Der Trend- und Zukunftsforscher John Naisbitt konnte die heutige Situation im Bereich der Qualitätssicherung nicht besser darstellen: „Wir ertrinken in Informationen, aber wir hungern nach Wissen“. Dies trifft auch auf den Bereich der additiven Fertigung zu.
Qualitätsdaten werden heutzutage über unzählige Sensoren erfasst. Aber um eine intelligente, adaptive Qualität zu erreichen, sind noch zwei weitere Schritte erforderlich: eine intelligente Datenfusion und Auswertung gefolgt von einer dynamischen Anpassung der Fertigungsparameter, die zu einer radikalen Veränderung der Qualitätsregelung führt.
Der erste Schritt ist der „Nucleus“ – unser Wissenslieferant, der Qualitätsdaten intelligent miteinander verknüpft und komplexe Zusammenhänge erkennt. Das maschinelle Lernen (ML) ist der Schlüssel, um eine Maschine beziehungsweise einen Fertigungsprozess zu „erziehen“ und somit eine intelligente und adaptive Prozess- und Produktqualität zu erreichen.
Maschinelles Sehen als Schlüsseltechnologie
Die intelligente, automatisierte Interpretation von Bildinformationen ist eine Schlüsseltechnologie für die Inline-Qualitätskontrolle der additiven Fertigungsprozesse. Um sie anzuwenden, stellt sich die Frage, welche sind die zu erfassenden Qualitätsmerkmale, um eine intelligente, adaptive Qualität zu erreichen?
Dafür haben die Wissenschaftler am Fraunhofer IPA ein neuartiges Verfahren zur Identifikation und Gewichtung von Inline-Defekten und -Fehlern entwickelt. Am Beispiel des Selektiven Lasersinterns (SLS) wurden die elementaren Aufgaben sowohl für die Inline-Qualitätskontrolle als auch für die adaptive Qualität identifiziert.
Darauf basierend wurde das Inline-Inspektionssystem IQ4AP implementiert. Die Bilderfassung erfolgt über zwei 2D-Kamera- und ein Thermographiesystem. Wie sieht der nächste Schritt zur adaptiven Qualität aus?
Nucleus – Klassifikationsmodelle für Qualitätsdaten
Um eine dynamische Anpassung von Fertigungsparametern zu erreichen, ist der erste Schritt, ein Modell zur Fehlerklassifikation zu trainieren. Die Trainingsdaten sind gelabelte Bilder (zum Beispiel Rille in Pulverschicht, fehlerhafte Schichthaftung) aus einer offline qualifizierten Bilddatenbank.
Ist das Modell erstellt, können die Bilder im Prozess nach Fehlerart klassifiziert werden. Automatisch folgt die Auswahl und Durchführung der fehlerspezifischen Bildverarbeitungsalgorithmen zur Inline-Inspektion.
Die auf diese Weise gewonnenen qualitativen und quantitativen Qualitätsaussagen auf Schichtebene werden für sofortige Maßnahmen (zum Beispiel Maschinen-Stopp) und Qualitätsprotokolle sowie als Trainingsdaten des zweiten ML-Modells „Modell zur Parameteranpassung“ verwendet. Hierfür werden auch die dazugehörigen beeinflussenden Fertigungsqualitätsparameter benötigt. In der Inline-Anwendungsphase dieses Modells werden Aussagen zur Parameteranpassung automatisch getroffen (zum Beispiel Laserleistung erhöhen um 3 %) und somit eine dynamische Anpassung der Fertigungsparameter ermöglicht.
Für die additiven Fertigungsprozesse ermöglicht die Kombination von maschinellem Sehen und Lernen in der Anwendung eine selbstorganisierte Prozess- und Produktqualität durch Selbstkontrolle und Selbstregelung. ML-Modelle wie zum Beispiel zur Fehlerklassifikation und Parameteranpassung können heutzutage sogar direkt auf mobilen Endgeräten und intelligenten Kameras oder Rechensticks wie etwa Intels Movidius inline angewandt werden. ■
Die Referentin
Dr. Simina Fulga-Beising
Senior Scientist
Abteilung Bild- und Signalverarbeitung
Fraunhofer IPA
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