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Verborgenes erkennen

Rasterelektronenmikroskopie in der Qualitätssicherung
Verborgenes erkennen

Die Entwicklung des Rasterelektronenmikroskops (REM) vom reinen Forschungsinstrument zum prozessbegleitenden Prüfgerät der industriellen Fertigung und Qualitätssicherung wird im folgenden Beitrag skizziert und an einigen Applikationsbeispielen erläutert. Es wird dargestellt, wie diesem komplexen Laborgerät neue, teilweise unerwartete Anwendungsfelder im Umfeld des Schwermaschinenbaus erschlossen werden konnten. Über Kooperationen mit Großbetrieben, Instituten, kommerziellen Labors und Geräteherstellern haben auch kleinere Betriebe Zugang zu dieser Prüftechnologie.

Dr.-Ing. Andreas Neidel, Jörg Völker, Stefan Leggemann, Siemens Power Generation, Gasturbinenwerk Berlin Dr. rer.nat. Konrad Breitkreutz, ehem. Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin

Das erste Funktionsmodell eines Transmissions-Elektronenmikroskops geht wohl auf Ruska und Knoll zurück /1/. Rüdenberg war der erste, der sich 1931 das Elektronenmikroskop patentieren ließ, ohne an der weiteren technischen Entwicklung beteiligt zu sein /2/. 1933 baute Ruska ein zweites Elektronenmikroskop, das bereits eine laterale Auflösung von 50 nm erreichte. Maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des REM zur technischen Anwendungsreife war ab 1937 von Ardenne /3/. 1938 wurde von Siemens das erste serienmäßige Elektronenmikroskop produziert. 1986 erhielt Ruska für seine Arbeiten den Nobelpreis für Physik. Moderne Raster-elektronenmikroskope gestatten heute die mikroskopische Beobachtung von Strukturen mit einer Auflösung bis zu 5 nm, sofern die Proben metallisch leitfähig sind oder durch Bedampfung leitfähig gemacht werden können und einen geringen Dampfdruck besitzen. Spezielle Ausführungen lassen sogar die Untersuchung nichtleitender Werkstoffe zu. Die Gerätekosten steigen mit der Anzahl der vielen unterschiedlichen physikalischen Wechselwirkungen des Probenmaterials mit den eingestrahlten Elektronen, die zur Informationsermittlung genutzt werden, d.h. mit der Anzahl der zur Verfügung stehenden Signaldetektoren. Bis in die jüngere Vergangenheit waren die Geräte deshalb fast ausschließlich Forschungsarbeiten vorbehalten und dies nur dort, wo keine kostengünstigeren konkurrierenden Verfahren zur Verfügung standen. Im Laufe der letzten Jahre gab es allerdings Entwicklungen, die das REM mehr an den praxisnahen Labor- und Kontrollbetrieb heranführten. Preiswerte Kleingeräte kamen auf den Markt und fanden rasch Eingang in die Schadensanalyse. Die Sicherheitsanforderungen an Bauteile, zum Beispiel in Luft- und Raumfahrt, Kerntechnik, Turbinenbau und Elektronik stiegen weiter, so dass sich ein routinemäßiger Einsatz zu Kontrollzwecken bei einigen Applikationen zu lohnen begann. Das gilt insbesondere für teure Bauteile, die im REM zerstörungsfrei geprüft werden können. Nicht zuletzt führte auch die heute ausschließlich anzutreffende Digitalbauweise der Rasterelektronenmikroskope zu einer gewissen Kostenreduktion.
Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten
Ein Elektronenstrahl kann nur im Hochvakuum zur Bildgebung eingesetzt werden, da er an Luftmolekülen gestreut würde. Dies erwies sich bisher als großes Hindernis für den Einsatz des REM in der industriellen Praxis, weil zur Verkürzung der Pumpzeiten kleine Probenkammern üblich waren, die keine ganzen Bauteile aufnehmen konnten und deshalb für eine zerstörungsfreie Prüfung nicht zur Verfügung standen. Heute können Rasterelektronenmikroskope mit großen Probenkammern zum Beispiel ganze Schaufeln großer Kraftwerks-Gasturbinen aufnehmen, wodurch diese einer zerstörungsfreien Untersuchung ohne jede Probenpräparation zugänglich werden (Bilder 1 bis 3). Die in Bild 2 gezeigte Lösung, bei der ein handelsübliches REM mit einer Probenkammererweiterung ausgerüstet wurde, stellt eine kostengünstige Alternative zu Großkammer-Mikroskopen dar, deren mehrere Kubikmeter umfassenden Kammern die gesamte Elektronensäule umschließen. Leistungsfähige Vakuumpumpen-Kaskaden gewährleisten dabei „alltagstaugliche“ Pumpzeiten im Minutenbereich. Eine andere Entwicklungsrichtung, die sozusagen die Probenkammer zum Bauteil brachte, waren tragbare Geräte, die sich an größere Bauteile ansaugen ließen. Wegen einer Reihe praktischer Schwierigkeiten konnten sich diese Geräte nicht durchsetzen. Die Schadensprävention durch umfassende Eingangskontrolle und rasches Reagieren auf Fertigungsprobleme gewinnt mit dem Einsatz moderner Rasterelektronenmikroskope gegenüber der Schadensanalyse, also der Aufklärung eines bereits eingetretenen Versagens mit allen Folgen an Bedeutung. Unter Kostengesichtspunkten muss bedacht werden, dass beim Rasterelektronenmikroskop einerseits der Aufwand für die Probenpräparation, ver-glichen mit lichtmikroskopischen Untersuchungen, deutlich sinkt und bei alternativer Untersuchungsmöglichkeit das REM bei entsprechendem Zeitgewinn bevorzugt werden kann. Andererseits kann sich ein REM mit großer Probenkammer durch die Möglichkeit, ganze Bauteile zerstörungsfrei zu untersuchen, bei teuren Komponenten bereits nach kurzer Zeit amortisieren.
Applikationsbeispiele
Die Anwendungsmöglichkeiten eines REM für die industrielle Praxis werden wesentlich erweitert, wenn das Gerät mit einer Mikrobereichsanalyse, üblicherweise einem energiedispersiven Röntgenfluoreszenzanalysator (EDX), ausgestattet ist. Damit lässt sich mit einer lateralen Auflösung von ca. 10 µm die chemische Zusammensetzung des Probenmaterials unmittelbar an der Oberfläche halbquantitativ bestimmen. Das untere Teilbild in Bild 4 zeigt ein Elementverteilungsbild für Chlor in einer Stempelfarbe, mit der ein Turbinen-Heißgasteil gekennzeichnet war. Die Übereinstimmung des oberen Teilbildes (Aufnahme des Stempels) mit dem unteren (Chlorverteilung) beweist, dass die Stempelfarbe Chlor enthält, was wegen der korrosionsfördernden Wirkung unzulässig ist. Auch in diesem Fall wurde das komplette Bauteil zerstörungsfrei untersucht. Weitere Beispiele für eine erfolgreiche Anwendung der Mikrobereichsanalytik enthalten die Bilder 5 und 6, die Oxideinschlüsse in Stangenmaterial (Problem: erhöhter Werkzeugverschleiß) bzw. Schweißdraht (Problem: ungleichmäßiger Abbrand und Schweißnahtfehler) zeigen.
Ein wichtiger Vorteil des Rasterelektronenmikroskops gegenüber dem Lichtmikroskop ist neben dem um mindestens 2 Größenordnungen besseren Auflösungsvermögen seine um mehr als 2 Größenordnungen bessere Tiefenschärfe von > 2 mm. Letzteres ermöglicht, dem Gerät neben den bekannten Anwendungen in der Bruchflächenanalyse neue, teilweise unerwartete Einsatzfelder in der betrieblichen Praxis zu erschließen. In wichtigen Sonderfällen kann das REM sozusagen als „Hightech-Photoapparat“ eingesetzt werden, nämlich dort, wo lichtoptische Verfahren (Makrophoto-Strecke, Stereomikroskop) wegen ihrer geringeren Tiefenschärfe versagen. Die Bilder 7 und 8, ebenfalls aufgenommen an ganzen Bauteilen, zeigen Beispiele für solche Anwendungen. Die Risse in einer Laserschnittkante an Nickelbasis-Blech beispielsweise konnten mit dem Stereomikroskop nicht aufgelöst werden (Bild 7). Einer metallographischen Untersuchung am Oberflächenanschliff waren sie ebenfalls nicht zugänglich, da sie durch die Schliffpräparation entfernt worden wären. Die REM-Untersuchung war hier also ohne Alternative und dies bei einer Untersuchungszeit von weniger als 30 min.
Bild 8 zeigt die Struktur einer durch Elektronenstrahl-Bedampfung aufgebrachten keramischen Thermobarriere-Beschichtung auf einer Gasturbinen-Schaufel. Nach Entschichtung und Neubeschichtung der unzerstörten Schaufel steht das Bauteil für den Einbau zur Verfügung. Auch der Vorteil der wesentlichen besseren lateralen Auflösung des REM verglichen dem Lichtmikroskop (REM ca. 5 nm, LIMI ca. 1 µm) kann im Praxisbetrieb eines Industrielabors wichtig sein. Viele Werkstoffe haben Gefügebestandteile, die weniger als 1 µm groß sind. Gerade sie bestimmen aber oft die technischen Eigenschaften. Die meisten Nickelbasis-Superlegierungen beispielsweise enthalten würfelförmige Ausscheidungen mit Kantenlängen deutlich unter 1 µm (Bild 9) /4/. Ohne REM sind diese einer Untersuchung nicht zugänglich.
Verfügbarkeit derRasterelektronenmikroskope
Klein- und Mittelbetriebe, die die hohen Investitionskosten für derartige Geräte nicht aufbringen können und auch nicht über entsprechend geschultes Personal verfügen, haben dennoch Zugang zu den entsprechenden Untersuchungsmöglichkeiten, entweder durch die Vergabe der Untersuchungsaufträge an Speziallabors oder über Kooperationen mit Großfirmen, Technischen Behörden, Hochschulinstituten, kommerziellen Labors oder Applikationslabors der Gerätehersteller.
Ausblick
Das enorme Potential moderner Rasterelektronenmikroskope wird heute trotz hoher Gerätekosten zunehmend auch für praktische industrielle Probleme der Fertigung hochwertiger Teile genutzt.
Diese Anwendung ist kein Privileg mehr für Forschungseinrichtungen und Großunternehmen.
Die Verbreitung des REM als hochwertiges Prüfgerät in der Qualitätssicherung wird mit der zukünftig wachsenden Bedeutung von Produkthaftung, Schadensprävention und Schadensanalyse noch steigen.
Literatur
[1] Reimer, L., Pfefferkorn, G.: Rasterelektronenmikroskopie, 2. Aufl. 1977, Springer Verlag; Berlin
[2] Lickfeld, K. G.: Elektronenmikroskopie, 1979, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart
[3] Rosenbauer, K.-H., Kegel, B. H.: Rasterelektronenmikroskopische Technik, 1978, Georg Thieme Verlag, Stuttgart
[4] Cheruvu, N.S.: Oxidation and Gamma Prime Particle Coarsening Behavior of IN-738 and GTD-111. Proceedings of 2000 Joint Power Generation Conference, Miami Beach, FL, July 23-26, 2000
[5] Flegler, S.L., Heckman, J.W., Klomparens, K. L.: Scanning and Transmission Electron Microscopy; An Introduction. Oxford University Press Inc., 1993
[6] Schmidt, P. F. u. a.: Praxis der Rasterelektronenmikroskopie und Mikrobereichsanalyse, expert-Verlag 1994
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