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„Die Messtechnik darf nicht zum Bottleneck der Produktion werden“

Trends in der Metallverarbeitung
„Die Messtechnik darf nicht zum Bottleneck der Produktion werden“

Die Qualitätssicherung muss sich künftig noch stärker als bisher als Dienstleister der Produktion verstehen, mahnt Dr. Reinhard Freudenberg vom WZL der RWTH Aachen im Gespräch mit Quality Engineering. Dies heißt einerseits: Sie muss technische Antworten haben auf die zunehmende Schnelligkeit und Flexibilisierung in der Produktion. Andererseits darf sich der Messraum nicht länger abschotten.

Herr Dr. Freudenberg, vor welchen Herausforderungen hinsichtlich Qualitätssicherung stehen die Metallverarbeiter heute?

Freudenberg: Die Messtechnik ist ein Dienstleister für die Produktion. Deshalb muss sie sich anschauen, was in der Produktion geschieht. Zum einen: In der Produktion werden die Toleranzen kleiner. Die Stückzahlen werden kleiner. Die Lieferzeiten werden kürzer. Darüber hinaus kommen immer häufiger Verbundmaterialien zum Einsatz. Dies alles hat Konsequenzen für die anzuwendende Messtechnik. Sie muss auf diese Entwicklungen Antworten haben und darauf reagieren – oder besser noch: Sie muss proaktiv agieren und dabei auch in die Zukunft sehen. Plakativ zusammengefasst: Es darf nicht passieren, dass die Messtechnik der „Bottleneck“ wird.
Sie sprechen die zunehmende Schnelligkeit und Flexibilität in der Fertigung an. Welche Antworten hat die Messtechnik darauf?
Freudenberg: Es bedarf beispielsweise schnellerer optischer und taktiler Sensoren, die relativ zügig Messwerte generieren. Im Hintergrund muss außerdem die Erfassung und die parallele Auswertung der Messwerte laufen. Dabei profitiert die Messtechnik von schnelleren Computerprozessoren. Mit diesen kann ich komplizierte Algorithmen zur Messwerterfassung oder zur Messwertverarbeitung bereitstellen, sodass ich in der Lage bin, die Daten und das Messergebnis relativ zügig zu erzeugen. Diese Ergebnisse lassen sich bei Bedarf sofort in den Prozess zurückzuspielen. Zudem geht durch die Schnelligkeit die Tendenz ganz klar zur Inline-Messtechnik.
Schnelligkeit und Flexibilität – beide sind auch typisch für die Fertigung im Industrie-4.0-Zeitalter. Wie muss sich die Messtechnik hier aufstellen?
Freudenberg: Industrie 4.0 hat Auswirkungen auf das Thema Datenhaltung. Eine flexibilisierte Produktion benötigt Messergebnisse, die zentral an einer Stelle vorgehalten werden. Eine redundante Datenhaltung, wie sie heute oft üblich ist, birgt immer das Risiko, dass Mitarbeiter, Abteilungen oder Partner auf Daten zugreifen, die eigentlich nicht aktuell sind. Ohne die zentrale Datenhaltung in einer Cloud wird es in Zukunft nicht mehr gehen. Ich bin davon überzeugt, dass die Cloud ebenfalls zur Beschleunigung beiträgt. Denn damit kann ich beispielsweise dem Zulieferbetrieb und dem Kunden leicht Zugriff auf meine Daten ermöglichen.
Was genau sehen Sie in der Cloud?
Freudenberg: Die Erfassung und die direkte Verarbeitung von Messwerten sehe ich auch in Zukunft nicht in der Cloud. Dies verbleibt beim eigentlichen Messsystem. Aber aufbereitete Messergebnisse mit den zugehörigen Kennwerten werden in eine Cloud verlagert. Dabei kommt auf die Messtechnik auch die Frage zu, welche Konsequenzen dies auf die Schnittstellen und Datenformate hat.
Wird sich die Messtechnik weiter inline in die Produktion verlagern? Hat der Messraum künftig ausgedient?
Freudenberg: Nein, auch in Zukunft wird es den Messraum weiterhin geben – um Bauteile im Sinne eines großen Qualitätsregelkreises umfassend zu überprüfen und um Langzeitauswertungen zu machen. Das kann ich in der Produktion nicht leisten. Allerdings müssen die Produktion und die Qualitätssicherung im Messraum künftig enger zusammenarbeiten und ihre Prozesse einander angleichen. Heute ist der Messraum häufig noch eine andere Welt, er ist in gewisser Weise abgeschottet. Und die Abläufe ähneln eher denen eines Handwerksbetriebs als einer industriellen Fertigung. Hier sehe ich noch Potenzial in den Unternehmen.
Das klingt nach einer weiteren Professionalisierung der Messtechnik, oder?
Freudenberg: Ja, ohne damit sagen zu wollen, dass die Messtechnik heute vielfach unprofessionell agiert. Sie wird sich als Dienstleister der Produktion künftig aber noch stärker an deren Belangen orientieren müssen. Dies betrifft auch die Parallelisierung von Produktplanung einerseits sowie Qualitäts- und Prüfplanung andererseits. Das heißt, wenn ein Produkt entwickelt wird, muss bereits die Messtechnik einbezogen werden. Sie muss sich überlegen: Wie und mit welchem Messmittel kann man später die Qualität des Produkts sicherstellen? Was muss gemessen werden? Welche Messtechnik muss beschafft werden? Wie müssen die Mitarbeiter dafür geschult werden?
Stichwort Genauigkeit: Welche Entwicklungen sehen Sie hier?
Freudenberg: Dies betrifft die Entwicklung im Hinblick auf Auflösung, Messbereich und Messunsicherheit. Ich wünschte manchmal, das aus der Halbleitertechnik bekannte Mooresche Gesetz würde auch hier im Hinblick auf die drei genannten Parameter gelten. Die zyklische Verdopplung beziehungsweise Halbierung ist hier aber leider nicht machbar. Da stehen in vielen Fällen physikalische Prinzipien „im Weg“. Zwar kann man Störungen an Messsystemen reduzieren, durch geschickte Auswertung und durch Nutzung von schnellen Algorithmen Verbesserungen erreichen. Aber der große Sprung ist dies nicht. Deshalb brauchen wir alternative Technologien.
Was genau meinen Sie damit?
Freudenberg: Die Computertomographie ist ein Beispiel. Mit ihr lassen sich etwa bei Verbundmaterialien sehr genaue Aussagen über die Qualität der Bauteile treffen – und zwar innerhalb von Minuten. Ein anderes Beispiel finden Sie im Bereich der Large Volume Metrology, also der Vermessung etwa von Windrädern oder Flugzeugteilen. Die Messtechnik muss an relativ großen Bauteilen „Genauigkeiten“ garantieren. Hier kommt die Navigation via Indoor-GPS-Systemen ins Spiel. ■
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