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Koordinatenmesstechnik hat die Fabrik erobert

Roundtable von Quality Engineering
Koordinatenmesstechnik hat die Fabrik erobert

Optische Technologien, Multisensorik, Automatisierung, Datenanalyse – die Koordinatenmesstechnik macht sich fit für die Zukunft. Dies ist das Ergebnis einer Roundtable-Diskussionsrunde von Quality Engineering mit Experten von Hexagon, Wenzel, Werth und Zeiss.

Provozierend formuliert, wirken klassische Koordinatenmessgeräte ein wenig wie die Dinosaurier der Messtechnik. Haben sie noch Platz in einer Welt, in der die Messtechnik zunehmend in die Fertigung wandert?

Imkamp: Die Dinosaurier sind ja irgendwann ausgestorben, weil sie sich nicht weiterentwickelt und sich nicht an die sich verändernde Umgebung angepasst haben. Das sehe ich für die Koordinatenmesstechnik überhaupt nicht – auch wenn manches Gerät manchmal so anmutet. Die Systeme entwickeln sich weiter, sie werden durch viele Technologien ergänzt: Flächig messende Systeme wie Streifenprojektion und Laserscanner oder CT haben sich etabliert. Diese Entwicklungen schaffen neue Potenziale, um wichtige Informationen aus der Produktion zu gewinnen. Deshalb spreche ich auch lieber, so wie die neuen Teile der Koordinatenmesstechniknorm ISO 10360, von einem Koordinatenmesssystem.
Steffens: Ich würde die Koordinatenmesssysteme lieber mit dem Automobil vergleichen wollen: Natürlich hat ein Auto genauso wie in seinen Anfängen eine Karosserie und vier Räder. Damit sind die Ähnlichkeiten aber fast schon erschöpft. So, wie sich beim Auto aktuell unter anderem die Antriebskonzepte weiterentwickeln, so entwickelt sich in der Koordinatenmesstechnik die Sensorik rasant weiter. Der Trend geht zu automatisierten Messungen, bei denen der Werker nur auf den Knopf drücken muss, um viele verschiedene Information über ein Werkstücke zu erhalten: neben den Geometriedaten beispielsweise die Oberflächenrauheit. Dafür müssen mehrere unterschiedliche Sensoren eingesetzt werden.
Heißt das, die Zukunft gehört der Multisensorik?
Ferger: Aus unserer Sicht auf alle Fälle. Werth ist ja einer der Vorreiter der Multisensorik. Als wir Ende der 80er Jahre damit begonnen haben, mehrere Sensoren in einem Gerät zu vereinen, war dies etwas ganz Neues und eine Nische in der Messtechnik. Heute hingegen ist der Einsatz unser Multisensor-Koordinatenmessgeräte Standard in den Unternehmen und auch auf Grund der Anforderungen nicht mehr wegzudenken. Dieses spiegelt sich auch in der Richtlinie ISO 10360 wieder, in welche die Multisensorik integriert wurde.
Steffens: Wir liefern heute kaum mehr Geräte aus, die nicht Multisensorik können, das ist von den Kunden so gewünscht. Allerdings habe ich meine Zweifel, ob die Möglichkeit, ein Bauteil mit verschiedenen Sensoren ohne Umspannen zu messen, in der Praxis auch schon überall so genutzt wird. Das ist noch nicht überall Alltag in den Betrieben, doch wird sich dies mehr und mehr durchsetzen, davon bin ich überzeugt.
Wenzel-Schinzer: Man muss dabei sehen, dass Koordinatenmessgeräte heute oft 20 bis 30 Jahre im Einsatz sind. Und da will der Kunde heute eine zukunftsfähige Technologie kaufen – auch wenn er sie noch nicht sofort nutzt. Die Anwender müssen Multisensorik ja auch beherrschen.
Imkamp: Ich gehe davon aus, dass es auch in Zukunft weiterhin Ein-Sensorik-Geräte geben wird – schon aus Kostengründen. Multisensorik macht ein Gerät nun einmal teurer, da man die erforderliche Ausstattung wie Verkabelung und Controller, die sich nur schwer nachrüsten lassen, im Gerät vorhalten muss. Ich stimme Herrn Wenzel-Schinzer zu, dass Multisensorik das Bedienen eines Systems nicht einfacher macht. Wir werden in diesem Jahr eine neue, umfangreichere Ausgabe der DIN EN ISO 1101 bekommen, der Grundlagennorm für Form- und Lagetoleranzen. Damit werden auch die Anforderungen an die Funktionalität insbesondere an die Software der Koordinatenmesssysteme umfangreicher. Das zu beherrschen, stellt für den Bediener eine Her-ausforderung dar, die dem Trend entgegen läuft, dass es in den Unternehmen immer weniger qualifiziertes Personal gibt.
Bekommt man diese einfache Bedienbarkeit bei komplexen Koordinatenmessgeräten somit gar nicht hin?
Wenzel-Schinzer: Nein, das will ich so nicht unterstreichen. Da gibt es sicherlich noch Potenzial, keine Frage. Aber alle Hersteller versuchen derzeit, die Usability stark zu verbessern. Ich möchte das vergleichen mit Apple-Produkten: Für deren Bedienung muss man kein ausgeprägtes IT-Wissen haben. Die Komplexität in der Anwendung ist beim Messen schon groß genug. Da sollten das Bedienen der Anwendung sowie das Finden der richtigen Knöpfe und Funktionen extrem einfach sein. Messgeräte dürfen in Zukunft nicht mehr nur von einigen wenigen Experten bedienbar sein, die sich mit der Software im Detail befassen müssen.
Ferger: Wir haben in den letzten Jahren den Anwendernutzen unserer Software extrem verbessert. Wir beobachten aber leider auch, dass der Anwender oft nicht mehr die nötige Zeit bekommt um sich umfassend mit Gerätetechnik und Software beschäftigen zu können. Das ist ein weltweiter Trend und er liegt wahrscheinlich darin begründet, dass zunehmend ertrags- und lösungsorientiert beschafft wird. Wie liefern zunehmend schlüsselfertige Technik inklusive aller erforderlichen Messprogramme und Fähigkeitsnachweise.
Steffens: Viele Kunden wollen ja eigentlich kein Koordinatenmessgerät kaufen und Messprogramme schreiben, sondern Teile messen. Deshalb darf man das Koordinatengerät nicht mehr isoliert betrachten, sondern als ein in den Fertigungsprozess integriertes Gerät. Das heißt, das Erstellen des Messprogramms sollte möglichst aus den CAD-Daten aus der Konstruktion direkt erstellt werden können, ohne dass der Bediener am Gerät selbst etwas machen muss. Und nach Möglichkeit sollen die Messergebnisse direkt in den Fertigungs- oder sogar in den Entwicklungsprozess zurückfließen. Da sind wir nicht nur als Gerätehersteller gefordert, sondern zunehmend als Dienstleister.
Ferger: Zur Unterstützung der Bediener bei der interaktiven Messung und bei der Programmierung werden heute sehr oft 3D-CAD-Modelle genutzt. Diese Modelle verkörpern nicht nur die reinen Werkstückdimensionen, sondern auch die Gestalt der Flächen. Die Möglichkeit, Messpunkte direkt mit CAD-Daten zu vergleichen, idealerweise farbcodiert und hoch aufgelöst, ist sicherlich ein Grund für die starke Nachfrage nach berührungsloser Vielpunktsensorik. Taktile Methoden sind oft unzureichend, da sie meist viel zu wenig Messpunkte pro Zeiteinheit liefern. Aber auch Trends wie zum Beispiel die Integration von Produktinformationen in die CAD-Daten (PMI) werden den Siegeszug der 3D-CAD-Integration weiter vorantreiben.
Imkamp: Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Kunden steigen wird, die komplette Fertigungsstraße einschließlich Koordinatenmesssysteme beschaffen und das Koordinatenmesssysteme genauso wie ein Fertigungssystem behandeln. Und diese Kunden sind kaum daran interessiert, ob ein solches Gerät in Zukunft mit weiterer Sensorik aufgerüstet werden kann. Doch wird es in Zukunft auch weiterhin den klassischen Koordinatenmessgerätenutzer geben, der das Gerät für den Messraum beschafft.
Welche Entwicklungen sind denn ausschlaggebend dafür, dass die Messtechnik zunehmend in die Fertigung wandert?
Wenzel-Schinzer: In der Fertigung sind aufgrund ihrer Schnelligkeit optische Messtechnologien ganz klar im Vorteil. Für die Verarbeitung der Daten aus den Punktewolken, die dadurch erzeugt werden, haben wir vor ein paar Jahren noch einen ganzen Server-Park benötigt. Die Performance der IT ist hier in den letzten Jahren deutlich gestiegen.
Ferger: Dahinter steckt zumeist der Wunsch nach schlankeren Prozessen und schnellerer Reaktionsmöglichkeit bei Erreichen der Eingriffsgrenzen. Natürlich hilft schnelle IT dabei manche Techniken, wie zum Beispiel die Röntgentomografie, durch schnelle Datenauswertung überhaupt erst fertigungsnah einzusetzen.
Imkamp: Wir haben von der Entwicklung im IT-Bereich deutlich profitiert. Dabei hat die Consumer-Elektronik uns vielfach den Weg geebnet: Denken Sie nur an Festkörperlaser, die in CD-Playern zum Einsatz kommen, an die CMOS-Sensoren im Kamerabereich oder an die leistungsfähigen Grafikprozessoren, die wir den Herstellern von Spielekonsolen zu verdanken haben. Außerdem hat sich die Robustheit optischer Systeme deutlich verbessert, sodass sie im Zusammenspiel mit roboterbasierten Systemen etwa im Karosseriebereich sehr gut funktionieren.
Frage in die Runde: Wodurch ist die optische Messtechnik Ihrer Meinung nach robuster geworden?
Imkamp: Den größten Anteil hat meines Erachtens die IT: Die Informationen, die Kamerasysteme liefern, können durch die IT intelligenter verarbeitet werden. Dadurch lassen sich beispielsweise Effekte, die man eindeutig als Störungen identifizieren kann, reduzieren. Man hat aber auch auf Hardware-Seite gelernt, wie man die Sensorik robuster gestaltet, beispielsweise so anordnet, sodass sie nicht verschmutzt.
Ferger: Korrekturen systematischer Fehler lassen sich mit heutiger Rechentechnik quasi in Echtzeit erledigen. Auch die Entwicklung der Lichttechnik hat hier ihren Beitrag geleistet. Beleuchtungseinheiten, die früher mit Halogen- oder Xenontechnik realisiert wurden, sind heute ausnahmslos mit LED-Leuchten ausgestattet, die deutlich längere Lebenszeiten und geringere Wärmeeinträge bieten.
Steffens: Man kann außerdem heute systematische Fehler eines Sensors kompensieren und Parameter während des Messvorgangs optimieren, sodass sich die Geräte quasi selbst überprüfen. Beispielsweise lässt sich dadurch bei einem unserer Systeme die Leistung eines Laserstrahls automatisch an das Reflexionsverhalten von Karosserie-Oberflächen anpassen.
Damit sind wir beim Thema Industrie 4.0. Jetzt mal ganz flapsig gefragt: Ist die Koordinatenmesstechnik fit für Industrie 4.0?
Ferger: Für uns ist Industrie 4.0 nichts Neues. Der Großteil unserer im Einsatz befindlichen Messgeräte ist seit bereits Jahrzehnten vernetzt, wird über integrierte Systeme gesteuert und liefert automatisch Daten zur Prozessregelung. Nur die Datenwege werden sich ändern, wie zum Beispiel der Zugriff auf Informationen über Internetplattformen.
Wenzel-Schinzer: Jeder Maschinenbauer wird von sich behaupten, wir waren schon immer industrie-4.0-ready. Ja, die Messgeräte liefern viele Daten. Doch bislang haben wir den Kunden nicht geholfen, dass diese Daten ihm wertvolle Informationen liefern. Das wollen wir bei Wenzel nun ändern.
Imkamp: Die meisten Kunden haben sich bislang zu wenig Gedanken gemacht, was sie mit den mittels der Koordinatenmesssysteme gewonnenen Daten eigentlich machen wollen. Bei Industrie 4.0 wird es nun eine Herausforderung sein, dafür klare Ziele zu definieren,
Steffens: Ich sehe durch Industrie 4.0 vor allem den Automatisierungsgrad in der Messtechnik steigen. Da sehe ich uns als Hersteller in der Pflicht die notwendigen Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Denn die Roboter-Hersteller verfügen meistens nicht über das notwendige metrologische Wissen, um solche Systeme zu konzipieren. Allerdings stellt uns dies auch vor neue Herausforderungen, denn wenn etwas in der Fertigung nicht so funktioniert wie geplant, erwartet der Kunde nicht nur schnelle Reaktionszeit, sondern auch den Service aus einer Hand.
Wenzel-Schinzer: Wenn wir automatisieren heißt das, der Anwender steht nicht mehr an der Maschine. Da steht dann der Roboter, der das alles automatisch macht. Dann ist natürlich die Software das Fenster zu meiner Applikation. Das heißt, die Applikation macht dann den eigentlichen Wert aus.
Imkamp: Ja, es geht nun zunehmend darum, per Software ganze Produktionslinien zu visualisieren. Der Kunde will dargestellt haben, wie die Informationen aus den Koordinatenmesssystemen die Qualität der Produkte, ja die Produktion beeinflussen.
Vielen Dank in die Runde für die interessante Diskussion.

Die Autorin
Sabine Koll
Redaktion
Qualtity Engineering

Die Diskussionsteilnehmer
  • Detlef Ferger, Vertriebsleiter/Prokurist, Werth (Halle 7, Stand 7102)
  • Dr. Dietrich Imkamp, Director Visual Systems, Zeiss (Halle 4, Stand 4200)
  • Norbert Steffens, Entwicklungsleiter, Hexagon (Halle 5, Stand 5400)
  • Prof. Dr. Heiko Wenzel-Schinzer, Chief Digital Officer Business Development, Wenzel (Halle 5, Stand 5102)
  • Sabine Koll und Markus Strehlitz, Redaktion Quality Engineering (Halle 5, Stand 6408)

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