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Rezept für ein neues Kilogramm

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Rezept für ein neues Kilogramm

Rezept für ein neues Kilogramm
PTB-Mitarbeiter Volker Görlitz (links) zeigt internationalen Forschern den richtigen Umgang mit der silbernen Siliziumkugel, die das in Paris gelagerte Ur-Kilogramm überflüssig machen soll Foto: PTB
Nach fast 130 Jahren wird das internationale Ur-Kilogramm im Herbst 2018 wahrscheinlich in den wohlverdienten Ruhestand geschickt. Es soll künftig wie der Meter und die Sekunde über unveränderliche Naturkonstanten definiert werden. Dazu zählen Wissenschaftler in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) fleißig Atome in einer Silizium-Kugel.

Das Ur-Kilogramm wird seit der Meterkonvention von 1889 von einem Platin-Iridium-Zylinder verkörpert, der vom Internationalen Büro für Maß und Gewicht (BIPM) in einem Tresor in Sèvres bei Paris aufbewahrt wird. Kopien davon wurden als nationale Kilogramm-Prototypen an die Unterzeichnerstaaten dieses Vertrages verteilt. Doch wie sich über die Jahre zeigte, verliert das Ur-Kilogramm an Masse. Warum das so ist, weiß keiner so genau. „Dieser unbefriedigende Zustand soll durch die Neudefinition beendet werden“, erklärt Frank Härtig, Leiter der Abteilung für Mechanik und Akustik in der PTB. „Hat man die sogenannte Planck-Konstante in Stein gemeißelt, kann jeder das Kilogramm berechnen und bestenfalls nachbauen.“

Auf dem langen Weg zur Planck-Konstante hat die PTB einen Umweg eingeschlagen – über die Avogadro-Konstante, welche die Anzahl der Atome in einem Mol angibt. Eigentlich würde diese zur Neudefinition des Kilogramms ausreichen. Doch die Forscher wollen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Einheit der Stromstärke, das Ampere, soll künftig ebenfalls über eine Naturkonstante definiert werden – und zwar über die Ladung des Elektrons. Gelingt das, fehlt nur noch die Planck-Konstante, um die Einheiten Spannung und Widerstand daraus herzuleiten.
Daher wollen die Masse-Metrologen ihren Kollegen die Planck-Konstante gleich mitliefern. Denn Avogadro- und Planck-Konstante sind über eine feste physikalische Relation, die sogenannte molare Planck-Konstante, miteinander verknüpft. Um es einheitlich zu halten, hat man sich daher international auf die Planck-Konstante zur Neudefinition des Kilogramms geeinigt, was dann auch den Metrologen der Stromstärke nützt.
Während Wissenschaftler international die Planck-Konstante mithilfe einer Wattwaage ermitteln wollen, gehen die deutschen Wissenschaftler den Weg über die Avogadro-Konstante. Dazu zählen sie die Atome in einer Silizium.(Si)-Kugel. Jedes Atom einzeln zu zählen, ist jedoch nicht möglich – und auch nicht nötig. Wer würde schon jedes Feld eines Schachbrettes zählen, um auf die Gesamtzahl der Felder zu kommen, wenn einfache Mathematik auch zum Ziel führt? Ähnlich gehen die Wissenschaftler der PTB beim Avogadro-Projekt vor. In einem nahezu perfekten Kristall, wie dem aufwendig gezüchteten Silizium-Einkristall, aus dem die PTB ihre Si-Kugeln formt, sind die Atome regelmäßig im Kristallgitter angeordnet. Mittels Röntgenstrahlung lässt sich die Gitterstruktur sichtbar machen und das Atomvolumen bestimmen. In einem weiteren Schritt ermitteln die Wissenschaftler den Kugeldurchmesser. Dazu wird der Durchmesser der Kugel mit einem Kugelinterferometer an ihrer Oberfläche über eine Million Mal bestimmt. So lässt sich der gemittelte Durchmesser bis auf drei Atomdurchmesser genau bestimmen.
Aus dem Verhältnis der beiden Volumina ergibt sich die Atomanzahl in der Kugel. In der PTB kann man das bereits so gut, dass sich die Wissenschaftler nur alle 100 Millionen Atome um ein bis zwei Atome verzählen. Durch all diese Messungen und Berechnungen wissen sie, aus wie viel Mol Silizium ihre Kugel besteht und wie viele Atome in einem Mol stecken. Letzteres entspricht der Avogadro-Konstante.
Drei qualitativ und preislich unterschiedliche Kugeln will die PTB künftig Metrologie-Instituten und Kalibrierlaboratorien anbieten: Zum einen die fast isotopenreinen SI-Kugeln und die sogenannten quasi-primären Normale aus Silizium mit natürlicher Isotopen-Zusammensetzung. Beide kann derzeit nur die PTB anfertigen. Eine dritte Variante, ein Sekundärnormal, kann kostengünstiger auch von der Industrie hergestellt werden; diese Kugeln sind dann etwas weniger rund. ■
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