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Auf dem richtigen Weg

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Auf dem richtigen Weg

Auf dem richtigen Weg
Dr. Christian Forstner, Director European Quality Award Project
„Nicht kleckern sondern klotzen“ wollte die Führungsriege des Bereiches Energieerzeugung KWU der Siemens AG. Sie verzichteten auf ein Pilotprojekt und führten das EFQM-Modell umfassend im ganzen Unternehmen ein, welches 16 000 Mitarbeiter beschäftigte. Mit Erfolg! Im Oktober letzten Jahres schaffte KWU den Sprung ins Finale für den European Quality Award (EQA). Auch wenn der Geschäftsbereich noch nicht den ganz großen Gewinn mit nachhause nehmen konnte, auf dem richtigen Weg befindet er sich allemal. Und wer weiß, vielleicht klappt es ja in diesem Jahr.

Die Stromerzeugung bei Siemens zählt mittlerweile stolze 133 Jahre. Das Spektrum dieses Bereiches Energieerzeugung umfasst Großkraftwerke auf der Basis von fossilen Brennstoffen, Wasserkraft und Kernenergie, dezentrale Anlagen für fossile und Bio-Brennstoffe sowie Brennstoffzellenanlagen. Seit jüngster Zeit zählt das Unternehmen 27 000 Mitarbeiter. Vor dem Erwerb der Westinghouse Power Generation im Jahre 1998 traten 16 000 Beschäftigte den Wettbewerb um den höchsten europäischen Qualitätspreis, den European Quality Award an. Der Geschäftsbereich verteilt sich auf sechzehn Standorte in Deutschland, einige in den USA und in Asien.

Wie bekommt man ein solch großes Werk unter einen Hut, noch dazu unter einen, der so gut sitzt? Jahrelanges ständig weiterentwickeltes und von der Führungsseite ernstgenommenes Qualitätsmanagement scheint einen großen Anteil an dieser Maßschneiderung zu haben.
Im Bereich Energieerzeugung löste in den achtziger Jahren TQM die reine Qualitätskontrolle ab. Bereits Anfang der neunziger Jahre befassten sich die ersten Siemens-Qualitätsprofis mit der neu entwickelten EFQM-Methode und brachten sie dem Vorstand nahe. Dieser fällte die Entscheidung für EFQM 1994. Die Führung hatte erkannt, daß im Gegensatz zu ISO-Zertifizierungen Führung, Politikstrategie und Geschäftsergebnisse integraler Bestandteil von EFQM sind und als Methode ein Managementmodell und insofern komplett umfassend ist. Dieser ganzheitliche Blick hat den Vorstand derart fasziniert, daß er EFQM als Methode nutzen wollte, um das Unternehmen umzukrempeln. Nachdem der Bereichsvorstand als höchste Führungsebene der KWU hinter diesem Modell stand, gelang es ihm auch schnell, die Geschäftsgebietsleiter dafür zu begeistern.
Beispielhafte Herangehensweise
Unkonventionell und beispielhaft beschritt Siemens den EFQM-Weg. Mutig verzichtete man auf Pilotprojekte und bezog gleich die ganze Firma mit ein. Ein geschickt aufgebautes Netzwerk garantiert die komplette Erfassung aller Geschäftsbereiche. Dieses erscheint einfach und logisch. Leiter des Gremiums EFQM-Team ist der Bereichsvorstands-Vorsitzende Adolf Hüttl. Unser Gesprächspartner Dr. Christian Forstner, Direktor European Quality Award Project, ist Generalsekretär. Für jedes der neun EFQM-Kriterien ist ein Mitglied des Leitungskreises, also ein Geschäftsgebietsleiter verantwortlich. Sein Team setzt sich wiederum aus je einem Verantwortlichen für jedes EFQM-Kriterium in seinem Geschäftsgebiet zusammen. Die Kriterium-Verantwortlichen der einzelnen Geschäftsgebiete treffen sich drei bis viermal jährlich und sprechen über ihr Thema. Was sie dabei beschließen ist Gesetz. Es muß umgesetzt werden. Es gibt darüber nur noch das Gremium EFQM-Team. Dieses trifft sich regelmäßig, um übergreifende Dinge zu besprechen.
Aus eigener Kraft
Forstner zeichnet sich mit nur einer Mitarbeiterin für nunmehr 27 000 Beschäftigte verantwortlich. Es gibt keine Hierarchie. Er koordiniert die Matrix, die aus den Führungskräften des Gesamtunternehmens besteht. „So eine Konstruktion habe ich europaweit noch nirgends gesehen“, so Forstner.
Als großen weiteren Vorteil sieht er die Übertragung der Verantwortung auf die eigenen Leute. Die KWU hat EFQM auf die Schultern der Geschäftsgebietsleiter gesetzt. Das ist natürlich auch eine große Herausforderung. Joergen Ole Haslestad ist zum Beispiel Geschäftsgebietsleiter für Fossile Energieerzeugung Dampfturbinenanlagen und Generatoren. Er ist gleichzeitig für das EFQM-Kriterium „Führung“ verantwortlich. Er ist ständig in den USA und im pazifischen Raum unterwegs und schaffe sein normales Geschäft gerade mal in 24 Stunden. Dennoch muß er sich nun auch noch um EFQM kümmern. Das macht er auch, weil er davon überzeugt ist und weil solch eine Führungskraft weder den Begriff Überstunden noch das Wörtchen Freizeit kennt.
Neben EFQM und business excellence gibt es bei der KWU noch das Qualitätsmanagement, welches etwas in die Abseitsrolle gedrängt worden ist. Die ISO 9000 ff. erfordert im Nukleargeschäft unendlich viele Zertifikate. Das ist Sache des Qualitätsmanagers, der auch die erforderlichen Audits durchführt.
Der Kreis muß sich schließen
Forstners Ausführungen lassen vermuten, daß business excellence eine einfache Sache ist. Vom Konzept her mag das stimmen, die Ausführung allerdings erfordert Beständigkeit, Geschlossenheit und Konsequenz. Natürlich sind weder die Leiter noch die Belegschaft den Verantwortlichen „Endlich EFQM“ jubelnd um den Hals gefallen. Selbstverständlich gibt und gab es Widerstände in der Belegschaft und eine gewaltige Überzeugungsarbeit war und ist noch notwendig. „Aber das Modell setzt sich immer mehr durch. Alles was ich ihnen erzähle, ist zu siebzig Prozent wahr“, so Forstner. Das heißt nicht, daß er zu dreißig Prozent lügt, sondern daß es an diesen dreißig Prozent noch zu arbeiten gilt. Und bei dieser Arbeit verfolgt die KWU ein wichtiges Prinzip: Der Kreis muß sich schließen.
Am EFQM-Kriterium „Mitarbeiterzufriedenheit“ ist dieses Prinzip vielleicht etwas leichter zu verwirklichen als beispielsweise am Kriterium „Prozesse“. Zunächst empfanden es die Mitarbeiter als Belastung, sich wieder mal mit etwas neuem auseinandersetzen zu müssen. Die KWU hat deutschlandweit vier Mitarbeiterbefragungen mit Hilfe der Universität Mannheim durchgeführt. Mit der Befragung an sich war es aber nicht getan. Der Befragungsprozess muß sich schließen, indem die Ergebnisse gefiltert, rückgemeldet und bearbeitet werden, bis ein Problem als erledigt abgehakt werden kann.
Die komplizierte Auswertung ist codiert. Mindestens zehn Mitarbeiter muß eine Abteilung zählen, um dem Leiter eine anonyme Auswertung geben zu können. Anhand dieser Auswertung kann er sehen, was er schlecht macht oder was insgesamt schlecht läuft und ist aufgefordert, mit den Mitarbeitern darüber zu sprechen. Die Ergebnisse der Diskussion muß er rückmelden und einen Verbesserungsplan aufstellen, den es abzuarbeiten gilt. Die nächste Mitarbeiterbefragung überprüft den Stand und schließt somit den Kreis. Erfolgt über mehrere Gespräche keine Verbesserung, kommt es zu sogenannten offenen Führungsgesprächen, in denen auf höherer Ebene versucht wird, die Probleme zu klären. Mit dieser Vorgehensweise ändert sich nicht alles zum Besten, aber eine ständige Verbesserung ist gewährleistet. Konzeptionell ist das Kriterium „Mitarbeiterzufriedenheit“ vom Prinzip her auf jedes andere Kriterium anzuwenden.
Natürlich gibt es in jedem Unternehmen Mießmacher und auch bei Siemens/KWU sind noch lange nicht alle Mitarbeiter ein Herz und eine Seele mit EFQM. Denen begegnet Forstner mit Fragen wie „Sind Sie früher nach Ihrer Meinung gefragt worden?“ oder „Konnten Sie sich damals etwa über Ihren Vorgesetzten äußern?“. Das gibt zu denken.
Assessoren durchleuchten den Betrieb
Für seine Vorgehensweise hat die KWU in Paris die Finalistenauszeichung bekommen. Um sich ein umfassendes Bild zu machen, kam das Assessorenteam, bestehend aus sieben hochkarätigen europäischen Qualitätsmanagern für fünf Tage in den Betrieb. Zuvor hatten die Spezialisten die Bewerbung gründlich studiert. Vor Ort überprüften sie die einzelnen Punkte. Dabei standen ihnen alle Bereiche, jedes Büro, und sämtliche Akten offen sowie jeder Mitarbeiter zum Gespräch zur Verfügung. Unter den knapp 200 Befragten befand sich auch der komplette Leitungskreis.
„Und sie haben einen Blick dafür“, so Forstner, „die sehen sofort was stimmt und was nicht.“ Das Bild, was sie sich machen, vergleichen sie mit der Bewerbung, die sie daraufhin korrigieren. Sie schauen immer nach zwei grundsätzlichen Dingen: auf die Ansätze und auf deren Durchführung. Ein guter Ansatz schlecht umgesetzt, zum Beispiel eine gute Mitarbeiterbefragung von nur zehn Prozent der Belegschaft, gibt ebenso wenig Punkte wie ein schlechter Ansatz gut umgesetzt, z. B. die Verteilung von fünf Mark für jeden Mitarbeiter jeden Freitag abend. Bezüglich der Befähigerkriterien hat die KWU sehr gut abgeschnitten.
Optimierungsbedarf im Siemens-EFQM-Gefüge sahen die Assessoren im Bereich Prozesse und bei den Geschäftsergebnissen. Die Prozesse bei der KWU sind außerordentlich kompliziert, vergleicht man sie beispielsweise mit denen einer Chipfabrik. Um ein Gasturbinenkraftwerk innerhalb eines Jahres in die Prärie zu stellen, muß zunächst mit dem Lebensnotwendigsten begonnen werden. Es müssen beispielsweise Baracken aufgestellt und die Strom- und Wasserversorgung eingerichtet werden. Unendlich viele Lieferanten greifen in die Prozesse ein. Und das ganze Engineering ist kaum oder gar nicht meßbar. „Wenn uns einer eine Methode anbietet, mit der wir die Prozesse unserer 5 000 Ingenieure messen könnten, würden wir sie händeringend nehmen“, so Forstner, der hier einen großen Bedarf an Grundlagenarbeit sieht.
Werbung für EFQM
Im Bereich Geschäftsergebnisse bewegt sich das Werk auf profitablere Zeiten zu. Wie allgemein bekannt, hatte die KWU in den letzten Jahren schlechte Ergebnisse, die unter anderem einem fünfzig prozentigem Preisverfall zuzuschreiben waren. Um den zu verkraften, hat nicht zuletzt das EFQM-Modell geholfen, was so Forstner „als Management- modell wahrscheinlich eine der besten Methoden ist. Es ist die höchste Stufe eines Qualitätsmangements und ein ständiges Verbesserungsmodell.“ Noch dazu, da es im Vergleich zur ISO beinahe nichts kostet. Die unbezahlbare Arbeit der Assessoren sei Dienstleistung zum Nulltarif. „Allein der fünfzigseitige Feedback-Report ist Millionen wert“, gibt Forstner zu bedenken. Qualitätsprofis namhafter Firmen wie Volvo oder Höchst beschäftigen sich wochenlang mit dem Unternehmen und sagen einem hinterher, was besser gemacht werden kann. Man müsse lediglich für die Unterbringung und Versorgung der Assessoren aufkommen und auch die Bewerbung koste nur 500 Euro. Geld scheint also eine untergeordnete Rolle bei der EFQM zu spielen. Die Teilnahme kostet kaum etwas und auch der EQA ist nicht dotiert. Indirekt können aber gewaltige Einsparungen daraus resultieren. Deshalb versteht Forstner auch nicht, warum Unternehmen, denen es gut geht, abwertend abwinken, wenn sie EFQM hören: „Jedes Unternehmen kann verbessert werden, doch für Unternehmen, denen es schlecht geht, ist es vielleicht die günstigste Methode, sich zu verbessern.“
Nachdem die KWU im letzten Jahr mit zwischen 550 und 600 Punkten bewertet wurde, hat sich das Unternehmen bereits um den nächsten EQA beworben und sich dafür viel vorgenommen. Auf Einladung kam der Seniorassessor persönlich zur Auswertung der Bewertung. Daraufhin hat das EFQM-Team eine Liste von acht Punkten erarbeitet, die vordringlich verbessert werden sollen. Es sei wichtig, nicht alles auf einmal anzupacken, nach dem Motto, weniger ist mehr.
Wir drücken die Daumen, daß es dann in Brüssel einen Award gibt und wenn nicht, sind die Energieerzeuger zumindest wieder ein bißchen besser geworden. [AS]
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