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Der Röntgenblick in die Oberfläche

Eigenspannungen an Bauteilen der Automobilindustrie
Der Röntgenblick in die Oberfläche

In der Automobilindustrie ist es heute unabdingbar, höchste Qualitäts- und Sicherheitsstandards der Zulieferprodukte zu fordern und der Endprodukte sicher zu stellen. Zur Gewährleistung verwendet die AUDI AG in Ingolstadt schon seit langem erfolgreich die Röntgen-Eigenspannungsanalyse. Die Einsatzfelder dieses Verfahrens reichen von der Serienüberwachung, der Entwicklung und Optimierung von Bauteilen und der Schadensanalyse bis hin zur Lieferantenbewertung.

Dr. Alfried Haase, Achim Schafmeister, Agfa NTD PantakSeifert, Ahrensburg; Rolf Schappat, AUDI AG, Ingolstadt

Um diesen Schwerpunkt auszubauen, wurde auf Basis der bereits weltweit im VW Konzern eingesetzten Modellreihe von XRD 3003 Stress Analyzer gemeinsam mit SEIFERT Analytical X-ray ein weiterentwickelter Eigenspannungsmessplatz konzipiert und erfolgreich realisiert.
Eigenspannungen und ihre Wirkung
Eigenspannungen sind mechanische Spannungen, die ohne die Einwirkung äußerer Kräfte und/oder Momente in Bauteilen vorhanden sind. Diese entstehen bei nahezu allen technisch relevanten Herstellungs-, Bearbeitungs- und Fügeverfahren und bestimmen in der oberflächennahen Schicht und nicht im Volumen die gewünschten Gebrauchseigenschaften. Die Kenntnis des Eigenspannungszustands eines Bauteils [1] in der Randzone ist deshalb ein wichtiges Qualitätsmerkmal (u.a. für die Lebensdauer) und lässt sich röntgenographisch mit Eindringtiefen von wenigen µm zerstörungsfrei ermitteln. Die Untersuchungsmethode [2] erweitert die makroskopische Betrachtungsweise und gibt Aufschluss über die Feinstruktur im atomaren Bereich.
Durch Krafteinwirkungen werden die geordneten Atomebenen in einem Bauteil richtungsabhängig elastisch deformiert. Zur Vermessung muss deswegen aus unterschiedlichen Richtungen mit dem Röntgenstrahl in die „Haut der Werkstückes” eingestrahlt werden [3]. Hierzu kann entweder das Röntgenmesssystem über dem feststehenden Prüfling um den Messpunkt geschwenkt werden, oder der Prüfling kann unter dem Messsystem bewegt werden. Beide der AUDI AG werden beide Verfahren angewendet.
Von der Grundlagen- forschung zur industriellen Routineprüfung
Die röntgenographische Eigenspannungsanalyse wurde von der heutigen Leiterin der zentralen Werkstofftechnik, Frau Droll im Jahre 1990 bei der Audi AG [4] eingeführt. Dabei ist es anerkannte Philosophie im Labor Werkstofftechnik, die Teile möglichst ohne Zerlegen und zerstörungsfrei zu prüfen, um z.B. ermittelte Grenzmusterteile auf dem Prüfstand oder in Erprobungsfahrzeugen verbauen zu können. Eine möglichst zerstörungsfreie Prüfung des Bauteils ist auch deshalb wünschenswert, damit Änderungen der zu ermittelden Eigenspannung infolge mechanischer Zerteilung größerer Bauteile ausgeschlossen werden können. Dieser Punkt wurde durch das damals angeschaffte System (Rigaku) dadurch erfüllt, dass die Messeinheit Röntgenröhre-Röntgendetektor freischwebend an einem Stativ montiert war.
Die Bauteilgeometrie wurde so theoretisch nur durch die Raumgröße begrenzt. Allerdings erwiesen sich einige andere Punkte, wie z.B. die ungenaue Justage der z-Position, die eingeschränkten Möglichkeiten zur Einstellung bestimmter Messgeometrien ( nur positive Einstrahl-Winkel ) und lange Messzeiten mit der Zeit als nachteilig und sollten nach ca. 10-jähriger Nutzung durch die Beschaffung eines neuen Systems verbessert werden.
Im Vorfeld der Beschaffung wurde dem Anforderungsprofil große Beachtung gewidmet, da sich in der Planungsphase bereits entscheidet, ob das System später tatsächlich die erhofften wirtschaftlichen Vorteile und Leistungen liefert. Die Grundkonzeption der Anlage beruht auf den Geräten im Zentrallabor der Volkswagen AG in Wolfsburg (Bild 1). Die dortigen Systeme wurden in Zusammenarbeit mit SEIFERT Analytical X-ray [5] geplant, realisiert und weiterentwickelt, so dass uns von daher ein Systemanbieter bekannt war, der neben der reinen technologischen Kompetenz auch in puncto Beratung, Projektierung und Engineering Besonderes zu bieten hatte.
Wichtige Vorarbeiten hatte das Zentrallabor in Wolfsburg dadurch geleistet, dass verbindliche Prüfvorschriften zur röntgenographischen Spannungsermittlung für die im VW Konzernverbund verwendeten Bauteile erarbeitet wurden.
Zur Umsetzung dieser Prüfvorschriften wurden inzwischen u.a. bei VW Produktionsstätten ( Volkswagen Argentina S.A.), VW Töchtern (Skoda Auto, A.S., Tschechien) und VW Zulieferern (Shanghai Automotive Co., LTD., China) ähnliche röntgenographische Eigenspannungsmesssysteme von SEIFERT Analytical X-ray angeschafft.
XRD 3003 Stress Analyzer bei AUDI
Kurz vor Weihnachten 2001 konnte bei AUDI AG in Ingolstadt der neueste gemeinsam konzipierte XRD 3003 Stress Analyzer in Betrieb genommen. Diese Anlage gestattet die Anwendung der festgelegten VW Prüfvorschriften und bietet zusätzlich die Möglichkeit, AUDI spezifische Untersuchungen an sehr großen und schweren Teilen wie z.B. an kompletten Kurbelwellen fortzuführen.
Die Anlage befindet sich in einer begehbaren Strahlenschutzkabine (Bild 2), die einerseits genügend Freiraum zur komfortablen Beschickung mit großen Bauteilen aufweist, und andererseits den höchsten Sicherheitsstandard zum gefahrlosen Betrieb des Messplatzes im industriellen Umfeld bietet. Das Röntgenmesssystem ist zusammen mit dem Probenbewegungssystem (Bild 3) dargestellt und im Prinzipaufbau (Bild 4) mit dem zugehörigen Achsen-Koordinatensystem in Bezug gesetzt. Mittels einer integrierten CCD-Kamera und eines präzisen Lasermesssystems können auf dem Bauteil direkt am PC-Bildschirm komfortabel Messpunkte auf dem Prüfteil ausgesucht werden, da dieses interaktiv am Bildschirm beobachtet und mit dem xyz-Tisch positioniert werden kann. Das Bild des Messpunkts kann natürlich jederzeit gespeichert und zu Dokumentationszwecken zusammen mit den Messdaten archiviert werden.
Die leistungsfähige Windows Software RAYFLEX unterstützt die Festlegung der Messpunkte durch Generierung einer Messliste mit vollautomatischer Laser Tiefenvermessung in µm Genauigkeit, so wie die anschließende röntgenographische Vermessung mit vorwählbaren, den Bauteilgeometrien angepassten Messstrategien. Aus den abgespeicherten Messdaten können ebenfalls mit der RAYFLEX Software die Spannungswerte in MPa als vergleichbarer Qualitätsparameter entweder interaktiv oder vollautomatisch mit unterschiedlichen Auswertealgorithmen bestimmt werden.
Durch Kombination mehrerer Messrichtungen lässt sich zusätzlich eine Aussage über die Lage des Spannungssystems in der Probe treffen. Die Ergebnisse werden entweder in einem übersichtlichen Printreport (Bild 5) dokumentiert, oder können direkt in ein Excel Arbeitsblatt zum weiteren konzernkonformen Report exportiert werden.
Es stehen eine Cr-Röntgenröhre für Eisenwerkstoffe und eine Cu-Röntgenröhre für Aluminium zur Verfügung.
Erweiterte Anwendungen für die Röntgenanalyse
Zusätzlich zur Ermittlung von Eigenspannungszuständen nahe der Oberfläche kann die Aufgabenstellung erweitert werden. Durch bestimmte Bearbeitungsprozesse lassen sich an der Werkstoffoberfläche gezielt Veränderungen erzeugen, die gewünschte Eigenschaften zur Bauteilverbesserung liefern, wie z.B. Korrosionsbeständigkeit, Härte, Verschleißfestigkeit usw.
Hierbei lassen sich grob 4 Fälle unterscheiden, die ebenfalls durch röntgenographische Messung (qualitative/quantitative Phasen- und Texturanalyse) zerstörungsfrei analysiert werden können:
Es können Deckschichten durch Lasereinsatz, galvanische Abscheidung (Metalle wie z.B Chrom, Nickel, usw.), oder Sputtern (Keramik wie z.B. Aluminiumoxid, Zirkonoxid, usw) aufgebracht werden. Die Zusammensetzung (was) und der atomare Aufbau (wie) der Schicht können bestimmt werden.
Es finden chemische Reaktionen in der Randzone unter Bildung von neuen Verbindungen (Oxide, Nitride, Carbide usw.) statt. Diese Entstehungsprodukte können qualitativ (was) und quantitativ (wie viel %) bestimmt werden.
Es finden Strukturumwandlungen einer Verbindung (z.B Austenit, Ferrit) durch Temperatur/Druck -Änderung statt. Diese Umwandlung wird so gesteuert, dass sie unvollständig verläuft. Das sich einstellende Verhältnis der Anteile bestimmt die Materialeigenschaften und kann qualitativ ( was ) und quantitativ ( wie viel % ) bestimmt werden.
Es finden Ausrichtungen kleiner kristalliner Bereiche bei Einwirkungen ( z.B. Walzen ) auf der Bauteiloberfläche statt ( Textur ). Die sich einstellende Vorzugsrichtung bestimmt die für den Einsatz gewünschten Gebrauchseigenschaften.
Referenzen:
[1] B. Eigenmann, E. Macherauch, Röntgenographische Untersuchung von Spannungszuständen in Werkstoffen, Materialwissenschaft und Werkstofftechnik (1996)
[2] AWT: Verfahrensbeschreibung Röntgenographische Ermittlung von Spannungen – Ermittlung und Bewertung homogener Spannungszustände in kristallinen, makroskopisch isotropen Werkstoffen; Arbeitsgemeinschaft Wärmebehandlung und Werkstofftechnik e.V. Geschäftsstelle; Schlangenbad-Bärstatt 2000
[3] V. Hauk, Structural and Residual Stress Analysis by Nondestructive Methods, Elsevier, Amsterdam u.a., 1997
[4] AUDI AG, D-85045 Ingolstadt
[5] Agfa NDT Pantak Seifert, Bogenstraße 41, D-22926 Ahrenburg
Weitere Informationen
AUDIQE 556 AgfaNDTQE 557
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