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„Multisensorik ist bereit für das Industrie-4.0-Zeitalter“

Interview mit Dr. Ralf Christoph, Geschäftsführer Werth Messtechnik
„Multisensorik ist bereit für das Industrie-4.0-Zeitalter“

Die Entwicklungen in der Multisensor-Koordinatenmesstechnik schreiten rapide voran. Dr. Ralf Christoph, Geschäftsführer von Werth Messtechnik, erläutert im Interview mit Quality Engineering, welche Vorteile die Technik für die Anwender bringt – und welche weiteren Innovationen künftig zu erwarten sind.

Werth hat vor zehn Jahren die Computertomografie in der Koordinatenmesstechnik eingeführt. Welche Vorteile hat dies heute für die Messtechnik?

Dr. Ralf Christoph: Für uns war es damals verlockend, die Werkstücke in einem Messablauf von wenigen Minuten vollständig mit einer großen Menge von Messpunkten zu erfassen. Die Anzahl der zu prüfenden Merkmale hat, abgesehen von geringen Rechenzeitunterschieden, kaum Einfluss auf die Gesamtmesszeit. Sind an einem Werkstück viele Maße zu bestimmen, lassen sich sowohl die Erstbemusterung als auch die Überwachung der laufenden Fertigung mit Computertomografie in einem Bruchteil der Zeit bewerkstelligen, die bei der Anwendung konventioneller Koordinatenmesstechnik erforderlich wäre. Ein weiterer wesentlicher Vorteil der Computertomografie liegt in der Möglichkeit, schwer oder gar nicht zugängliche Merkmale zerstörungsfrei zu erfassen.
In wie weit hat sich die Röntgentechnik in der Koordinatenmesstechnik heute etabliert?
Christoph: Die anfängliche Skepsis ist mittlerweile breitem Interesse gewichen. Durch die 2005 von uns eingeführte Spezifikation der Geräte in Anlehnung an die in der Koordinatenmesstechnik üblichen Normen und Richtlinien sowie die mittlerweile doch recht umfangreiche Praxiserfahrung ist das Vertrauen in diese Technik mittlerweile gegeben. Das größte Hindernis für eine noch schnellere Verbreitung der Computertomografie liegt in den immer noch relativ hohen Beschaffungskosten.
Welche Weiterentwicklungen in der CT gibt es hier in jüngster Zeit – und wie profitieren die Anwender davon?
Christoph: Wie in der Koordinatenmesstechnik im Allgemeinen ist auch bei den Tomografiemessgeräten die Verringerung der Messabweichungen ein Schwerpunkt. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Durch die Kombination mit Multisensorik können wir heute beispielsweise sogar präzise Einspritzdüsen für Dieselmotoren mit Messabweichungen kleiner als 0,5 µm messen. Weiterentwicklungen der CT-Komponenten und neue Messmethoden ermöglichen immer höhere Auflösungen und geringere Messabweichungen. Beispielsweise mit den für Werth zum Patent angemeldeten Verfahren Multi-ROI-CT oder der Rastertomografie ist es möglich, auch relativ große Werkstücke mit hoher Auflösung zu messen.
Wie sinnvoll ist der Einsatz von Multisensor-Koordinatenmessgeräten im Messraum?
Christoph: Der wesentliche Vorteil der Multisensorik besteht zunächst darin, dass das komplette Werkstück in einer Aufspannung im gleichen Bezugskoordinatensystem gemessen werden kann. Dies ist oft mit einem einzigen Sensor nicht möglich. Auch gibt es neben Merkmalen, bei denen es vorrangig auf die Genauigkeit ankommt, oft andere, die mit einem alternativen Sensor schneller gemessen werden können. Besonders für den Einsatz im Messraum ist die hohe Flexibilität der Multisensor-Koordinatenmesstechnik von Bedeutung. Sie gewährleistet Investitionssicherheit, da verschiedenste Messaufgaben gelöst und im Bedarfsfall zusätzliche Sensoren nachgerüstet werden können.
Und inwiefern ist Multisensorik Voraussetzung für das schnelle Messen nahe der Fertigung beziehungsweise sogar inline?
Christoph: Der Vorteil von Multisensorgeräten liegt auch hier in der Flexibilität und der hohen Messgeschwindigkeit, insbesondere der optischen Sensoren.
Geht heute beim Messen in der Fertigung kein Weg mehr an optischen Technologien vorbei?
Christoph: Zunächst ist festzustellen, dass das taktile Messen auch zukünftig seine Existenzberechtigung haben wird, da viele Merkmale nur sehr schwierig oder mit nicht vertretbarem Aufwand optisch messbar sind. Wenn sie technisch einsetzbar sind, weisen optische Verfahren meist enorme Geschwindigkeitsvorteile auf. Beispielsweise mit unseren Quickinspect MT-Geräten können Messbereiche bis 400 mm Länge in wenigen Sekunden erfasst werden. Hierzu rastert das Gerät auf Knopfdruck die Werkstücke im On-The-Fly-Modus ab und erzeugt hochaufgelöste Bilder mit nahezu beliebig vielen Pixeln und hoher Genauigkeit. Während man für das taktile Messen einer Bohrung oft einige Sekunden benötigt, können so in der gleichen Zeit einige zehn oder gar hunderte von Merkmalen gemessen werden.
Welche technischen Entwicklungen sehen Sie aktuell in der Multisensorik?
Christoph: Durch Messgeräte mit mehreren Sensorpinolen wird das Arbeiten mit Multisensorik wesentlich erleichtert und eine gegenseitige Behinderung der verschiedenen Sensoren vermieden. Eine alternative Lösung ist die Integration verschiedener optischer Sensoren in einem Strahlengang kombiniert mit einer Wechselschnittstelle für konventionelle mechanische Taster, den Werth Contour Probe oder den Fasertaster.
Die Multisensorik birgt eine höhere Komplexität für den Anwender. Wie weit fortgeschritten ist die Automation, um diese in den Griff zu bekommen?
Christoph: Eine möglichst einfache Bedienung rückt tatsächlich zunehmend in den Vordergrund. Dies wird bei modernen Geräten zur Erfassung vieler Messpunkte mit Sensoren wie Bildverarbeitung, Scanning-Taster und Röntgentomografie durch CAD-gestützte Prüfplanerstellung oder intelligente Funktionen für die interaktive Bedienung umgesetzt.
Was ist technisch notwendig für die automatische Auswahl der Sensoren?
Christoph: Ein erster Schritt ist sicherlich die vollständige Integration der Maßinformation in die 3D-CAD-Modelle. Insbesondere muss zukünftig schon von der Konstruktion vorgegeben werden, wie die maßliche Prüfung auf den vorhandenen Flächen beziehungsweise Konturen abzustützen ist. Wenn diese Informationen vorhanden sind, ist eine automatische Auswahl der entsprechenden Sensoren relativ einfach.
Inwieweit ist die Multisensorik für die vernetzte Umgebung im Industrie-4.0-Zeitalter vorbereitet?
Christoph: Die wesentlichen Schnittstellen für die Einbindung von Multisensor-Koordinatenmessgeräten in eine vernetzte Umgebung sind die Geometrie- und Bemaßungsdaten aus der CAD-Welt und die Einbindung der Messergebnisse in den Fertigungsprozess. Ein Beispiel ist die Einbindung von Koordinatenmessgeräten mit Röntgentomografie in den Herstellungsprozess von Werkzeugen für das Kunststoffspritzgießen. Hier wird auf der Basis der gemessenen Werkstückgeometrie von Erstmustern in einem Schritt eine Korrektur der CAD-Daten für die Werkzeugherstellung abgeleitet und auf dieser Basis in kurzer Zeit ein optimiertes Werkzeug hergestellt. Werkzeugbauer, CT-Messdienstleister und Konstrukteure können hierbei dank einheitlicher Schnittstellen die Daten über das Netzwerk austauschen.
Wie sieht Ihre Vision aus: Wohin wird sich die Multisensorik in den nächsten Jahren zehn bis 15 Jahren entwickeln?
Christoph: Zukünftige Entwicklungen werden von neuen Sensorprinzipien und stärker integrierter Multisensorik gekennzeichnet sein. Hierdurch wird in naher Zukunft der Begriff Multisensor eine neue Bedeutung erhalten. Ein wichtiger Schwerpunkt für die zukünftige Entwicklung der Röntgentomografie in der Koordinatenmesstechnik ist die komplette Messung von Werkstücken, die aus verschiedenen Materialien zusammengesetzt sind. Einen ersten Ansatz hierfür bietet unser Volumenschnittverfahren. Der Trend zur schnellen Messung vieler Punkte für die Beschreibung komplexer Werkstückgeometrien wird sich fortsetzen und so sowohl Koordinatenmessgeräten mit Röntgensensorik als auch optischen Sensoren weitere Einsatzfelder erschließen. ■
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