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Heiko Wenzel-Schinzer im Interview

Interview mit Professor Heiko Wenzel-Schinzer
„Das Spiel ist noch nicht entschieden“

Die Messtechnik digitalisiert sich, wie das Beispiel Wenzel zeigt. Professor Heiko Wenzel-Schinzer erklärt, warum die Entwicklung nicht nur Vorteile hat, welche Hürden der Standardisierung im Weg stehen und was das alles mit Google und SAP zu tun hat.

Herr Professor Wenzel-Schinzer, Sie bekleiden bei Wenzel die Position des Chief
Digital Officers. Außerdem hat ihr Unternehmen gerade eine virtuelle Messe veranstaltet, ist auf Social Media sehr aktiv und nimmt in der Produktentwicklung die Software verstärkt in den Fokus. Man hat den Eindruck, dass Wenzel das Thema Digitalisierung auf breiter Basis angeht.
War das eine strategische Entscheidung?

Professor Heiko Wenzel-Schinzer: Die gesamte Messtechnik hat sich in den vergangenen Jahren digitalisiert, weil die Software immer wichtiger wurde. Das hat bei Wenzel schon immer stattgefunden. Wir haben es nur nicht so genannt. Doch das wurde nun professionalisiert. Die Leute mussten erst verstehen, dass Software genauso wichtig ist wie Hardware. Schließlich sind wir Maschinenbauer, wir kommen also von der Mechanik. Das war ein Umdenkprozess, den wir von oben begleiten wollten. Unsere Mitarbeiter sollen sich auch trauen, selbst Digitalisierungsideen einzubringen. Daher war es wichtig, den Titel des Chief Digital Officers einzuführen. Grundsätzlich steht unsere Digitalisierungsstrategie auf drei Säulen.

Welche sind das?

Wenzel-Schinzer: Zum einen haben wir in unsere Software-Entwicklung, die vor allem in der Schweiz stattfindet, viel Geld investiert. Dann haben wir auch unsere Produktion digitalisiert. Wir fertigen ja sehr stark kundenspezifisch. Wenn dies vor allem papierbasiert geschieht, besteht die Gefahr, die Übersicht zu verlieren. Daher gibt es in der Produktion von Wenzel sehr viele digitalisierte Arbeitsplätze. Die Verwendung von Papier wurde stark reduziert. Die dritte Säule ist das ganze Thema Online-Marketing und Social Media. Die virtuelle Messe beispielsweise, die wir statt der Control veranstaltet haben, war ein großer Erfolg – mit vielen internationalen Teilnehmern.

Sie sagen, dass sich die gesamte Messtechnik digitalisiert. Wie groß ist die Herausforderung, dies umzusetzen?

Wenzel-Schinzer: Die Digitalisierung lässt sich nicht umkehren. Sie ist aber im Detail viel aufwändiger als man denkt. Wenn wir etwa als mittelständischer Anbieter ein Digitalisierungsprojekt mit einem großen Kunden machen, dann hat dieser stets sehr individuelle Ansätze. Es gibt noch keine digitalen Standards. Unsere Lösungen werden also bei jedem Kunden quasi neu erfunden. Der Integrationsaufwand ist extrem hoch. Man kann die Situation mit der in der klassischen IT in der Zeit vor SAP vergleichen. Das wird sich in den kommenden zehn Jahren noch deutlich verändern müssen.

Es fehlt also an Standards für die Verknüpfung von Maschinen unterschiedlicher Hersteller. Aber genau dies ist doch das Ziel, das man mit OPC UA erreichen möchte.

Wenzel-Schinzer: Genau. Dazu gibt es auch eine Initiative des VDMA, an der wir mitwirken. Insgesamt beteiligen sich zehn Firmen, von denen alle gewillt sind, miteinander zu arbeiten. Aber wir versuchen dort schon seit drei Monaten die Use Cases zu bestimmen, die mal standardisiert werden sollen. Und zu Beginn kamen wir auf sehr sehr viele Use Cases. Nun wird versucht, dies zu reduzieren und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Aber das ist nicht einfach. Jeder Anbieter hat seine eigenen Vorstellungen.

Sie haben schon die IT-Branche erwähnt. Glauben Sie, dass es auch in der Messtechnik ähnlich laufen könnte und ein großer Anbieter irgendwann seinen eigenen Standard durchdrückt?

Wenzel-Schinzer: Ich will es nicht ausschließen. Aber wenn das passiert, dann wird es keiner der Messtechnikhersteller sein. Dann kommt ein Anbieter wie Google und räumt den Laden neu auf. Das hoffe ich zwar nicht. Aber wenn wir als Messtechnikhersteller keine Einigung finden, dann wird es passieren.

Es könnte passieren, weil die Menge an Daten in der Messtechnik extrem zunimmt. Und daraus Erkenntnisse zu gewinnen, ist die große Herausforderung.

Wenzel-Schinzer: In der Fertigungs-IT-Welt hat sich bisher noch nicht der eine beherrschende Player herausgestellt. Wir merken, dass die großen Bearbeitungsmaschinenhersteller wie Mazak oder DMG viel mehr mit uns reden wollen als früher, weil sie alle eine Verbundlösung brauchen. Aber es gibt nicht wie im IT-Bereich einen dominanten Anbieter wie etwa SAP oder Microsoft.

Anbieter wie SAP, IBM oder Google haben viel Erfahrung mit der Analyse von Daten – und mit der Integration von IT.
Genau diese Kompetenzen sind jetzt
auch in der Messtechnik gefragt.

Wenzel-Schinzer: Vor kurzem habe ich noch gesagt: Das Know-how kann nur von uns kommen. Kein Standardisierer ist dazu in der Lage. Aber mittlerweile bin ich der Meinung, wenn wir uns nicht beeilen, dann macht es jemand von außen. Denn die großen Top-100-Konzerne, die zu unseren Kunden zählen, arbeiten in der IT ohnehin schon mit Amazon Webservices oder Microsoft.

Inwiefern gibt es bei den Anwendern schon den konkreten Wunsch zu digitalisieren?

Wenzel-Schinzer: Es findet gerade ein großer Wandel statt bei den Anwendern,
die mit unseren Technologien arbeiten. Der Messtechniker im Messraum hatte klar umrissene Aufgaben. Wenn jetzt aber die Messtechnik an oder in die Linie auf den Shopfloor wandert, dann nutzt der Werker dort viele verschiedene Maschinen – zum Beispiel mal ein Messgerät oder mal eine Bearbeitungsmaschine. Diese Anwender möchten am liebsten nur noch einen Start-Stop-Button drücken. Das Messgerät soll messen und dem Nutzer sagen, ob ein Teil i.O. oder n.i.O. ist. Und Künstliche Intelligenz soll dann auswerten, wo der Fehler liegt. Das ist herausfordernd. Denn wir müssen jetzt Systeme bauen, die jeder bedienen kann. Aber trotzdem soll ein wertvolleres Ergebnis herauskommen als vorher. Und es wird noch viel anspruchsvoller werden.

Was meinen Sie damit?

Wenzel-Schinzer: Bei vielen unserer Projekte geht es darum, dass unsere Messtechnik die Abweichung zwischen Ist und Soll analysiert. Wenn die Messtechnik aber mit den Bearbeitungsmaschinen integriert im Verbund arbeitet – wer berechnet dann die Korrekturwerte für die Bearbeitungsmaschine? Manche Kunden erwarten, dass unsere Software dies tut. Das halte ich für schwierig. Ich finde es aber auch problematisch, wenn es die Bearbeitungsmaschine macht. Wenn die Maschinen das übernehmen sollen – und das werden sie mithilfe von Künstlicher Intelligenz künftig tun – dann stellt sich die Frage, wer im Unternehmen prüfen soll, ob alles in die richtige Richtung läuft. Der Mensch nimmt nach wie vor eine wichtige Rolle ein.

Der Anwender gibt die Kontrolle ein Stück weit ab und lagert diese auf die Maschine aus.

Wenzel-Schinzer: Der Messraum wird häufig vor allem als Kostenfaktor gesehen. Die Messraumkompetenz hat im Moment kaum eine Lobby. Und wenn die Losgrößen kleiner werden, dann hilft es nicht, wenn Ihnen der Messtechniker später erklärt, warum die Charge fehlerhaft war. Denn die ist dann schon verbaut. Aber auf dem Shopfloor kann der Anwender gar nicht über die gleiche Kompetenz verfügen wie der Messtechniker im Messraum.

Aber wenn die Software immer mehr für den Menschen erledigen soll, kann es
ja nur mithilfe von Künstlicher Intelligenz beziehungsweise Machine Learning funktionieren.

Wenzel-Schinzer: Ja, richtig. Ich bin auch gar nicht gegen diese Entwicklung – im Gegenteil. Ich befürworte die Digitalisierung ja. Aber uns muss klar sein, dass die Entwicklung noch Zeit braucht. Das Spiel ist noch nicht entschieden. Daher kann es auch sein, dass für die Datenverarbeitung noch neue Player im Markt auftauchen werden.

Sie haben gesagt, dass Qualitätssicherung und Messtechnik in der digitalen Fabrik wahrscheinlich noch wichtiger werden. Warum?

Wenzel-Schinzer: Die Verantwortung, die wir bekommen, rückt deutlich näher an den Ursprung des Produktes. Früher hat man eine 1000er Losgröße gefertigt und hat daraus eine Stichprobe gezogen. Dann hat die Messtechnik gesagt: Das Teil ist an dieser oder jener Stelle nicht in Ordnung. Anschließend wurde nachjustiert. Bei kleineren Losgrößen soll jedoch kein Stück die Fabrik verlassen, das schlecht ist. Also muss die Messtechnik nach vorne wandern und gewinnt an Bedeutung. Die Messtechnik wird wichtiger, weil wir immer weniger die Chance haben, uns im Nachhinein zu korrigieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die additive Fertigung. Jedes Teil ist hier ein Unikat. Die Crux ist nun, dass dies am besten auch noch ohne den Menschen sichergestellt werden soll. Das wird eine große Herausforderung.

Apropos additive Fertigung. Manche Experten gehen davon aus, dass durch
die Coronavirus-Krise die Bedeutung des 3D-Drucks steigt. Mit der Technologie könnte man, mehr vor Ort zu fertigen und weniger abhängig von Lieferketten werden.

Wenzel-Schinzer: Das kann sein. Wenn wir im Moment über Projekte reden, dann geht es in vielen davon über die additive Fertigung. Viele Unternehmen haben jetzt diesen Impuls bekommen und beschäftigen sich stärker mit diesen Verfahren. Auch die großen Hersteller von Produktionsanlagen haben jetzt eigene Maschinen für die additive Fertigung im Portfolio. Und dafür ist dann die Computertomografie die perfekte Messtechnik. Diese Nachfrage spüren wir auch.

Wenzel setzt also weiter stark auf die Computertomografie?

Wenzel-Schinzer: Wir sehen den CT-Trend. Daher haben wir ein neues CT für die Mittelklasse entwickelt, das wir auf unserer virtuellen Messe vorgestellt haben. Von der Röhrenstärke passt es für die additive Fertigung. Mit diesem lässt sich auch Leichtmetall durchleuchten. Außerdem investieren wir sehr viel in die Bedienungsumgebung, also in die Software. Wir wollen die CT von dem Expertennimbus befreien und dafür sorgen, dass auch Nichtexperten die Technik sicher bedienen können.

Was steht außerdem auf der Rodmap
bei Wenzel?

Wenzel-Schinzer: Wir sehen auch den Trend zu Nearline beziehungsweise Inline. Daher haben wir unsere Shopfloor-Familie jetzt abgerundet und eine große Maschine für den Einsatz in der Linie herausgebracht. Daneben setzen wir auf die Multisensorik. Unternehmen wollen sich nicht fünf Maschinen für fünf verschiedene Anwendungen in ihr Werk stellen. Stattdessen möchten sie mit einer Maschine taktil, optisch und auch Rauheit messen. Daher haben wir ein paar neue optische Sensoren vorgestellt – unter anderem einen optischen Sensor für die Rauheitsmessung. Wir gehen das Thema Multisensorik aber anders an als die Konkurrenz. Wir arbeiten mit einem Maschinenbett. Und auf diesem lassen sich verschiedene Anwendungen fahren. Daneben stehen auch die Vernetzung und die Integration unserer Technologien weiter auf der Roadmap.

Was denken Sie: Könnte der Trend zur Vernetzung und zur Integration für eine weitere Konsolidierung im Markt sorgen? Unternehmen könnten verstärkt auf große Anbieter setzen, um Lösungen aus einer Hand zu kaufen, die dann auch miteinander verknüpft sind.

Wenzel-Schinzer: Wenzel investiert sehr stark in diese Themen. Wir beschäftigen mittlerweile viel mehr Software- als Hardware-Entwickler. Von unseren 600 Mitarbeitern sind mehr als 50 in der Software-Entwicklung tätig. Kleinere Anbieter als wir werden dazu kaum in der Lage sein. Das heißt, diese müssen mit Partnerlösungen arbeiten oder sich einem anderen Hersteller anschließen. Und die Kunden sagen sich möglicherweise: Bevor ich mich auf jemanden einlasse, der es auf die Dauer nicht durchhält, gehe ich lieber zu einem der größeren Anbieter. Daher glaube ich, dass es eine weitere Konsolidierung geben wird. ■

Wenzel Group GmbH & Co. KG
Werner-Wenzel-Straße
97859 Wiesthal
Tel. +4960202010
www.wenzel-group.com


Der Autor

Markus Strehlitz

Redaktion

Quality Engineering


Zur Person

Prof. Dr. Heiko Wenzel-Schinzer ist Geschäftsführer und Chief Digital Officer der Wenzel Group.
Er hält außerdem eine Professur an der Hochschule Merseburg für ABWL, Prozessmanagement und Business Consulting. Dort lehrt und forscht er im Bereich der Optimierung und Digitalisierung der betrieblichen Prozesse.

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