Eine sogenannte DIN SPEC ist der Vorläufer für eine spätere ISO/ASTM-Norm und hilft, frühzeitig die Qualitätsanforderungen an neue Technologien und Verfahren zu klären. Im Rahmen einer Workshop-Phase erarbeiten aktuell die Deutsche Bahn, Siemens und MT Aerospace gemeinsam mit TÜV Süd als Projektleiter die DIN SPEC 17071. Ein solcher Leitfaden ist gerade beim Aufbau größerer Produktionsstraßen von besonderer Bedeutung. Aufgrund fehlender Standards, Daten und Erfahrungen gehen einige Unternehmen hier noch immer versuchsweise und intuitiv vor. Die Folgen sind mitunter unvorhergesehene Qualitätsmängel ungeplante Anlagenstillstände und mangelnde Konformität innerhalb industrieller Anforderungen.
Als Leitfaden für qualitätsgesicherte Prozesse ist die DIN SPEC 17071 derzeit in der Entwurfsphase und wird Mitte des Jahres erscheinen. Die standardisierte technologisch und operativ nötige Qualitätskontrolle ermöglicht selbst kleinen und mittleren Unternehmen, eine industrielle Fertigungsreife aufzubauen. Das minimiert Risiken und macht die Investitionen in neue Produktionslinien transparent und kalkulierbar.
Der Leitfaden ist auch grundlegend für Hersteller, die eine risikominimierte Fertigung für regulierte Branchen aufbauen wollen von großem Interesse. Dazu zählen die Luftfahrt, Medizin, Mobilität oder Druckgeräte. Hier müssen weiter reichende Anforderungen erfüllt werden. Im Fokus steht die qualitätsgesicherte Materialprüfung innerhalb des gesamten Produktionsprozesses, aber auch eine transparent und reproduzierbar dokumentierte Fertigung, eingeschlossen aller relevanten Prozessschritte. Hinzu kommen die personellen Zuständigkeiten und die Ausbildungsreife von zum Beispiel Bedienern, Ingenieuren, QM-Managern, Vertriebsmitarbeitern und Projektleitern.
Reproduzierbarkeit sichern
Zu qualifizieren sind vor allem der Betrieb der Anlage, das Ausgangsmaterial und dessen Management sowie der Fertigungsprozess selbst. Die Dokumentation sollte neben der Wartung und der Kalibrierung der Anlagen und Prozesse auch die Historie zu den Werkstoffen und Bauteilen einschließen sowie CAD-Prozesse und ein reproduzierbares Datenhandling. Unabdingbar sind Prozessbeschreibungen in Form von Arbeitsanweisungen und Laufkarten – einschließlich der zugehörigen Qualitätskenngrenzen, also Mindestanforderungen. Die Fertigung ist mittels Stichproben und Materialanalysen kontinuierlich zu überwachen.
Um gleichbleibende Qualität über verschiedene Chargen und Produktionsorte hinweg zu belegen, bietet TÜV Süd Product Service die Zertifizierung zu einer industriellen Fertigungsstätte „Additive Manufacturer“ an. Damit haben Unternehmen schon heute die Chance, sich zu differenzieren und als potenzieller Zulieferer für qualitativ anspruchsvolle Anwendungen sichtbar werden. Werkstoffe, Prozesse und Methoden sowie die Mitarbeiter und Maschinen sind Teil einer qualitätssichernden Prüfung. Die erfolgreiche Zertifizierung belegt, dass die Produktqualität reproduzierbar ist sowie dass der Herstellungsprozess exakt definiert ist. Zudem kann der Auftragsfertiger sicher sein, dass er alle nötigen Standards implementiert hat. Eine Zertifizierung gibt auch dem Einkäufer mehr Sicherheit. Zudem vereinfacht sie Bestellprozesse und die Lieferantenwahl sowie den Handel über Ländergrenzen hinweg.
Normentwurf ist Teil der Prüfkriterien
Das Prüfprogramm – mit teils bis zu 250 Kriterien – basiert bereits auf der DIN SPEC 17071 und anderen entstehenden (siehe Infobox) sowie bereits veröffentlichten Standards. Zu den technologieübergreifenden und branchenrelevanten Normen kommen technologiespezifische Standards. Beispiele dafür sind die DIN 35224 für die Abnahme von pulverbettbasierten Laserstrahlmaschinen oder die DIN 65123 zur Prüfung von metallischen Bauteilen. Auch verschiedene VDI-Blätter zu Kunststoffbauteilen und dem Laser-Sintern oder Konstruktionsempfehlungen zählen dazu. Produktzulassungen bei Sicherheitsbauteilen oder in regulierten Branchen erfordern spezifische Zusatzprüfungen – wie das Fallbeispiel zeigt.
Fallbeispiel Deutsche Bahn
TÜV Süd Product Service arbeitet bei der Standardisierung eng mit der Deutschen Bahn zusammen. Zur Erbringung von Mobilitätsleistungen für Ihre Kunden im Personen- und Güterverkehr unterhält die Deutsche Bahn als größtes Verkehrsunternehmen Mitteleuropas eine große heterogene Fahrzeugflotte sowie die dazu nötige Infrastruktur. Für Fahrzeuge und Anlagen verschiedenster Hersteller, aus diversen Baujahren gilt es die Teileverfügbarkeit sicherzustellen, um Fahrzeugstillstände und Anlagenausfälle zu vermeiden. Der additiven Fertigung kommt bei der Beschaffung abgekündigter oder schwer beschaffbarer Komponenten eine wachsende Bedeutung zu.
Die Schaffung von Standards ist in regulierten Industrien wie der Bahnbranche für die Einführung neuer Technologien von entscheidender Bedeutung. Daher war die Entwicklung einer Herstellerzertifizierung für additive Fertigungszentren mit dem klaren Fokus auf reproduzierbare, qualitätsgesicherte Prozesse gemeinsam mit dem TÜV Süd für die Deutsche Bahn ein wesentlicher Meilenstein. Bei der Entwicklung wurde aber auch darauf geachtet, eine branchenübergreifende Basis zu schaffen, um einer Vielzahl von Unternehmen die Etablierung der additiven Fertigung zu vereinfachen. ■
Die Referenten
Gregor Reischle
Head of Additive Manufacturing, TÜV Süd
Product Service
Sven Gaede
DB Engineering &
Consulting
Weitere Standards entstehen
Neben TÜV Süd Product Service und dem Deutschen Institut für Normung (DIN NA 145 Additive Fertigung) arbeiten Gremien wie das Joint Committee von ISO (ISO/TC 261) und ASTM mit unterschiedlichen Marktteilnehmern an weiteren Standards. Ein Beispiel ist die PWI 52920 zur Konformitätsbewertung additiver Fertigungsstätten innerhalb industrieller Fertigungsumgebung. TÜV Süd unterstützt Unternehmen und Anwender mit Dienstleistungen, Zertifizierungen, Trainings und digitalen Services über die gesamte additive Fertigungskette.
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