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Härtetest für Härtereien: die neue Norm CQI-9 für Wärmebehandlungen

Qualitätsmanagement
Härtetest für Härtereien: die neue Norm CQI-9 für Wärmebehandlungen

Härtetest für Härtereien: die neue Norm CQI-9 für Wärmebehandlungen
Die für Wärmebehandlungsprozesse gültige „CQI-9 Special Process: Heat Treat Assessment“ hat von den technischen CQI-Normen weltweit den höchsten Durchdringungsgrad in der Automotive-Lieferkette und ist in etwa vergleichbar mit dem Nadcap-Standard „Heat-Treatment-Specific Guidance“ der Luftfahrtindustrie. Bild: andov/stock.adobe.com
Für die Wärmebehandlung ist seit einem Jahr die vierte Edition der CQI-Norm „CQI-9 Special Process: Heat Treat Assessment“ gültig. Sie hat von den technischen CQI-Normen weltweit den höchsten Durchdringungsgrad in der Automotive-Lieferkette.

Wärmebehandlung gilt unter Verfahrenstechnikern als „spezieller“ Prozess, da die durch ihn erzeugten beziehungsweise veränderten Produktschlusseigenschaften wie zum Beispiel Härte oder eine (un)gewollte Veränderung der Materialstruktur nicht zerstörungsfrei festzustellen sind. Lieferant und Kunde sind also dazu gezwungen, sich ein gutes Stück weit auf Prozessqualität zu verlassen und anhand von Parameterüberwachung, einer auf Vorbeugung und totale Produktivität ausgerichteten Pyrometrie sowie mittels weniger Stichproben festzustellen, wenn Qualitätsprobleme vorliegen könnten.

Ein Beispiel: Es ist selbst bei einem über mehrere Stunden laufenden Temperatur-Halteprozess absolut realistisch, dass die in der sogenannten qualifizierten Zone eines Ofens wärmebehandelten Teile in äußerst unterschiedlicher Qualität resultieren. Nebst anderen ist ein häufiger Beitrag das „Ofenprofil“, also die Temperaturschwankungen und -unterschiede innerhalb einer Zone, verursacht durch Probleme mit der Verwirbelung, Verschleißerscheinungen oder messtechnische Schwankungen. Alleine dies oder in Kombination mit einer überfrachteten oder zu engen Teilebeladung kann dazu führen, dass an bekannten oder im schlechtesten Fall unbekannten Plätzen nicht die spezifizierte Härte erzeugt wird.

Während im Nachgang das messende Labor für die zerstörten Prüflinge ein IO-Ergebnis liefert, fallen die nicht ausreichend gehärteten Komponenten in der Gewährleistungsphase der Nutzung im günstigsten Fall aus. Im schlimmsten Fall haben die Komponenten Sicherheitsrelevanz und ihr Versagen führt zu Produkthaftungsfällen. Es bedarf Normen wie CQI-9, um beherrschbare Wärmebehandlungsprozesse zu garantieren.

Warum nun eine vierte Edition? Die aktuelle Edition wurde einerseits in Auftrag gegeben, um schlichtweg dem technischen Fortschritt im Allgemeinen (Digitalisierung und Industrie 4.0) und neuen Wärmebehandlungsverfahren (beispielsweise hybride Technologien in der Wärmebehandlung) gerechter zu werden. Ein weiterer Grund lag aber auch in den Rückmeldungen der Normanwender: Die Produktionsverantwortlichen und die Assessoren (Auditoren) haben und nutzen bei CQI-Standards die Möglichkeit, sogenannte Maintenance Requests an den jeweiligen Arbeitskreis zu übermitteln. So ergingen seit der dritten Edition zahlreiche Anträge, die Anforderungen zu konkretisieren sowie insgesamt zeitgemäßer zu werden, das heißt neue Konzepte wie etwa das Risikomanagement gemäß der Qualitätsmanagementnorm der Automobil-Serienindustrie, IATF 16949, zu verankern. Letzlich war also das Ziel der Revision, Wärmebehandlungs-Prozessmanagementsysteme in den Betrieben und das zugehörige Assessment-Werkzeug für die Auditoren effektiver zu gestalten.

Veränderte technische
Vorgehensweisen

Es handelt sich um eine „mittelgroße“ Revision: Während der grundsätzliche Aufbau und die Handhabung des Standards erhalten und nur an notwendigen Stellen angepasst wurden, gab es eine deutliche Veränderung bei den technischen Vorgehensweisen und Details. So wurde beispielsweise die Multi-Messpunkt-Kalibriermethode von Thermoelementen gestärkt, was aus messtechnischer Sicht Sinn macht. Auch die Anforderungen an die Durchführung des System Accuracy Tests (SAT), bei dem die Messabweichungen von nah aneinander platzierten Messspitzen festgestellt und einer absoluten, relativen sowie Trend-Beurteilung unterzogen werden, wurden bezüglich Genauigkeitsansprüchen an SAT-Messgeräte sowie SAT-Häufigkeit, -Fristen, -Karenzzeiten und -Methode (zum Beispiel Eintauchtiefe) konkretisiert.

Hervorzuheben ist auch die explizite Festlegung der bis dahin für Multikammeröfen noch fehlenden Temperature Uniformity Survey (TUS), der Ofenprofilermittlung. Interessant für eigentlich noch gute, jedoch einfach ältere oder nicht gängigsten Standards entsprechende Anlagen ist zudem, dass der Standard auch auf alternative, unkonventionelle und selbstentwickelte TUS-Methoden eingeht, was angesichts der unterschiedlichen technischen Auslegungen von Anlagen weltweit positiv zu werten ist.

Aber auch für CQI-9-Assessoren gibt es Neuigkeiten: Die Fragen und Bewertungskriterien zu den einzelnen Anforderungen im Assessment wurden den Prozessen besser lesbar und direkter angesiedelt – ein positiver Trend bei neueren CQI-Editionen. Und dass jede Anforderung nun auch ein klares „Muss“ beinhaltet, wird zur Minderung des Interpretationsspielraums positiv beitragen.

Prozesswarten müssen bis Juni 2023 digital sein

Eine finanzielle Herausforderung dürfte für manchen diese Forderung bedeuten: Bis Juni 2023 müssen Prozesswarten – Steuerung, Überwachung und kontinuierlicher Mitschrieb der primären Thermoelemente – digital sein, denn so wird einerseits der Bedeutung von Aufzeichnungsmanagement und Industrie 4.0 Rechnung getragen werden. Andererseits wird die kontinuierliche – statt bisher zwei Mal pro Schicht – Überwachung der Ofenatmosphäre gelingen. Auch Kühl- und Abschrecksysteme haben einen signifikanten Einfluss auf die Produktqualität und -langlebigkeit, weshalb die Festlegungen zu Ventilatorengeschwindigkeiten, Kühlwassertemperaturen und -durchflussraten, Alarmsystemen und Abkühlgeschwindigkeiten verfeinert wurden.

CQI-9-Assessments müssen mindestens jährlich durchgeführt werden. Die Norm stellt an die Assessoren Kompetenzanforderungen, die einer „eierlegenden Wollmilchsau“ ähneln, soll heißen: Nur in den seltensten Fällen vereinen Assessoren alle Fähigkeiten in einer Person, weshalb es zulässig war und bleibt, Assessoren-Teams zu bilden. Assessoren müssen nun aber nachweislich in der Lage sein, QM-Systemanforderungen, zum Beispiel aus IATF 16949, im Assessment einzubinden, also etwa Prozessänderungs- oder Risikomanagement. Das wird Weiterqualifizierungsbedarf mit sich bringen. Neu ist auch, dass nun Lead-Assessoren eine technische Wärmebehandlungserfahrung von mindestens fünf Jahren haben müssen und es bleibt abzuwarten, wie gut das funktionieren wird.

Das Fazit lautet somit: Einerseits braucht es Prozessmanagementstandards wie CQI-9 für die Wärmebehandlung, denn ISO 9001 und sogar IATF 16949 sind Meta-Normen, die technisch nicht abbilden, was es konkret benötigt, um Rückrufe, teure Gewährleistungs- und vor allem Produkthaftungsfälle aufgrund von Prozessunsicherheiten zu verhindern. Der neue Standard ist leichter auditierbar und geht stärker auf spezifische Notwendigkeiten in den einzelnen technischen Verfahren ein, zum Beispiel beim Sinterhärten oder beim Nitrieren. Andererseits bedeuten die Änderungen aber auch echten Investitionsbedarf in Pyrometrie, Überwachungstechnik, Methoden, Qualitätsprozesse und Weiterbildung.

Rhein S.Q.M. GmbH
Ebereschenweg 2a
67067 Ludwigshafen
www.qm-projects.de


Bild: Rhein SQM

Wolfgang Rhein

Geschäftsführer
Rhein SQM
www.qm-projects.de


Webhinweis

Die vierte Version der „CQI-9 Special Process: Heat Treat Assessment“ kann bei der Automotive Industry Action Group (AIAG) in deutscher Sprache erworben werden:

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