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Prüfungen auf dem Prüfstand

Studie zeigt, wie Digitalisierung die Arbeit von Konformitätsbewertungsstellen verändert
Prüfungen auf dem Prüfstand

Produkte und Dienstleistungen werden in Zukunft drei wesentliche Eigenschaften besitzen: Sie werden digital, individuell und adaptiv sein. Doch auch unter diesen Vorzeichen müssen sie eine größtmögliche Sicherheit bieten. Dies stellt Prüfungs-, Inspektions- und Zertifizierungsanbieter vor neue Herausforderungen, wie eine Studie von 2b Ahead prognostiziert.

Zertifizierte Sicherheit ist ein Kernelement der industriellen Produktion, des Handels, des Wirtschaftens in allen Branchen. Sicherheitsrisiken sind zu minimieren, zum Schutz der Nutzer, der Arbeitskräfte, der Produktionsanlagen, der wirtschaftlichen Kraft des Unternehmens. „Das Vertrauen der Kunden hängt maßgeblich davon ab, dass Zulieferer, Händler und Betreiber ihre Sicherheit gewährleisten. Diese wiederum kann nur unabhängig durch eine parteilose Drittinstanz erfolgen“, sagt Kai Gondlach, Senior Researcher beim Trendforschungsinstitut 2b Ahead und Leiter der Studie „Sicherheit 2027“, die in Kooperation mit TÜV Nord und TÜV Süd entstanden ist.

Die beiden TÜVs nehmen wie andere Konformitätsbewertungsstellen in Deutschland eine gesamtgesellschaftliche Rolle ein, die weit über das objektive Prüfen, Testen, Auditieren, Inspizieren, Zertifizieren hinausgeht. Sie reduzieren Komplexität durch die Anwendungsberatung bei Normen und führen einheitliche Standards für Interoperabilität in den Grenzen sicherer Nutzung herbei. „Letztlich ist sie ein notwendiger Vertrauensträger in jeder Geschäftsbeziehung im B2B, im B2C und in Zukunft auch im C2B2C-Bereich“, stellt Gondlach klar. Denn analoge Lösungen werden zunehmend in die digitale Welt verlagert, auch während der Nutzung werden immer mehr Daten erhoben und gesammelt. Dies stelle auch neue Anforderungen an die Unternehmen der sogenannten TIC-Branche. TIC steht dabei für Testing, Inspection und Certification. „Das Vertrauen der Kunden muss immer wieder neu gewonnen werden“, so Gondlach. Diese „Vertrauensgenerierung“ werde entlang der Wertschöpfungskette immer wichtiger.

„Vertrauen wird zukünftig nicht in erster Linie über die Zertifizierung geschaffen, sondern über standardisierte Prozesse, die bei der Herstellung und bei der Leistungserbringung Qualität und Zuverlässigkeit generieren und sicherstellen“, betont Dr. Ulrike Bohnsack, Mitglied der Geschäftsleitung im Bereich Normung und Geschäftsführerin des DIN Konrat beim DIN – Deutschen Institut für Normung, in der Studie. „Letzten Endes wird durch eine Vernetzung von Managementsystemen wie Risikomanagement, Qualitätsmanagement, Informationssicherheit Vertrauen in Systeme und Prozesse hergestellt.“

Dies gilt auch im Zeitalter der Digitalisierung: Digitale Produkte und Systeme werden zunehmend adaptiv. Sie passen sich entweder eigenständig an veränderte Anforderungen an oder werden vom Nutzer beziehungsweise Betreiber verändert. „Das hat Auswirkungen auf die Art der Prüfung“, sagt Ulf Theike, Geschäftsführer von TÜV Nord Systems. „Der Prüfprozess muss zukünftig um eine digitale Ebene ergänzt werden.“

Um dem hohen Individualisierungsgrad und der rasanten Produktentwicklung gerecht zu werden, sei eine Anpassung und Optimierung des gesamten Prüfprozesses erforderlich. „Wir müssen sicherstellen, dass auch bei digitalen Produkten und Systemen ein hoher Sicherheitsstandard gewährleistet ist“, bestätigt Dr. Detlev Richter, Global Head of Industrial and Energy Products bei TÜV Süd Product Service.

Die Digitalisierung wird nach Einschätzung der Studie dafür sorgen, dass die TIC-Branche ihre Prozesse hinsichtlich folgender Fragen in Zukunft verändern wird: Wer führt die Prüfung, die Inspektion, den Test durch? Wie genau wandelt sich der Prozess? An welchem Punkt – von der Entwicklung bis zum Ende des Produktlebenszyklus – wird eigentlich geprüft? Und welchen Mehrwert können Konformitätsbewerter ihren Kunden zusätzlich zur Kerndienstleistung bieten?

Werfen wir einen Blick auf die Technologien im Prüfprozess: So weist die Studie darauf hin, dass Hersteller es aus ihren eigenen Produktionsumgebungen gewohnt sind, intelligente Systeme, Prozesse, Sensoren und Analysetools einzusetzen, um die Qualität, die Sicherheit ihrer Produkte zu überprüfen und zu gewährleisten. „Dieselbe Offenheit hinsichtlich datengetriebener Systeme erwarten sie auch von den Stellen, die ihre Produkte hinsichtlich der Betriebssicherheit prüfen und mit Siegeln ausstatten. Dadurch wächst der Druck auf Konformitätsbewerter, technologiegetriebene Prüfprozesse anzubieten“, so Studienleiter Gondlach.

Konformitätsbewerter im ständigen
digitalen Austausch mit den Herstellern

Die Automatisierung einzelner Prozessschritte
 seitens der Konformitätsbewerter sei dabei nur der erste Schritt hin zu einem technologiegestützten Prüfprozess. „So werden einfache Prozessschritte, wie das Berichtswesen, das Controlling und sämtliche Dokumentationen des Prüfprozesses bis 2027 nicht nur digitalisiert, sondern auch automatisiert sein“, ist Gondlach überzeugt. „In Zukunft werden Konformitätsbewerter den Herstellern Tools zur Verfügung stellen – beispielsweise nach Appstore-Logik –, welche es den menschlichen Prüfern und Auditoren ermöglichen, in einen digitalen Austausch mit dem Hersteller zu treten und nicht mehr zwangsläufig einen Menschen vor Ort zu senden.“ Getrieben werde dies durch die Effizienzsteigerung
 und damit die Ersparnis von Zeit und Geld seitens der Konformitätsbewerter und der Hersteller.

Eine weitere Dimension eines technologiegestützten Prüfprozesses ist für die Trendforscher der Einsatz von Simulationen, die auf intelligenten Algorithmen und künstlicher Intelligenz beruhen. Sie prüfen die Sicherheit bereits vor der Produktion, anstatt sie erst nachträglich über vielfältige Prüfverfahren zu testen. Gondlach: „Simulation bedeutet für Konformitätsbewerter, dass branchenübergreifend zerstörungsfreies Prüfen realisiert wird und sie von Herstellern frühzeitig in den Produktentwicklungsprozess integriert wird.“

Treiber und Ermöglicher für den erweiterten Einsatz von Software im Prüfprozess ist nach Einschätzung von 2b Ahead die wachsende Leistungsfähigkeit künstlicher Intelligenz. Diese Entwicklung werde „die Grundlagen von Konformitätsbewertung bis 2027 dramatisch verschieben“. Künstliche Intelligenz und die damit verbundene Auswertung langer Datenreihen bei der Prüfung ermöglichen es demnach, vollkommen neue Erkenntnisse über das Produkt zu erhalten, mögliche Sicherheitsrisiken oder Schwachstellen zu identifizieren. „In mehr als Echtzeit simuliert die künstliche Intelligenz zerstörungsfrei und eingriffslos Szenarien und prüft sie auf sicherheitsrelevante Tatbestände. Auch und gerade in Kombination unterschiedlicher Produkte, Prozesse und Anwendungsumgebungen wird hier das wahre Potenzial der künstlichen Intelligenz deutlich“, betont Gondlach.

Allerdings werde der menschliche Prüfer oder Auditor auch in zehn Jahren nicht vollständig durch eine künstliche Intelligenz ersetzt. „Menschliche Prüfung bleibt insbesondere dort bestehen, wo es nicht um Mustererkennung, sondern um nicht-standardisierte Erfahrung und situative Kreativität geht“, sagt Gondlach.

Auch für den Prüfungsablauf sieht die Studie Änderungen durch die Digitalisierung: Die Konformitätsbewertung eines Prüfobjekts ist heute überwiegend nach dessen Entwicklung angesiedelt. Das ändere sich zwangsläufig, wenn Hersteller Schritte in Richtung Adaptivität gehen. „Sie geben dann die Linearität von Entwicklung – Marketing – Vertrieb – Service auf. Entsprechend kann es gar keinen fixen Zeitpunkt in dieser Abfolge mehr geben, an dem Konformitätsbewerter ansetzen können“, so Gondlach. „Sie müssen sich zu dem ganzen Prozess verhalten und die Datenübertragung muss sehr viel eher ansetzen, nämlich bereits während der Entwicklung.“ Der Studienleiter ist überzeugt: „Noch viel mehr als heute wird in Zukunft vor allem die CAD-Datei im Hinblick auf Normen überprüft, bevor ein einziger realer Fertigungsschritt getätigt und Material verbraucht wurde.“ Für Konformitätsbewerter bedeutet dies, dass die Prüfpläne erstellt werden können, bevor das physische Produkt tatsächlich für eine Prüfung vorliegt, sollte diese noch vonnöten sein. Für die Bewerter und Hersteller habe das den Vorteil, dass individuelle Anforderungen beziehungsweise Baupläne von den Prüfern besser berücksichtigt werden können, indem Prüfschemata schon vorab definiert werden.

Eine weitere Dimension der früheren Integration des Konformitätsbewerters ist die Prüfung eines Produkts schon während der Produktion. „Hersteller geben die Daten aus der Produktion an den Konformitätsbewerter weiter und erwarten dafür selbstverständlich einen Mehrwert“, heißt es in der Studie. Dieser könne auf mehreren Ebenen liegen. Einerseits sei es naheliegend, dass TIC-Unternehmen in Zukunft mit der verfügbaren Datenmenge die eigenen Prozesse optimieren – sowohl hinsichtlich der Prüfschemata als auch durch die schlichte Effizienzsteigerung bei der Bearbeitung. Doch auch während des Produktionsprozesses können automatisiert Auskünfte gegeben werden, an welcher Stelle der Hersteller bereits in diesem frühen Stadium Änderungen vornehmen sollte. So verhelfen Smart Analytics den Herstellern dazu, potenzielle Probleme bei der Produktion oder der späteren Nutzung schon präventiv auszuschließen.

Geprüft wird künftig permanent,
iterativ und potenziell endlos

In Zukunft nutzen Konformitätsbewerter für die Prüfung nach der Produktion nicht nur den Prototyp beziehungsweise einzelne Produkte einer Serie, um ein Prüfschema zu entwickeln. „Infolge der digitalen Schnittstellen von Produkten zum Anwender sowie zwischen technischen Einrichtungen entstehen permanent Daten, die Konformitätsbewerter in Zukunft für die Erstellung eines Prüfschemas für die iterative, potenziell endlose Prüfung des Produkts nutzen – oder für andere Produkte“, ist Gondlach überzeugt. So produzieren und sammeln digitale Produkte während der Nutzung durch den Kunden Daten, welche Konformitätsbewerter dazu nutzen, ihre eigenen Prozesse zu optimieren. So können sie den Herstellern adaptive Prüfschemata anbieten.

Doch sieht 2b Ahead die Konformitätsbewertung nicht nach der Prüfung beendet: Die klassische Rezertifizierung von Produkten und Anlagen wird in Zukunft größtenteils automatisiert – auch in Bereichen, in denen sie nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. „Wenn Konformitätsbewerter durch das Automatisieren von Prozessen Zeit und Kosten einsparen, können sie ihren Kunden mehr Sicherheit zum selben Preis durch häufigere Prüfzyklen anbieten“, schlägt Gondlach vor. Dadurch werde es für TIC-Kunden eine attraktive Option, diese Zusatzleistung an die Endkunden weiterzugeben. ■


Die Autorin

Sabine Koll

Redaktion

Quality Engineering


Webhinweis

Die Trendstudie „Sicherheit 2027. Konformitätsbewertung in einer digitalisierten und adaptiven Welt“ kann hier geladen werden: http://hier.pro/g91DZ



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