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Riese mit einfühlsamer Regelung

Modernisierung und Automatisierung der 16,5-MN-Normalbelastungsmaschine
Riese mit einfühlsamer Regelung

Bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig ist die 16,5 MN Normalbelastungsmaschine modernisiert worden. Im gleichen Zug hat sie eine automatische Regelung erhalten.

Weltweit ist sie in ihrer Art einmalig: Die 16,5 MN Normalbelastungsmaschine der PTB. Zu den Kunden für die 1600-t-Kraftaufnehmer zählt beispielsweise die Offshore-Industrie. Die Bauindustrie braucht diese Art Kraftaufnehmer zum Festigkeitsnachweis an großen Betonelementen oder zur Bruchlastbestimmung und Lebensdauerprognose von Tragseilen an Schräg- und Hängeseilbrücken sowie zur Prüfung von Spannbetongliedern. Die Hersteller von Großkränen und Tagebaugroßgeräten schließlich setzen Kraftaufnehmer in dieser Größenordnung ein, um Überlast und Umkippen zu vermeiden. Solche Kräfte werden in der 16,5-MN-Kraft-Normalmesseinrichtung durch hydraulische Übersetzung von Direktbelastungskräften mit einer relativen Messunsicherheit von ca. 1 x 10–4 erzeugt.

Die Arbeitsgruppe von Oberregierungsrat Dr. Falk L. Tegtmeier vom Fachbereich 1.2 „Festkörpermechanik“ der PTB ist zuständig für die Darstellung und Weitergabe der physikalischen Größe „Kraft“. Die Realisierung der Kraftskala erfolgt hier mit Kraft-Normalmesseinrichtungen (K-NME) nach zwei unterschiedlichen Prinzipien. In Kraft-Normalmesseinrichtungen mit direkter Massewirkung wird die Kraft durch die Gewichtskraft von Belastungskörpern im Schwerefeld der Erde erzeugt (bis 2 MN). Große Kräfte bis zu 16,5 MN werden durch eine hydraulische Übersetzung der Gewichtskraft realisiert.
Im Laufe der Jahre waren bei der 16,5-MN-Maschine immer wieder Komponenten ausgetauscht worden. Aber wenn etwa Servoventile 20 oder 30 Jahre im Dienst sind, dann gibt es irgendwann keine Originalersatzteile mehr. Das hat zu Ausfallzeiten der Maschine geführt, die für die PTB unwirtschaftlich und für die Kunden nicht akzeptabel sind. Die Maschine musste also modernisiert und im gleichen Zuge mit einer automatischen Regelung versehen werden.
Den Part der neu zu entwickelnden und zu installierenden modernen Regelungstechnik für die 16,5-MN-Maschine übernahm Doli Elektronik. „Unser Hauptaugenmerk lag auf einer modernen Lösung, die der Maschine eine stabile Regelung verschaffen sollte. Denn die Maschine funktioniert im Grunde wie eine Art hydraulische Waage“, erinnert sich Tegtmeier, Man hat links und rechts mit vielleicht unterschiedlichen Hebellängen auch unterschiedliche Gewichte, die es einzupendeln gilt, bis das ganze System stabil bleibt. „Das ist sehr, sehr schwierig, denn in der Praxis fällt fast immer eine Seite runter“, sagt Tegtmeier.
Wie eine Waage auf der Spitze balancierend
Die Herausforderung für die Doli-Ingenieure bestand also darin, eine technisch so anspruchsvolle Regelung zu entwickeln, dass „bildlich die Waage auf der Spitze balanciert, im Grunde der schwierigste Akt im ganzen Modernisierungsprojekt“, so Tegtmeier. Die neue Regelung sollte in Zukunft dafür sorgen, dass neben der Eintauchtiefe des Messzylinders, an dem der Gewichtssatz hängt, auch der Öldruck im Hydrauliksystem konstant gehalten wird. Dazu mussten verschiedene Arbeitsprozesse wie das Starten der Anlage, das Tarieren, die Laständerung im Massestapel ohne Überschwingen sowie Sicherheitsfunktionen – insbesondere um bei Störungen die Prüflinge vor Überlastung zu schützen – unterstützt werden. „Die größte Herausforderung bei der Umsetzung der Modernisierungsmaßnahme und bei der Entwicklung der Regelung war der Zeitraum von gerade einmal neun Monaten, den wir zur Verfügung hatten“, blickt Tegtmeier zurück. Denn die Maschine ist immer sehr stark frequentiert; zudem müssen alle akkreditierten Messlabore oder verschiedenen Versuchseinrichtungen alle zwei Jahre ihre Aufnehmer rekalibrieren.
Dazu kam eine Unsicherheitskomponente wie die der Reproduzierbarkeit. Diese wurde mit der neuen Doli-Regelung mit einer erreichten relativen Unsicherheit von ca. 1x 10–5 nahezu eliminiert.
Da bei diesen großen Kräften auch tatsächlich genaue Gewichtskräfte von insgesamt 1600 t nötig sind, diese sich aber nicht realisieren lassen, verwendet man wesentlich kleinere Gewichte und vervielfacht die erzeugte Gewichtskraft mit einer hydraulischen Übersetzung. Ähnlich wie bei einem Wagenheber kann eine kleine Kraft auf einer kleinen Kolbenfläche übersetzt werden in eine große Kraft auf einer großen Kolbenfläche.
Reibungskräfte müssen so klein wie möglich sein
Da Reibungskräfte die erzeugte Kraft zu einem Teil „verbrauchen“, scheut die PTB keinen technischen Aufwand, um diese Reibungskräfte so klein wie möglich zu halten. Für die Hydraulik bedeutet das: Der Kolben läuft in einem Zylinder, ohne diesen zu berühren. Der Zylinder rotiert um seine Achse und Öl strömt ständig an der Kontaktfläche zwischen Kolben und Zylinder nach außen.
Das hydraulische System der 16,5-MN-Kraft-Normalmesseinrichtung besteht im Wesentlichen aus einem Messzylinder und vier Arbeitszylindern. An dem kleinen Messzylinder ist ein Massestapel angekoppelt, der die Kraft darstellt. Auf der Arbeitsseite findet man vier große Arbeitszylinder, deren Kolbenfläche insgesamt um den Faktor 1000 größer ist als die Kolbenfläche des Messzylinders. Um diesen Faktor wird also die Kraft erhöht. Tegtmeier: „Ein Regler überwacht die Position des Kolbens in Wegregelung, ein zweiter in Kraftregelung den Öldruck im System.“ Regler Nummer 1 leitet dabei eine Sollfunktion für das zweite Gerät ab. Der zweite EDC (Externer Digitaler Controller) gibt dem Hydraulikventil Signale, mehr oder weniger Öl ins System zu pumpen.
Zum Anfahren einer neuen Laststufe werden die Hydraulikkreise „Messzylinder“ und „Arbeitszylinder“ getrennt. Die Neue Massescheibe wird aktiviert. Der Wegregler sorgt dafür, dass der nun steigende Öldruck nicht zu einer Bewegung des Messzylinders führt, denn das würde bedeuten, dass sich auch der Massestapel in der Höhe verschiebt. „Eine Bewegung des Massestapels, der ja immerhin bis zu 1,6 Tonnen schwer sein kann“, gibt Tegtmeier zu bedenken, „würde zu langandauernden Schwingungen führen. Daher wird der Hub des Messkolbens durch die Regelung auf maximal 0,2mm begrenzt.“ Die Position des Massestapels wird mit einem kapazitiven Abstandssensor gemessen, der eine Auflösung von 10 nm besitzt.
Anspruchsvolle Aufgabe für die Regelungstechnisch
Ist die neue Masse aufgelegt und das System stabil, wird über einen umschaltbaren Drucksensor der Differenzdruck zwischen Messseite und Arbeitsseite gemessen und auf Null geregelt. Nun können beide Hydraulikkreise wieder verbunden werden. Der Massestapel bestimmt nun allein den Druck im Arbeitszylinder und bildet damit exakt die um den Faktor 1000 erhöhte Kraft des Massestapels auf dem Prüfling ab.
Die Herausforderung der Regelung bestand jedoch nicht nur in der „Zusammenarbeit“ mit drei aktiven Softwarepaketen. Vor allem die Tücken der komplizierten Mechanik und Hydraulik waren zu umschiffen. Um Reibungseffekte zu vermeiden, rotieren die vier Arbeitszylinder kontinuierlich auf einer hydrostatischen Lagerung. Gleichzeitig befindet sich – ebenfalls zur Vermeidung von Reibungseffekten – ein definierter, kleiner Spalt zwischen Kolben und Zylinder, aus dem Lecköl ausströmt, das fortwährend kompensiert werden muss.
Durch die Rotation aller Hydraulikzylinder und den daraus resultierenden Änderungen im Strömungsverhalten kommt es zu Schwingungen, die sich ohne eine entsprechende Regelung in einer mangelnden Reproduzierbarkeit der Maschine niederschlagen. Zusätzlich musste der durch den Leckölstrom verursachte Druckabfall in den Rohrleitungen messtechnisch kompensiert werden. Dabei galt es, den unregelmäßigen Leckölstrom mit höchster Präzision auszugleichen. Dazu wurde das Hydrauliksystem mittels Frequenzumrichter für die Pumpe weitgehend optimiert.
„Es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass ein derartig großes System fast ohne mechanische Reibung betrieben werden kann“, sagt Tegtmeier, „Doch genau das ist notwendig, denn Reibung in der Kraftmessung führt immer zu Messunsicherheiten.“ Ein System aber, das fast frei von Reibung ist, neigt jedoch nach jedem Impuls, wie zum Beispiel der Änderung der Laststufe, zum andauernden Schwingen. Diese Schwingungen muss das Regelventil möglichst schnell ausgleichen, denn nur bei einer korrekten und konstanten Kraft kann kalibriert werden. Da die Maschine bei jeder Laststufe ein spezielles Verhalten zeigt, mussten auch die Regelparameter für jede Laststufe angepasst werden.
Große Arbeitserleichterung dank Automation
Tegtmeier: „Wir können heute automatisch mit der Maschine messen, haben eine sehr gute Reproduzierbarkeit und damit auch keine Probleme, das Unsicherheitsbudget der Maschine einzuhalten.“ Die PTB-Ingenieure können sehr sicher und zuverlässig mit der Anlage verfahren. Dazu kommt eine erhöhte Produktivität. Der automatische Regelbetrieb der Maschine ist eine große Unterstützung und Arbeitserleichterung. Vor der Modernisierung mussten Mitarbeiter während der Messung permanent diverse Regler bedienen: eine sehr anstrengende und wenig produktive Arbeit.
Heute muss zwar aus Sicherheitsgründen die Maschine im aktiven Betrieb immer noch von einem Mitarbeiter überwacht und nötigenfalls gestoppt werden, aber aufgrund der automatischen Regelung hat der eingesetzte Mitarbeiter laut Tegtmeier „nebenher immer noch Zeit, wirtschaftlich sinnvollere Aufgaben zu erledigen“. ■
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