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Haftung für fehlerhafte Produkte Warnung oder Rückruf?

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Haftung für fehlerhafte Produkte Warnung oder Rückruf?

Wann ist Rückruf Pflicht?

Wie bereits in vorangegangen Artikeln dieser Serie erörtert, befindet sich die Rechtsprechung zum Umfang der Pflichten eines Herstellers zur Gefahrabwendung bei fehlerhaften Produkten im Umbruch. Ansatz hierfür sind zwei Entscheidungen, die sich jeweils mit einem Regress des Herstellers gegen seine Lieferanten für von ihm durchgeführte Rückrufe beschäftigten. Beide Entscheidungen haben dabei einen Anspruch des Herstellers auf Ersatz der Aufwendungen für den durchgeführten Rückruf abgelehnt. Eine der beiden Entscheidungen wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) zur Revision zugelassen und am 16. Dezember des letzten Jahres entschieden. Der BGH hat die Entscheidung aufrecht gehalten und in diesem Einzelfall eine Warnung statt eines – kostenfreien oder kostenpflichtigen – Rückrufs für ausreichend erachtet.

Um die Entscheidung nachvollziehen zu können, muss man die rechtliche Grundlage einer Rückrufverpflichtung einmal genau unter die Lupe nehmen. Rückrufpflichten entstehen aus der vorher begangen Pflichtverletzung des Herstellers, etwa durch einen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler oder die Verletzung der Instruktionspflicht. Jeder aus der Verletzungshandlung – die mit der Inverkehrgabe der Produkte begangen wird – entstehender kausaler Schaden ist damit im Grunde aus produkthaftungsrechtlichen Gründen vom Hersteller zu ersetzen. Vermeiden kann er diese Verpflichtung, wenn er die spätere Realisation des Schadens verhindert. Im Anschluss an die so genannte Dunstabzugshauben-Entscheidung hat die Industrie auf Situationen, in denen ein fehlerhaftes Produkt im Markt erkannt wird, mit dem Rückruf dieser Produkte aus den entsprechenden Märkten reagiert. Hierzu hat auch die Versicherungswirtschaft ein passendes Produkt mit der Versicherungsdeckung für Rückrufkosten geschaffen. Die damalige Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe aus dem Jahr 1993 hatte folgendes entschieden:
„Erlangt der Endhersteller durch Produktbeobachtung Kenntnis davon, dass es bei der Benutzung seines Gerätes wiederholt zu Bränden gekommen ist, die vom Zulieferteil ausgegangen sind, hat er eine Rückruf- und Austauschaktion durchzuführen, damit dieses bestimmte Zulieferteil bei allen ausgelieferten Geräten ausgetauscht wird, um so weitere Schadenfälle mit möglichen gefährlichen Folgen zu verhindern.“
Das OLG ging demnach davon aus, dass alleine eine Rückrufaktion mit gleichzeitigem Austausch des gefährlichen Zulieferteils die Gefahren der Produkte endgültig beseitigen konnte. Offensichtlich kann man sich auch andere Konstellationen vorstellen, die jetzt in der neuen Rechtsprechung aufgegriffen werden. Um den Gefahren eines Produkts zu entgegnen, bietet sich neben der Beseitigung der Gefahr als solcher auch die Vermeidung des Gefahreintritts an.
Dies kann beispielsweise durch ein reines Unterlassen der Benutzung geschehen. Dieser auf den ersten Blick unlautere Ansatz, im Beispielfall also jedem Eigentümer die Benutzung der Dunstabzugshaube zu untersagen, ist aber außerhalb der kaufrechtlichen Gewährleistung von gesetzlich zwei Jahren nahe liegend. Andernfalls müsste der Hersteller die gesamte produkthaftungsrechtliche Verjährung – im Maximum also dreißig Jahre nach Inverkehrgabe – kostenfrei Ersatz liefern. Das Urteil des OLG Karlsruhe hat auch keinerlei Aussagen darüber getroffen, warum zur Gefahrabwendung alleine ein kostenfreier Austausch über einen Rückruf geeignet sein soll. Das wird wohl zunächst davon abhängen, welchen Benutzer des gefährlichen Produktes ein Unternehmen im Rahmen eines Rückrufs faktisch überhaupt erreicht. Wer keine Kenntnis von der Rückrufkommunikation eines Unternehmens hat, kann weder auf eine Warnung noch auf einen kostenfreien Rückruf angemessen reagieren und wird im Zweifel Schaden durch das Produkt erleiden. Zudem ist auch bei den Personen, die die Rückruf- oder Warnungsmeldung erreicht, kein empirischer Anhaltspunkt gegeben, dass diese eher dem einen oder dem anderen Prozedere zuneigen. Wird also beispielsweise ein privater Eigentümer einer Dunstabzugshaube tatsächlich von einer Warnung erreicht oder einem Rückruf, ist dadurch aus meiner Sicht kein qualitativer Unterschied gegeben. In beiden Fällen wird sich ein Teil der Nutzer für eine Umsetzung, ein anderer Teil für die Nichtbeachtung entscheiden. Die bisher hierzu ergangenen Urteile orientieren sich bei der Begründung einer Rückrufpflicht rechtlich unsauber an den potentiellen Schäden, lassen also eine Rückrufpflicht gerade bei Gefahr für Leib und Leben eher bestehen als bei reinen Sachschäden. Entscheidend ist aber die Frage, welche Maßnahme effektiver ist. Hierzu gibt es bislang keine Feststellungen, lediglich die durch den BGH nunmehr bestätigte Möglichkeit, in bestimmten Konstellationen – hier gegeben durch gewerbliche Nutzer – eine Warnung aussprechen zu können, ohne die Produkte zurückzurufen. Die weitere Entwicklung bleibt demnach abzuwarten und sollte jeweils sorgfältig bei einer Krisensituation begutachtet werden.
Philipp Reusch Reusch Rechtsanwälte, Saarbrücken www.reuschlaw.de
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