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Einblick mittelsDurchblick

Industrielle Computertomographie
Einblick mittelsDurchblick

Die Computertomographie entwickelte sich in der Medizin seit ihrer Einführung in den siebziger Jahren zu einem herausragenden Werkzeug der bildgebenden Diagnostik. In den letzten Jahren erfolgte der Einzug dieser Technologie ebenfalls in den Bereich der zerstörungsfreien Materialprüfung.

Dr. Olaf F. Günnewig, Qualitätszentrum Dortmund GmbH & Co. KG

Mittlerweile ist die industrielle Computertomographie (CT) ein anerkanntes Messverfahren zur Charakterisierung der inneren Struktur von Komponenten und Bauteilen. Analog zum medizinischen Verfahren besteht die Messung darin, das Objekt aus einer Vielzahl unterschiedlicher Richtungen zu durchstrahlen und aus den so gewonnenen Projektionsdaten Querschnitte durch den Prüfkörper zu berechnen.
Aufbau des Tomographen
Der schematische Aufbau eines industriellen Computertomographen ist in Abbildung 2 dargestellt.
Der zu untersuchende Prüfkörper befindet sich auf einem Rotationstisch, der neben der Drehbewegung auch eine Translation in vertikaler Richtung erlaubt. Diese Bewegung ist notwendig, um die Höhe der zu prüfenden Schicht im Objekt festzulegen.
Die von der Röntgenquelle emittierte Strahlung wird über einen Quellkollimator in vertikaler Richtung ausgeblendet, so dass ein horizontaler Fächerstrahl entsteht, der den Prüfkörper durchdringt und auf den Detektor trifft. Im Detektor erfolgt in einem ersten Schritt die Konversion der Röntgenstrahlung in sichtbares Licht. Nachfolgend wird dieses Licht über ein Photodiodenarray gemessen, digitalisiert und schließlich in einen Rechner übertragen.
Zur Ausblendung von Streustrahlung innerhalb der Probe ist vor dem Detektor ebenfalls ein Blendensystem angebracht.
Die Messung
Während der Messung wird der Prüfkörper auf dem Rotationstisch um 360° gedreht und bis zu 720 Projektionen mit 0,5° Drehinkrement aufgenommen. Abschließend erfolgt die Rekonstruktion des Schnittbildes, wobei wahlweise analytische oder algebraische Algorithmen zum Einsatz kommen /1/.
Aus einer Vielzahl gemessener tomographischer Schnittbilder, die bei Verwendung eines Flächendetektors auch in einem einzigen Messvorgang aufgenommen werden können (Abb.1), wird im Anschluss an die Messung ein Volumenmodell des Prüfkörpers aufgebaut. Das Objekt wird im Rechner abgebildet (3D-CT) und kann virtuell in allen Raumrichtungen angeschnitten werden.
Unterschied zur Medizin
Die zur zerstörungsfreien Materialprüfung eingesetzten Tomographen unterscheiden sich von den medizinischen Geräten auf Grund der Notwendigkeit eines höheren Leistungsumfangs in mehreren Punkten.
Anders als bei den industriellen Anlagen darf der Patient im medizinischen Tomographen nicht gedreht werden. Das bedingt, dass Röntgenquelle und Detektor um ihn herum bewegt werden müssen. Daraus resultiert eine erhebliche Verschlechterung der Messgenauigkeit im Vergleich zu den industriellen Anlagen mit stationärer Quelle und Detektor. Die Kühlung der rotierenden Röntgenröhre ist nur eingeschränkt möglich, so dass ein Dauerbetrieb medizinischer Anlagen auf Grund notwendiger Abkühlphasen der Röhre nicht möglich ist.
In der medizinischen CT werden ausschließlich Personen untersucht. Somit können die Anforderungen an die Anlage sehr genau definiert werden, da alle Menschen vom geometrischen und chemischen Aufbau nahezu identisch sind. Die Geräte sind deshalb für die Messung von Wasser optimiert, dem Hauptbestandteil des menschlichen Gewebes und für den Einsatz in der Materialprüfung in der Regel ungeeignet.
Die industrielle Computertomographie besitzt hingegen den Vorteil, dass alle Objekte unabhängig von Werkstoff- und Oberflächenbeschaffenheit untersucht werden können.
Verschiedene Anlagen
Die verfügbaren Anlagen des Qualitätszentrums Dortmund können sowohl millimeterkleine Proben mit Auflösungen im Mikrometerbereich /2/ als auch sehr große Teile mit einem Durchmesser von bis zu 2 Metern /3/ dreidimensional auf alle Arten innerer Fehler prüfen. Abhängig von der Art und Größe des Prüfkörpers kommen die verschiedensten Tomographen zum Einsatz.
CT zur Werkstoffprüfung
Abbildung 3 zeigt das 3D-Tomogramm eines untersuchten Kurbelwellengehäuses aus einem Kfz-Motor. Deutlich sind im Anschnitt des Datensatzes im Bereich der ersten Zylinderbohrung Hohlräume (Lunker) im Guss zu erkennen, die unter Umständen zu einem Ausfall des Motors führen können. Dieses Graugussteil wurde mit Hilfe eines 3D-Hochenergie-Tomographen bei einer Röntgenenergie von 9 MeV untersucht. Die bislang europaweit einzigartige Anlage /3/ bietet auf Grund ihrer hohen Röntgenenergie die Möglichkeit, Objekte mit einer maximalen Wandstärke von 0,5 m massivem Stahl zu durchdringen.
Abbildung 4 zeigt einen Ausschnitt aus einem tomograpisch untersuchten Autoreifen. Durch spezielle Bildverarbeitungssoftware besteht im Anschluss an die Messung die Möglichkeit, unterschiedliche Werkstoffe des Bauteils mit Hilfe des Computers automatisch voneinander zu trennen. In der hier gezeigten Darstellung ist die Stahleinlage des Reifens aus dem Gummimantel hervorgehoben, so dass ein möglicher Bruch im Stahlgeflecht sicher erkannt werden kann.
CT und Reverse Engineering
Neben der reinen Prüfaufgabe können die CT-Daten auch als Grundlage für andere Verfahren zur Charakterisierung von Materialparametern dienen. So sind quantitative Vermessungen oder Nachfertigungen tomographierter Bauteile mittels Rapid Prototyping (RP) mittlerweile Standardanwendungen für die Weiterverarbeitung von CT-Daten geworden /3/.
Abbildung 5 zeigt das Ergebnis einer Vermessung an einem Ausschnitt eines Ventilkopfdeckels aus einem Kfz-Motor. Die erzielbare Genauigkeit ist von der Bauteilgröße und der eingesetzten Anlage abhängig. Sie liegt im Bereich weniger Mikrometer im Rahmen der hochauflösenden 3D-Mikrotomographie bis zu etwa 0,5 mm bei Verwendung einer Hochenergie-Tomographieanlage.
Zur Durchführung der Vermessung wird aus den Voxeldaten der CT-Untersuchung im ersten Schritt eine Isofläche extrahiert, die das untersuchte Material von der umgebenden Luft trennt. Anschließend erfolgt eine Konversion dieser Fläche in das STL-Stereolithographie-Format. Auf der Grundlage dieser STL-Struktur können Strecken, Winkel, Kreisbögen, Oberflächen und Volumina innerhalb der Isofläche selektiert und ausgemessen werden. Die Datei kann im Anschluss unmittelbar an Rapid-Prototyping-Maschinen übergeben werden, um Kleinserien fertigen zu können. Alternativ lässt sich aus den STL-Daten eine Negativform berechnen, die als Grundlage zur Konstruktion einer Gussform zum Abgießen von Bauteilkopien dient.
In beiden Bereichen Reverse Engineering und Rapid Prototyping ist die Computertomographie das einzige zerstörungsfreie Verfahren, um die häufig komplexe Bauteilstruktur sowohl im Außenbereich, als auch im Innern komplett zu erfassen. Techniken wie die 3D-Koordinatenmesstechnik liefern zwar eine erheblich bessere Ortsauflösung, erlauben jedoch ausschließlich die Erfassung äußerer Konturen.
CT und Strömungssimulation
Die Computertomographie kann weiterhin als Grundlage für die rechnerische Simulation von Strömungsvorgängen (CFD) in Flüssigkeiten und Gasen und der zugehörigen Reaktionen (z. B. Filterwirkungen oder chemische Reaktionen) dienen.
Zur Durchführung der Simulationsrechnungen in porösen Strukturen kommt eine neuartige Technik, das Lattice-Boltzmann-Verfahren (BEST), zum Einsatz /4/. Hierbei erfolgt die Rechnung auf der Basis einer stark vereinfachten Teilchen-Mikrodynamik, die ihren Ursprung in der statistischen Physik hat. Das Fluid besteht hierbei aus einer großen Anzahl mikroskopischer Teilchen, die sich gemäß den Gesetzen der Mechanik durch den Raum bewegen und miteinander in Wechselwirkung treten können.
Anders als herkömmliche Finite-Elemente-Methoden (FEM), die als Eingangsinformation ein Gitter, bestehend aus einer Vielzahl räumlicher Knotenpunkte, bedingen, benötigt BEST lediglich ein dreidimensionales Graustufenraster. Dieses Feld ist, abhängig von der Struktur der untersuchten Probe, mit unterschiedlichen Werten belegt. Mit Hilfe der BEST-Methode ist die Simulation nahezu beliebig komplexer Strukturen möglich.
Abbildung 6 zeigt die Simulation des Druckabfalls, ein Maß für den Strömungswiderstand eines Brennstoffes in einem computertomographisch untersuchten Keramikkörper /5/. Zur dreidimensionalen Erfassung der Struktur wurden 30 tomographische Schnittbilder im Abstand von 1 mm angefertigt. Auf ähnliche Weise können Strömungsvorgänge im Inneren von Katalysatoren, Filtern, Filtermatten oder Schüttungen berechnet und optimiert werden.
Zusammenfassung
Anhand der vorgestellten Abbildungen wird deutlich, welches enorme Potenzial durch den Einsatz des bildgebenden Verfahrens der Computertomographie im technischen Umfeld zu sehen ist. Besonders in Kombination mit modernen Fertigungs- und Simulationsverfahren eröffnet sich eine weitreichende Palette von Anwendungen zum besseren Verständnis der Struktur und Wirkungsweise einer Vielzahl von Werkstoffen.
Für die Unterstützung bei der Durchführung der vorgestellten tomographischen Messungen gilt unser herzlicher Dank Jens Nellesen, RIF e. V. in Dortmund und Thorsten Flor, HAPEG in Hattingen.
Die in Abbildung 6 dargestellte Simulationsberechnung wurde in Kooperation mit der Firma Invent Computing GmbH, Erlangen durchgeführt.
Literatur
/1/ A. C. Kak, M. Slaney, Principles of Computerized Tomographic Imaging, IEEE Press, New York, 1988;
/2/ F. Busch, U. Bonse, O. Günnewig, F. Beckmann, High resolution micro-tomography using synchrotron radiation, in: International Symposium in Computerized Tomography for Industrial Applications, June 8-10, 1994, Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e. V., Berlin, hrsg. von H. Czichos, D. Schnittger, S. 96-103 (März 1995);
/3/ O. Günnewig, W. Nuding, C. Sauerwein, High-Energy 3D-Tomography in NDT, Proceedings of the 7th European Conference on Nondestructive Testing ECNDT, Copenhagen, May 29-29, 1998;
/4/ Bernsdorf, J. and Schäfer, M.: Comparison of Cellular Automata and Finite Volume Techniques for Simulation of Incompressible Flows in Complex Geometries, Int. J. Numer. Meth. Fluids 29: p. 251-264 (1999);
/5/ Bernsdorf J., Günnewig O., Hamm W., Münker M., Strömungsberechnung in porösen Medien, GIT-Laborfachzeitschrift, April 1999.
Weitere Informationen A QE 502
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