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Vorsicht, Stufe!

Kantenerkennung bei der Bildverarbeitungsmessung
Vorsicht, Stufe!

Das Erkennen von Kanten an Werkstücken ist auch für leistungsstarke Software in modernen Bildverarbeitungsmessgeräten keine leichte Aufgabe. Welche Stolperfallen zu überwinden sind und nach welchen Prinzipien dabei vorgegangen wird, zeigt dieser Beitrag.

Jürgen Bergmann, Spezialist für Bildverarbeitungssysteme, Produktmanager Bildverarbeitungsmessung, Mitutoyo Messgeräte GmbH

In Werkstückzeichnungen gehen die Bemaßungen meist von den Körperkanten aus. Wird das Teil nun mit einem Bildverarbeitungsmesssystem geprüft, muss dessen Software natürlich die Kanten im digitalen Bild automatisch erkennen, um sie in Form und Lage analysieren und die daraus resultierenden Ergebnisse als Messwerte ausgeben zu können.
Bei der digitalen Bilderfassung wird eine Kante als eine schlagartige Änderung der Helligkeit in der Darstellung registriert. Je größer der Helligkeitsunterschied zwischen den beiden Seiten des Kantenverlaufs ist, desto deutlicher tritt die Kante hervor.
Eine Software, die eine Kante automatisch erkennen soll, muss das gesamte Bild also zunächst nach einem schlagartigen Wechsel der Helligkeit untersuchen und anschließend den Verlauf dieses Helligkeitswechsels durch das Bild weiter verfolgen.
Allerdings ist in vielen Messsituationen die gesuchte Kante nur eine von vielen und der Helligkeitswechsel entlang einer Kante in den wenigsten Fällen wirklich konstant. Stattdessen verläuft die Kante mal mehr, mal weniger deutlich erkennbar durchs Bild. Deshalb müssen der Software vom Anwender die ungefähre Lage der gesuchten Kante und die zulässigen Helligkeitsdifferenzen in ihrem weiteren Verlauf mitgeteilt werden.
Grundregeln, Grundbegriffe und Kenngrößen
Trägt man die Helligkeitswerte oder Graustufen einer Linie – zum Beispiel einer im mittleren Bildbereich des abgebildeten Schachbrettmusters verlaufenden – als Funktion ab, entsteht ein Graph wie in Bild 2.
Dabei ist an drei Punkten ein deutlicher und schlagartiger Wechsel in der Helligkeit des Bildes zu erkennen. Der erste Punkt, an dem die Kurve zunächst von einem sehr niedrigen auf ein höheres Level springt, kennzeichnet eine Werkstückkante. Ein Helligkeitswechsel von dunkel nach hell entspricht also einem Anstieg der Funktion, weshalb eine Kante mit dieser Charakteristik auch eine ansteigende Kante genannt wird.
Die dritte Stelle, an der die Helligkeit schlagartig wieder abfällt, ist ebenfalls eine Werkstückkante. Allerdings wechselt die Helligkeit hier von hell nach dunkel. Weil das einem Abfall in der Graustufenfunktion entspricht, werden Kanten dieser Art als abfallende Kanten bezeichnet.
In der Mitte ist eine ganz kurze Auslenkung nach unten und sofort wieder nach oben erkennbar. Auch das entspricht zwei Kanten – einer abfallenden direkt gefolgt von einer ansteigenden. Diese äußerst dicht beieinander liegenden Kanten sind die Ränder eines sehr kleinen Staubpartikels. Eine Software kann zwischen Körperkanten und solchen zufälligen Kanten, die durch Verschmutzung entstehen, nicht unterscheiden. Um sichere Messergebnisse zu erzielen, müssen starke Verschmutzungen des Werkstücks also möglichst vermieden werden.
Weiterhin sollte man nicht über die gesamte Bildbreite auswerten, um eine Kante zu erkennen. Ein Begrenzen des Auswertungsbereichs auf eine Region Of Interest (ROI) hat den Vorteil, dass eine eindeutige Auswahl der zu messenden Kanten getroffen werden kann. Außerdem werden Fehlinterpretationen, zum Beispiel durch Verschmutzungen, stark eingeschränkt oder sogar ganz vermieden. Die ROI kann in der Regel durch ein einfaches Anklicken der gewünschten Kante im Bild festgelegt werden.
Betrachtet man die linke Kante im gezeigten Diagramm, wird deutlich, dass der Verlauf links von der Kante – also der dunkle Bereich – relativ gleichmäßig ausfällt. Im rechten Bereich neben der Kante gibt es vergleichsweise viele Störstellen durch Verschmutzungen. Um das Erkennen der richtigen Kante sicherer zu machen, sollte daher ausgehend von der gleichmäßigen Seite zur unruhigen Seite der Kante hin gemessen werden. Anders ausgedrückt: Es sollte immer von der sauberen zur verschmutzten Seite hin gemessen werden. In diesem Fall ist die Kante als ansteigende Kante von links nach rechts zu messen. Im Sinne der genannten Regel sollte also auch die rechte Kante als eine ansteigende gemessen werden – dann aber von rechts nach links. Abhängig von der Suchrichtung (oder Auswertungsrichtung) wird also die Neigung der Kante – abfallend oder ansteigend – festgelegt.
Grenzwertige Graustufen
Um die genaue Lage einer Kante festzulegen, wird eine Grenzwertgraustufe festgelegt. Diese ist in der oben gezeigten Grafik als graue horizontale Linie markiert. Sobald die Graustufenfunktion diesen Grenzwert überschreitet, gilt eine Kante als gefunden – genau an der Stelle des Schnitts zwischen Funktion und Gerade. Das bedeutet, dass an dieser Stelle das Suchen automatisch beendet wird. Liegen hinter der ersten gefundenen Kante noch weitere Kanten, werden sie nicht mehr identifiziert – auch wenn es Kanten mit weitaus größerem Kontrast sein sollten. Allerdings ist dabei die Kantenneigung zu berücksichtigen. Eine ansteigende Kante muss also die Grenzwertgerade von unten nach oben durchlaufen, eine abfallende Kante von oben nach unten. Schneidet die Kurve die Grenzwertgerade in der entgegengesetzten Richtung als durch die Kantenneigung festgelegt wurde, wird die entdeckte Kante ignoriert und die ROI weiter durchsucht.
Das Definieren eines festen Grenzwertes hat allerdings einen klaren Nachteil, wenn mehrere gleichartige Werkstücke wiederholend gemessen werden sollen. Da nämlich die Licht- beziehungsweise Helligkeitsverhältnisse von Werkstück zu Werkstück in der Regel leicht variieren, verändert auch der Graustufenverlauf seine Position. Bleibt dagegen der Grenzwert in seiner Lage konstant, wird von Teil zu Teil mit unterschiedlichen Verhältnissen gemessen. Um das zu verhindern, muss sich der Grenzwert der jeweiligen Lage der Graustufenfunktion von Teil zu Teil automatisch anpassen. In diesem Fall spricht man von einer dynamischen Kante. Bleibt der Grenzwert konstant, handelt es sich um eine statische Kante.
Filterung
Um die Ergebnisse der automatischen Kantenerkennung zu verbessern oder eine automatische Kantenerkennung auch bei schwierigen Bedingungen überhaupt zu ermöglichen, können drei verschiedene Filterfunktionen eingesetzt werden.
Verläuft eine Kante nicht auf einer Höhe parallel zum Objektiv, lässt sie sich nicht im gesamten Bildbereich als scharfe Kante abbilden. Da aber kein telezentrisches Objektiv eingesetzt ist, wird die Kante in den Bereichen, in denen sie unscharf abgebildet wird, perspektivisch verzerrt. Da diese Verzerrung das Maß der Kante beeinflusst, darf folgerichtig in einem unscharfen Bereich keine Kantenerkennung erfolgen. Das Herausfiltern von unscharfen Bereichen einer Kante hat den weiteren Vorteil, dass auch durch Restgrate oder Schmiermittel verschmutzte und damit ebenfalls undeutliche Passagen nicht berücksichtigt werden.
Das Filtern erfolgt relativ einfach durch Festlegung eines Stufensprunggrenzwerts: Beim Überschreiten des Grenzwertes wird nicht nur die Neigung der Graustufenfunktion geprüft, sondern auch die Stärke der Helligkeitsänderung. Eine unscharfe Kante bedeutet einen fließenden Übergang von hell nach dunkel oder von dunkel nach hell. Der Sprung in der Helligkeit von Pixel zu Pixel ist dabei relativ klein. Bei einer scharfen Kante erfolgt der Wechsel dagegen schlagartig – der Helligkeitssprung von Pixel zu Pixel ist also relativ groß. Überschreitet die Graustufenfunktion den Grenzwert, kann also festgestellt werden, wie groß der Sprung vom Pixel vor Überschreiten des Grenzwerts zum Pixel danach ist. Ist der Sprung kleiner als ein vorgegebener Grenzwert, liegt eine unscharfe Kante vor und es erfolgt keine Erkennung. Ist der Sprung jedoch größer als der Grenzwert, hat man es mit einer scharfen Kante zu tun, die identifiziert wird. Eine weitere Möglichkeit, Bereiche von Grat oder Verschmutzung entlang einer Kante herauszufiltern, ist das Filtern über Ausreißererkennung. Dabei wird eine Kante über einen ganzen Bereich betrachtet, also viele einzelne Kantenerkennungen parallel zueinander ausgeführt. So lässt sich aus der Summe sämtlicher Ergebnisse ein Hauptverlauf der Kante bestimmen. Alle Kantenerkennungen, die zu einem von diesem Hauptverlauf stark abweichenden Ergebnis führen, werden als Ausreißer aufgefasst und können nachträglich einfach herausgefiltert – also gelöscht – werden.
Die letzte Art der Filterung dient dazu, die Sicherheit der Kantenerkennung zu erhöhen, wenn die Randbedingungen ungünstig sind. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn beide Seiten der Kante starke Störungen im Graustufenverlauf haben – es also keine saubere Seite gibt. Bild 3 verdeutlicht diese Situation. Bild 4 zeigt den typischen Graustufenverlauf zu Bild 3. Deutlich erkennbar gibt es auf beiden Seiten der Kante ständige Wechsel in der Helligkeit. Diese Wechsel sind relativ groß, sodass die Angabe des Sprunggrenzwertes für ein Herausfiltern der richtigen Kante nicht ausreichen würde.
Um unter solchen Bedingungen dennoch die richtige Kante zu finden, werden Graustufenfilter eingesetzt. Sie glätten den Verlauf der Graustufenfunktion, indem in den Graustufenwert jeden Pixels auch immer die Graustufen der benachbarten Pixel einfließen. Der einem Pixel zugeordnete Helligkeitswert ist also ein aus den Helligkeitswerten einer ganzen Region von Pixeln gemittelter Wert. Für die Bestimmung des Mittelwerts dieser Region gibt es verschiedene Algorithmen.
Man kann zum Beispiel einfach das mathematische Mittel bestimmen oder den Medianwert nehmen, also das Mittel zwischen dem größten und dem kleinsten Wert. Als dritte Möglichkeit bietet sich das gewichtete Mittel aller Werte an, bei dem auch die statistische Häufigkeit des Auftretens der einzelnen Graustufen als Gewichtungsfaktor berücksichtigt wird.
Mitutoyo Messgeräte, Neuss
QE 558
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