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Qualitätsmanagement als Blaupause für Inklusion

Inklusionsfabrik auf dem Weg zum weltweiten Automobilzulieferer
Qualitätsmanagement als Blaupause für Inklusion

Im chinesischen Taicang hat Dekra Certification das Qualitätsmanagement einer Inklusionsfabrik erfolgreich zertifiziert. Das Werkstattsystem mit behinderten Arbeitnehmern ist auf dem Weg zu einem Qualitätszulieferer für die Automotive-Industrie.

Auch wenn die Eingliederung von Menschen mit Behinderung von vielen Betrieben angestrebt wird, fehlt es meist an Ideen und Mut. Die große Herausforderung für die Inklusion ist es, Menschen mit Behinderung individuell und angemessen in eine komplexe Arbeitsumgebung einzuführen und gleichzeitig strikte Qualitätsstandards einzuüben. Dass sich diese Anforderungen nicht ausschließen müssen, zeigt die Einführung des Qualitätsmanagements nach ISO 9001:2015 in einer Inklusionsfabrik im chinesischen Taicang.

Partnerunternehmen, darunter die KFW DEG (deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft), German Chamber of Commerce Shanghai sowie Zollner Elektronik, Jungheinrich und Fischer Automotive Systems, haben die Inklusionsfabrik Taicang Sino-German Handicapped Technology gegründet. Das Ziel: die Arbeiter so zu qualifizieren, dass sie sich als Auftragszulieferer für weltweite Abnehmer in der Automolindustrie bewähren. Zwar arbeiten in der Inklusionsfabrik bislang nur 21 Menschen mit Behinderung, wovon 17 Facharbeiter sind. Jedoch wurde in Taicang ein innovatives Werkstattsystem eingeführt, das als Blaupause und Zukunftsmodell für die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in der verarbeitenden Industrie dient.

Mit Hilfe speziell entworfener Arbeitsplätze und Maschinen übernehmen die Beschäftigten im Team anspruchsvolle Auftragsarbeiten. Produziert werden für die Automobilindustrie unter anderem Klemmringe für Kühlerschläuche, Kabelbäume, Schlauchschellen, Federn, Steckdosen, Keramikanschlüsse, Kupplungsscheiben. Ein Automobil- und Industrielieferer bezieht beispielsweise monatlich 40.000 Klammern zur Kupplungsausrüstung. Ein anderer Zulieferer bezieht von der Inklusionsfabrik monatlich 45.000 Federn für Getränkehalter.

Der Inklusionsfabrik ist es gelungen, sich als vollwertiger Qualitätslieferant im Markt zu platzieren. In dem Werkstattsystem werden die Mitarbeiter mit Behinderung speziell nach ihren Fähigkeiten trainiert und maschinell unterstützt. Das System baut insbesondere auf speziellen Coaching- und Mentoring- Programmen auf und begleitet die Mitarbeiter vom Rohmaterial bis zum fertigen Produkt. Jeder Mitarbeiter wird im Rahmen der individuellen Möglichkeiten auf möglichst alle Arbeitsschritte geschult. So dient die eineinhalbstündige Job Rotation auch als wesentliches Element, um den Arbeitsalltag abwechslungsreich zu gestalten und die Aufmerksamkeitsspanne hoch zu halten.

Im Prinzip gilt es, dass einfache Bedienfehler im Fertigungsprozess auf ein Minimum reduziert werden. Mit dem Schlüssel-Schloss-Prinzip werden die Werkzeuge so angepasst, um eine fehlerhafte Montage oder Überbelastung des Materials auszuschließen. Zudem sind Komponenten in der Inklusionsfabrik mit einem RFID-Chip ausgestattet. Werden diese fehlerhaft verarbeitet, ist die Werkstattleitung umgehend informiert und korrigiert sogleich den Arbeitsprozess mit den Mitarbeitern. Diese Trainings bewähren sich in der Praxis und sind deutlich effizienter als herkömmliche Arbeitsanweisungen ohne Interaktionsmöglichkeiten. Es wird nur das trainiert, was tatsächlich gebraucht wird. So gründet der Erfolg in Taicang wesentlich auf dem Engagement der Partnerfirmen, die im Rahmen der Korrekturschleifen die Arbeitsschritte kontinuierlich überprüfen, maschinell anpassen und bei Risiken für den Arbeitsschutz die Geräte sicherer machen.

Job Coach im Mittelpunkt des QM-Systems

Um die Inklusionsfabrik als einen qualitätsgesicherten Zulieferer zu etablieren und Grundlage für das Wachstum durch verbesserte Prozesse zu legen, wurde 2017 das Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001:2015 zertifiziert. Der Scope umfasste die Bearbeitung und Montage einfacher mechanischer und elektronischer Bauteile. Im Mittelpunkt der Qualitätsstruktur stehen die sogenannten Job Coaches, um in der besonderen Belegschaft vor allem das Verständnis und den Kontext für die Produkte zu schaffen. In der Inklusionsfabrik sind die Job Coaches Betreuer und Arbeitsplaner. Sie haben ein Bachelorstudium in Sozialarbeit auf der Nanjing Normal University absolviert und bringen durch Aufenthalte wie beispielsweise in Deutschland wertvolle Praxiserfahrungen in die Fabrik ein.

Doch bevor die Job Coaches zur Steuerung eines gesamten Workflow eingesetzt werden, absolvieren sie ein spezielles Trainingsprogramm in der Social Inclusion Academy. Außerdem durchläuft jeder Coach jedes Jahr ein dreimonatiges Trainingsprogramm mit sozialpädagogischen, organisationstheoretischen und arbeitspsychologischen Aspekten. Diese Mischung aus formalen und psychosozialen Trainings ist anspruchsvoll. Doch die Umsetzung der technischen Fähigkeiten und zentralen Anforderungen aus der QM-Norm wie Verständnis in der Organisation, Führung oder Bekanntmachung der Qualitätspolitik gelingt nur, wenn auf die einzelnen Mitarbeiter und ihrem Handicap individuell eingegangen werden kann.

Wenn die Mitarbeiter in der Inklusionsfabrik Taicang ihre Arbeit aufnehmen, übernehmen sie zunächst sehr einfache Arbeitsprozesse. Die Job Coaches müssen die einzelnen motorischen Fähigkeiten, die soziale Interaktion und Konzentrationsfähigkeit einschätzen können. Erst wenn die Mitarbeiter mindestens fünf aufeinanderfolgende Arbeitsschritte verlässlich ausführen können, übernehmen sie in dem Werkstattsystem komplexere Aufgaben. Damit baut sich aber auch das Selbstvertrauen in die eigenen Fertigkeiten auf, was eine wesentliche Voraussetzung für weiteres motiviertes Lernen ist. Immer freitags werden Produktschulungen sowie Sicherheitstrainings für verletzungsanfällige Arbeitsprozesse gehalten.

Um das Qualitätsniveau nachhaltig zu sichern, werden den ausgebildeten Arbeitern bestimmte Verantwortungsbereiche wie zum Beispiel Recycling, Stromsparen oder Sicherheit übertragen. Für jeden dieser einzelnen Bereiche erhält der Mitarbeiter einen Vertrag über drei Monate. In dieser Zeit können die Job Coaches die erweiterten Kompetenzen der Mitarbeiter stärken. Ist ein Mitarbeiter etwa für die Stromeinsparung zuständig, muss er den Stromverbrauch dokumentieren und messen können, was wiederum die Rechen- und Gedächtnisfähigkeiten trainiert. Eine besondere Motivation und regelrechte Schubkraft für das Verständnis in der Organisation sind allerdings die regelmäßigen Werksbesuche bei den Auftraggebern: Wenn dort die Mitarbeiter aus der Inklusionsfabrik sehen, in welchen teils komplexen Komponenten ihre Teile im industriellen Maßstab verbaut werden, erfahren sie unmittelbar, dass sie im ersten Arbeitsmarkt angekommen sind. ■


Der Autor

Sebastian Bolz

Senior Manager
Strategic Development

Dekra Certification

www.dekra-certification.de


Webhinweis

Mehr zu Taicang Sino-German Handicapped Technology sehen Sie in diesem Video der Bertelsmann Stiftung:

http://hier.pro/onfyn



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