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Weg zur Zertifizierung beschleunigen

Qualitätssicherung als Wettbewerbsfaktor in der Windenergie
Weg zur Zertifizierung beschleunigen

Der Ausbau der Windenergie ist energiepolitisch und wirtschaftlich eine wichtige Säule des Zukunftskonzeptes der Bundesrepublik. Aus dem extremen Beanspruchungsprofil der in der Windenergie eingesetzten Werkstoffe ergeben sich besondere Anforderungen. Realitätsnahe Prüfungen zur Qualitätssicherung im Labor und im Freifeld können der Entwicklung leistungsfähiger und zuverlässiger Windenergieanlagen Vorschub leisten.

„Made in Germany“ hat für deutsche Hersteller eine mehr versprechende Perspektive, wenn sich ihre Produkte durch Qualität und Funktionssicherheit auszeichnen. Genau dies können die Unternehmen mit sinnvollen Prüfungen und Computer gestützten Simulationen sicherstellen. Wichtig hierbei ist die Begleitung aller Entwicklungsschritte mit diesen Maßnahmen, von der Materialentwicklung über das Design zur Bauteilentwicklung bis hin zum Betrieb der Komponente oder der Anlage.

Rotorblätter von Windenergieanlagen sind komplexe und hochbeanspruchte Bauteile. Aufgrund der Leichtbauanforderungen und der hohen Ermüdungsbeanspruchungen werden sie aus Faser-Verbund-Werkstoffen (FVW) gefertigt. Für die Konstruktion und die Beurteilung beziehungsweise den Nachweis der Zuverlässigkeit von solchen Faserverbundstrukturen ist die Kombination von analytischen, beziehungsweise numerischen Berechnungen und experimentellen Untersuchungen verbreitet.
Der in der Windenergie verbreitete Ansatz zur experimentellen Validierung von Design-Annahmen und dem Nachweis der Struktureigenschaften unterscheidet im Wesentlichen vier Ebenen: Prüfung von Coupons, Prüfung von Elementen und Details, Prüfung von Subkomponenten und Ganzblattprüfung. Die Anzahl der erforderlichen Prüfungen auf jedem Level wird an die Designaktivitäten & -aufwand angepasst werden. Bei einer hohen Zuverlässigkeit oder sehr großen Sicherheitsfaktoren eines Berechnungsverfahrens kann eine Nachweisebene möglicherweise vernachlässigt werden. Aufgrund der großen Leichtbauanstrengungen der Windbranche ist jedoch eher eine Entwicklung in Richtung von erhöhten Anstrengungen, insbesondere auf Detail- und Komponentenebene, zu beobachten.
Generell ist der Aufwand auf der Ebene Couponprüfung und Prüfung von Elementen und Details für eine einzelne Prüfung gering. Deshalb kann auf diesem Level durch die Untersuchung einer großen Anzahl von Prüflingen Sicherheit gewonnen werden. Außerdem kann die Leistungsfähigkeit verschiedener Konstruktionsdetails und möglicher Konstruktionsänderungen betrachtet werden. Auf der höchsten Ebene erfolgt üblicherweise nur die Untersuchung einer einzelnen Struktur. Damit kann die Zuverlässigkeit geprüft werden, aber statistische Aussagen zu der Struktur sind nicht möglich.
Materialebene
Materialuntersuchungen dienen in erster Linie der Absicherung der physikalischen Eigenschaften der in der Struktur verwendeten Materialien. Dies sind in erster Linie statische und zyklische Kennwerte, die das mechanische Verhalten der Faserverbundwerkstoffe, der Kernwerkstoffe und Klebstoffe beschreiben. Häufig werden auch Kennwerte von alternativen Materialien bestimmt, um eine Werkstoffwahl treffen zu können.
Untersuchungen auf Materialebene erfolgen an relativ kleinen Prüflingen (bis ca. 15 cm Länge zzgl. Einspannung) und sind für viele Untersuchungen etabliert und standardisiert. Die Untersuchungen beruhen meist auf einachsigen Verfahrwegen und werden z.T. mit Klimakammern ergänzt. Torsionsuntersuchungen sind für die Ermittlung von Schubeigenschaften an Klebstoffen verbreitet. Für die Entwicklung von Werkstoffmodellen sind darüber hinaus auch mehraxiale Versuche wichtig. Mit diesen kann der Einfluss von mehreren Beanspruchungen – üblicherweise zwei – auf das Material untersucht werden. Aufgrund der hohen Betriebsbeanspruchungen und der langen Lebensdauer von Rotorblättern sind die Ermüdungseigenschaften der verwendeten Materialien von eminenter Bedeutung.
Details und Komponenten
Die Lastenverteilung auf ca. 15 cm lange Couponproben weicht aufgrund von Fertigungs- und Geometrieeffekten und der eigentlichen Beanspruchung erheblich von der tatsächlichen Verteilung an einem Rotorblattprototypen ab. Daher werden zunehmend auch bauteilähnliche Prüflinge (Details beziehungsweise Komponenten) geprüft, um die Lücke zwischen Ganzblatt- und Materialtests auf Couponebene zu schließen. Insbesondere für kritische Rotorblattbereiche (zum Beispiel Klebnähte oder Übergänge im Laminat und den Kernwerkstoffe) werden solche Details und Komponenten geprüft. Diese Prüfungen sind bisher kaum standardisiert und auf Komponentenebene ist die Etablierung von einheitlichen Prüfungen aufgrund der vielfältigen Rotorblattdesigns in naher Zukunft unwahrscheinlich.
Forscher des Fraunhofer IWES haben zusammen mit Industriepartnern einen Subkomponententest zur Klebnahtprüfung entwickelt, der das Verständnis des Materialverhaltens um die strukturrelevante Dimension ergänzt. Somit wird das Risiko beim Scale-Up reduziert. Die Lasten, die auf die Klebverbindung wirken, sowie der Anspruch, eine Nutzungsdauer von 20 Jahren zu garantieren, stellen extreme Anforderungen dar. Die Klebnaht kann eine Dicke von rund 10 Millimetern und eine Länge von rund 60 Metern erreichen.
Gesamtstruktur
Rotorblätter von Windenergieanlagen werden immer noch weitestgehend von Hand gefertigt. Zwar gibt es eine zweiteilige Blattform zur Herstellung der beiden Rotorblatthälften, und auch die Schließung der beiden Hälften mit gleichzeitiger Verklebung der beiden Blattteile wird über einen hydraulischen Klappmechanismus maschinell gelöst; doch das Einlegen des Trockengeleges wird manuell durchgeführt. Weiterhin wird auch der Auftrag des Klebstoffes manuell durchgeführt. Die Qualitätssicherung der Gesamtbauweise ist daher für einen sicheren Betrieb der hoch beanspruchten Bauteile sehr wichtig. Hinzu kommt auch, dass die Blätter permanent weiterentwickelt werden. Die Materialien, der Aufbau der Struktur, die Fertigungsverfahren und vor allem das Fertigungsteam ändern sich hierdurch. Um das Bauteilzertifikat zu erhalten fordern Zertifizierer die Überprüfung eines der ersten Blätter aus einer anlaufenden Serienfertigung für eine Ganzblattprüfung. Ziel des Tests ist es, die gesamte Belastung der Struktur im Verlauf der Lebenszeit zu simulieren, um mögliche Probleme zu identifizieren. Die im Test ermittelten Eigenfrequenzen des Blattes sowie die Steifigkeiten, Dehnungen und Verformungen können so abgeglichen werden, um die numerischen Simulationsergebnisse sicherer zu gestalten. Nach einem Eigenfrequenztest wird das Blatt mit Seilen und Hydraulikzylindern nacheinander in vier Richtungen ausgelenkt, bis die Extremlasten in der Struktur und die aus der Zertifizierung notwendigen Sicherheitszuschläge erreicht sind. Nach diesem Extremlastentest folgt ein Versuch um die Ermüdung des Bauteils zu prüfen. Die Belastung wird am Fraunhofer IWES durch die Anregung des Blattes in seine Eigenfrequenz erzeugt. Die Schwingung wir dann mit Hydraulikzylindern über mehrere Wochen angeregt, um die notwendigen 1 Mio. bis 2 Mio. Lastwechsel aufzubringen. Abschließend folgt dann noch mal ein Test der Extremlasten um auch am Ende der so simulierten Lebenszeit zum Beispiel extreme Windereignisse zu überprüfen.
Ausblick: Prüfstände für Gondel und Tragstrukturen in Planung
Extremen Beanspruchungen ist auch der Antriebsstrang in der Gondel einer Windenergieanlage ausgesetzt. Er fungiert als Bindeglied zwischen strömungsmechanischer Energiewandlung durch das Rotorsystem und elektromechanischer Energiewandlung auf der Netzseite. Die technische Zuverlässigkeit der bis zu 400 Tonnen schweren Gondeln bestimmt in hohem Maße ihre Gesamtverfügbarkeit der Windenergieanlage am Netz. Mit dem Dynalab (Dynamic Nacelle Laboratory) soll 2014 in Deutschland erstmals ein Gondelprüfstand mit einer Antriebsleistung von 10 Megawatt in Betrieb gehen. Dort können Gondeln im Leistungsbereich zwei bis 7,5 Megawatt getestet werden.
Aussagefähige Prüffeldtests sollen Herstellern die Möglichkeit eröffnen, Triebstrang, Generator, Umrichter und Regelkonzepte zu optimieren und weiterzuentwickeln. Auch der Einsatz neuer Werkstoffe für den Elektromaschinenbau kann dadurch neue Impulse erhalten. Die technischen Anforderungen an den Prüfstand wurden bereits definiert. Bei der Prüfung der Netzeigenschaften von Windenergieanlagen können bereits kurzfristig große Potenziale erschlossen werden. Mittelfristig ist auch die Entwicklung und Validierung von Prüf- und Zertifizierungsmethoden ein Ziel, das das Fraunhofer IWES zusammen mit seinen Partnern in dem neuen Prüfstand realisieren will. Es sei geplant, einen Großteil der notwendigen Zertifizierung ins Labor zu verlagern. Dadurch können die Prozesse spürbar beschleunigt werden. Das Vorhaben wird unterstützt vom Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), dem Land Bremen sowie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).
Extreme Anforderungen an Offshore-Gründungsstrukturen
Die neuen Dimensionen von Bauteilen und Lasten erfordern fundierte theoretische und experimentelle Untersuchungen der Tragstrukturen. Ermüdungfestigkeiten mehraxial beanspruchter Bauteile und Boden-Bauwerks-Interaktion zählen zu den zentralen Forschungsthemen. Zu diesem Zweck wurde 2009 die Projektgruppe Tragstrukturen des Fraunhofer IWES gegründet. Realitätsnahe Versuche im geplanten Großversuchslabor der Leibniz Universität am Standort Hannover-Marienwerder sollen ideale Voraus-setzungen dafür bieten. Das Fraunhofer IWES baut seine Kompetenzen im Forschungs-bereich Tragstrukturen für Windenergieanlagen systematisch aus. Für den Standort Hannover sprechen die Kooperationsmöglichkeiten mit den Instituten des universitären Forschungsverbundes ForWind und das geplante Großversuchslabor. Im Fokus stehen die Optimierung und Neuentwicklung von Tragstrukturen für Repowering-Maßnahmen im Onshore-Windenergiebereich und von Tragstrukturen für Offshore-Windenergie-anlagen. Mit optimierten Designprozessen durch verbesserte Simulationsmodelle und -tools, unterstützt durch begleitende experimentelle Untersuchungen, sollen innovative Tragstrukturkonzepte entwickelt werden. Weitere Themen sind neue Materialkombinationen, Korrosionsschutz und Bauverfahrenstechnik.
Experimentelle Tests unter multi-axialer Belastung
Aufgelöste Tragstrukturen für Wassertiefen ab 25 bis zu 70 m werden auf See durch räumlich angreifende Wind-, Wellen- und Betriebslasten besonders im Bereich der Strukturknoten mehr-axial beansprucht. Im Gegensatz zu vorhandenen Einrichtungen für experimentelle Untersuchungen von Bauteilen sollen am Fraunhofer IWES die räumlichen Beanspruchungen wirklichkeitsnah nachbildet werden. Innovative Planungsansätze für die Versuchseinrichtungen ermöglichen die Durchführung von neuartigen Strukturtests unter multi-axialer dynamischer Belastung. Die dynamischen Eigenschaften der Tragstruktur werden signifikant von den vorliegenden Bodenverhältnissen beeinflusst. Bodeneigenschaften, die sich während der Lebensdauer der Windenergieanlage infolge dynamischer Beanspruchungen verändern, haben erheblichen Einfluss auf das Ermüdungsdesign. Die natürlichen Streuungen der Bodeneigenschaften werden einerseits durch konservative Annahmen auf der sicheren Seite abgedeckt, um die Standsicherheit von Tragstrukturen für Offshore-Windenergieanlagen zu gewährleisten. Andererseits besteht enormer Forschungsbedarf im Bereich der Gründungselemente, um deren Verhalten unter zyklischen Lasten präziser voraussagen zu können. Ein neuartiges Prüfkonzept für Gründungselemente unter realen Offshore-Bodenverhältnissen und Tests an großmaßstäblichen Tragstrukturen mit Gründungselementen sollen die Auslegungsgrundlagen für die Gesamtstruktur und für Gründungselemente absichern und verbessern. Weiter entwickelte, leichtere Tragstrukturen steigern die Wirtschaftlichkeit der Windenergie durch Material- beziehungsweise Kosteneinsparungen und schonen die Umwelt. Großmaßstäbliche Versuche an Gesamtstrukturen und Versuche im Maßstab 1:1 an neuralgischen Bauteilen unter realitätsnahen, mehraxialen Belastungsszenarien liefern eine erstklassige Grundlage für das langfristige Ziel, den Planungsprozess von Offshore-Windparks analog zu bauaufsichtlichen Prüfzeugnissen für übliche Bauteile im Onshore-Sektor zu vereinfachen.
Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), Bremerhaven www.iwes.fraunhofer.de
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