Spritzgießteile automatisch prüfen

Karl-Heinz Roth, Projektleiter, Braun GmbH Kai Buderer (Dipl.-Ing.(FH)), Projektleiter, Wolf Systeme AG Gerhard Hauser, Vertriebsleiter Industrie, Wolf Systeme AG

Die Herausforderung für die Produktion von Kunststoffgehäusen – auch Handstücke genannt – lautet: Wie sind perfekte Funktionalität, 100% Qualität, niedrigste Kosten und flexible Umsetzung von Designänderungen erreichbar? Die Lösung heißt: Automatische 100%-Kontrolle mit industrieller Bildverarbeitung direkt im Produktionsprozess. Das Problem: Welches System kann die hohen Anforderungen hinsichtlich Geschwindigkeit und Vielfalt der Prüfungen erfüllen?

Bei der Automatisierung ersetzt Bildverarbeitung wegen höherer Flexibilität und geringerem Platzbedarf zunehmend Lichtschranken und andere Sensorentechnik bei Anwesenheits- und Lagekontrollen. Während Bildverarbeitung bei Maßhaltigkeitskontrollen seit Jahren zum Einsatz kommt, ist Oberflächeninspektion entsprechend der Auditorensicht noch am Anfang. Für die umfassende Kontrolle komplexer Spritzgießteile war bisher keine Lösung verfügbar. Daher ist die Prüfung attributiver Merkmale wie etwa Farbvermischungen, Glanz, Mattigkeit, Einfallstellen und Fremdkörper an Oberflächen meist der visuellen Prüfung durch das menschliche Auge vorbehalten. Hohe Kosten, unzureichende Objektivität, schwankender Schlupf, fehlende Dokumentation u.v.a.m. müssen dabei in Kauf genommen werden.

Braun nutzt seit Jahren industrielle Bildverarbeitung für unterschiedliche Aufgaben. Für die 100% Kontrolle von Handstücken hatte nur MVplus von der Wolf Systeme AG, Karlsbad, das Potenzial, den hohen Anforderungen gerecht zu werden. Erste positive Erfahrungen wurden mit MVplus im Rahmen eines „Roboter geführten Stichprobenprüfplatzes“ gewonnen. Mit diesem Kenntnisstand wurde in 2001 ein Pilotprojekt gestartet. Heute hat sich MVplus im Hause Braun auch in dieser Anwendung bereits mehrfach in der Praxis bewährt, so dass ein umfassender Einsatz zur Sicherstellung von 100% Qualität für alle relevanten Kunststoffteile angestrebt wird.

Warum entschied sich nun Braun für MVplus? Für den zuständigen Projektleiter bei Braun, und seine Vorgesetzten waren folgende Punkte entscheidend:

Das Handstück einer elektrischen Zahnbürste wird im Spritzgießverfahren hergestellt. Es beinhaltet alle Bauteile und soll diese vor äußeren Einflüssen, insbesondere vor Wasser, schützen. Je Spritzgießmaschine werden zwei verschiedene Handstücktypen in jeweils 15 unterschiedlichen Farbzusammenstellungen und bis zu 3 unterschiedlichen Materialkomponenten kontrolliert.

Die Prüfung von Handstücken umfasst Maßhaltigkeit und attributive Merkmale. Maßhaltigkeitskontrollen von Durchmesser, Abstand und Formgebung der Handstücke erfolgen mit einer Genauigkeit im hundertstel Millimeter Bereich.

Denn die automatisierte Montage verlangt die Einhaltung enger Toleranzen und die genaue Ausprägung von Funktionselementen. Zu den wichtigsten Prüfungen attributiver Merkmale gehören: Farbabweichungen, Detektion von Fremdkörpern, Gratbildung, Schwund, Einfallstellen und Haftungsfehler zwischen unterschiedlichen Materialkomponenten.

Hierbei werden Fehler ab einer Größe von 35 Mikrometer erkannt.

Die Handstücke mit ihren sehr komplexen Übergängen der Materialkomponenten werden außen und innen zu 100% kontrolliert. Außen- und Innenprüfungen erfolgen asynchron und können somit gleichzeitig durchgeführt werden. Nach der letzten Prüfung erhält das Handlingsystem von MVplus ein iO-Signal zum Pallettieren guter Teile oder ein NiO-Signal zum Ausschleusen fehlerhafter Teile. Bei mehrfacher Wiederholung gleicher Fehler an einem oder verschiedenen Nestern setzt die Anlage einen Alarm, um die frühestmögliche Erkennung von Schäden sicher zu stellen.

Die Abarbeitung von über 6.000 Prüfschritten pro Sekunde zur Kontrolle von Maßen, Toleranzen, Ausspritzung und Oberflächen ist erforderlich, damit die Qualitätskontrolle den Produktionstakt nicht verlängert. Zur Dokumentation der Prüfergebnisse und Fehler werden die Daten in einer relationalen Datenbank gespeichert. Damit sind Datenmanagement und die geforderten Auswertungen effizient zu bewerkstelligen. Alle Aufgaben werden in der vorgegebenen Zeit auf 3 PCs höchster Leistungsklasse mittels Parallelverarbeitung durchgeführt.

Qualitätsdaten der Bildverarbeitung werden in der lokalen Qualitätsdatenbank gespeichert. Somit sind Abfragen oder Systemeinstellungen von MVplus sowie Statistikauswertungen komfortabel am Panel-PC ausführbar.

Eine Integration an das zentrale Qualitätsmanagementsystem kann über die Netzwerkverbindung durchgeführt werden.

Die wichtigsten Kennzeichen der erfolgreichen Lösung sind: zuverlässiges Handlingsystem, geeignete Bildverarbeitungshardware (insbesondere Beleuchtungstechnik), mächtige und leistungsfähige Bildverarbeitungs- und Datenmanagement-Tools für einfachste Prüfprogrammerstellung und -anpassung, Parallelverarbeitung auf 3 PCs zur Durchführung aller Prüfungen im vorgegebenen Produktionstakt und schließlich die einfache Prüfprogramm- und Artikelverwaltung im Tagesbetrieb.

Das Handlingsystem:

Mittels eines Greifers an einer linearmotorischen Servoachse wird das Handstück auf einem Dorn positioniert und anschließend in die Prüfzelle eingefahren.

Daraufhin wird der Prüfling in mehreren Rotationsschritten den Kameraeinheiten gedreht zur Außenkontrolle vorgeführt.

Gleichzeitig wird an einer weiteren Prüfstation die Innenansicht eines Handstückes mit einer speziellen Inaxis-Beleuchtung kontrolliert.

Somit werden immer zwei Handstücke gleichzeitig inspiziert, eines in der Außen das andere in der Innenkontrolle.

Das Bildverarbeitungssystem kommuniziert dabei direkt mit der SPS der Anlagensteuerung und trifft damit die Entscheidung dass Gutteile automatisch pallettiert und Schlechtteile aussortiert werden.

Hardware für die Bildverarbeitung:

Hohe Temperaturen in der Produktionsumgebung von Spritzgießmaschinen stellen an die Systemkomponenten und das Gesamtsystem besondere Anforderungen.

Besondere Eigenschaften der Software:

Die Software zur 100% Kontrolle von Handstücken besteht aus der Standardsoftware MVplus und dem anwendungsspezifischen Prüfprogramm.

Die Standardsoftware MVplus ist modular aufgebaut und umfasst eine Reihe von Modulen, die je nach Anwendung zusammengestellt werden. Sie unterstützt moderne, leistungsfähige Bildverarbeitungskomponenten, deren Anzahl nicht begrenzt ist. Da MVplus verteilt und parallel auf beliebig vielen Rechnern laufen kann, gibt es auch keine Begrenzung hinsichtlich verfügbarer Steckplätze im PC.

Entscheidend für den Erfolg der 100% Kontrolle von Handstücken sind spezielle Tools für die Oberflächeninspektion und deren Abstimmung mit ausgewählten Systemkomponenten. Damit war es erstmals möglich, auch attributive Prüfmerkmale so einzurichten, dass das automatisch gewonnene Prüfergebnis der Auditorenbewertung entsprach.

Die einfache Erstellung und Anpassung von Prüfprogrammen ist für Braun besonders wichtig, denn sie müssen für jedes neue oder geänderte Handstück angepasst werden. Die Erstellung eines Prüfprogramms erfolgt in MVplus in einfacher und übersichtlicher Weise durch grafische Zusammensetzung und Parametrierung mächtiger Tools. Geschulte Mitarbeiter der Qualitätssicherung können das erledigen, um kurze Reaktionszeiten, minimale Kosten und Unabhängigkeit vom Hersteller zu erreichen.

Im Tagesbetrieb ist die Verwaltung von Prüfteilen und Prüfprogrammen etwa zur Einstellung von Toleranzen oder zur Aktualisierung von Prüfmerkmalen – bedingt durch Änderungen der Produktionsbedingungen – wichtig zur Optimierung von Qualität und Ausschuss. Solche Einstellungen werden vom Maschineneinsteller an einem einfach bedienbaren Touchpanel vorgenommen.

Dieses Touchpanel zeigt auch ständig den aktuellen Stand der Produktionsqualität in Form von aussagekräftigen Statistiken an, wobei der Produktionszeitraum frei wählbar ist. MVplus bietet also unterschiedliche Benutzeroberflächen, wobei Benutzerrechte einstellbar sind:

Mit der installierten Fernwartung werden auftretende Fragen und Probleme online via ISDN-Verbindung, schnell und kostengünstig geklärt. Sogar Programmanpassungen an der Standardsoftware MVplus konnten damit kurzfristig durchgeführt werden ohne dass zusätzliche Reisekosten entstanden. Die durchschnittliche Reaktionszeit, die zumeist die komplette Lösung beinhaltete, liegt bei etwa 4,5 Stunden.

Braun GmbH, Marktheidenfeld, ist es gemeinsam mit Wolf Systeme AG, Karlsbad, erstmals gelungen, farbige 3-Komponenten-Spritzgießteile hinsichtlich Maßhaltigkeit und attributiver Prüfmerkmale für Oberflächen direkt im Produktionsprozess taktgerecht und vollautomatisch zu 100% mit industrieller Bildverarbeitung zu kontrollieren. Niedrigere Kosten und 100% Qualität für die Handstücke elektrischer Zahnbürsten sind das erfolgreiche Ergebnis.

Die Erstellung und Anpassung der Prüfprogramme kann von eigenen Ingenieuren der Qualitätssicherung durchgeführt werden. Aufgrund der praktischen Bewährung von MVplus für ausgewählte Kunststoffteile, soll jetzt Schritt für Schritt für alle relevanten Produkte eine 100% Kontrolle eingeführt werden.

QE 527