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Überwachter Kraftakt

Schraubverläufe messen und interpretieren
Überwachter Kraftakt

Qualitätssicherungsabteilungen in der Montage dürfen sich nicht nur als Datensammler von Zahlenkolonnen sehen. Es gilt, die Ursache für Mängel qualifiziert zu analysieren und abzustellen. In der Schraubenmontage dient die Erfassung des Messverlaufes der besseren Beurteilung des Verschraubungsprozesses. Ist dieser erst einmal erfasst, so muss er auch qualifiziert beurteilt und interpretiert werden.

Messverlauf als zusätzliches Qualitätskriterium
Der Vorgang der Schraubenmontage beinhaltet viele komplexe Abläufe, die nicht ohne weiteres zu erfassen sind. Während der Schrauber die Schraube oder Mutter auf ihr definiertes Drehmoment anzieht, laufen etliche physikalische Zusammenhänge in der Schraubverbindung ab. Zunächst erfolgt das Eindrehen. Normalerweise eine einfache Prozedur, wenn nicht furchende, klemmende oder klebende Verbindungselemente eingesetzt werden. Doch auch ein deformiertes Gewinde oder Verbindungselement führt schon zu einer Beeinträchtigung des Einschraubens. Der Anziehvorgang wird mit einem definierten Drehmoment durchgeführt. Dabei ist das Ziel in der Schraubenmontage eine definierte Vorspannkraft. Die Energie, die in Form von Drehmoment in die Schraubverbindung eingebracht wird, wandelt sich in Wärmeenergie um, die aufgrund der Reibung in der Schraubverbindung entsteht und in potentielle Energie, das heißt die Schraube wird wie eine Feder gedehnt und hält die Schraubverbindung zusammen. Dabei besteht der Wunsch, dass die Verbindung eine möglichst hohe Vorspannkraft erreicht, andererseits die Schraube aber nicht überdehnt wird.

Durch eine lückenlose Qualitätssicherung der Verbindungselemente, ihrer Geometrie und Reibeigenschaften sowie durch eine ständige Überwachung der Drehmomente in der Produktion kann eine gute, gleichbleibende Qualität erzielt werden. Treten dennoch Qualitätsprobleme auf, die sich nicht auf die eingebrachten Drehmomente zurückführen lassen, ist guter Rat oft teuer. In diesem Falle hilft oftmals die Ermittlung des Schraubverlaufes vor Ort. Ist der Schraubverlauf jedoch aufgezeichnet und dokumentiert, stellt sich die Frage, wie denn nun der Verlauf zu interpretieren ist, bzw. welche Aussage im grafischen Verlauf steckt.
Wesentlich mehr Informationen über den Schraubfall als der Messverlauf „Drehmoment über Zeit“ bietet der Messverlauf „Drehmoment über Drehwinkel“. Der Zeitanstieg des Drehmomentes hängt nicht nur von der Schraubverbindung ab sondern auch von der Geschwindigkeit oder der Geschwindigkeitsänderung des Schraubers. Der Messverlauf „Drehmoment über Drehwinkel“ zeigt jedoch, wie sich der Drehmomentanstieg zur Drehung des Schraubenkopfes oder der Mutter verhält. Dazu wird ein Drehmoment/Drehwinkel-Sensor verwendet, der zusätzlich zum Drehmoment noch die Drehung der Messwelle gegenüber dem Gehäuse ermittelt. Hierzu muss das Gehäuse des Sensors gegenüber dem Werkstück fixiert werden, damit der gemessene Drehwinkel der Verdrehung des Verbindungselementes gegenüber den montierten Teilen entspricht.
Dabei zeichnet das Messgerät kontinuierlich die Drehmomente und Drehwinkel auf, die während des Einschraubens und während des Anziehens der Schraube oder der Mutter entstehen. Die Verbindungen benötigen manchmal nur den Bruchteil einer Sekunde, um richtig montiert zu werden. Aus gutem Grunde. Schrauber mit hohen Drehzahlen sind in der Produktion beliebt, um Schraubzeiten möglichst kurz zu halten. Deshalb muss das Messgerät in kürzester Zeit möglichst viele Messpunkte erfassen und abspeichern können, damit eine kompetente Aussage über den Schraubverlauf getroffen werden kann.
Das Eindrehen wird schon erkannt
Die Schraubverläufe in Bild 1 zeigen eine Schraube, die ohne Störung montiert wurde. Der zweite Verlauf zeigt jedoch ein hohes Einschraubmoment, was auf ein beschädigtes Gewinde oder auf ein deformiertes Verbindungselement hinweist. Die Problematik eines solchen Effektes besteht darin, dass der Betrag des Eindrehmomentes beim Anziehdrehmoment fehlt. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass in der Schraube eine höhere Torsionsspannung entsteht als bei Schrauben mit normalem Eindrehverhalten. Das beschädigte oder deformierte Gewinde beschädigt außerdem wahrscheinlich die Beschichtung im Gewinde der Schraube, so dass der Korrosionsschutz beeinträchtigt wird, sogenannte Fresser auftreten können oder die Reibeigenschaften des Verbindungselementes derart verändert werden, dass der Drehmoment/Vorspannkraft – Zusammenhang nicht mehr ohne weiteres gewährleistet ist. Dieser Effekt kann nur mittels einer Schraubverlaufanalyse erkannt werden, da eine reine Messung des Drehmoment-Spitzenwertes durchaus das richtige Anziehdrehmoment aufzeigen würde. Um den Effekt grafisch zu erfassen, muss der Startwert des Messgerätes für den Beginn der Messung auf circa 2 bis 5 Prozent des zu erwartenden Drehmoment-Endwertes eingestellt werden, so dass das normale Eindrehverhalten nicht aufgezeichnet wird.
Eindrehmomente von selbstfurchenden Schrauben
Bild 2 und 3 zeigen Einschraubverhalten, bei denen sich das Drehmoment bzw. eine gewisse Schwergängigkeit nicht vermeiden lässt. Es handelt sich um gewindefurchende Schrauben, die in ein Bohrloch gedreht werden, in das noch kein Gewinde geschnitten wurde. In diesem Falle wird das höhere Eindrehmoment in Kauf genommen, weil doch schließlich ein zerspanender Arbeitsgang gespart wird. Das Gewinde muss nicht geschnitten werden, da die Schraube es sich selbst formt. Dennoch muss auch hier darauf geachtet werden, dass die Eindrehmomente in bestimmten Grenzen bleiben.
Bild 2 zeigt ein Eindrehverhalten in ein Material, welches dünner ist als die Schraubenlänge. Mit den ersten Umdrehungen der Schraube wird das Gewinde geformt. Je mehr Gewindegänge in das Material eingeschraubt werden, um so höher steigt das Drehmoment an. Nachdem jedoch das komplette Gewinde geformt ist, lässt das Furchdrehmoment nach. Das Drehmoment wird beim Eindrehen geringer, bis die Schraube zur Kopfauflage kommt und auf das Enddrehmoment angezogen wird. Das maximale Eindrehmoment ist im Diagramm deutlich zu erkennen.
In Bild 3 wurde die Schraube in ein Material gedreht, welches dicker ist als die Schraubenlänge. Im Gegensatz zum Fall in Bild 2 steigt das Eindrehmoment kontinuierlich an, da während des Eindrehens immer mehr Gewindegänge in das Werkstück gedreht werden müssen. Das maximale Eindrehmoment ist unmittelbar an der Stelle, an der die Schraube zur Kopfauflage kommt. Im Diagramm ist dieser Punkt daran zu erkennen, dass der Anstieg des Drehmoments über die Zeit eine andere Steigung bekommt. Während das Drehmoment beim Eindrehen mehrere Gewindegänge benötigt, wird die Schraube beim Anziehen nur um den Teil einer Umdrehung bewegt, um das Enddrehmoment zu erreichen.
Die Grenzwerte für die Eindrehmomente sind in der DIN 267, Teil 27 und 28 festgeschrieben und sollten auch in der Fertigung eingehalten werden. Denn nur in diesem Falle gelten die vom Hersteller zugesicherten Reibeigenschaften der Schraube, die wiederum für das Zusammenspiel von Drehmoment und Vorspannkraft verantwortlich sind. Besonders kritisch ist der Fall, wenn das Eindrehmoment so hoch liegt, dass es in der Größenordnung dem Anziehdrehmoment gleich kommt. Dann besteht die Wahrscheinlichkeit, dass der Schrauber auf sein korrektes Drehmoment hin abschaltet, die Schraube aber überhaupt nicht zur Kopfauflage kommt, sondern das Eindrehen noch nicht abgeschlossen hat. Obwohl das Drehmoment in diesem Falle innerhalb der Toleranzen liegt, zeigt der grafische Messverlauf, dass das Furchen des Gewindes noch nicht abgeschlossen und die Schraube nicht richtig montiert ist.
Der grafische Messverlauf bringt jedoch nicht nur eine Aussage über das Eindrehen von Schraube oder Mutter. Auch das Anziehen an sich kann Störungen aufzeigen.
Fügeverhalten ist wichtig für die Schraubverbindung
In Bild 4 ist eine Schraubverbindung zu erkennen, bei der nach Kopfauflage ein Fügeverhalten zu beobachten ist, welches Probleme verursachen kann. Normalerweise müssen alle Komponenten der Schraubverbindung miteinander gefügt sein, bevor die Schraube auf das Enddrehmoment montiert wird. Die Schraube hält die montierten Teile wie eine starke Feder zusammen und diese dürfen sich nur noch bewegen wie ein Teil.
Bewegen sich die Teile gegeneinander, so löst sich die Schraubverbindung und die Verbindungselemente können verloren gehen oder zerstört werden. Der Messverlauf zeigt, dass bis zum Enddrehmoment noch nicht alle Teile vollständig gefügt, das heißt zusammengedrückt sind. In diesem Fall arbeitet die Schraube nicht wie eine Feder, sondern das Werkstück, die montierten Teile, federn. Dadurch können sich die verschraubten Teile gegeneinander bewegen, was wiederum zur Zerstörung des Schraubenverbundes führen kann.
Doch nicht nur Ursachen, die aus der Physik der Schraubverbindung stammen, können mittels einer grafischen Aufzeichnung erkannt werden. Bild 5 zeigt zwei Schraubverläufe, die zwar exakt auf das gleiche Drehmoment angezogen wurden, jedoch unterschiedliche Anstiegswinkel aufzeigen. Dieser Effekt ist zu beobachten, wenn der Werker mit dem Schrauber auf eine bereits montierte Schraube geht. Oftmals ist dieser Effekt mit einem höheren Abschaltdrehmoment verbunden. Die Kupplung des Schraubers benötigt eine kurze Zeit, um auszulösen. Das Drehmoment ist entsprechend höher, da sich die Anstiegszeit auf der bereits montierten Schraube erheblich verkürzt.
Bild 6 zeigt einen linearen Schraubverlauf, bei dem das Drehmoment konstant über den Drehwinkel ansteigt. Die zweite Kurve jedoch zeigt einen deutlichen Rückgang des Anstieges am Ende des gemessenen Verlaufes. Dies bedeutet, dass die Schraube oder Mutter zwar weiter gedreht wird, das Drehmoment jedoch nicht im gleichen Maße ansteigt. Ein Effekt, den man deutlich fühlt, wenn man eine Schraube von Hand zu weit dreht. Die Schraube ist überdehnt oder das Gewinde ist überdreht. Von Hand spürt man diesen Effekt jedoch erst, wenn die Schraube tatsächlich schon deutlich im Bereich der bleibenden Verformung ist. Die Grafik zeigt jedoch auch Übergangssituationen auf, wie abgebildet. Wenn die Schraube wie eine starke Feder arbeiten soll, darf sie sich nur elastisch dehnen. Das bedeutet, dass die Schraube die ursprüngliche Länge annimmt, wenn sie wieder entlastet wird. Wird die Schraube zu stark angezogen, so verbleibt sie länger als vorher und ist bleibend verformt. Dies ist die plastische Verformung. Der Übergang zwischen der elastischen und der plastischen Verformung ist die Streckgrenze. Im grafischen Verlauf ist der Übergang deutlich zu erkennen, wenn der Anstieg über den Verdrehwinkel nicht mehr linear ist sondern langsam abfällt.
Die Ursache für ein solches Verhalten kann darin liegen, dass eine Schraube mit falscher Materialgüte eingesetzt wurde. Wird zum Beispiel statt einer 10.9 Schraube eine der Güte 8.8 verwendet, so wird diese schon bei einem niedrigeren Drehmoment überdehnt. Doch auch Reibungsunterschiede können ein derartiges Verhalten begründen. Eine Schraube mit einer zu niedrigeren Reibung hat den Effekt, dass bei einem niedrigeren Drehmoment schon eine höhere Vorspannkraft erreicht wird. Sollen zum Beispiel ungeschmierte Schrauben verwendet werden und versehentlich wird eine geschmierte eingesetzt, so kann diese mit dem gleichen Drehmoment überdehnt werden, mit dem die ungeschmierten Schrauben noch im Bereich der elastischen Verformung liegen.
Reibungsunterschiede erkennen
Die grafischen Verläufe in Bild 7 zeigen einen linearen Verlauf, jedoch mit unterschiedlichem Winkel. Selbstverständlich kann dieses Verhalten auch durch die reine Betrachtung der numerischen Drehmoment- und Drehwinkelwerte erkannt werden. Dennoch bleibt die Ungewissheit, wie der höhere Drehwinkel begründet ist. Ein höherer Drehwinkel kann drei Ursachen haben:
  • 1. Die Schraube wurde überdehnt wie in Bild 5 und der Anstieg des Drehmoments flacher, so dass bei gleichem Drehmoment ein höherer Drehwinkel vorliegt.
  • 2. Während des Eindrehens war das Drehmoment schon so hoch, dass der Winkel gezählt und das Eindrehen mitbewertet wurde.
  • 3. Die Reibung ist geringer, so dass der Anstieg des Drehmoments über den Drehwinkel flacher verläuft und der Drehwinkel höher lag.
Welcher der drei Fälle vorliegt, kann nur der Messverlauf zeigen.
Automatisch den Fehler finden
Oftmals wird gerade dann nicht gemessen, wenn der Fehler auftritt. Es ist mühsam, einen Fehler zu finden, der nur ab und zu erscheint. Das tragbare Messgerät dieses Herstellers verfügt deshalb über ein patentiertes Verfahren, mit dem ausschließlich die Messverläufe aufgezeichnet werden, die außerhalb vorgegebener Toleranzen liegen. Dazu werden vorher die Drehmomenttoleranzen oder die Drehmoment- und Drehwinkeltoleranzen eingegeben und das Messgerät kann über einen beliebigen Zeitraum die Messverläufe mitmessen. Aufgezeichnet und gespeichert werden allerdings nur die Grafiken von Schraubverbindungen, die außerhalb der Toleranzgrenzen liegen. So können häufige Fragen für Fehlerursachen beantwortet werden.
Warum sind die Winkelstreuungen so groß?
Hohe Winkelstreuungen haben ihre Ursachen oft bei der falschen Definition des Startmoments für den Drehwinkel. Sind denn die Teile überhaupt komplett gefügt, wenn die Drehwinkelmessung beginnt? Der Drehwinkel darf nur ab dem kompletten Fügen aller montierten Werkstücke bis zum Enddrehmoment bewertet werden. Oder gibt es ein Eindrehverhalten, welches mit in die Winkelmessung eingeht? Werden die Schraube oder die Schraubverbindung plastisch verformt? Dies können alles Argumente für zu hohe Winkelstreuungen sein.
Warum streuen die Drehmomente, obwohl der Schrauber präzise abschaltet? Unterschiedliches Verhalten der Schraubverbindung beim Eindrehen, Fügen der Teile oder Anstieg des Drehmoments können ein unterschiedliches Verhalten des Schraubers begründen. Nur der grafische Schraubverlauf gibt Aufschluss über derartige Effekte.
Warum ist die Schraube nicht zur Kopfauflage gekommen, obwohl die Drehmomente eingehalten wurden? Dieser Effekt begründet sich durch ein zu hohes Drehmoment während des Eindrehens. Bei furchenden, klemmenden oder klebenden Verbindungselementen muss geprüft werden, ob die Komponenten der Schraubverbindung innerhalb ihrer Spezifikation liegen. Ebenso, ob kein Fresser während des Eindrehens entstanden ist. Furchende Schrauben in Verbindung mit hohen Eindrehzahlen führen oftmals zur Erwärmung der Verbindungselemente, verbunden mit einer Zerstörung des Schmierfilms oder der Beschichtung. Gegebenenfalls muss das geeignete Schraubwerkzeug ausgewählt werden.
Sicherlich gibt es noch weitere Effekte und Probleme, die mittels einer Schraubfallanalyse ermittelt und geklärt werden können. Es beschränkt sich jedoch stets auf die vier Punkte, die im Diagramm erkannt werden müssen:
  • 1. Ist das Eindrehverhalten so wie erwartet?
  • 2. Zeigt das Fügen spezielle Effekte auf?
  • 3. Ist der Differenzenquotient „Drehmoment über Drehwinkel“ konstant?
  • 4. Liegen plastische Verformungen vor?
Wer die wesentlichen Ursachen und deren grafische Darstellung kennt, findet mit Hilfe geeigneter Messmittel schnell das Problem und die dazugehörige Lösung.
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