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Handel mit drei Akteuren

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Handel mit drei Akteuren

Handel mit drei Akteuren
Der Autor: Philipp Reusch
Anders als früher ist heute der Erwerber eines Produkts nicht immer auch der Empfänger und Verwender. Das hat Auswirkungen auf die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten im unternehmerischen Kauf- und Werklieferungsrecht.

Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten im unternehmerischen Kauf- und Werklieferungsrecht sind immer wieder Thema bei Vertragsverhandlungen und in Qualitätsmanagementsystemen. Der Erwerber eines Produkts muss nach § 377 HGB im Wesentlichen zweistufig vorgehen, um seine vertraglichen Gewährleistungsrechte nicht einzubüßen: Erstens muss er bei Anlieferung das Produkt sofort untersuchen. Zweitens muss er gefundene Mängel unverzüglich rügen. Offenkundige Mängel sind dementsprechend unmittelbar nach der Anlieferung zu rügen, verdeckte Mängel dann, wenn sie zutage treten.

Während insbesondere der Umfang der Untersuchungspflicht häufig Thema von Auseinandersetzungen ist, offenbart sich in der heute vorherrschenden vielgliedrigen Produktions- und Vertriebskette ein weiteres Problem von elementarer Bedeutung: § 377 HGB geht davon aus, dass der Erwerber des Produkts auch der Empfänger und Verwender ist. Tatsächlich aber werden häufig Teile direkt in das Produktionswerk eines Dritten geordert oder – wie im hier zu besprechenden Fall – sofort vom Besteller in das Drittwerk weitergeleitet, damit dort die Ware verarbeitet werden kann.
Das klassische Bild des Gesetzgebers mit zwei Parteien stößt also auf eine Realität mit drei Akteuren. Und die zukünftigen Entwicklungen rund um das Thema Industrie 4.0 werden noch weitere Spielarten hervorbringen, die nicht mit dem alten Leitbild des Handelsgesetzbuches übereinstimmen.
Subunternehmer erkennt Mängel bei Verarbeitung
In einem neueren Fall aus dem vergangenen Jahr (BGH, Beschluss vom 8.4.2014 – VIII ZR 91/13) machte eine Herstellerin von Halbleiterrohlingen gegen ihren Kunden Kaufpreisansprüche geltend. Der Kunde berief sich – zu Recht – auf Sachmängel.
Er hatte die Rohlinge ungesehen direkt an einen Subunternehmer in Malaysia weitergeleitet, der aus den Rohlingen fertige Leiterplatten herstellen sollte. Der Subunternehmer bemerkte den Mangel dann während der Weiterverarbeitung. Die Herstellerin sah hierin einen Verstoß gegen § 377 HGB. Der Kunde wendete – wiederum zu Recht – ein, dass die Lieferungen gar nicht geöffnet werden durften, weil die Halbleiterrohlinge nicht in Berührung mit der Luft geraten sollten.
Der BGH vertritt hier die Auffassung, dass der Kunde seine Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten nicht erfüllt hat und daher sämtliche Mängelhaftungsansprüche ausgeschlossen sind. Insbesondere empfand es der BGH als nicht entscheidend, ob eine Überprüfung der Ware durch den Kunden selbst problematisch war, weil eine Öffnung der Lieferung vor dem Weitertransport nach Malaysia zu Beschädigungen durch Oxydation hätten führen können. Denn er hätte zumindest sicherstellen müssen, dass sein Subunternehmer ihn oder den Hersteller unverzüglich über Mängel unterrichtet.
Der BGH erweitert damit seine bekannte Rechtsprechung zum sogenannten Streckengeschäft konsequent und nachvollziehbar weiter. Beim Streckengeschäft liefert der Verkäufer nicht an den Käufer, sondern direkt an einen Dritten, wie etwa den Kunden des Bestellers. Dieser Dritte muss dann die Wareneingangskontrolle übernehmen und Mängel unverzüglich rügen. Erst Recht muss dieser Grundsatz dann gelten, wenn die Ware – aus nachvollziehbaren Gründen – zum Besteller geliefert wird und dort ungeöffnet weitergeleitet wird.
Deutsches Recht ist streng
Dieser nachvollziehbare Grundsatz stößt freilich auf das praktische Problem internationaler Geschäftsbeziehungen. Das deutsche Recht ist, wie in vielen anderen Fällen auch, vergleichsweise streng. Andere Rechtsordnungen kennen entweder gar keine Wareneingangskontrolle oder stellen weniger strikte Anforderungen.
Hier muss man im Voraus praxisnahe Lösungen erarbeiten – sei es durch die Wahl eines vorteilhaften Rechtssystems, eine Modifikation oder ein Abbedingen von § 377 HGB oder schlicht dadurch, dass ein Warenkontrollsystem beim Empfänger der Bestellungen aufgebaut und aufrechterhalten wird.
Im Bereich der Automobilzulieferindustrie taucht diese Problematik seit Jahren verschärft auf, ohne dass sich erkennbar jemand auf die Unwirksamkeit der klassischen Wareneingangsklauseln berufen hätte. Allen Beteiligten ist offensichtlich bewusst, dass man auf Basis unwirksamer Klauseln ein Verfahren nutzt, das aber gleichzeitig State of the Art ist.
Mit dieser rechtlich unsicheren, aber praktisch gelebten Zusammenarbeit kommen aus meiner Sicht die meisten Unternehmen gut aus. Das rechtliche Risiko sollte allerdings im Extremfall bekannt sein. ■
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