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Human – FMEA

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Human – FMEA

Human - FMEA

Im Institut für Arbeitswissenschaft der Universität Kassel wurde die Methode Human-Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (H-FMEA) entwickelt und bereits in mehreren Betrieben erprobt wurde. Diese Entwicklung wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie gefördert. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich darauf, exemplarisch die Nachhaltigkeit von Maßnahmen im Rahmen eines Pilotprojektes bei der Firma Iwis-Ketten zu erläutern, ohne im Einzelnen auf die H-FMEA einzugehen.

In der Praxis wird oft beklagt, dass Maßnahmen zur Vermeidung beziehungsweise Reduzierung der Fehlerhäufigkeit „nicht“ wirksam werden oder nur von kurzer Dauer sind. Dies lässt den Schluss zu, dass die getroffenen Maßnahmen die wirklichen Ursachen nicht oder nur teilweise treffen. Aus methodischer Sicht steht dieser enttäuschende Effekt insbesondere mit der linearen Kausalität der Ursachenanalyse in Verbindung. Produktfehler in einem Arbeitssystem haben technische und/oder organisatorische und/oder personelle Ursachen. Folglich ist eine Fehlervermeidung mit nachhaltig überprüfbarem stabilen Verhalten nur gewährleistet, wenn die Analysemethoden die Erschließung der bereits erwähnten Ursachen ermöglichen und die Unternehmenskultur Fehler als Lernquelle begreift, so dass das Lernen im Arbeitsprozess gefördert werden kann. Die Fehlerursachenanalyse soll deshalb ohne Personifizierung durchgeführt werden. Auf diese Weise lässt sich ein offenes Kommunikationsklima herstellen, das auch für die Bestimmung von nachhaltig wirksamen Vermeidungsmaßnahmen wesentlich ist.

Vor diesem Hintergrund wurde die Methode Human-Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (H-FMEA) im Institut für Arbeitswissenschaft der Universität Kassel entwickelt und in mehreren Betrieben erprobt. Die Entwicklung der H-FMEA wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie gefördert.

Wesen der H-FMEA

Die H-FMEA ist eine Methode, deren Zielsetzung darin liegt, die Ursachen für menschliche Handlungsfehler und deren Folgen (Produktfehler) durch geeignete Analyse-, und Auswertungstechniken wirksam zu vermeiden beziehungsweise zu reduzieren. Als weiteres Ziel der H-FMEA gilt die Nachhaltigkeit der Fehlerreduzierung durch das Lernen am Arbeitsprozess methodisch zu unterstützen. Die Durchführung der H-FMEA ist als Analysekette zu betrachten. Den Ausgangspunkt der Analyse bilden die Produktfehler. Die den Produktfehlern zu Grunde liegenden Handlungsfehler stellen die Verbindung zu den Fehlerursachen dar. Den Endpunkt bilden die Handlungsfehlerursachen in Form von ergonomischen und organisatorischen Fehlgestaltungen sowie fehlende personelle Leistungsvoraussetzungen. Die Durchführung einer H-FMEA vollzieht sich in drei aufeinander aufbauenden Phasen:

l Produktfehleranalyse,

l Handlungsorientierte Ursachenanalyse,

l Ableitung von Gestaltungsanforderungen.

Für jede Phase wurden spezifische Werkzeuge zur Erfassung, Auswertung oder Verarbeitung der benötigten Daten entwickelt. Die Partizipation der betroffenen MitarbeiterInnen ist eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung der H-FMEA. Die Beteiligung der Mitarbeiter zielt zudem darauf ab, ihre Kompetenzen zum Beispiel im fachlichen Prozesswissen zu nutzen und (weiter) zu entwickeln.

Durchführung der H-FMEA

Der Untersuchungszeitraum für die H-FMEA wurde auf circa ein Jahr (98/99) und die Prüfung der Nachhaltigkeit auf etwa vier Monate (99/00) [Abb. 1] nach Einführung der Gestaltungsmaßnahmen festgelegt . Die Montage von Steuerketten wurde als Pilotbereich für die Durchführung der H-FMEA gewählt. Innerhalb der Montage wurde ein Bereich eingegrenzt, der charakteristisch für die gesamte Montage ist. Er umfasst zwei komplette Montagestraßen und beschäftigt 16 MitarbeiterInnen.

Produktfehleranalyse

In der Produktfehleranalyse wurden die Produktfehler erfasst, klassifiziert, visualisiert. Darauf aufbauend wurde die Fehlerherkunft analysiert und gewichtet.

Die Qualität der gewonnenen Fehlerdaten ist für die nachfolgende Ursachenanalyse entscheidend. An die Fehlererfassung und -klassifizierung wurden daher hohe Anforderungen im Hinblick auf deren Eindeutigkeit und Vollständigkeit formuliert. Durch die systematische Partizipation der betroffenen MitarbeiterInnen in der Durchführung der H-FMEA, konnte die Fähigkeit, Fehler differenziert zu klassifizieren und zu dokumentieren, erheblich verbessert werden. Dies ist eine Grundvoraussetzung dafür, Fehler zu verringern und zu vermeiden. Wie Abbildung 2 zeigt, sind die Beschäftigten in der Lage, nach circa sechs Wochen mit Unterstützung der H-FMEA 42 verschiedene Fehler zu differenzieren. Von neun verschiedenen Produktfehlerarten in KW 30 nahmen die Erkennungsraten in KW 3 auf 42 verschiedene Fehlerarten zu. Die Mitarbeiter konnten jetzt die zuvor als zufällig eingestuften Produktfehler bewusst und rechtzeitig erkennen und deren Wiederholung vermeiden.

Handlungsfehler- und Ursachenanalyse

In diesem Analyseschritt sind die Handlungsfehler den Ursachen (potentielle Fehlgestaltungen des Arbeitssystems) zugeordnet. Die Handlungsfehleranalyse ergab, dass 54 Prozent der Produktfehler auf die Handlungsfehlerart „Informationsfehler“, 36 Prozent auf „Wissensfehler“ und 6 Prozent auf „Erkennungsfehler“ zurückzuführen sind (Abb. 3). Damit liegen einer großen Zahl verschiedener Produktfehler drei Handlungsfehlerarten zugrunde.

Die Wirkung wird an dem folgenden Beispiel verdeutlicht. In der Ursachenanalyse wurde festgestellt, dass zum Beispiel der Produktfehler „Nietung schlecht“ mit dem Verschleiß der Nietrollen zusammenhängt. Bisher basierte der Austausch der Nietrollen auf einem Zuruf des Kontrollmitarbeiters an den Vorarbeiter (Einsteller) aufgrund eines gehäuften Auftretens des Fehlers und einem bereits offensichtlichen Zusammenhang mit den Nietrollen. Die Instandhaltung war zur Zeit der Analyse zentralisiert. Um die Wartung durchführen beziehungsweise Störungen oder Mängel an Maschinen beheben zu können, werden in der Regel Fachkräfte der Instandhaltung benötigt. Diese Fachkräfte stehen oft erst mit Verzögerung zur Verfügung. Dadurch kann die Ursache für auftretende Fehler ebenfalls nur mit zeitlicher Verzögerung behoben werden. Abbildung 4 zeigt am Beispiel des Fehlers „Nietung schlecht“ die Ergebnisse der Ursachenanalyse.

Ableitung und Umsetzung von Gestaltungsmaßnahmen

Für eine effiziente Fehlervermeidung wurde unter anderem die systematische und vorbeugende Instandhaltung als wesentliche Voraussetzung definiert. Um dieses umzusetzen, wurde der Vorschlag angenommen, die Instandhaltung zu dezentralisieren. Die damit verbundenen organisatorischen Veränderungen lagen in dem Aufbau einer dezentralen Instandhaltung in der Montage. Mit Blick auf den Fehler „Nietung schlecht“ wurde ein turnusmäßiger Wechsel der Nietrollen in den neuen Wartungsplan aufgenommen und eingeführt [Abb. 5]. Die Nietrollen wurden demnach am Ende einer Woche bei Schichtwechsel kontrolliert und bei Bedarf gewechselt.

Mit der H-FMEA ließen sich diese Handlungsfehlerursachen ohne Personifizierung systematisch eingrenzen und durch geeignete Maßnahmen beseitigen. Handlungsfehler wie „Informationsfehler“ waren eine direkte Folge von Informationsdefiziten. Wissensfehler waren eine Folge von mangelnder Qualifizierung und als Ursachen für Erkennungsfehler konnten ergonomische Schwachstellen wie unzureichende Beleuchtung identifiziert werden. Zur Beseitigung der Fehlerursachen wurden organisatorische, qualifikatorische und ergonomische Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt.

Erzielte Verbesserungen

Durch die getroffenen Maßnahmen konnte eine deutliche Reduzierung der Produktfehler erzielt werden. Ein wesentlicher Grund für diese Verbesserung liegt darin, dass die Maßnahmen die wirklichen Ursachen getroffen haben und dass die MitarbeiterInnen die Fehler bewusst und rechtzeitig erkannten sowie ihre Wiederholung vermieden haben. Über einen Zeitraum von 30 Wochen konnte die Fehlerrate insgesamt von 5,1 auf 0,7 Prozent reduziert werden (Abb. 6). Die Häufigkeit kritischer Produktfehler (z. B. Nietung schlecht) konnte auf Null gesenkt werden. Die Kundenreklamationen sanken im Pilotbereich für den Zeitraum der Untersuchung ebenfalls auf Null. Dieser Zustand ist selbst nach einem Zeitraum von einem Jahr stabil geblieben.

Nachhaltigkeitsprüfung der erzielten Verbesserungen

Zur Überprüfung der Nachhaltigkeit der durch die Durchführung der H-FMEA erreichten Fehlerreduzierung wurden die Fehlerdaten in Zusammenarbeit mit der Montageleitung für den Zeitraum November 1999 bis Februar 2000 ausgewertet. Trotz des Anstiegs der produzierten Menge (ca. 20 Prozent) machte die Fehlerentwicklung (Bild 7) in diesem Zeitraum deutlich, dass die H-FMEA sowie die eingeführten Maßnahmen auch nach Ende des Pilotprojektes wirksam sind. Die durchschnittliche Fehlerrate bewegt sich relativ stabil zwischen 0,7 und 0,9 Prozent.

Die H-FMEA veränderte somit dauerhaft die Fehlersituation. Durch die reale Beteiligung der Beschäftigten bei der Analyse, Auswertung und Definition von Maßnahmen sowie durch das kontinuierliche Feedback konnte das Lernen im Prozess der Arbeit maßgeblich gefördert werden. Die messbaren Ergebnisse zeigten sich in der verbesserten Fehlererkennung und -vermeidung sowie in der kontinuierlich sinkenden Fehlerhäufigkeit im Arbeitprozess und den Kundenreklamationen. Durch die Partizipation der Beschäftigten wurden diese befähigt, die Arten und Entstehungsorte der Fehler eindeutig zu bestimmen und die Ursachen zu lokalisieren. Die im Unternehmen eingeführte Form der Gruppenarbeit konnte durch die H-FMEA gefestigt werden, da jede Woche zielgerichtete Gruppengespräche anhand eines kritischen Themas durchführten. Auf diese Weise waren die Mitarbeiter in der Lage, über arbeitsbedingte Probleme zu diskutieren und Veränderungsmaßnahmen zu veranlassen beziehungsweise durchzuführen. Diese Kommunikationsstrukturen erleichterten die Implementation der H-FMEA. Seit Beginn diesen Jahres wurde die Gruppenarbeit in allen anderen Montagestraßen eingeführt. Die im Rahmen der H-FMEA erarbeiteten Dokumentationen und Vorgehensweisen wurden als Standard in das Qualitätswesen des Unternehmens integriert.

Literatur:

Algedri, J. & Frileing, E. & Katschke, M.: Effiziente Fehlervermeidung, Quality Engineering 11/1999, Konradin Verlag Leinfelden-Echterdingen.

Algedri, J. & Frieling, E. & Bekiroglu, M.: Lernen am Prozess der Arbeit, QZ 9/1998, Hanser Verlag München.

Weitere Informationen A QE 301

Dr. Jamal Algedri, Uni-Kassel, Dipl.-Ing. Murat Bekiroglu, Fa. Iwis Ketten

01.09.2000
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