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Künstliche Intelligenz hilft in der Datenflut

Machine Learning in der Bildverarbeitung
Künstliche Intelligenz hilft in der Datenflut

Bei der Qualitätssicherung mithilfe von Bildverarbeitung wird künftig verstärkt Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Im Gegensatz zum Menschen werden selbstlernende Systeme mit der Fülle an Sensorwerten fertig. Bei Anwendungen mit Hyperspektral-Technik können sie außerdem zeigen, welche Wellenbereiche überhaupt für die Kontrolle relevant sind. IT- und Vision-Anbieter basteln schon an entsprechenden Lösungen.

Die technologische Entwicklung schreitet mit großen Schritten voran. Die Systeme für die Bildverarbeitung werden zunehmend leistungsfähiger und liefern eine Vielzahl von Informationen. Für den Menschen kann dies allerdings zum Problem werden. Er ist schlicht überfordert.

Das zeigt sich zum Beispiel beim Einsatz der hyperspektralen Messtechnik. Mit ihrer Hilfe lassen sich Aussagen über die chemische Zusammensetzung von Proben machen. Dabei entstehen komplexe, hochdimensionale Signalmuster, die interpretiert werden müssen. Eine entsprechende Kamera generiert eine enorme Zahl von Messwerten.

„Wir arbeiten unter anderem mit Systemen, die 200 Messwerte liefern, die noch dazu teilweise stark miteinander korreliert sind“, erklärt Andreas Backhaus, Research Manager am Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF). „Kein Mensch ist in diesem Fall in der Lage, bestimmte Schwellenwerte festzulegen.“

Das Fraunhofer IFF setzt daher auf künstliche Intelligenz. Die Wissenschaftler nutzen selbstlernende Systeme, um den Zusammenhang von spektraler Signatur und Zielgröße zu modellieren. Zentraler Baustein des Verfahrens ist eine intelligente Datenverarbeitung mittels maschinellen Lernens. Basierend auf systematisch erhobenen Beispieldaten werden Modelle generiert, die die Bearbeitung der Spektraldaten in Echtzeit im Produktionsprozess ermöglichen. Optische Sensortechnik und Algorithmen des maschinellen Lernens bilden dabei laut Backhaus ein System, das fachlich als Softsensor bezeichnet wird.

Das System lässt sich auf verschiedene Zielwerte trainieren und ist in der Lage, Materialidentität ebenso zu erkennen wie chemische Zusammensetzungen.

Eine Beispielanwendung des Systems ist die Qualitätssicherung bei der Röstung von hochwertigem Kaffee. Die Technologie kann dabei zum kontinuierlichen Prüfen der Qualität des zu verarbeitenden Rohkaffees sowie zum kontinuierlichen Monitoring des gerösteten Kaffees zum Einsatz kommen.

Die Hyperspektralkamera lässt sich in den Produktionsprozess integrieren und macht etwa Aufnahmen von Rohkaffee auf einem Förderband. Dank der Kombination von Hyperspektraltechnik und künstlicher Intelligenz ist das System in der Lage zwischen den beiden Sorten Arabic und Robusta zu unterscheiden.

„Die farblichen Unterschieden sind nur minimal. Die eine Sorte ist etwas brauner als die andere“, erklärt Backhaus. Für eine normale Farbkamera sei dies nicht zu erkennen.

Das Verfahren ist laut Backhaus nicht dazu gedacht, so präzise Ergebnisse wie aus Laboruntersuchungen zu liefern. Es sei vielmehr als kostengünstige, echtzeitfähige Alternative im Sinne eines Schnelltests zu sehen. Grundsätzlich lassen sich mit dem System verschiedene Qualitätsmerkmale identifizieren — wie etwa Kaffeesorte, spezielle Röstung oder unbehandelter Zustand.

Hardware-Kosten werden reduziert

Machine Learning wird aber nicht nur mit einer Mustererkennung fertig, an der der Mensch scheitern würde. Mit ihrer Hilfe ist es auch möglich, die Signale auszuwählen, die für die jeweilige Aufgabe verarbeitet werden. Sie identifiziert den spektralen Bereich und möglicherweise einzelne Wellenlängen, die zur Lösung eines bestimmten Problems notwendig sind.

„Wenn man das gesamte Spektrum vom UV- bis zum Infrarot-Bereich aufnehmen würde, dann bräuchte man dafür immens teure Sensortechnik“, sagt Backhaus. Aus diesem Spektrum sei aber immer nur ein bestimmter Bereich interessant.

So lassen sich dank künstlicher Intelligenz auch die Kosten für die Bildverarbeitungslösungen reduzieren. Gerade bei Hyperpektral-Systeme sei dies häufig noch ein Hindernis. „Es gibt viele Projekte, in denen wir zwar zeigen konnten, dass die Technik die entsprechende Aufgabe löst – aber die teure Sensor-Hardware den Einsatz verhindert hat“, berichtet Backhaus.

Die Integration und Anpassung eines Bildverarbeitungssystems sei ebenfalls mit hohem Aufwand verbunden, meint Professor Michael Heizmann vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB). Dieser lasse sich reduzieren, wenn Bildverarbeitungssysteme mit Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz ausgestattet werden. So könnten sie sich so weit wie möglich selbst an die jeweilige Situation anpassen können. „Dies betrifft zum Beispiel das selbständige Erkennen und Lernen von Defekten auf Oberflächen“, so Heizmann.

Auch für den Wandel von der Massen- hin zur individualisierten Produktion stellt die automatisierte Lernfähigkeit laut Heizmann eine unverzichtbare Voraussetzung dar, um die Objekt- und Merkmalsvielfalt zu beherrschen.

Sein Kollege vom Fraunhofer IFF sieht die Automatisierung ohnehin als wichtiges Anwendungsgebiet für KI-Methoden wie etwa maschinelles Lernen. „In vielen Fällen ist ja die Bewertung von Messdaten noch eine Expertenaufgabe“, so Backhaus. Hier könnte Machine Learning einspringen, um die Qualitätssicherungsprozesse zu automatisieren.

Ein System für die automatisierte Qualitätssicherung hat auch IT-Anbieter IBM entwickelt. Die Lösung mit dem Namen Cognitive Visual Inspection (CVI) basiert auf IBMs Watson. Dieses Computersystem umfasst verschiedene Technologien, die sich alle zum Bereich Künstliche Intelligenz zählen lassen. CVI nutzt unter anderem Deep-Learning-Algorithmen und ist somit also auch lernfähig.

Die Lösung macht mithilfe von Ultra-High-Definition-Kameras Videoaufnahmen von Werkstücken, um sie auf Kratzer oder andere Beschädigungen zu kontrollieren. CVI arbeitet automatisiert, nur bei Unklarheiten wird ein menschlicher Mitarbeiter hinzugezogen.

Um seine Arbeit verrichten zu können, wird CVI zunächst von einem Qualitätsmitarbeiter eingelernt. Steffen Hartmaier, Lead Architect für IoT bei IBM, erklärt das Vorgehen am Beispiel der Inspektion von Halbleiter-Platinen. „Die Bilder werden zunächst gesammelt“, so Hartmaier. „Dann identifiziert ein menschlicher Mitarbeiter die Platinen, die fehlerhaft sind, und gibt diese Information an das System weiter. Ein Data Scientist erstellt dann mit der Lösung ein Modell.“

„Die Lösung meldet auch, wenn sie sich nicht sicher genug ist, um ein Teil zu bewerten“, erklärt Hartmaier. „Dann prüft der Quality-Manager, ob er einen Fehler entdeckt. Falls ja, kann das System durch Rückmeldung des Menschen den neuen Fehler erlernen.“ So kämen ständig neue Fehlerbilder hinzu, das System werde laufend erweitert.

Watson spart Zeit

Auf diese Weise nimmt der Aufwand für die manuelle Nachbearbeitung laut Hartmaier immer weiter ab – was sich auch in Zahlen belegen lasse. Tests hätten ergeben, dass bei einem acht Tage dauernden Produktionszyklus bis zu 80 % der ursprünglich für die Prüfung veranschlagten Zeit eingespart werden konnten.

„Durch die Anwendung von Deep-Learning-Algorithmen erhält man eine wesentlich höhere Ausbeute bei der Qualitätskontrolle und eine höhere Flexibilität, was die Erfassung von Qualitätsproblemen angeht, meint Hartmaier.

Dass Deep Learning in der Bildverarbeitung eine wichtige Rolle sielen kann, hat auch Cognex erkannt. Der Machine-Vision-Spezialist hat unlängst den Vidi Systems übernommen, einem Schweizer Anbieter von Deep-Learning-Software.

Ergebnis der Akquisition ist die Cognex Vidi Suite. Diese umfasst drei Werkzeuge: Vidi blau wird verwendet, um einzelne oder mehrere Merkmale innerhalb eines Bildes zu finden und zu lokalisieren.

Mithilfe von Vidi rot lassen sich Anomalien und ästhetische Fehler erkennen. Dazu können zum Beispiel Kratzer auf einer dekorierten Oberfläche, unvollständige Anordnungen oder Webprobleme in Textilien zählen. Das Werkzeug identifiziert solche und noch andere Probleme durch das Lernen des normalen Aussehens eines Objekts – einschließlich erheblicher, jedoch zulässiger Änderungen.

Vidi grün kann der Anwender nutzen, um ein Objekt oder eine ganze Szene zu klassifizieren – zum Beispiel die Identifizierung von Produkten basierend auf deren Verpackung oder die Klassifizierung von Schweißnähten. Das grüne Software-Werkzeug lernt, verschiedene Klassen basierend auf einer Sammlung von markierten Bildern zu trennen.

Laut Cognex lässt sich die Suite in vielen verschiedenen Branchen einsetzen wie etwa in der Medizintechnik, der Pharma- und der Automobilindustrie. Unternehmen könnten damit eine automatischen Qualitätsprüfung umsetzen, die einen menschlichen Prüfer noch übertreffe.

Unternehmen brauchen Datenspezialisten

Backhaus vom Fraunhofer IFF geht davon aus, dass es künftig noch mehr Anwendungen von KI-Methoden wie Machine Learning in der Qualitätskontrolle geben wird. „KI-Technologien sind mittlerweile sehr leistungsfähig. Und man versteht die Algorithmen, die verwendet werden, jetzt auch viel besser.“

Außerdem wird künstliche Intelligenz umso besser, je mehr Daten sie verarbeiten kann. Diese großen Datenmengen sind nun in der Qualitätssicherung vorhanden. „Und es ist auch die Rechen-Power verfügbar, um diese zu verarbeiten“, so Backhaus.

Unternehmen müssen allerdings auch mit der Technik umgehen können. Will heißen: Sie benötigen Mitarbeiter mit spezifischen Kompetenzen, um die KI-Lösungen bedienen zu können. Eventuell müssen sich auch in neuen Personal investieren.

Um beispielsweise mit IBMs Lösung zu arbeiten, braucht es neben einem Qualitätsexperten auch den Data Scientist. Dieser müsse wissen, wie man Daten aufbereitet, brauche Grund-Know-how über visuelle Analysen und müsse in der Lage sein, mit Computermodellen umzugehen, sagt Hartmaier. „Wir sind der Meinung, dass eine Rollenverteilung dabei am sinnvollsten ist“, so der Experte. ■


Der Autor

Markus Strehlitz

Redaktion

Quality Engineering


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