Für Entwickler und Qualitäter sind so genannte „sicherheitsrelevante Merkmale“ absolute Redflags ihres Arbeitslebens. Die sicherheitsrelevanten Merkmale werden auch gerne mal „besondere Merkmale“ genannt, auch wenn schon diese beiden Begriffe nicht abschließend deckungsgleich sind.
„Sicherheitsrelevante Merkmale“ sind nur ein Teil der „besonderen Merkmale“, zumindest nach den üblichen Standards der Automobilindustrie. Umschrieben und erwähnt werden sie in diesen industriellen Vorgaben und Standards an verschiedenen Stellen, wie zum Beispiel in der IATF 16949 (Ziffern 8.3.3.3 ff.) oder dem VDA Band 6.1. Sie sind entweder in Dokumenten (wie Spezifikationen) als solche beschrieben oder aber in Zeichnungen entsprechend gekennzeichnet. Die deutschen Gesetze hingegen kennen diese Begriffe nicht, sie sind nicht legaldefiniert.
In der produktbezogenen juristischen Beratung von Industrieunternehmen besteht ein großer Umfang der Arbeit in der direkten Abstimmung mit Ein- und Verkauf, Entwicklung, Produktion und vor allem auch mit den Qualitätsbereichen. Das Auftauchen sicherheitsrelevanter Merkmale fungiert oft als Zündkapsel für teils unwirkliche (juristische) Diskussionen, vor allem aber für meist hektische Betriebsamkeit bei Technikern und Ingenieuren.
Rechtliche Relevanz von FMEA ist oft unbekannt
An deren Ende stehen meist Risikobewertungen (FMEA), von denen eigentlich keiner so wirklich weiß, was denn nun „richtig“ oder „falsch“ und vor allem inwiefern rechtlich relevant ist.
Das ist sowohl in der klassischen Qualitätsarbeit für NIO-Teile als auch in der Abwägung hinsichtlich etwaiger Maßnahmen im Markt (bis hin zu Rückrufen) eine äußerst unangenehme Situation für alle Beteiligten. Aber auch schon in der Produktentstehungsphase ist aus meiner Sicht die Fehleinordnung von Merkmalen als „sicherheitsrelevant“ kritisch, da sich hieran erhebliche Aufwände im Produktentwicklungsprozess anschließen.
Einteilung der Merkmale wird zu selten hinterfragt
Ausgangspunkt für die Charakterisierung ist in den Zulieferindustrien in der Regel die originäre Einteilung der Merkmale durch den Kunden oder aber des eigenen Unternehmens – und diese werden zu selten hinterfragt.
Basis hierfür und auch für die eigene Arbeit in nachgelagerten Prozessen kann nur ein gleichartiges Verständnis des Begriffs sein. Doch wie ist dieses zu schaffen? Meine Meinung lautet: indem man mit dem kleinsten gemeinsamen und insoweit unumstößlichen Nenner beginnt, dem Gesetz. Hieran anschließend können individuell Erweiterungen des Begriffsinhalts erfolgen. Diese sollten aber stets abgestimmt und dokumentiert sein.
Paragraph 3 des Produktsicherheitsgesetzes
hilft weiter
Geht man von der deutschen gesetzlichen Vorgabe aus – was für ein in Deutschland herstellendes und/oder Produkte in Verkehr gebendes Unternehmen absolut nachvollziehbar und richtig ist – dann hilft § 3 Produktsicherheitsgesetz. Danach darf ein Produkt nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es die für es geltenden besonderen gesetzlichen Anforderungen erfüllt (CE Konformität) – wenn und soweit es solche gibt – und wenn es bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet.
Die Sicherheitsrelevanz als solche ist also auf das Produkt und seinen Verwendungszweck ausgerichtet – mit dem Ziel, keine unzulässige Gefährdung zu begründen. Folglich ist es beispielsweise nicht (primär) relevant, ob das Produkt in eine Funktion gelangt, die für die Sicherheit sorgen soll.
Kurzgefasst: „Sicherheitsrelevant“ sind nicht nur Merkmale, die Sicherheitsfunktionen betreffen. Und was als „besonderes Merkmal“ gekennzeichnet wird, ist nicht automatisch sicherheitsrelevant. Geht man von diesem Basisverständnis aus, wird auch die Abgrenzung von unternehmenseigenen Definitionen der Begrifflichkeiten seitens der Kunden einfacher. ■
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Der Autor: Daniel Wuhrmann