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Zuviel Dokumentation?

Ein integriertes Managementsystem und seine Dokumente
Zuviel Dokumentation?

Im Zusammenhang mit der Zertifizierung eines Managementsystems z.B. nach DIN EN ISO 9001 ist es erforderlich, das praktizierte QM-System der Organisation schriftlich festzulegen. Angaben über die Art der Dokumentation finden sich in den Normen ISO 9000 und ISO 10013. Die geläufige Art der Darstellung ist das QM-Handbuch und die daraus abgeleiteten Verfahrens- und Arbeitsanweisungen. Nach nunmehr gut 10 Jahren der Zertifizierungspraxis liegen umfangreiche Erfahrungen in der Anwendung der QM-Dokumentation vor. Der Autor fasst seine Erfahrungen als Auditor einer Zertifizierungsgesellschaft zusammen.

Dipl.-Ing. Heinz WilhelmNeumarkt

Es sind drei typische Vorgehensweisen zu betrachten: A. Große Organisationen mit eigenen Stabsabteilungen, die sich über längere Zeit ausschließlich mit der Erstellung der QM-Dokumentation befassen konnten.
B. Unternehmen, die einen externen Berater beauftragten und mit seiner Unterstützung die QM-Dokumentation erstellten.
C. Unternehmen, die ihre QM-Dokumentation im Team unter Koordination durch den QM-Beauftragten erstellten.
Gegen diese unterschiedlichen Vorgehensweisen ist nichts einzuwenden; sie führten jeweils zum gewünschten Zertifikat und sie schafften eine gewisse Ordnung in der Organisation. Die Frage ist, ob der Aufwand für die Erstellung der Dokumente gerechtfertigt war? Immerhin mussten dafür beträchtliche Investitionen in Höhe bis zu mehreren hunderttausend DM aufgewendet werden und die Kosten steigen durch den notwendigen Pflegeaufwand noch weiter an.
Mehr Umfang als Bedarf
Die Antwort auf die Frage der Rechtfertigung wird davon abhängen, ob das QM-System als Führungsinstrument zur kontinuierlichen Verbesserung der Unternehmensstruktur genutzt wird (dann hat sich die Investition längst amortisiert) oder „nur“ ein Zertifikat angestrebt wurde (dann wurde viel Geld vergeudet). Ein Trend hat sich deutlich abgezeichnet: Der Umfang der QM-Dokumentation übersteigt im Allgemeinen den wirklichen Bedarf. Begründung: Bei der Ausarbeitung der QM-Dokumente wurden in der Vergangenheit folgende Fehler gemacht.
Fehler Nr. 1: Die Frage nach dem Umfang der QM-Dokumentation lautete häufig: „was müssen wir beschreiben, um das Zertifikat zu bekommen“ statt: „welchen Nutzen bringt es uns, wenn wir bestimmte Regeln schriftlich festlegen?“
Fehler Nr. 2: Die Geschäftsleitung hat sich nur mit der Qualitätspolitik und der Organisationsdarstellung befasst, jedoch keine Vorgaben über Art und Umfang der QM-Dokumentation festgelegt.
Fehler Nr. 3: Die Führungskräfte, soweit sie an der Erstellung z.B. der Verfahrensanweisungen beteiligt waren, haben die praktizierten Abläufe schriftlich festgelegt, ohne sich dabei Gedanken über deren Effizienz zu machen und ohne sie bei dieser Gelegenheit zu optimieren.
Fehler Nr. 4: Es wurden im Allgemeinen zu viele Details beschrieben, ohne die Qualifikation der betroffenen Mitarbeiter zu würdigen.
Fehler Nr. 5: Für die Art der Beschreibung wurde überwiegend Textform gewählt, die es kaum erlaubt, unlogische Zusammenhänge zu erkennen und die Effektivität und Effizienz zu bewerten.
Zweck des QM-Handbuchs
Was ist zu tun, um die QM-Dokumentation auf das wirklich nützliche Maß zu reduzieren? Betrachten wir als Erstes das QM-Handbuch. Welchen Zweck hat es?
Es soll das QM-System (die Prozessstrukturen) und die Zuständigkeiten zusammenhängend darstellen, als Vorgabe für die Führungskräfte im Unternehmen und in Einzelfällen zur Information von Kunden. Es hat nicht die Wünsche eines externen Auditors zu befriedigen! Zweckmäßig verweist das QM-Handbuch auf die daraus abgeleiteten Prozessbeschreibungen (Verfahrensanweisungen). So lässt sich z.B. der Entwicklungsprozess im QM-Handbuch auf einer Seite ausreichend darstellen, ebenso alle anderen Prozesse (einschließlich z.B. Umwelt, Gesundheit und Sicherheit). Auf diese Weise schrumpft das QM-Handbuch auf weniger als ein Drittel des heutigen Umfanges.
Betrachten wir als Nächstes die Prozessbeschreibungen (Verfahrensanweisungen) Welchen Zweck haben sie?
Sie sollen die Prozesse in ihrer geforderten Abfolge mit Prozess-Eingabe, Prozess-Ergebnis und den Nahtstellenverantwortungen festlegen. So lässt sich z.B. der Ablauf einer Produkt-Neuentwicklung auf zwei bis drei Seiten ausreichend darstellen. Alles, was ein qualifizierter Entwicklungssachbearbeiter darüber hinaus wissen muss, ist Angelegenheit von Schulung, Training und Weiterbildung. Betrachten wir als Drittes die Arbeitsanweisungen. Welchen Zweck haben sie? Sie sollen sicherstellen, dass die Qualität des Arbeitsergebnisses dem gewünschten Zustand entspricht und sie sind nur dort notwendig, wo es bei Fehlen einer solchen Anweisung zu unerwünschten Ergebnissen kommen könnte. Wenn Arbeitsanweisungen unter diesem Aspekt erstellt werden, dann kommt man häufig zur einfachen Lösung in Form von Checklisten, Skizzen, Bildern oder eines Ausführungsbeispiels in Form eines Musters.
In der Funktion als Auditleiter hat der Autor erfahren, dass die QM-Systemdokumente in der Regel nicht als Arbeitsgrundlage verwendet werden (ausgenommen Arbeitsanweisungen z.B. in Form von Arbeitsbegleitkarten oder Zeichnungen). Sie stehen in Schränken oder hängen an Wänden und meist hat nur der QM-Beauftragte einen Überblick über den aktuellen Stand.
Zu keiner Zeit seiner zahlreichen Audits hat der Autor jemals festgestellt, dass ein Mitarbeiter während seiner Tätigkeit in einem QM-Systemdokument gelesen hätte. Den betroffenen Unternehmen ist deshalb zu raten, folgende Fragen zu stellen:
  • 1.Welche schriftlichen Regelungen sind notwendig, um Störungen und Fehler in der Organisation zu vermeiden?
  • 2.Welche der vorhandenen Dokumente haben uns Nutzen gebracht?
  • 3.Welche der vorhandenen Dokumente waren bisher nicht als Arbeitsgrundlage notwendig?
Nach der objektiven Beantwortung dieser Fragen wird man feststellen, dass ca. 50 Prozent der QM-Systemdokumente überflüssig sind!
Das Motto für die Restrukturierung der vorhandenen QM-Dokumentation – diese bietet sich im Zusammenhang mit der Überarbeitung des QM-Systems nach der neuen Norm ISO 9004:2000 an – muss also lauten:
„So viel Dokumentation wie nötig und so viel Nutzen wie möglich!“
Gleichzeitig sollte der Schwerpunkt auf eine prozessorientierte Darstellung insbesondere für die Prozessbeschreibungen (Verfahrensanweisungen) gelegt werden. Ablaufdiagramme (Fließschemata) erlauben den Einstieg in die Bewertung der Logik und Effizienz von Prozessen mit dem Ziel, wertschöpfende, nicht wertschöpfende und Fehlleistungs-Anteile zu erfassen und Erkenntnisse für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu bekommen.
Die Akzeptanz und Benutzerfreundlichkeit wird schließlich noch dadurch wesentlich gesteigert, dass alle Dokumente (elektronisch miteinander verknüpft) den Mitarbeitern über Bildschirm zugänglich gemacht werden. Damit kann gleichzeitig auch die umständliche und Kosten verursachende Verteilung von Papier entfallen. Und nicht zu vergessen: Innovation, Qualifikation, Motivation und Führung durch Zielvereinbarungen sind Schlüsselelemente für ein erfolgreiches Managementsystem; sie können so manches Dokument ersetzen!
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