehören die Fahrzeughersteller Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen an, außerdem 19 Zulieferbetriebe, 15 Dienstleister und Hersteller von Geräten und Anlagen für Sauberkeitsanalysen – darunter die Mikroskop-Hersteller Jomesa, Leica und Zeiss – sowie drei Verbände. Das Ergebnis liegt derzeit als sogenannter Gelbdruck vor. Das heißt, derzeit werden noch die letzten kleinen Änderungen eingearbeitet, bevor dann im April 2015 die endgültige Fassung als Rotdruck erscheint.
Konkretisiert wurden in dem neuen Regelwerk folgende Punkte für die Standardanalysen mit Lichtmikroskopen:
  • Der Schwellwert zur Erfassung der Grauwerte wird in Abhängigkeit vom Helligkeitswert festgelegt.
  • Neue Größenklassen: Während vorher alle Partikel ab 1000 µm in der Klasse K zusammengefasst wurden, bieten hier nun die neuen Klassen K (1000…1500 µm), L (1500…2000 µm), M (2000…3000 µm) und N(≥ 3000 µm) eine feinere Aufschlüsselung. „Partikel unter 50 µm sind dagegen in der allgemeinen Praxis nur selten von Interesse und deshalb nicht mehr Teil einer Standardanalyse“, sagt Sven Grüner, Entwicklungsingenieur beim Mikroskop-Hersteller Jomesa.
  • Kriterium für die Auswertbarkeit: Sind Filtermembranen so stark belegt, dass Partikel zusammen und übereinander liegen, lassen sie sich – auch manuell – schwer beziehungsweise gar nicht zählen. Weil automatische Zähler aber stets ein Ergebnis liefern – das in diesem Fall falsch wäre – wurde mit der maximalen Flächenbelegung ein Kriterium für die Auswertbarkeit definiert: Je nach Membranart gilt ein Filter mit mehr als 3 % Flächenbelegung nicht mehr als zuverlässig auswertbar. Diese Information kann jeder automatische Zähler einfach ermitteln und zusätzlich zum Messergebnis darstellen.
  • Vermessung von Textilfasern: „Sie kommen überall vor, wo sich Menschen bewegen, selbst im Reinraum“, erklärt Rochowicz. „Sie sind meist nicht kritisch für die Bauteile, werden aber von den Partikelzählern mitgezählt und verfälschen entsprechend das Analyseergebnis. Deshalb wurde mit der „gestreckten Länge“ speziell für Fasern eine Dimension eingeführt, die deren Länge besser wiedergibt als der bisherige maximale Durchmesser Feretmax. Darüber ist nun auch die Fasererkennung definiert: Eine Faser gilt als solche, wenn ihre gestreckte Länge mindestens das 20-fache des Flächeninkreises beträgt. Fasern sind außerdem per Definition nicht breiter als 50 µm.
„Durch diese Vereinheitlichungen betragen die Abweichungen zwischen den Analyseergebnissen künftig nur noch zwischen zehn und 20 %“, ist Rochowicz sicher. Ganz zufrieden ist er dennoch nicht, denn innerhalb des Tecsa konnte man sich nicht auf die Erkennung von metallisch glänzender Objekte einigen.
„Die Klassifizierung metallisch glänzender Objekte am Lichtmikroskop hängt von vielen technischen Faktoren ab“, argumentiert Jati Kastanja, Produktmanagerin bei Zeiss. „Eine eindeutige Identifizierung kann nur auf Basis weitergehender Analyse erfolgen, zum Beispiel mittels Rasterelektronenmikroskopie mit Mikrobereichsanalyse.“
Für diese weitergehenden Analysen – wenn Partikel erkannt werden, die weitere Maßnahmen wie Eskalation auslösen – hinsichtlich Materialbestimmung oder 3D-Geometrie-Erfassung – sind in der neuen VDA 19 außerdem neue Techniken erlaubt: Dies sind Methoden wie LiBS, Raman- oder IR-Spektroskopie, lichtoptische Partikelhöhenbestimmung und Mikro-Computertomografie.
Die Vorgaben für die Standardanalysen setzen die Mikroskop-Hersteller nun um. Hardwareseitig, also Mikroskop und Kamera, ist dies laut Leica-Expertin Ecke kein Thema. Es geht vielmehr um die Software. „In unserer Analysensoftware sind bereits alle notwendigen Umstellungen vorgenommen worden, das betrifft vor allen Dingen ergebnisrelevante Parameter wie die Einstellung der Bildhelligkeit mittels Histogramm Maximum und das Festlegen eines relativen Schwellwerts“, so Ecke.
„Alle unsere Systeme, die im vergangenen Jahr installiert oder gewartet und damit aktualisiert wurden, sind bereits fähig zur Standardanalyse nach der neuen VDA19“, sagt Jomesa-Experte Grüner.
Bei Zeiss heißt es, dass die Axio Vision Particle Analyzer technisch gesehen alle Anforderungen erfüllen. Nun führe man noch neue, auf die Anforderungen der überarbeiteten VDA 19 zugeschnittene Arbeitsabläufe ein, so Kastanja. Diese werde man auf der Messe Parts2clean im Juni präsentieren.
„Unternehmen, die nach der neuen VDA 19 arbeiten wollen, sollten die Hersteller konkret fragen, ob ihre Software entsprechende Updates erhalten hat“, rät Rochowicz. ■
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