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Verlängerte Werkbänke auf dem Weg zur Qualitätsführerschaft

Automobilhersteller und Zulieferer setzen in China auf ISO/TS 16949
Verlängerte Werkbänke auf dem Weg zur Qualitätsführerschaft

Der internationale Markt- und Effizienzdruck wird zu einer schnellen Verbreitung der Qualitätsstandards nach ISO/TS 16949 in der Zulieferindustrie führen. Weil die verlängerten Werkbänke nun als eigene Produktionsstätten zertifiziert werden müssen, erhalten diese selbst eine Registrierung in der IATF-Datenbank. Von dieser objektivierten Qualität werden nicht nur die Anbieter im weltweiten Marktauftritt profitieren, sondern auch Einkäufer.

Die ISO/TS 16949 wurde als technische Spezifikation von der Arbeitsgemeinschaft International Automotiv Task Force (IATF) auf Basis der EN ISO 9001 entwickelt und 2013 in der 4. Auflage veröffentlicht. Seit April 2015 müssen nun die Änderungen der Zertifizierungsvorgaben in allen zertifizierten QM-Systemen der Automobilindustrie weltweit umgesetzt sein.

Die wesentlichen Ziele der revidierten QM-Anforderungen waren: Verbesserungen in der Produkt- und Prozessqualität sowie ein einheitlicher Qualitätsansatz in den weltweiten weitverzweigten Lieferketten vom Sublieferanten bis zu den Originalherstellern. Denn während die IATF von US-amerikanischen und europäischen Herstellern geprägt ist, so haben die asiatischen Produzenten selbstentwickelte Kriterienkataloge zur Durchsetzung ihrer Anforderungen an die QM-Systeme in der Automobilwirtschaft. Folglich sollte mit der überarbeiteten Norm der Aufwand von Mehrfachzertifizierung reduziert und eine Harmonisierung der Standards erreicht werden.
Für viele chinesische Zulieferer bedeutet die Umsetzung der neuen Norm einen Quantensprung im Qualitätsmanagement. Dies gilt auch für Betriebe mit überwiegend chinesischen Arbeitern. Waren die QMS früher eher systemisch ausgelegt, gehen sie nun sehr viel stärker in die Tiefe – zum Beispiel bei den Materialspezifikationen und bei Verarbeitungsparametern mit teils hochdifferenzierten Kennzahlen und Kundenspezifikationen für die Produktion. In einem Lieferantenaudit musste beispielsweise nicht nur der Nachweis für das Mischungsverhältnis einer Lotpaste erbracht werden, sondern auch für die Befähigung derjenigen Person, die für die Herstellung dieser Paste im Werk zuständig ist. Diese Prozesstiefe hat allerdings zur Folge, dass die Anzahl von Kundenaudits und Requalifizierungsprüfungen tendenziell nicht weniger wird, sondern eher zunimmt.
Eine weitere wichtige Folge der Revision ist, dass die früher sogenannten verlängerten Werkbänke nun selbst als eigene Standorte zertifiziert werden müssen, was einen regelrechten Paradigmenwechsel in der Zulieferindustrie ausgelöst hat. Somit reicht es nicht mehr aus, Teile des QM-Systems der Konzernmutter zu übernehmen. Vielmehr müssen Zielsetzungen und Abläufe für jedes einzelne Werk formuliert und der Betrieb danach ausgerichtet werden. Spezifische Kennzahlen-Systeme stehen daher als Steuerungsinstrumente stark im Fokus.
Betriebsleiter bezeichnen diese Entwicklung als Segen, weil sie durch die höhere Wiederholgenauigkeit teils beträchtliche Qualitätskosten infolge von Reklamationen, Ausschuss, Nacharbeit und Lieferverzug einsparen können. Im Übrigen können sich die neuen Qualitätslagen in den chinesischen Zweigniederlassungen mitunter auch auf europäische Muttergesellschaften auswirken, wenn durch die neuen Ansätze für eine optimierte Produkt- und Prozessqualität in mittelständischen Unternehmen manchmal tradierte Strukturen aufgebrochen werden können.
Kritische Schnittstelle ist der Faktor Kultur
Die kritische Schnittstelle zur Umsetzung des Qualitätsniveaus nach ISO/TS 16949 ist aber nach wie vor der Faktor Kultur. Auch wenn seit Jahren auf die Bedeutung der Mentalitätsunterschiede im Geschäft mit China hingewiesen wird, ist die Notwendigkeit der konsequenten Entwicklung der lokalen Mitarbeiter meist stark unterschätzt. Ohne ein tiefgreifendes Qualitätsverständnis und ohne eine bewusst im Werk gelebte Qualitätsbindung werden die Maßnahmen zur Qualitätssicherung nicht dauerhaft tragfähig sein. Auch vor dem Hintergrund, dass mit der Revision die Teilnahme von Beratern am Audit vollständig verboten wurde.
So zeigen Erfahrungen, dass die betriebliche Ausrichtung an die neuen Standards nur mit einer intensiven, über Jahre entwickelten Personalarbeit zu lösen ist. Daher sind Betriebe stets gut beraten, für die Leitung des Qualitätsmanagements Mitarbeiter einzusetzen, die sowohl die lokale Mentalität als auch das europäische Verständnis kennen und vorleben. Mit Antworten auf lokale Bedürfnisse wie Fahrdienste zum Arbeitsplatz, Kantinenessen oder Sozialleistungen hat beispielsweise der deutsche Zulieferer Zollner Electronic, Anbieter von Electronic Manufacturing Services (EMS) in der chinesischen Stadt Taicang eine Lokalisierungsquote – mit Einbindung chinesischer Mitarbeiter – von über 90 % erreicht. Die Tochter der mittelständischen Unternehmensgruppe ist als weltweiter Zulieferer von mechatronischen Systemen ihren Kunden nach China gefolgt. Vor zehn Jahren hat Zollner dort ein Werk in Taicang errichtet. Hier hat hat der ESM-Spezialist mittlerweile rund 380 Mitarbeiter beschäftigt, von denen vier ausländische Mitarbeiter Führungspositionen besetzen. Durch die intensive Personalarbeit zur Umsetzung der ISO/TS 16949 konnte im Werk eine sehr hohe Prozess- und Wiederholungsgenauigkeit erreicht werden. ■
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