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Risse hören

Akustische Verfahren zur Rissprüfung in der Serienproduktion
Risse hören

Der vorliegende Beitrag stellt die Rissprüfung mit akustischen Verfahren in den Mittelpunkt. Er geht auf die technischen und wirtschaftlichen Leistungsmerkmale der akustischen Verfahren ein. Zudem beleuchtet er wesentliche Aspekte, die bei der Beurteilung der konkreten Aufgabenstellung technisch zu betrachten sind. Der Hersteller verfügt über rund zwanzig Jahre Erfahrung in der Schwingungs- und Geräuschmesstechnik und hat mit seinem System Anovis eine praxiserprobte Systemplattform.

Dipl.-Ing. Dipl.-Kfm. Horst Jonuscheit, Medav Digitale Signalverarbeitung GmbH, Uttenreuth

Es gibt verschiedene Produkte und Prozesse, bei denen Risse auftreten oder entstehen. Risse sind besonders unangenehm: Teilweise sind sie schlecht zu sehen, teilweise werden sie in folgenden Verarbeitungsstufen verdeckt. In der Regel geht von rissbehafteten Produkten bei deren Gebrauch eine Gefahr aus oder Verarbeitungsmaschinen können gestört beziehungsweise beschädigt werden. Deshalb müssen rissbehaftete Teile gefunden und aussortiert werden.
Argumente für den Einsatz akustischer Verfahren in der Produktion sind zum Beispiel:
– Die akustische Prüfung ist ein zuverlässi- ges Prüfverfahren, das mit Standardtech nik ausgestattet über ausreichend Rechen- leistung verfügt, um dem Produktionstakt zu folgen,
– flexibel für die Anpassung an Produktvari- anten ist,
– das System vom vorhandenen Personal be- dient werden kann,
– sich über kurze Amortisationszeiten rech- net und
– geringe Prüfkosten pro Prüfling verursacht (bei Investitionskosten von 50 kEuro für Mess- und Handhabungstechnik und der Prüfung von 5 Mio Teilen pro Jahr. Bei drei Jahren Abschreibungsdauer er geben sich durchschnittliche Prüfkosten von 0,3 Cent/Prüfling),
– das Werk den geforderten Qualitätsstan- dard selbst definieren lässt und
– das Messsystem diesen Werksstandard objektiv überprüft.
Akustische Verfahren werden seit mehreren Jahren eingesetzt. Die praktischen Erkenntnisse aus den verschiedenen Anwendungen zusammen mit dem technischen Fortschritt für rechnerbasierte Messsysteme lassen die Bedeutung der akustischen Materialprüfung zunehmen. Vor der Einführung einer akustischen Materialprüfung in eine konkrete Anwendung sind verschiedene Aspekte zu beleuchten, damit die technischen und wirtschaftlichen Risiken eines Projekts minimiert werden. In der Praxis bestehen zwischen Untersuchungsgegenständen wichtige Interdependenzen: Die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems ist dabei entscheidend.
Sensorkonzept
Die Auswahl des „richtigen“ Sensorkonzeptes erfordert ein Kennen von Produkt, Material, Prozess und Produktionsbedingungen. Nur die Produktmängel können erkannt werden, deren korrespondierende Qualitätsinformation auch im aufgezeichneten Sensorsignal enthalten sind. Ein Sensorkonzept vorzuschlagen, erfordert sowohl konzeptionelles ingenieurmäßiges Vorgehen als auch experimentelle Untersuchungen. An dieser Stelle gibt eine kurze tabellarische Gegenüberstellung von Sensortypen „Ideen“ zum jeweiligen Ansatz (Tabelle 1). In Abhängigkeit des Prüflings und der gewünschten Diagnosetiefe können ein- und mehrkanalige, gegebenenfalls auch heterogene Sensorkonzepte zweckmäßig sein.
Die akustische Werkstoffprüfung beschränkt sich in ihren Anwendungspotenzialen nicht auf den Audiobereich. Statt dessen kann immer wieder festgestellt werden, dass die wichtigen Signalinformationen im nichthörbaren Frequenzbereich liegen.
Signalanalyse und Klassifikation
Eng mit der Auswahl des Sensorkonzepts ist die Analyse der Signale verbunden. Es stehen heute einige Standardverfahren der digitalen Signalanalyse und Mustererkennung zur Verfügung. Besondere Bedeutung haben dabei Verfahren zur Spektralanalyse, statische und/oder dynamische Schwellwertentscheider oder trainierbare Klassifikationsverfahren. Daneben können aufgabenbezogen auch andere, innovative Analyse- und Klassifizierverfahren erforderlich werden, um schwierigere Prüfaufgaben zu meistern.
Der Hersteller verwendet häufig neuronale Netze für die Rissprüfung. Diese werden anhand von ausgewählten Mustern trainiert. Der Qualitätsbeauftragte oder der Schichtführer bewertet diese Muster als „IO“ oder „RISS“. Das folgende Beispiel verdeutlicht die Konsequenzen der Musterauswahl und stellt stark vereinfacht den Vorgang des Trainings und der Serienprüfung dar:
Ein Produkt wird angeschlagen (Bild 1). Es sollten der Einfachheit halber nur zwei Frequenzen angeregt werden (Bild 2). Die Messdaten einiger Muster in der Frequenzebene sind dargestellt (Bild 3, links). Gleiche Farbe bedeutet gleichwertige Qualität. Nach Aufzeichnung der Muster wird der Trainingsprozess am Rechner gestartet. Training bedeutet, dass Hüllkurven um die Messpunkte der gleichen Qualität gelegt werden (Bild 3, rechts). Alle möglichen Punkte, die unter einer Hüllkurve liegen, werden als Cluster für eine spezielle Klasse bezeichnet. Wichtig ist, dass sich Cluster unterschiedlicher Klassen (Qualitäten) nicht überschneiden beziehungsweise mit Kurven separierbar sind. Der Abstand zwischen den Clustern gilt als Maß für die Unterscheidbarkeit der Teile. Im Beispiel sind drei Klassen definiert worden.
Nach dem Training werden neue Prüflinge gemessen. Je nach der Lage des neuen Messwerts erfolgt die Zuordnung des Prüflings zu der korrespondierenden Qualitätsklasse (Bild 4). Liegt der neue Messwert außerhalb der definierten Cluster, können unterschiedliche Strategien angewandt werden: Rückweisung im Sinne „unbekannte Klasse“ oder „der nächstgelegene Cluster gewinnt“. Mit einer Rückweisungsstrategie können auch Sicherheiten in die Entscheidungen eingebracht werden.
Man erkennt einfach, dass die Zuverlässigkeit der Entscheidung von der Ausbreitung der Cluster abhängt und diese wiederum von den Messwerten der Trainingsmuster. Deshalb ist es nötig, dass die Trainingsdaten möglichst alle praktischen Fälle von Mustern und Fehlern abdecken. Ein Nachtrainieren mit neuen Fehlermustern oder Gutmustern ist dabei auch manchmal zweckmäßig.
Es ist Aufgabe der Signalanalyse, die Informationen aus den Sensorsignalen derart zu extrahieren, dass das nachgeschaltete Entscheiderverfahren eine zuverlässige Qualitätsbewertung durchführen kann. Die Überprüfung der Fehlererkennungsmöglichkeiten eines Prüfaufbaus wird häufig als Mapping bezeichnet.
Anregungsmethoden
Bereits für die Laboruntersuchungen aber vor allem für die produktionsgerechte Lösung ist die Bewertung des Anregungsverfahrens „wie bringe ich den Prüfling zum Schwingen beziehungsweise zum Klingen“ von zentraler Bedeutung. Folgende Ansätze sind gegeben:
– Selbstschwinger wie Getriebe und (Elektro-) Motoren, die in einem Prüfpro- gramm gefahren werden,
– Anschlagtechniken, zum Beispiel Impuls- hammer,
– Shaker,
– Fallen des Prüflings auf Metallplatten.
Hier werden nicht-selbsterregende Anwendungen betrachtet. Mappingstudien werden anhand eines Ensembles von Prüflingen der interessierenden Qualitätsstufen oder mit den betreffenden Produktionsmängeln durchgeführt. Grundsätzlich gilt, dass die Studienergebnisse um so belastbarer für die Bewertung der Zuverlässigkeit im Produktionsumfeld sind, je repräsentativer die Stichprobe von Prüflingen ist.
Beispiel Dachziegel
Das folgende Beispiel Dachziegel gibt Einblick in die Vielfältigkeit der Einflussgrößen. Dieses Beispiel wird deswegen gewählt, da vermutlich jeder Leser bereits dieses vermeintlich einfache Produkt Dachziegel in Händen hielt. Der Dachziegel wird aus Ton gebrannt, welcher Schwankungen in der Komposition unterliegt, die teilweise für das Produkt Dachziegel irrelevant sind, den Klang aber beeinflussen können – ein längerfristiger Effekt. Der Rohstoff wird in Pressen auf Form gebracht. Die Presseinsätze unterliegen einem Verschleiß. Innerhalb von wenigen Stunden werden die Formen ausgetauscht und durch neue ersetzt. Über die Lebensdauer der Formen kann es zu Gewichtsunterschieden von 10 bis 15 Prozent des Ziegelgewichts geben. Der Klang wird dadurch beeinflusst – ein kurzfristiger, sprunghafter Effekt.
Werden Dachziegel bei höherer Temperatur gebrannt, klingen die Ziegel heller und sie schrumpfen stärker. Die Temperatur im Ofen schwankt. Klangeinflüsse sind kurzfristig und sprunghaft gegeben. Im Brennofen ist die Temperaturverteilung räumlich verteilt. Durch die Position des Dachziegels auf dem Ofenwagen wird sein Klangbild mitbestimmt – ein kurzfristiger und kontinuierlicher Effekt. Ein Dachziegel klingt je nach seiner Temperatur und seiner Feuchtigkeit unterschiedlich. Die Umgebungstemperatur kann die Ausbreitung des Klangs beeinflussen.
Weitere wichtige Aspekte, die in Bild 6 nicht angeführt wurden, sind: Rissbezogene Größen: Wo befindet sich der Riss? Wie lange und wie breit ist er? Die Dachziegelform prägt das Klangbild.
Der Klang kann über die Variation der Anschlagstelle beeinflusst werden. Manchmal werden Risse erst erkannt, wenn ein sogenannter „Setzschlag“ zum „Öffnen“ des Risses gegeben wurde und mit einem zweiten Anschlag der eigentliche Klang für die Analyse ausgelöst wird.
Veränderungen im Klangbild führen zu einer Streuung der Messwerte im Sinne von Bild 4. Beispiel: Ändert sich das Gewicht des Dachziegels, so wandern die Messwerte zu einer Clustergrenze oder darüber hinaus. Durch Nachtraining mit neuen Mustern werden die Clustergrenzen der Produktion angepasst. Der Effekt des Wanderns eskaliert, wenn die Trennbarkeit von GUT- und RISS-Mustern nicht mehr gegeben ist: Fehlsortierung tritt auf.
In der Praxis gibt es Werkzeuge und Plausibilitätsprüfungen, um Fehlkonstellationen zu vermeiden. Hier sollte auf die Problematik der Musterauswahl im Zusammenhang mit der zulässigen Fertigungsstreuung hingewiesen werden. Es ist klar, dass auch konkurrierende Prüfverfahren von der Fertigungsstreuung betroffen sind.
Die Vielfalt der vorgestellten Einflussgrößen, die auch bei anderen Produkten relevant sein können, oder auch weiterer Einflussfaktoren, zum Beispiel dem Einsatz von zulieferabhängig konstruktiv verschiedenen Aggregaten etc, muss besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Insgesamt muss das Akustikmesssystem robust gegen die zulässige Serienstreuung sein. Das gilt aber auch für die alternativen Messverfahren.
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