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Montageprüfung an Fahrzeugaggregaten durch Bildverarbeitung

Konzept zur effektiven Qualitätsprüfung von Aggregaten mit hoher Typenvielfalt
Montageprüfung an Fahrzeugaggregaten durch Bildverarbeitung

Die Automobilindustrie setzt zunehmend auf die Montage immer größerer Module durch Zulieferer. Das ermöglicht dem Hersteller eine Konzentration auf seine Kernkompetenzen, nämlich Motor und Gesamtkonzept. An der Schnittstelle zwischen Zulieferer und Hersteller ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer sehr sicheren Qualitätsprüfung komplexer Komponenten mit hoher Typenvielfalt. Der folgende Beitrag zeigt ein neu entwickeltes Konzept zur Automatisierung der optischen Montageprüfung auf, das neben hoher Erkennungssicherheit auch die Aspekte Wartbarkeit und Erweiterbarkeit in höherem Masse als bisher berücksichtigt.

Dipl.-Ing. (FH) Martin Schumacher, VITRONIC Dr.-Ing. Stein Bildverarbeitungs- systeme GmbH, Wiesbaden

Die Arbeitsteilung zwischen Automobilhersteller und vielen verschiedenen Zulieferern ist nicht neu. Neu ist auch nicht die Notwendigkeit, an der Schnittstelle zwischen den Fertigungsschritten Qualitätssicherung zu betreiben. Muss der Zulieferer einerseits die Einhaltung vertraglich vereinbarter Standards gewährleisten, möchte der Hersteller andererseits diese oft im Rahmen einer Wareneingangsprüfung kontrollieren.
Eine manuelle Prüfung ist aufwändig und somit teuer. Darüber hinaus führt sie meistens zu stark schwankenden Ergebnissen. Der Mensch bewertet abhängig von verschiedenen Faktoren wie zum Beispiel Qualifikation, „Tagesform„ und Zeitdruck Merkmale eines Werkstücks unterschiedlich. Daher verspricht eine automatische Prüfung neben Rationalisierungseffekten vor allem eine objektivere Aussage.
In vielen Fällen wird dabei eine zum Beispiel elektrische oder pneumatische Funktionsprüfung durch eine Sichtprüfung mittels Kameratechnik ergänzt. Diese ist in der Lage, ein breites Spektrum an Inspektionsaufgaben von der Vollständigkeits- bis hin zur Oberflächenprüfung durchzuführen. Bei einer steigende Anzahl an Einzelprüfungen an immer komplexer werdenden Aggregaten mit hoher Typenvielfalt ist eine weitgehende Standardisierung sowohl in Bezug auf Sensorik (Kamera und Beleuchtung) als auch auf die Benutzerschnittstelle unverzichtbar um die Anforderungen bezüglich Erkennungssicherheit, Robustheit, Wartbarkeit und Erweiterbarkeit zu erfüllen.
Status Quo
Unter Montagekontrolle versteht man die Überprüfung montierter Aggregate auf korrekte Fügung der richtigen Komponenten. Sie setzt sich also im wesentlichen zusammen aus den beiden grundlegenden Aufgaben Bewertung der Montage und Identifikation von Komponenten.
Die Bewertung der Montage erfolgt typischerweise durch Vermessung oder Erkennung spezifischer Merkmale, die nur bei korrektem Verbau vorhanden sind beziehungsweise fehlen. Für die Identifikation kommen Mustervergleich aber auch Code- und Klarschriftlesung in Betracht. Sind zurzeit noch Kriterien wie Form und Beschaffenheit häufigstes Merkmal für eine Identifikation, gewinnen maschinell lesbare Codes zunehmend an Bedeutung. Insbesondere zweidimensionale Dotmatrix-Codes tragen neben einer Typbeschreibung weitere Informationen wie Hersteller und Charge und ermöglichen damit zusätzlich eine Rückverfolgung der Einzelkomponenten eines Aggregats über lange Zeit.
Bisherige Lösungen zur Montagekontrolle mit Bildverarbeitung wurden größtenteils mit einer erheblichen Anzahl von Kameras aufgebaut. Dabei setzte man im ersten Schritt der Projektierung einen Sensor pro Einzelprüfung an. Nachfolgend wurde versucht, die Anzahl der Kameras (und damit die Kosten und Komplexität) zu reduzieren, in dem man sinnvoll Einzelprüfungen so zusammenfasste, dass sie gemeinsam mit einem Sensor realisiert werden können. Kriterium für diese Optimierung ist neben der Position auf dem zu untersuchenden Bauteil auch die zur Kontrastierung des Prüfkriteriums nötige Beleuchtungskonstellation. Bei heute üblichen komplexen Modulen mit leicht über 30 Einzelprüfungen pro Typ und einer hohen Typenvielfalt entstehen dabei Anlagen mit bis zu 50 Kameras.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang neben dem schieren Hardwareaufwand und dem nicht unerheblichen Platzbedarf die Tatsache, dass jede Kamera individuell justiert und konfiguriert werden muss. Ist dies bei der Erstinbetriebnahme in der Regel noch vertretbar, erfordert es beim Austausch eines defekten Sensors im Produktionsbetrieb ein hohes Maß an Spezialkenntnissen und zieht deshalb in der Regel einen zeitaufwändigen Serviceeinsatz des Bildverarbeitungslieferanten und entsprechende Stillstandszeiten nach sich.
Ziel: Generalisierung des Sensoraufbaus
Als der Modine-Konzern an VITRONIC mit der Aufgabenstellung „Montageprüfung an Kühlaggregaten„ herantrat, war klar, dass nur die Entwicklung eines völlig neuen konzeptionellen Ansatzes die für alle Beteiligten zufrieden stellende Umsetzung des Projekts ermöglichen würde. Der technische Vertrieb von VITRONIC zusammen mit den Fachabteilungen und in enger Kooperation mit Modine eine Lösung, die in ihrem Kern die Generalisierung des kompletten Sensoraufbaus zum Ziel hat.
Dabei wird die Transportbewegung des Prüflings auf der Förderstrecke ausgenutzt, um im Durchlauf dessen komplette Oberfläche zu erfassen. Aufgrund der normalerweise relativ geringen Tiefenschärfe von Zeilenkameras kommen hochauflösende Matrixkameras zum Einsatz, die in einer Art ringförmig um die Förderstrecke angeordneten Portal zu definierten Zeitpunkten Aufnahmen machen. Nach dem Durchlauf des Aggregats durch das Kameraportal stehen von vier der sechs Seiten alle Aufnahmen zur Verfügung. Um auch die beiden Stirnseiten zu erfassen, werden zum oberen und unteren identisch aufgebaute Sensormodule schräg vor und hinter dem Portal angeordnet.
Zur Beleuchtung dienen schaltbare, großflächige LED-Panels, die unter verschiedenen Winkeln zur Moduloberfläche angeordnet sind. Dadurch ergeben sich pro Ansicht mehrere Beleuchtungskonstellationen, die jeweils unterschiedliche Typen von Merkmalen auf dem Prüfling kontrastieren.
Die senkrecht zur Moduloberfläche angeordneten Kameras können an einigen wenigen Stellen den gewünschten Prüfbereich nicht erfassen, da er zum Beispiel von anderen Komponenten verdeckt wird und nur schräg einzusehen ist. Hierfür ist hinter dem Kameraportal eine Indexiereinheit mit etwa fünf spezifisch für Einzelprüfungen angeordneten Kameras vorgesehen.
Ziel: Vereinfachung der Benutzerführung
Analog zur Generalisierung der Sensorik verfolgt auch das Softwarekonzept die Zielsetzung, die Robustheit, Wartbarkeit und Erweiterbarkeit zu optimieren.
VITRONIC verwendet hier schon seit vielen Jahren ein selbstentwickeltes, sehr flexibles Baukastensystem zur Zusammenstellung von Prüfplänen aus einzelnen Bildverarbeitungswerkzeugen. Um die Übersichtlichkeit zu erhalten, werden nur wenige ausgewählte Verfahren wie zum Beispiel Mustererkennung und Vermessung verwendet. Diese müssen sehr robust arbeiten, um zum einen die große Variationsbreite der Gutteile zum anderen aber die durch den mechanischen Aufbau bedingten Schwankungen zu tolerieren. Insbesondere soll auch der Austausch von Sensorkomponenten ohne aufwändige Justage oder Nachlernen der Prüfungen möglich sein.
Die große Typenvielfalt der Prüflinge entsteht durch die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten der Einzelkomponenten. Einzelprüfungen, wie zum Beispiel der korrekte Verbau einer Niete kommen dabei auf vielen Modultypen vor und sollen nicht für alle betroffenen Varianten separat eingelernt werden. Daher sind diese Verifikationen auf kurze Prüfpläne in der Bediensoftware abgebildet und die Beschreibung eines kompletten Prüfplans besteht in der Regel nur noch aus Verweisen auf diese Einzelprüfungen. Der übergeordnete zentrale Lagerverwaltungsrechner liefert nach dem Anlegen eines neuen Modultyps diese Information an das Bildverarbeitungssystem und unterstützt damit dessen Typverwaltung.
Aufgrund der Strategie, die komplette Oberfläche des Prüflings zu erfassen, werden pro Modul über 100 Einzelbilder von den Matrixkameras generiert. Mit Hilfe eines Übersichtsmodus mit der Möglichkeit durch Anklicken in den interessierenden Bereich zu zoomen, wird diese Bilderflut für den Bediener sehr einfach handhabbar.
Integration in das Gesamtsystem
Um die Verfügbarkeit des Gesamtsystems innerhalb des Produktionsprozesses weiter zu erhöhen, werden zwei identische Systeme in die Fördertechnik eingebunden. Diese sind in der Lage, sich gegenseitig vollständig zu ersetzen und bei Ausfall einer Anlage die Funktionalität bei reduziertem Durchsatz aufrecht zu erhalten. Durch diese Redundanz können außerdem Wartungsarbeiten, die den Stillstand der entsprechenden Linie erfordern, ohne Stillstand des Gesamtsystems erfolgen. Selbstverständlich ist das System mit Fernwartung ausgestattet. Ein komplett vorkonfigurierter Ersatzrechner und eine bootbare Notfall-CD sowie die Service-Hotline komplettieren die Notfallstrategie.
Neben einem Transponder an jedem Werkstückträger, der dem Prüfsystem Informationen über den Typ, die laufende Nummer und Status des Prüflings liefert und auch zum Ablegen des Gut-/Schlechtergebnisses dient, erfolgt eine Anbindung an den zentralen Lagerverwaltungsrechner per Ethernet und TCP/IP in einem XML-Format. Dieser erhält für jeden Prüfling einen kompletten Report der durchgeführten Prüfungen und deren Ergebnissen sowie weitere Prozessdaten. Zusammen mit der im Bildverarbeitungssystem integrierten Versionsverwaltung von Prüfplänen und Softwareständen ist durch eine Archivierung der Verwaltungsdaten eine lückenlose Nachverfolgung der durchgeführten Prüfungen für jedes einzelne Modul möglich.
Zusammenfassung
Das vorgestellte Konzept erlaubt durch weitgehende Verallgemeinerung der Aufgabenstellung den Lösungsansatz durchsichtiger und damit effizienter in vielerlei Hinsicht zu gestalten.
Die Komplexität für den Benutzer wird reduziert und durch die komplette Erfassung der Module müssen neue Prüfungen in der Regel lediglich eingelernt werden und benötigen keine Anpassung oder Erweiterung der Hardware. Damit sind die Hauptkritikpunkte von bisherigen Systemen ausgeräumt. Flexibler Umgang mit einer großen Typenvielfalt und immer kleineren Chargengrößen bei reduziertem Personaleinsatz werden in Zukunft nicht nur in der Automobilindustrie an Bedeutung gewinnen. Das hier vorgestellte Konzept stellt einen wichtigen Schritt für die automatische Montagekontrolle in diese Richtung dar.
Literatur
[1] Ernst Baumann, Mitglied des Vorstandes der BMW AG, „Herausforderung an die Automobilindustrie im 21. Jahrhundert – Die Rolle der Zulieferer„. Rede auf der Mitgliederversammlung VDMA Bayern am 25.10.2002 in Regensburg
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