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TQM auf Rädern

Qualitätsmanagement im Autohaus
TQM auf Rädern

Insbesondere im Automobilverkauf sind die fetten Jahre und Positionen der „Autoverteiler“ endgültig passé. Das haben namhafte Automobilhersteller in den letzten Jahren teilweise recht schmerzhaft erfahren dürfen. Kommen dann noch nicht marktkonforme produktpolitische Entscheidungen, mangelnde Kundenorientierung an den Stellen der Wertschöpfungskette, wo der Kunde eigentlich das Sagen hat und womöglich auch noch Qualitätsdefizite in Produkt und/oder Dienstleistung hinzu, so bröckeln die Marktanteile für Produkte und Dienstleistungen oft schneller als den Herstellern das lieb ist.

Die großen Unternehmen der automobilen Zunft haben schon vor einigen Jahren begonnen, ihre „Sales-Outlets“ auf mehr Effektivität zu trimmen. Die Frage nach der Dienstleistungseffizienz hatte offensichtlich zu diesem Zeitpunkt noch keinen so hohen Stellenwert. Damals redete allen voran die Automobilindustrie im Zusammenhang mit ihren produzierenden Bereichen von Qualitätsmanagement sowie den zugehörigen Normen- und Regelwerken, die uns allen ja hinreichend bekannt sind. Da lag ja wohl nichts näher, als den Händlern auch ein solches ‚Zertifikat‘ zu verpassen, das den Aufbau und die Anwendung eines normgerechten Qualitätsmanagementsystems belegen sollte. Der Umstand, dass Papier bekanntlich geduldig ist, dass die Kunden ein solches Zertifikat nicht zwangsläufig auch als mehr Dienstleistungsqualität empfinden, blieb in vielen Fällen einfach unberücksichtigt. Pfiffige Autohändler kamen folglich auf die Idee, dass dieses „Zertifikats-Unwesen“ ja offensichtlich nur eine weitere Maßnahme der Hersteller sei, die Vertragshändler mit Auflagen zu drangsalieren. Solche Auflagen sind folglich mit entsprechend minimalen Kosten zu erfüllen. So ist denn auch der schwunghafte Handel zu erklären, der in der Anfangsphase von „Qualitätsmanagement im Autohaus“ mit entsprechenden Zertifikaten getrieben wurde.

Qualität für den Kunden nicht nur im Autohaus gemacht
Um so unangenehmer war für alle Beteiligten dann die Erkenntnis, dass sich auch mit laut Papier zertifiziertem Qualitätsmanagement eigentlich gar nichts oder nur Unwesentliches geändert hatte. Just zu diesem Zeitpunkt begannen die Automobilhersteller mehr oder weniger systematisch „Qualitäts-Management im Autohaus“ als strategische Aufgabenstellung zu verstehen. Da kam es den Vertriebs- und Serviceorganisationen vieler Marken natürlich sehr gelegen, dass da einige Inhaber von Autohäusern Vorreiter gespielt und die Idee des Qualitätsmanagements schon frühzeitig aufgegriffen sowie auch konsequent umgesetzt hatten. So ließen sich möglicherweise Dinge wie „Erfolgsrezepte“ oder zumindest doch sogenannte „Best Practices“ abgreifen, die eine flächendeckende Multiplikation innerhalb der gesamten Organisation ermöglicht hätten. Heute weiß man, dass diese Schlussfolgerung nur sehr eingeschränkt richtig ist. Der Kunde erwartet nicht nur horizontale Qualität und Kundenorientierung (d. h. das gleiche „Qualitätsempfinden“ für den Kunden von Friesland bis Bayern, in der Stadt und auf dem Land und für Geschäfts- wie für Privatkunden gleichermaßen), sondern auch die vertikal durchgängige und für ihn greifbare Anmutung von Qualität. An dieser Stelle ist von den Strukturen einer automobilen Vertriebs- und Serviceorganisation die Rede, die es dem Vertragshändler erst ermöglicht, Produkte und Dienstleistungen an den Kunden zu bringen. (Gemeint ist hier die gesamte vertikale Struktur von Prozessen und Funktionen, die zwischen dem Vertragshändler und dem Automobilhersteller liegt.) Der Kunde empfindet zum Beispiel das pünktlich und richtig gelieferte Ersatzteil als Qualität, ohne die Prozesse, die dazu geführt haben, im Detail zu kennen oder beurteilen zu können.
Da kommt den Herstellern die oben skizzierte Erkenntnis gerade recht, um darin die Argumentation für eine umfassende Restrukturierung der gesamten Organisation vom Werk bis zum Vertragshändler anzugehen und in diesem Zusammenhang auch gleich die Grundlagen für operables Qualitätsmanagement mit Kundenfokus zu legen. Derzeit müssen gerade wieder etliche kleine Autohäuser „dran glauben“, weil zentralistische Strukturen wieder in sind. Der kleine vermeintlich unprofitable Händler, der Kundenbindungs-Management noch als seine persönliche Aufgabe empfindet, ist gerade nicht mehr angesagt. Statt dessen gibt es große Autohandelszentren, in denen Qualität offenbar besser umzusetzen ist.
Gleiches gilt auch im übertragenen Sinne für die dispositiven und administrativen Strukturen im Hintergrund der automobilen Handels- und Serviceorganisationen. Zeitnahe und persönliche Betreuung der Vertragshändler eines Autoherstellers ist schon aus Kostengründen nicht mehr drin. Schlanke Strukturen müssen her und outsourcbare Funktionen des Herstellers werden den Händlern als Zuwachs an Eigenständigkeit verkauft. Die Qualität der Strukturen im Hintergrund wird zwangsläufig unter solchen Entwicklungen leiden. Das, was der Kunde im Endeffekt als mangelhafte Qualität bei Dienstleistung und/oder Produkt empfindet, ist dann aber lediglich die Quittung für die natürlichen Grenzen der verfügbaren Infrastruktur. Fehlende vertikale Qualitätsstrukturen machen sich genauso bemerkbar.
TQM als prozessintegrierter Problemlösungsansatz
Einer der ganz großen der Branche hat diese Crux schon sehr frühzeitig erkannt und entsprechend gehandelt. In der deutschen Vertriebs- und Serviceorganisation wurde pilothaft für Europa ein entsprechendes Projekt aufgesetzt und im Laufe von mehreren Jahren zum unbestreitbaren, weil für Hersteller und Händler nachkalkulierbaren Erfolg geführt. Grundlage dieses Projektes war die Erkenntnis, dass nur eine umfassende Berücksichtigung und angemessene Standardisierung der qualitätsrelevanten Kriterien, eine uneingeschränkte Orientierung an den Geschäfts- und Managementprozessen sowie eine kompromisslose Einbeziehung der gesamten Wertschöpfungskette zum Erfolg führen konnte.
Zentrale Elemente des Projektkonzeptes sind die Referenzprozesse, die die Abläufe zwischen dem Automobilhersteller, dem Händlerbetrieb und letztlich dem Kunden beschreiben. Die Kenntnis dieser Geschäfts-, Management- und Unterstützungsprozesse sowie der realistischen Verbesserungspotentiale in diesen Prozessen sind unabdingbare Voraussetzung für den Aufbau eines TQ-Managementsystems. Die Abläufe wurden durch zahlreiche Validierungen mit verschiedenen Prozesseignern und mittel- sowie unmittelbar am Prozess beteiligten Partnern recht nahe an ein idealisiertes Modell mit Referenzcharakter herangebracht. So lieferten Kunden ebenso ihre Impulse wie auch Softwarelieferanten und Kooperationspartner. Durch diese Vorgehensweise wurden einerseits sachliche Angemessenheit, andererseits auch unbedingte Akzeptanz schon vorab sichergestellt.
Als Werkzeug zur Dokumentation hat sich in diesem Zusammenhang ein flexibles, softwarebasiertes Geschäftsprozess-Modellierungswerkzeug angeboten, das in der Lage ist sowohl szenarienhaft Prozesse darzustellen, diese unter Leistungsaspekten zu analysieren und letztlich in elektronischer Form (HTML-Dokumente) als auch konventionell (papierbasiert und/oder als Word-File) zu dokumentieren.
Als konzeptioneller Rahmen eines operablen TQ-Managements hat sich bereits relativ früh (wie auch an den QM-Konzepten wie EFQM oder MBA nachzuvollziehen ist) das Prinzip der unbedingten Prozessorientierung durchgesetzt. Der Entwurf der Nachfolgenorm ISO 9000:2000 bestätigt diesen Ansatz.
In diesem konkreten Projekt wurde Qualitätsmanagement nicht mehr durch die Aufzählung abstrakter „Elemente“ und deren Beschreibung nach Zweck, Geltungsbereich und mitgeltenden Unterlagen beschrieben sondern durch die Herstellung einer elektronischen Querbeziehung – „Referenzierung“ genannt – zwischen der konkreten Aufgabe und dem qualitätsbestimmenden Kriterium. So wird das Augenmerk in diesem Managementsystem auf die Aufgabenausführung gelenkt unter Berücksichtigung der qualitätsbestimmenden Randbedingungen. Unterstützt durch optische Markierungen am Bildschirm und im Ausdruck ist somit qualitätsorientiertes Verhalten quasi vorprogrammiert. Zur Beurteilung der Prozessleistung in Zeit und Geld dienen als Orientierung ablaufspezifische Führungsgrößen und Kennzahlen, deren Erreichung regelmäßig mit Funktionen des Plattformwerkzeuges überprüft werden können. Insofern wird mit diesem Konzept ein prozessorientiertes Führungsinformationssystem quasi mitgeliefert.
Die Entwicklung, Etablierung und Umsetzung von Unternehmensleitlinien oder Servicestandards sind eine essentielle Ergänzung zu aktivem Qualitätsmanagement. Diese Standards stehen für Best Practices bzw. für Verhaltensmuster zur systematischen Unterstützung maximaler Kundenorientierung. Leitlinien betreffen Verhaltensweisen (Rauchverhalten, Kleiderordnung, etc.) ebenso wie Aufgaben (Kundenbegrüßung, Tätigkeitserläuterung, etc.) und ganze Prozesse (Servicedurchführung, Verkaufsprozess, etc.). Die Leitlinien wurden ebenso wie die QM-Elemente systematisch auf die Aufgaben referenziert, die die vermeintlich größte Hebelwirkung bei einer Steigerung der Kundenzufriedenheit versprechen. Das Feedback über den Erfolg der Maßnahmen besteht in einer integrierten systematischen Analyse der Kundenzufriedenheit. Negativtendenzen werden unmittelbar mit konkreten Aktionsplänen belegt, so dass eine sofortige Reaktion ermöglicht wird.
In gleicher Art und Weise wurden für die vorgelagerten Bereiche der Wholesale-Kette, die wesentlich zur Unterstützung der Arbeit der Händlerbetriebe dienen sollen, neugestaltet. Hier gelten die gleichen Strukturen wie im Bereich der Autohäuser. Der einzige Unterschied besteht in dem speziell angepassten Prozessnetzwerk, den zugeschnittenen Servicestandards und den unterschiedlichen Performance-Measurements. Hier sind quasi die Automobilhändler die Kunden der vorgelagerten Organisation und bestimmen die Zufriedenmacher.
Projektwürdigung, Wertungen Ergebnisse und Ausblicke
Das knapp vorgestellte Projekt in der gesamten Vertriebsorganisation eines großen Automobilherstellers hat seine ersten Bewährungsproben hinter sich gebracht. Die Erfolge sprechen eigentlich für sich. Händlerbetriebe und regional begrenzte Teile der Vertriebsorganisation, die das skizzierte TQ-Managementsystem konsequent einsetzen, zeigen signifikant höhere Grade der Kunden-bzw. Händlerzufriedenheit. Auch die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse sind deutlich besser. Mit der Option eines Benchmarkings auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse steht für alle Händlerbetriebe bzw. für Teile der vorgelagerten Wholesale-Organisation die Möglichkeit zur Diskussion, echte Quantensprünge quantitativer und qualitativer Verbesserungen zu initiieren.
Für die Väter des Projektes steht jedenfalls fest, dass dies der einzig wirklich erfolgsversprechende Weg ist, um einer Filialstruktur in einer automobilen Wholesale-Organisation einen wirklich messbaren Schub nach vorne geben zu können. Der nachweisliche Projekterfolg hat die Entscheider im Hause des Automobilherstellers dieses Konzept sowohl horizontal (in anderen europäischen Ländern) als auch vertikal (in den der automobilen Vertriebsorganisation gleich- oder nebengelagerten Organisationen) auszuweiten. Der Erfolg scheint vorprogrammiert, denn Dienstleistungsqualität, Service-Standards und mehr Prozessleistung werden auch in anderen Bereichen zu mehr Geschäftserfolg führen.
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