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Inline-Messtechnik statt Blindflug

Herstellung faserverstärkter Kunststoffe
Inline-Messtechnik statt Blindflug

Mindestens 50% des Rumpfes der nächsten Flugzeuggenerationen werden aus carbonfaserverstärkten Kunststoffen bestehen. Da diese eine noch relativ junge Technologie hinsichtlich der Serienfertigung darstellen, werden die meisten Prüfverfahren zum Qualitätsnachweis am Ende des Fertigungsprozesses eingesetzt. Bauteile, die schon in frühen Phasen der Wertschöpfungskette nicht mehr der Spezifikation entsprechen, durchlaufen weitere Bearbeitungsschritte – bis zur finalen Prüfung befindet sich die Fertigung im sprichwörtlichen Blindflug.

Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt, geb. 1961, ist Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement und Mitglied des Direktoriums des Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen sowie als Leiter der Abteilung Produktionsqualität und Messtechnik des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT Mitglied des Direktoriums des Fraunhofer IPT. E-Mail: R.Schmitt@wzl.rwth-aachen.de; Tel.: +49 (0)241–80–20283 Dipl.-Ing. Christoph Mersmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des WZL in der Abteilung Fertigungsmesstechnik und Experte auf dem Gebiet der bildgebenden Verfahren

Ein deutlicher Innovationssprung wird bei den Preform-basierten FVK prognostiziert [1]. Bei diesen werden mit Hilfe von Textiltechniken wie Nähen, Weben, Flechten und Stricken automatisiert mehrdimensional belastbare Gewebe und Gelege hergestellt. Sie führen zu einer höheren Strukturintegrität im Bauteil, einer besseren Schadenstoleranz und einem höheren Energieaufnahmevermögen im Crashfall. Zur Herstellung der endkonturnahen Verstärkungsstruktur (Preform) derartiger FVK-Bauteile werden die verstärkend wirkenden Fasern zu flächigen Texilhalbzeugen zusammengefasst, zugeschnitten und schichtweise in eine Form drapiert. Anschließend wird diese Preform mit einer Kunststoffmatrix imprägniert und in einem Autoklaven ausgehärtet (Bild 1).
Diese Methode bietet nicht zuletzt ein hohes Automatisierungspotenzial für komplex zugeschnittene Strukturen. Derzeit ist die Produktion weitgehend durch manuelle Arbeitsschritte gekennzeichnet. Der hohe Anteil führt zu erheblichen Qualitätsstreuungen, die hohe Nacharbeitsquoten und Materialkosten durch eine notwendige Überdimensionierung verursachen. Aus den genannten Gründen ist die Preform-Herstellung für FVK bislang sehr kostenintensiv und oft nur eingeschränkt reproduzierbar. Deshalb beschränkt sich die Verwendung dieser Werkstoffgruppe meistens auf exklusive Kleinserien und Hightech-Produkte.
Zur Erweiterung des FVK-Marktes sind eine Reduktion der Herstellungskosten und eine Erhöhung der Stückzahlen notwendige Bedingungen. Dies ist nur durch eine Automatisierung und der damit verbundenen sicheren Beherrschung der zugehörigen Fertigungsschritte möglich. An dieser Stelle wird nicht nur eine durchgängige Qualitätsprüfung notwendig, sondern eine Inline-Messtechnik, die zudem Prozessgrößen zur Schließung von Qualitätsregelkreisen als Grundlage jeglicher Automatisierungslösungen bereitstellt [2]. Allerdings sind geeignete Prüfmethoden für textile Verstärkungsstrukturen, die in der Fertigung eingesetzt werden können, bislang nur begrenzt verfügbar. Die wenigen verfügbaren Systeme sind lediglich für eine Post-Prozess-Qualitätsanalyse des FVK-Bauteils geeignet. Diejenigen, die in der Fertigung einsetzbar sind (wie z.B. die Ultraschallprüfung), können der Überwachung der Preform-Konstruktion nicht gerecht werden. Große Messbereiche mit geringer Messunsicherheit, begrenzten Taktzeiten und hoher Zuverlässigkeit prüfen zu können, sind Forderungen, die im Hinblick auf den Einsatz in der Flugzeug- und insbesondere der Automobilindustrie noch zu erfüllen sind.
Das Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen entwickelt hierzu innovative und robuste Lösungen als Schlüssel zu einer erfolgreichen Automatisierung auf Grundlage der optischen Inline-Messtechnik und Bildverarbeitung. Das Resultat mehrjähriger Forschung am Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement ist ein Machine-Vision-System (Bild 2), das Strukturparameter von Textilhalbzeugen nach jedem Prozessschritt im Takt der Produktion (Inline) optisch prüft.
Aufgrund ihrer Relevanz für eine automatisierte Preform-Herstellung werden die folgenden Merkmale der faserverstärkten Kunststoffe durch das Prüfsystem beurteilt: die Art des Materials (Carbon, Glas oder Aramid), der Typ der Textilbindung (z.B. Gewebe, Gelege und Nahttyp), der Flächenanteil der einzelnen Halbzeuge (Textursegmentierung), die genaue Ausrichtung (globale und lokale Faserorientierung) sowie die Geometrie jedes textilen Halbzeuges bei der schichtweisen Ablage.
Das Machine-Vision-System wurde daher mit seinen Komponenten, angefangen bei der Bildgewinnung (Beleuchtung, Optik, Kamera usw.) und den Algorithmen zur Bildauswertung bis hin zur Benutzer- und Automatisierungsschnittstelle so konzipiert, dass die genannten Prüfaufgaben unter industriellen Bedingungen gelöst werden können [3]. Zusätzliche wurde ein Laserlichtschnittsensor integriert, der durch Messung von Höhenprofilen für Geometriemessungen eingesetzt wird. Durch die Datenfusion beider Sensoren (Kamera- und Lichtschnittsensor) wird die Messung dahingehend optimiert, dass nur Bereiche mit dem Lichtschnittsensor hochauflösend geprüft werden, deren Toleranzen für die Segmentierungsergebnisse der großflächigen Bildverarbeitung zu eng sind. Große Messbereiche (> 12 m²) wie z.B. beim Aufbau einer Flugzeug-Rumpfschalen-Preform werden daher nur in ihren Konturbereichen gescannt, um die dort eng tolerierte Ablageposition der textilen Schichten zu messen, da die Prüfzeit zwischen jeder abgelegten Textilschicht minimiert werden muss. Optional können Bauteilbereiche, die die Bildverarbeitung als fehlerhaft vorklassifiziert, mit dem Laserlichtschnittsensor lokal geprüft werden. Für komplexe Drapierungen von 3D-Preform-Strukturen (z.B. Flugzeug-Bodenspant, Bauteil in Bild 2) ist ein kompletter Scan der Geometrie und Oberflächenform jeder Textillage beim schichtweisen Aufbau möglich und notwendig, da das biegeschlaffe Fasermaterial bei der Handhabung und Formgebung mit starken Streuungen der Strukturparameter (Faserlage, Faserorientierung) reagiert. Bild 3 zeigt das Ergebnis dieser Geometriemessung in Form der Abweichungsbeträge der gemessenen Preform-Oberfläche von der Spezifikation.
Das entwickelte Prüfsystem ermöglicht somit eine Rückverfolgbarkeit der ermittelten Qualitätsmerkmale über die gesamte Prozesskette (Bild 1). Die Qualitätsmerkmale jeder textilen Halbzeugschicht können in den aktuellen Prozessschritt (z.B. Handhabungssystem) rückgekoppelt werden, so dass eine Automatisierung bereits bestehender Fertigungsprozesse ermöglicht wird. Dieses Inline-Prüfsystem kann dabei an verschiedenen Stellen der Prozesskette eingesetzt werden, wie z. B. beim Zuschnitt der Halbzeuge oder beim Aufbau der Faserstruktur. Insgesamt gewährleistet dieses Prüfsystem eine optimierte Herstellung von FVK-Produkten durch Erhöhung der Qualität bei gleichzeitiger Senkung der Kosten. Die Entwicklungspartner aus der Industrie, die das Machine-Vision-System bereits im Rahmen einer Pilotanwendung einsetzen, erwarten für die Übertragung auf ihre Serienfertigung eine Steigerung der effektiven Maschinenproduktivität von ca. 20%, erreicht durch eine Ausschussverringerung um ca. 30%.
Die aktuellen Forschungsvorhaben am WZL zu diesem wichtigen Thema sind fokussiert auf die Weiterentwicklung des Machine-Vision-Systems, die Verbesserung der Messunsicherheit und die Verringerung der Prüfzeiten zur wirtschaftlicheren Gestaltung der derzeitigen Produktion. Zudem wird die Übertragung der Technologie auf andere Fertigungsprozesse für FVK (wie z. B. das automatisierte Tapelegen von Prepreg) vorangetrieben.
Literatur
[1] Schmitt, R.; Pfeifer, T.; Mersmann, C.; Orth, A.: A method for the automated positioning and alignment of fibre-reinforced plastic structures based on machine vision. In: Proceedings of the “58th CIRP General Assembly”. Manchester, England, 24.-30. August, 2008.
[2] Pfeifer, T.: Fertigungsmesstechnik. 2. überarbeitete Auflage. Oldenbourg, München, 2001.
[3] Orth, A.: Entwicklung eines Bildverarbeitungssystems zur automatisierten Herstellung faserverstärkter Kunststoffstrukturen, Dissertation, Fakultät für Maschinenwesen, RWTH Aachen, Aachen: Shaker, April 2008.
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